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  #1  
Alt 13.11.2010, 17:40
Stefans Stefans ist offline
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Registriert seit: 27.01.2007
Beiträge: 425
Standard AW: Warum ist das so?

Hallo Michaela,

Zitat:
Zitat von Pferdchen Beitrag anzeigen
Habe ich das richtig verstanden das deine Frau dich kurz bevor sie gestorben ist angelächelt hat? Was für ein schönes Geschenk von ihr!
Nicht "kurz" bevor. Kurz bevor war nur noch ihr Körper mit seinen letzten Lebenszeichen beschäftigt. Das war aber schon "nicht mehr sie", sondern der Tod.

Am Abend ist mir schon aufgefallen, dass sie geistig abwesend ist und verwirrt. Sie hat noch versucht, mir etwas zu sagen. Von ihrem Vater, und Nachbarn in ihrer alten Heimat, und "Onkel Heinz". Nie von dem gehört, es war auch unzusammenhängend und kaum verständlich... Wo ich schon dachte, OK, das kann jetzt zu Ende gehen, lieber mal aufbleiben. Nachmittags hatte ich in einem Forum noch sinngemäß geschrieben, dass sie sterben wird. Ob morgen oder in 2 Monaten, weiss man nicht. Und dann war es am nächsten Tag.

Jedenfalls schwante mir abends schon Böses, und ich habe mir überlegt: was mache ich jetzt bloß mit dieser Situation ??? Der Gedanke war mir vorher nie gekommen, da gab es im "Alltagsbetrieb" der Pflege immer Wichtigeres. Und wer denkt schon gerne an sowas. Klar war, dass ich eines garantiert nicht tue: in Panik verfallen und den Notarzt rufen - weil meine Frau das nie wollte. Das war ihr letzter Alptraum ein paar Tage vor ihrem Tod: dass die Männer kommen und sie abholen und von Zuhause wegbringen, und dass ich ab jetzt immer bei ihr bleiben müßte, damit das nicht passiert. Ich weiss nicht, wie oft ich ihr hoch und heilig versprechen musste, dass ich ja immer da bin und auf jeden Fall verhindern werde, dass man sie "abholt". Aber so richtig glauben konnte sie es nicht mehr. Und an dem Abend habe ich wirklich daran gedacht, das zu tun, so überfordert war ich in dem Moment.

Egal, jedenfalls habe ich mir dann überlegt, was ich mit diesen letzten gemeinsamen Stunden nach über 20 Jahren mache. Wenn jemand noch hören / verstehen kann, aber nicht mehr sprechen. Ihr am Bett was vorheulen? Oder sie nach dem Motto "alles wird gut, mach dir nur keine Sorgen?" anlügen? Das hätte sie mir nichtmal in dem Zustand abgenommen, so gut kannten wir uns schon. Das Beste, was mir eingefallen ist, war, in der Erinnerung zu kramen und ihr - "weisst du noch?" - von den Dingen zu erzählen, die wir im Lauf der Jahrzehnte miteinander erlebt haben.

Und da hat sie des öfteren gelächelt und meine Hand gedrückt. Sie hat mich schon noch verstanden. Auch wenn ich Belangloses gequatscht habe. Z.B. von dem Winter 1986(?), an dem wir noch nicht zusammen waren, aber uns schon kannten. Wo es genau so -20°C waren wie am Tag vor ihrem Tod. Und wo ich trotz Smog-Alarm und Fahrverbot mit meinem Diesel-Golf durch Berlin gefahren bin - schließlich hatte ich ja die Öko-Ausnahme-Plakette vom Fahrverbot, und so frei waren die Straßen noch nie zuvor. Und wie sie sich darüber fürchterlich aufgeregt hat und nicht mit eingesteigen ist, sondern lieber in der verpesteten Luft zur U-Bahn gelaufen, weil sie so eine Öko-Schweinerei prinzipiell inakzeptabel fand. Gerade als Umwelt-/Naturschutz-Studenten war das ja völlig unerhört - nicht nur ein Auto besitzen, sondern auch noch bei Smog-Alarm damit rumkurven

Tja, und da konnte sie nicht anders, auf ihrem Sterbebett: da musste sie einfach lächeln. Und ich auch. Vielleicht weniger über die Situation damals, sondern eher über das Schicksal, dass sich trotzdem so zwei unterschiedliche Charaktere gefunden und ein Leben lang zusammen gehört haben. Bis zum letzten Atemzug.

Im nachhinein weiss ich gar nicht, wie ich diese Nacht ausgehalten habe. Wenn ich jetzt darüber schreibe, muss ich dauernd unterbrechen, weil ich heule wie ein Schloßhund. Aber damals, ich weiss nicht, stand ich wohl irgendwie neben mir. Das war in der Situation bei weitem weniger traurig, als es jetzt ist.

Viele Grüße,
Stefan
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  #2  
Alt 13.11.2010, 20:06
Pferdchen Pferdchen ist offline
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Registriert seit: 22.10.2009
Ort: Lonnig
Beiträge: 134
Standard AW: Warum ist das so?

Mesch Stefan, auch wenn es hier so was trauriges ist worüber wir schreiben, so mußte ich jetzt doch über dich Umwelt-Naturschutz-Student lachen und kann gut verstehen das deine Frau damals mit dir geschimpft hat!

Du hast in dieser schlimmen Situation genau das Richtige getan: du hast mit ihr zusammen noch mal schöne Erinnerungen aufleben lassen...ICH könnte mir an der Stelle deiner Frau nicht schöneres vorstellen.
Genau das meinte ich damit, dass ich nur jemand an meiner Seite haben wollte der mir Ruhe vermittelt!

Ein wenig beneide ich dich um diese letzten schöne Stunden die ihr noch zusammen hattet. Mein Freund war die letzten Tage nicht mehr klar bei sich und es war leider nicht mehr möglich mit ihm zu reden. Voher war es auch nicht möglich weil er nicht vor Augen hatte, dass er sterben könnte...

Viele liebe Grüße

Michaela
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  #3  
Alt 14.11.2010, 20:13
Benutzerbild von HelmutL
HelmutL HelmutL ist offline
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Beiträge: 2.019
Standard AW: Warum ist das so?

Hallo Tine,

warum solltest du dich schämen für Fragen, welche sich fast alle stellen, die in solch einer Situation gewesen sind? Mehr, als einen Sterbenden zu begleiten kann man nicht tun. Dazu braucht es viel Mut und Kraft. Du hast sie aufgebracht. Mehr geht nicht. Das ist einer der grössten Liebesdienste, die man einem Menschen angedeihen lassen kann.

Helfen. Irgendwann kommt der Zeitpunkt eines jeden, wo das Leben zu Ende ist. Klar, möchte man "helfen", diesen Zeitpunkt möglichst lange hinaus zu zögern. Es ist aber auch "helfen", wenn der Zeitpunkt gekommen ist, für den Sterbenden da zu sein, ihn (oder sie) zu begleiten. Das letzte Stück des gemeinsamen Lebens gemeinsam gehen. In Menschenwürde. Nicht abgeschoben in ein kaltes Bett irgendwo, sondern im Kreise derer, die man geliebt hat.

Jede Situation ist anders. Dass Stefan es geschafft hat, seiner Frau diesen Wunsch zu erfüllen .... Hut ab! Ich weiss nicht, wie ich reagiert hätte. Ziemlich genau 3 Jahre zuvor hatte ich schonmal erlebt, dass ein Mensch (mein Schwiegervater) zum letzten Mal das Haus verliess. Als er in den Krankenwagen gehoben wurde, hat er mich angesehen: entsetzlich müde. 3 Jahre später, der gleiche Blick. Nur hab ich da genauer hingesehen. Meine Frau sass vor mir auf dem Sofa. Nach Luft schnappend, röchelnd, jeder Atemzug eine Qual. Was ich in ihren Augen sah, hab ich erst später so ganz begriffen: "Hilf mir. Ich bin müde. Ich kann nicht mehr. Ich will hier raus!" Ich hab sie in den Arm genommen. Sie lehnte sich schwer an mich. Sie wurde ruhiger. Sie hat mir überlassen, was zu tun ist.

Am Nachmittag hab ich zum Telefon gegriffen und den Notarzt gerufen. Fast genau 24 Stunden später ist sie im Kreis derer friedlich verstorben, die sie am meisten liebte: ihre beiden Töchter, ihre Freundin, deren Lebensgefährte und ich. Wir haben geweint, gebetet und Geschichten erzählt: "Wisst ihr noch? Damals, als .........." Meistens waren es Geschichten, die uns zum Lächeln brachten.

Sie, ihre Seele, wollte nicht mehr weiterleben mit diesen Qualen. Sie wusste genau, dass sie jetzt sterben wird und wollte das auch. Es war ihr Körper, der sich noch so lange wehrte. Als sie gestorben war, kam eine Krankenschwester ins Zimmer und hat das Fenster geöffnet. Draussen blinzelte die Sonne durch die dicken Wolken auf eine gefrorene Welt.

Man kann sehr viel tun. Da sein, helfen, die Hand halten.


Alles Liebe

Helmut
__________________
Zeit zum Weinen, Zeit zum Lachen.
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  #4  
Alt 14.11.2010, 21:24
Benutzerbild von HeikesFreundin
HeikesFreundin HeikesFreundin ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 13.05.2010
Ort: Lüneburg
Beiträge: 917
Standard AW: Warum ist das so?

Komisch ....

Ich sage ja, auch das Dümmste hat seinen Sinn ... was ich meine ist:
Im anderen Thread habe ich geschrieben dass ich eine so "sinnfreie"
Massnahme der Rentenversicherung mache. Nun lese ich hier und der Sinn ist mir klar.

Nun möchte ich euch erzählen warum:
In dieser Massnahme ist gemeinsam mit mir eine Frau. Wir stellten uns in der Gruppe vor, wo wir auch benennen sollten ,warum wir zu genau diesem Zeitpunkt dort sind. Naja, da habe ich kurz gesagt, dass ich eigentlich schon eher dort sein wollte, aber meine Freundin beim Sterben begleitet habe ...

Als wir Pause hatten sprach diese Dame das nochmal an und fragte mich, wie es mir geht und ob ich an ein Leben nach dem Tod glaube.
Ich sagte:" Ja, daran glaube ich, auch wenn es keine Beweise gibt, dass es das gibt".

In der Vorstellungsrunde erzählte sie, dass sie aufgrund einer OP dort sei ...
und in der Pause erzählte sie mir dann, dass sie während dieser OP klinisch tot gewesen sei und was sie alles mitbekommen und gesehen hatte.

Sie sah sich selbst dort liegen und fragte sich:"Was machen die denn da - mir geht es doch gut?" Sie konnte alle Gespräche der Ärzte während der OP wiedergeben und hat sie später auch danach gefragt.

Sie sagte, es gibt ein "Danach" weil sie selbst es erlebt habe.

Vielleicht ist es euch etwas Trost.

Angie
__________________
... meine Freundin Heike ist am 24. Mai 2010 mit 48 J ganz friedlich für immer eingeschlafen ...

... meine liebe Freundin Lilli44 - auch Du hast für immer Deinen Platz in meinem Herzen ...


... I`ll see you when the sun sets!!!
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  #5  
Alt 15.11.2010, 08:50
Pferdchen Pferdchen ist offline
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Registriert seit: 22.10.2009
Ort: Lonnig
Beiträge: 134
Standard AW: Warum ist das so?

Danke Angie, dass ist sogar ein sehr großer Trost!!!!
Ich habe schon immer an ein "Leben" nach dem Tod geglaubt.

Michaela
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