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Alt 19.11.2003, 16:33
Gast
 
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Standard An meine liebe Mama

Liebe Eva,

Du bist eine bewundernswerte(hab ich das richtig geschrieben?) Frau. Wenn doch bloss alle Menschen so wären wie Du. Dann würde die Welt nicht so schlecht sein und die Leute würden besser miteinander klarkommen. Doch die Leute sind alle feige, haben Angst sich zu äussern und meistens wird man doof angeglotzt, wenn man was sagt. Und dann soll man sich in diese tollen Gesellschaft noch eingliedern. Durch Deine eigenen Lebensgeschichte und Deine Erfahrungen kannst Du einfach nichts anderes tun als den Mund aufzumachen. Und das finde ich richtig so.
Früher konnte ich nicht verstehen, wie man seine Mutter schlecht behandenln kann, wie man sein eigen Fleisch und Blut den Tod wünschen kann. Jeder hat zu bestimmten Menschen eine enge Bindung. Bei mir war es die Mama, bei Dir die Oma. Man muss immer den Hintergrund wissen um sich ein Bild darüber zu machen, warum er den Menschen nicht mag. Das Gefühl spielt bei mir eine sehr grosse Rolle. Trotzdem gibt es viele Leute die selbst das nicht zu schätzen wissen. Man merkt erst nach dem Tode was man verloren hat. Mein Freund und seine Familie können es überhaupt nicht nachvollziehen, warum ich jeden Tag niedergeschlagen bin und keinen sehen will. Sie können nicht wissen, wie sehr ich meine Mama geliebt habe. Sie haben alle nicht so ein inniges Verhältnis zu ihren Müttern gehabt, wie es bei mir der Fall war. Wollen mir aber erzählen, das sie das alles kennen und mich voll verstehen. So ein Schwachsinn. Für mich macht es einen grossen Unterschied ob jemand mit 80 einschläft oder mit 45. Mit 80 hat der Mensch ein Leben gehabt. Es dreht sich dabei jetzt nur ums Alter, nicht um die Beziehung zum Menschen. Nicht das Du mir jetzt böse bist. Neulich hat eine 89jährige Frau gesagt, das sie gar kein Interesse daran hat noch älter zu werden. Sie lebt seit über 20 Jahren ohne ihren Mann. Irgendwann ist man bereit zu sterben und in eine andere Welt zu gehen. Auch um all seine Lieben wiederzusehen. Mein Freund war über ihre Aussage geschockt, aber ich kann sie voll verstehen. Sie Sehnsuch ist nun doch manchmal stärker als der Halt auf Erden.
Darf ich Dich was fragen? Wie gehst Du und Dein Sohn mit dem Thema Tod um? Ich habe so viele Berichte gelesen, das die Kinder sehr schwierig sind und aus Angst um die Mama sehr viel böse Sachen sagen. Traf das bei euch beiden auch zu? Es war bestimmt nicht einfach sich damit auseinanderzusetzen. Mama und ich haben nur einmal über das Sterben gesprochen und selbst da wollte ich es einfach nicht wahrhaben, das dieser Moment kommen wird. Und er ist gekommen. Leider viel zu schnell. Oder soll ich sagen es war besser, weil sie nicht mehr leiden muss? Ich bin in dieser Hinsicht auch zweigeteilt. Auf der einen Seite vermisse ich sie und auf der anderen Seite bin ich froh, das all das ganze Leid vorbei ist. Ich wünschte ich wäre besser auf Mama eingegangen. Dann hätte ich gewusst, wie es wirklich in ihr aussah. Sie hat viel vor uns verheimlicht. Auch um uns zu schützen. Und trotzdem frage ich mich oft ob ich ihr eine gute Tochter war. Ich hätte viel mehr mit ihr über die Krankheit reden sollen. Aber jetzt ist es zu spät.
Besonders viel Unterstützung habe ich im Moment nicht. Mein Freund reagiert mit Eifersucht, weil ich versuche die Familie zusammenzuhalten. Das macht es mir im Moment auch nicht gerade einfach. Gerade jetzt wo ich schwanger bin. Als ich erfahren habe das ich schwanger bin, habe ich mich so sehr gefreut. Du glaubst gar nicht wie glücklich ich war. Und nun ist alles durch Mama´s Tod gedämpft. All die Vorfreude aufs Kind ist sehr gering. Ich hab mir alles ganz anders vorgestellt. Ich wollte das mama das noch miterlebt. Aber aus der Traum. Pech gehabt. So ist das Leben nun mal. Ich hoffe das ich irgendwann ohne Bitterkeit denken kann. Im Moment bin ich auf die ganze Welt sauer, das lasse ich voll an meinen Schwiegereltern aus. Sie haben sich nie dafür interessiert, wie es mir und meiner Mama ging. Jahrelang wurde nur gedrängelt und gequängelt, das endlich ein Enkelkind her soll. Das mache ich ihnen heute noch zum Vorwurf, das wird auch immer so bleiben. Nie wurde nach meinen Gefühlen gefragt, immer haben sie nur sich gesehen. Das hat es mir nicht gerade einfach gemacht. Und jetzt wo sie wissen das ein Enkel kommt, können sie nichts anderes machen als mich zu terrorisieren. Wenn das so weiter geht, krieg ich noch die Kriese. Am liebsten würde ich wegziehen, aber das geht nicht. Ich will meine Familie nicht zurücklassen. Ausserdem kann ich dann nicht mehr zum Friedhof. Das würde mir sehr fehlen.
Es tut mir leid, wenn ich Dir ein bisschen Müll von meiner Seele anvertraue, aber das hilft mir ein bisschen. Sag mir einfach, wenn ich Dir auf den Keks gehe.
Nun muss ich auch Schluss machen, das Baby soll ja bald ein ordentliches Zimmer haben.
Eine liebe Umarmung schickt Dir
Tina
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