Thema: Chemo-Gehirn
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Alt 07.08.2006, 22:28
Bellinda
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Standard AW: Chemo-Gehirn

Lieber Achim,
bin fast froh, deine Verzweiflung zu lesen. Das darf da sein, und dafür ist hier auch der Raum!!!! Denn: Es ist ein unglaublicher Kraftakt, den du vollbringst! Ich habe inzwischen viele Beiträge von dir gelesen, und immer wieder hat es mich berührt, mit welcher Kraft du liebevoll für deine Frau da bist. Ich bin voller Achtung und Ehrfurcht vor diesem Einsatz, den du erbringst.

Ich habe mich oft gefragt: Wer unterstützt die Angehörigen? - Sie müssen sich nicht nur mit dem Thema Krebs und Sterblichkeit, der eigenen und der möglichen des krebskranken Partners auseinandersetzen, diesem beistehen, viele seiner alltäglichen Aufgaben übernehmen, ihn zu Therapieterminen begleiten, mit ihm bangen und ihm Mut machen, die (Nicht)Reaktionen der Umwelt verdauen, kanalisieren, abschirmen.... , weiterhin die eigenen Aufgaben im Leben bewältigen - .... und niemand denkt daran, auch den Partner einmal zu fragen, wie es ihm geht .... -

Der Krebs lässt keine Halbheiten zu. Manche Beziehungen erreichen eine neue, tiefe Ebene. Viele Beziehungen gehen am Krebs zugrunde.
So wie es mir geschehen ist.
Nach Scheidung und 6 Jahren des Alleinelebens war ich gut ein Jahr vor der Krebserkrankung mit dem Mann zusammengezogen, mit dem ich wirklich alt werden wollte. Ein Vierteljahr nach dem Zusammenziehen verlegte ich auch meine Praxis für ganzheitliche Massage ins gemeinsame Haus und begann die Praxis neu aufzubauen. Es lief gerade einigermaßen an, da kam im November 03 die Diagnose. Ohne Netz und doppelten Boden von einem Tag auf den anderen arbeitsunfähig und einkommenslos. Doch die Beziehung trug mich, ich bekam so viel Unterstützung von meinem Partner, glaubte mich geliebt. Zwar vermisste ich die Streicheleinheiten, doch ich sah die Belastungen, die von allen Seiten an ihm zehrten, und wollte nicht auch noch Zusätzliches fordern. Es ist schon schwer genug, nur noch zum Annehmen "verdammt" zu sein - ich fühlte mich ständig schlecht, weil ich ihn so wenig unterstützen konnte. Im Mai 04 die frohe Nachricht: Vollremission. Der ganze Körper schmerzte- aber geheilt. Warten auf die Reha. Fit werden wollen für den gemeinsamen Urlaub im September. Unglaublicher Ansporn. Welche Vorfreude! Im Jahr zuvor musste der gemeinsame Urlaub 2x kurzfristig wegen seines großen Engagements am Arbeitspaltz, das er für seine Weiterexistenz dort für unerlässlich hielt, abgesagt werden.
Mitte Juli bis Mitte August 04 endlich in Reha. Ich gebe alles, um meinen Körper fit zu machen. Heimweh. Urlaubsvorfreude. Vorfreude auf ein neues gemeinsames Wieder-Auf-Leben. Kann es kaum erwarten zu zeigen, wie fit ich inzwischen wieder bin. Am Bahnhof werde ich mit Blumen abgeholt. Am nächsten Abend gehen wir gemeinsam essen, lauschiges Draußensitzen, während ich von meinen Zukunftsplänen mit der neu gewonnenen Kraft plappere. Am nächsten Tag finde ich auf dem Wohnzimmertisch einen Brief. Geschrieben in der Nacht nach unserem gemeinsamen Essen. Mein Partner hat eine neue gesunde, problemlose Partnerin. Aktiv gesucht und gefunden im Internet während der Therapie, wenn Bellinda chemogeschädigt abends früh im Bette lag. Gedated und für gut befunden während ich in Reha war.
Ich habe von einem Tag auf den anderen keine Liebe, keine Wohnung und keinen Arbeitsplatz mehr.
Jener Tag jährt sich nächste Woche zum 2. Mal. Ich habe verzeihen können, das Gute darin erkennen können, doch die Wunden sind noch immer nicht verheilt. Dieser Schock war für mich schlimmer als die Diagnose Krebs. Verraten-Hintergangen-Worden-Sein ... - da ist viel zerbrochen.
Nennt man's den Schock, oder die Lymphom- bzw/Chemofatigue, oder Depressionen, bis heute habe ich noch nicht die innere Kraft und den Mut gefunden, meine berufliche Selbständigkeit wieder aufzubauen ...

Von ganzem Herzen liebe Grüße für euch beide
Bellinda

Geändert von Bellinda (02.01.2007 um 17:26 Uhr)
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