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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Liebe Angehörige von Krebspatienten


05.05.2002, 12:21
Hallo zusammen,
ich lese hier immer wieder von Angehörigen, Töchtern und Söhnen, welche sich über die Mutter oder einer anderen nahestehenden Person, welche Krebs hat, unsagbare Sorgen machen. Sie sind verzweifelt, suchen Hilfe, und sie weinen.
Ich möchte all jenen hier in diesem Krebs-Forum von Herzen danken für ihre Anteilnahme, ihre Sorgen und ihre Tränen. (Das muss doch auch mal gesagt sein!)

Ich möchte aber all den Angehörigen die folgende Frage noch stellen:
Sprecht Ihr mit dem Krebs-Betroffenen Menschen darüber, WIE Ihr Euch fühlt, wie verzweifelt ihr seid, und dass Ihr auch weint? Dass Ihr so gerne helfen möchtet, aber nicht wisst, wie?
Oder denkt Ihr, Ihr wollt diesen Menschen nicht AUCH noch mit Eurem Kummer belasten?

Eure Meinung dazu würde mich sehr interessieren.
Ganz liebe Sonntagsgrüsse
von Brigitte

05.05.2002, 22:56
hallo brigitte,

ich finde deine fragen gut, sehr gut sogar. bitte entschuldige, daß ich nur kurz antworte, aber ich merke, daß mich das alles sonst wieder zu sehr mitnimmt, jedenfalls im moment.
für meinen teil (zu deiner frage) tue ich beides.
ich drücke meine gefühle aus, aber reiß mich auch zusammen und in erster linie versuche ich zuzuhören. es ist aber alles irgendwie eine gradwanderung, ich möchte kraft geben, mut zusprechen und gleichzeitig "viel" wissen und damit selbst "getröstet" werden oder mich selbst trösten....und die dinge so nehmen, wie sie derzeit sind und das wieder zurückgeben bzw. umgekehrt. ich weiß nicht, ob ich mich so verständlich ausdrücke, ich hoffe, du weißt, was ich damit meine. so "positiv" auch jeder denkt oder versucht zu denken...so eine sch*** angst hat doch jeder und da, glaub ich, kann man sich nur gegenseitig helfen und aufbauen, auch wenn es dem direkten betroffenen doch am "schlechtesten" geht.

viele grüße
frosti

06.05.2002, 08:44
Hallo Brigitte,
ich habe kein Brustkrebs,dafür aber Bauchspeicheldrüsenkrebs.Aber es ist auch Krebs und da entstehen fast die selben Ängste und Kummer.Für mich war es die ersten Monate sehr schwer ,über meine Gefühle zureden.Ich hatte fast eine unüberbrückbare Mauer um mich gebaut.
Aber mit der Zeit habe ich gelernt über diese Krankheit zureden.Ich glaube das geht erst, wenn man sie "akzeptiert" und sie als einen vorrübergehenden Teil unseres Lebens annehmen.
Ich rede sehr offen mit meinem Mann darüber und das ist auch gut so.Oft haben Angehörige einen Hemmschwelle,einen auf diese Krankheit gezielt anzusprechen.Vielleicht haben sie Angst etwas falsches zusagen.Man spürt manchmal diese Hilflosigkeit und den wusch sich am liebsten nicht damit auseinander setzen zu müssen.
Am Anfang konnte ich meine Ängste auch nicht in Worte fassen.1.Konnte ich es überhaupt nicht fassen krank zu sein und 2.wollte ich meine Angehörigen nicht noch mehr schockieren.
Heute nehm ich kein Rücksicht mehr. Wer mich fragt, bekommt eine Antwort und wenn ich mich Sch..... fühle, sag ich es auch.

Alles Liebe und Gute für Euch alle

Gruss Petra

06.05.2002, 18:18
Hallo liebe frosti, hallo liebe Petra,
vielen Dank für Eure Antwort.

Ich habe ja selbst auch Brustkrebs. Die Frage an die Angehörigen, wie sie damit umgehen und ob sie ihre Gefühle und Aengste dem betroffenen Menschen auch mitteilen, scheint mir sehr, sehr wichtig zu sein.
Dass die Diagnose Brustkrebs, oder auch eine andere Form von Krebs die Betroffenen UND deren sämtliche Angehörige völlig schockiert, ist eine harte Tatsache und leider von keinem so einfach zu umgehen. Wir werden im Leben nun mal alle dazu gebracht, unsere Höhen und Tiefs durchzumachen, Glück zu leben, aber auch Leid zu leben. Und Leid leben, ... da müssen wir halt notgedrungen durch. - Die Frage ist nur: WIE?
Können wir das? Haben wir das nicht schon längst verlernt? Haben wir das überhaupt jemals gelernt?

Offenbar schaffen es so manche Angehörige, die Krankheit ins "Harmlose" zu verwerten, wenn sie dem Betroffenen mit schönen, positiv-denkenden Worten sagen: "Das wird schon wieder!", oder "Dir geht's doch jetzt gut!" oder "Was denkst Du denn so negativ?" oder aber auch: "GUT siehst Du aus heute!"
"Harmlos", damit meine ich, dass sich der Betroffene mit diesen Sätzen zwar irgendwie getröstet SIEHT, aber nicht getröstet FUEHLT. Denn die eigene Hilflosigkeit der Angehörigen klingt somit fälschlicherweise als "stark", und der Patient fühlt sich in SEINER Hilflosigkeit gar nicht richtig ernst genommen. Die Krankheit an sich wird "verharmlost". Ist ja alles gar nicht so schlimm! - Versteht Ihr, was ich meine?
Ein Patient spürt es, wenn ein offenbar "starker" Angehöriger gar nicht wirklich "stark" ist.

Warum soll man seine Verzweiflung dem Patienten nicht zugeben, ihm nicht sagen? Warum soll man seine Tränen nicht vor ihm zeigen? Warum soll man ihn nicht einfach in die Arme nehmen und sagen: "Es tut mir so weh, ich weiss nicht, was ich für Dich tun kann!"?
Ich weiss, das klingt so dramatisch, vielleicht auch kitschig oder gefühlsduselig. Trotzdem: Es ist ehrlich, und hilft dem Patienten tausendmal mehr, als bloss gutgemeinte, "starke" Worte. Und ich denke NICHT, dass es den Patienten so schwer belasten würde!
Ich spreche jetzt hier natürlich aus meiner eigenen Erfahrung. Ich fühlte mich nämlich mit all diesen "starken" Worte um mich herum wie die letzte Idiotin, welche das Ganze völlig "übertreibt" und schrecklich negativ denkt. - Es kam so rüber wie: Nun ja, schon jede neunte Frau hat heutzutage Brustkrebs, ... reiner Alltag!

Ach Petra, MUESSEN wir Patienten denn so Rücksicht auf die anderen nehmen und sie nicht auch noch damit belasten wollen? Ich weiss, ich habe auch andere Krebspatientinnen erlebt, welche am Anfang ihrer Diagnose mit niemandem darüber sprechen wollten. Einer Frau war es sogar höchst PEINLICH, dass sie in diese Situation geraten war! (Ich hingegen wollte gleich mit JEDEM darüber quatschen! Leider hat keiner richtig hingehört! Oder WOLLTE nicht hinhören!)- Wie Du schreibst, hast Du ja auch erst lernen müssen, über die Krankheit zu sprechen. Ach, warum machen wir es uns alle nur immer selbst so schwer?

Was denkt Ihr dazu?
Liebe Montagsgrüsse
von Brigitte

PS. Und liebe frosti, ... schenk ihr einfach Deine ganze Liebe, Deiner Mutter! Du kannst nicht stark für sie sein, wenn Du es in Wahrheit nicht wirklich bist. Hm?

06.05.2002, 19:21
ich glaube dies ist ein sehr schwieriges thema. das verhalten ist auch sehr von der jeweiligen situation abhängig. wenn es mir sehrschlecht ging hatte ich genug mit mir selber zu tun. war aber auch wieder froh wenn mein mann manchmal mit humor den knoten löste. ich glaube manchmal hat man es als betroffener einfacher, weil man immer genau weiß wie es einem selber geht. nicht immer möchte man die angehörigen belasten.manchmal muss man aber reden, es wird kein patentrezept geben und der weg wird immer neu beschritten.

06.05.2002, 21:10
Hallo Brigitte,

ich finde es auch sehr gut, dass es den Krebs-Kompass und diese Möglichkeit des Informationsaustausches gibt und bin auch sehr dankbar dafür.

Meine Mutter hat Brustkrebs und ich bin auch öfter unsicher, wie ich mich ihr gegenüber verhalten soll. Meine Mutter ist ein sehr positiver und starker Mensch - trotzdem möchte ich sie auch nicht belasten, wenn ich mir Sorgen um sie mache. Sie ist sehr optimistisch, dass sie bald wieder gesund ist und auch ich denke und hoffe vor allem sehr, dass sie alle Behandlungen gut vertragen wird, es ihr weiterhin gut gehen wird und sie gesund wird. Aber manchmal habe ich eben auch Sorge um sie, möchte sie mit meinen negativen Gedanken von ihren positiven nicht ermutigen. Es ist gar nicht so einfach, es so zu beschreiben, wie es ist.

Meine Mutter geht auch offen mit ihrer Krankheit um, benennt diese mit Namen, spricht darüber. Nur zuviel will sie auch nicht darüber sprechen, was ich auch gut nachempfinden kann.

Ich grüsse Euch alle und wünsche Euch allen Gesundheit, Kraft und Hoffnung.

Alles Liebe von
Claudia

06.05.2002, 22:26
Hallo Brigitte,
Deine Zeilen sprechen mir zum großen Teil aus der Seele.
Inzwischen habe ich gelernt, ausgenommen sind Kontakte auf nicht so emotionaler Ebene, in den schlechten Zeiten mich nur noch mit wenigen aus der Familie und Freunden zu treffen. Denn bei so tollen Sprüche: wie z.B. bei diesem Wetter sind wir doch alle kaputt, fühle ich mich richtig vera.... .Dieses nichtanerkennen der Gefühle tut so weh.
Obwohl die nichtbetroffenen sicherlich
gar nicht wissen, was sie da tun.
In der ersten Zeit habe ich versucht meinem Gegenüber zu helfen, mit mir umzugehen. Ich war offen und konnte die anderen auch trösten. Aber dies war mir auf Dauer zu antrengend. Nicht alle können offen mit ihren Gefühlen umgehen bzw. sie überhaupt aushalten.
Heute meide ich während einer schlechten Zeit solche Menschen einfach.
Ich will es nicht mehr. Vielleicht meide ich sie irgendwann auch in den guten Zeiten.
So habe ich jetzt Freunde für Freud und Leid und Freunde nur für Freud.
Eine gute Nacht
Ingrid G.

07.05.2002, 16:29
Hallo Ihr alle,
Ihr habt recht, es ist einerseits ein schwieriges Thema, weil jeder Mensch, jede Situation immer wieder anders ist, und andererseits sind wir halt alle auch nur Menschen, welche ja immer nur das Beste für den anderen wollen. Dies, ob wir nun Angehörige sind oder selbst Betroffene sind.

Ich frage mich nur: Wenn BEIDE Seiten dauernd Rücksicht aufeinander nehmen, wenn wir uns zu trösten versuchen, uns mit "starken" Worten aufpäppeln oder die ganze Sache "verharmlosen", nur um den anderen nicht zu sehr zu belasten, ... machen wir uns alle dann nicht ein reines Theater vor?

Braucht es als Betroffene wirklich so viele Nerven um zuzugeben: "Nein, ich mag jetzt nicht darüber reden! Erzähl mir was Lustiges, damit ich Lachen kann!"?
Braucht es als Angehöriger wirklich so viel Kraft um zuzugeben: "Es belastet mich, weil ich mich so hilflos fühle! Wollen wir nicht einfach nur gemeinsam Spazierengehen?"?

Warum nicht gemeinsam nach Lösungen suchen? Warum nicht gemeinsam in Büchern schmökern, um über den Krebs zu lernen? Warum nicht gemeinsam mit den Aerzten sprechen? Warum nicht gemeinsam nur weinen? Warum nicht gemeinsam zugeben, dass man Angst hat? Und warum nicht mal gemeinsam Pause machen, und nur über blödsinnigen Blödsinn lachen?

Warum muss man alte Freunde aufgeben, weil diese nicht mit dieser Belastung umgehen können? Liegt das am Patienten selber? Nein, doch sicher nicht. Ich denke, wenn das Ganze einen Sinn haben sollte, dann bestimmt nicht NUR für die Betroffenen selber, oder?
HAT der Krebs überhaupt einen Sinn?

Liebe Grüsse
von Brigitte

08.05.2002, 09:17
Ich glaube nach dem Sinn von krebs zu fragen, lohnt sich nicht. Die Antwort wird uns keiner geben können.
Ich habe noch eine tolle Story zu dem Thema.
Meine Nachbarn waren eigentlich immer gute Freunde für uns. Sie wußten auch, das ich schon einmal Krebs hatte und das wir offen mit dem Thema umgehen. Seit meiner Neuerkrankung meiden sie aber jeden Kontakt.
Wenn ich auf unseren Parkplatz vor dem haus fahre und sie sind in ihrem Garten, gehen sie schnell ins Haus. Das hat mich am Anfang total verrückt gemacht. Sogar zu meinem Geburtstag habe ich nur eine Karte aus dem urlaub von Ihnen bekommen, obwohl sie zu dem tag schon wieder zu Hause waren. Ist doch Klasse, oder? ich rege mich aber nicht mehr darüber auf, ich habe sie, auch wenn es weh tut, als gute Freunde abgehakt. Es gibt halt überall Leute die mit der Konfrontation zu dieser Krankheit nicht klar kommen. Ich werde mich dadurch aber nicht mehr psychisch fertig machen, es bringt eh nichts. Ich kann die Menschen nicht ändern. ich kann nur offen auf sie zugehen und wenn es jemand nicht versteht, ist er halt kein Gesprächspartner für mich. es tut zwar irgendwie im Inneren doch weh, es zu merken, aber warum soll ich mich damit auch noch belasten.

08.05.2002, 12:41
Liebe Brtroffene und Angehörige,
Ich denke auch, dass keinen Sinn macht sich darüber den Kopf zu zerbrechen, warum man Krebs bekommt oder andere schlimme Erkrankungen.
Ich hab es mitlerweile akzeptiert Krebs zu haben und hab ihn zu einem voerrübergehendem Teil meines Lebens gemacht.Auch, wenn es an manchen Tagen sehr schwer fällt.
Vielleicht ist es auch die eigene Hilflosigkeit und Angst voe schlimmen Erkrankungen, die manche Menschen zu sehr merkwürdigem Verhalten verleitet. Leider steht bei vielen Menschen der Krebs gleich mit einem Todesurteil, obwohl, dass nun wirklich nicht mehr sein muss.Aber ich denke, dass liegt an der Unwissenheit einiger Menschen.Wir als Betroffene müssen, das so hinnehmen, auch wenn es oft doch sehr verletzend ist.
Ich sage mir immer, es ist nicht wichtig sehr viele Freunde zu haben. Aber die paar Freunde, die einem während der Krankheit zu Seite stehen, sind wirkliche Freunde.
Alles Liebe und Gute

Petra

08.05.2002, 13:36
Hallo Kerstin,
danke für Deine Story hier. Sie ist gerade so ein typisches Beispiel, welches mir selbst weh tut und mich gleichzeitig wütend macht, weil ich es als Selbstbetroffene so gut verstehen kann. Obwohl ... Deine Nachbarn übertreiben es aber jetzt doch ein bisschen heftig mit ihrem "Zurückziehen", findest Du nicht? Man könnte ja echt glauben, Krebs sei ansteckend!
Macht ihnen das Thema solche Angst? WOVOR haben sie denn Angst? Oder kann es sein, dass Du hin und wieder ein wenig zu OFT von der Krankheit gesprochen hast, dass es ihnen einfach zu viel wurde? Kann es sein, dass sie es nicht ertragen können, an Krankheit denken zu müssen, wenn sie Dich nur schon ansehen?
Ich stell hier jetzt nur mal einfach alles in Frage, liebe Kerstin, ich suche keine Schuldigen, weil es ja keine gibt. Ich stelle mir nämlich auch die gleichen Fragen bei meinen Leuten, die sich ein gutes Stück von mir zurück gezogen haben. Und ich habe auch kein Patentrezept, wie man am besten miteinander umgehen könnte, weil ich selber und meine Leute ja auch alle die selben menschlichen Probleme haben. Aber mir ist es einfach ein Anliegen, darüber zu sprechen, weil wir Menschen manchmal so doof sind, richtig miteinander zu reden, und statt dessen tun wir uns gegenseitig bloss weh.

Ich weiss noch aus eigener Erfahrung, wie ich - als ich selbst noch keinen Krebs hatte - mit anderen Krebspatienten umgegangen bin. Nämlich GAR nicht! Das einzige, was ich getan habe, war, ihnen zuzuhören. Aber das war auch schon alles. Ich glaubte, ich müsse einfach so tun, als WÄRE nichts, also ging ich ganz normal mit ihnen um, wie mit jedem anderen Gesunden eben auch. Mit der Zeit wurde das Thema von den Kranken dann auch gar nicht mehr angesprochen, (vielleicht hatten sie es ja selber verdrängt? Oder sie wollten MICH schonen? Wie kann man das wissen, wenn man nicht darüber spricht?) also nahm ich an, sie WOLLTEN auch gar nicht darüber sprechen, Thema tabu! - Nun, vielleicht war das auch Glück, weil die eine Bekannte heute nach fünfzehn Jahren immer noch Gesund ist! Die andere ist überraschend gestorben, so dass ich mich dann auch nicht mehr mit der Krankheit auseinander setzen musste und mich eben nur noch meiner Trauer hingeben durfte!

Hätten jedoch die Betroffenen mir damals MEHR gesagt, wäre ICH wiederum eher damit konfrontiert gewesen, mich zünftiger damit beschäftigen zu müssen. Dann wäre es aber an MIR gelegen, wie ich damit umgehe! Es wäre MEINE eigene Verantwortung gewesen, wie ich diesen Konflikt bewältige!
Nun, mit Konflikten umgehen, ist eben auch nicht gerade leicht, ich weiss. Aber gibt es uns deshalb das Recht, vor ihnen zu flüchten?

Daher auch meine Frage nach dem Sinn.
Klar, Krebs an und für sich gibt keinen Sinn. Absolut keinen. Ich könnte gut und gerne darauf verzichten!
Trotzdem sehen wir Betroffene doch eigentlich alle, wie sich manches um uns herum verändert, oder? Und nicht nur WIR verändern uns ein bisschen ... sondern auch unsere Umgebung, unsere Mitmenschen! Rein sachlich betrachtet: Es sind offenbar Erfahrungswerte, Lebenserfahrungen, denen wir uns stellen werden/müssen, ... oder vor welchen wir halt eben kalte Füsse kriegen und schnellstens flüchten!

Tja! Ich glaube eben, Deine Nachbarn sind mit ihrem eigenen "Rückzug" vor Dir bestimmt auch nicht gerade glücklicher geworden, oder was denkst Du?

Ganz liebe Grüsse
von Brigitte

08.05.2002, 22:25
Hallo Ihr Lieben!

Beim Lesen Eurer Zeilen habe ich das Bedürfnis verspürt, auch etwas dazu zu sagen.
Ich bin eine jener Betroffenen, die nicht wissen, wie Sie mit der Erkrankung des Vaters klarkommen sollen.
Am Anfang kommt man wirklich immer mit dem "es wird schon wieder", "ach was, alles halb so schlimm"..... Doch irgendwann bin auch ich darauf gekommen, dass dies nicht der richtige Weg ist.
Bei meinem Vater wurde Lungenkrebs diagnostiziert. Erst hieß es, er wächst nicht. Da haben wir dann gesagt: "Du mußt nur lernen, damit zu leben.... und das wars schon". Nun wächst das blöde Ding doch. Und wir alle sind sehr verzweifelt. Ich weiß aber auch wirklich nicht, wie ich mit meinem Vater umgehen soll. Es ist so schwierig. Man möchte doch so gerne Mut machen, ihn in seiner Kraft bestärken, zu kämpfen. Doch leere Phrase sind natürlich völlig sinnlos. Wenn ich eine Antwort wüßte, wie man's am besten macht, wäre ich so dankbar und glücklich. Doch wir müssen erst alle lernen, damit offen umzugehen. Aber wie funktioniert das??? Ich hoffe, meinem Vater auf seinem schweren Weg wirklich helfen zu können, für ihn da zu sein. Und auch meiner Mutter zur Seite stehen zu können. Doch ich weiß einfach nicht WIE??

Seid lieb gegrüßt von Eurer Sonja

09.05.2002, 01:03
Hallo Allerseits,

meine Mutter hat Brustkrebs. Sie wurde vor sechs Jahren operiert und jetzt sind Metastasen in den Knochen gefunden worden.
Wie gehe ich damit um? Wie helfe ich meiner Mutter?
Zuerst bin ich mal für sie da. Ich rede mit ihr, auch über die Krankheit. Ich war dabei, als sie die Diagnose bekam, dass sie eine Metastase im Rücken hat.Ich habe mit ihr geweint und sie gedrückt und dann langsam wieder Mut zugesprochen.
Dann habe ich mich informiert und mich mit der Krankheit meiner Mutter auseinandergesetzt. Wenn ich ihr Mut zuspreche, will ich, dass sie merkt, dass der Mut und die Kraft aus meinem Innern und Herzen kommen und kein leerer Zweckoptimismus ist.
Und natürlich reden wir viel über die Krankheit und versuchen so offen wie möglich damit umzugehen.

Wir hatten schon immer eine intakte Familie, doch seit der Erkrankung meiner Mutter sind wir noch viel enger zusammgerückt und ich bin fest davon überzeugt, dass meine Eltern daraus auch viel Kraft ziehen.
Ich versuche halt dadurch, dass ich ihr zeige, dass ich sie liebe, Kraft zu geben.

Gruss
Andreas

09.05.2002, 09:28
Hallo Ihr Lieben,
vielen Dank, dass Ihr alle so ehrlich hier seid. Der Umgang von Angehörigen mit Krebspatienten und umgekehrt scheint wohl nicht nur mich zu beschäftigen. Vielleicht ist es aber auch ein allgemeines Problem unserer Gesellschaft, weil wir alle halt zu "funktionieren" haben, weil von uns erwartet wird, glücklich und fröhlich zu sein und gefälligst keine Krankheit zu haben. Irgendwo liegt da eine Hemmschwelle, wie man mit Kranken oder auch Invaliden umgeht, vielleicht weil uns das halt nie jemand beigebracht hat. Und wenn es dann so weit ist, und wir damit konfrontiert werden, geraten wir in völlige Rat- und Hilflosigkeit.

Petra hat erwähnt, dass man erst bei so einer Krankheit die wirklich wahren Freunde kennen lernt. Das denke ich auch, aber trotzdem frage ich mich, warum denn eine alte Freundschaft deswegen zerbrechen muss, nur weil der eine vieleicht nicht stark genug ist und dem Kranken nicht beistehen kann. Klar, der Kranke fühlt sich dann unverstanden und in dieser Situation nicht vom Freunde akzeptiert, und hat vor allem nicht auch noch die Kraft dazu, den Freund zu "belehren". Und der Freund hingegen hat nicht die Nerven oder die Kraft dazu, sich mit diesem "Leid" auseinander zu setzen, also zieht er sich vielleicht zurück - und die Freundschaft ist aus und vorbei. - Wo hapert es hier also?

Mir fällt da gerade noch genau so eine Geschichte ein, die mir entfallen ist. Es geschah kurz VOR meiner eigenen Erkrankung. Die Mutter eines Freundes von mir (sie war glaube ich 79) wurde wegen Darmkrebs operiert. Ich kannte sie schon länger, aber ich hatte keine nähere Beziehung zu ihr. Damals ging ich zusammen mit dem Freund seine Mutter im Krankenhaus besuchen. Ich weiss noch, wie das ganze Krankenzimmer so nach Kot roch, dass es einem schier den Atem nahm. Eine Mitpatientin in diesem Zimmer war gleichzeitig gerade gemütlich beim Abendessen, während mir selber langsam richtig übel wurde. Trotzdem biss ich auf die Zähne, hielt durch und nachdem wir etwa eine halbe Stunde in diesem "Geruch" sassen, ... hatte ich mich schnell von ihr verabschiedet mit exakt DIESEN Worten: "Das wird schon wieder!" Ich konnte es nicht mehr ertragen und musste dort einfach RAUS! - Eine Woche später ist sie gestorben.
Hatte ich damals jetzt die falschen Worte gewählt? Hatte sie mir angesehen, dass ich mich unwohl fühlte und "flüchten" wollte? Hatte sie sich von mir ernst genommen gefühlt? - Ich werde das wohl nie erfahren.
Dafür erfahre ich jetzt mit meinem Brustkrebs meine eigenen "Geschichten", und mir gehen so ziemlich die Augen auf!

Liebe Sonja, Du schreibst auch von Deiner Verzweiflung und dass Du nicht weisst, WIE Du Deinem Vater helfen oder beistehen kannst. Vielleicht sollten wir uns darüber gar nicht so viele Gedanken machen, sondern einfach nur LIEBEN, so wie Andreas es hier im letzten Beitrag erwähnt?
Letzten Endes ist es ja immer die Liebe, die einem die Kraft gibt. Wenn man jemanden lieb hat, dann HAT man ihn lieb. Jede weitere "Flucht" oder diese bekannten "fälschlich schönen Worte" an den Patienten, ... das entsteht alles aus der eigenen menschlichen Schwäche, ... an welcher ja vielleicht mal gearbeitet werden müsste?

Tatsache ist, dass die Patienten nun mal dazu gezwungen werden, sich mit der Krankheit auseinander setzen zu müssen. Sie haben keine andere Wahl.
Die Angehörigen oder die Freunde hingegen haben halt noch immer die gewisse "Freiheit" zu reagieren, wie ihnen gerade zumute ist! Ich weiss das, ... aus eigener Erfahrung, wie Ihr ja alle an meinem Beispiel sehen könnt.

Ganz liebe Grüsse an Euch alle
Brigitte

10.05.2002, 21:51
Hallo Brigitte und alle Anderen,
dieses Thema ist sicher für alle mal mehr oder weniger da.
Ich denke, wir Bk-Betroffenen haben uns durch diese Erfahrung geändert.
Dies haben unsere Familie/Freunde/innen so intensiv gar nicht mitbekommen.
Eigentlich möchten Sie uns als "Alte" z,B. die "alte Ingrid" so wie sie früher war. Die Angehörigen haben so Ihre Schwierigkeiten mit unserer Veränderung. Die guten Beziehungen werden fortbestehen, den anderen müssen wir doch gar nicht nachweinen.
Alles Gute
Ingrid G.

12.05.2002, 09:17
Hallo,
danke Ingrid, für Deine Zeilen.
Ja wo ist sie denn geblieben, die "alte" Ingrid, oder die "alte" Brigitte?
Ich glaube, das würde die Angehörigen oder Freunde bestimmt sehr interessieren. Ich versuche mal, Euch zu erklären, was sich bei mir so verändert hat, hm?
Ich bin empfindlicher geworden.
Bin ziemlich ungeduldig geworden. Kann nichts mehr so locker auf die lange Bank schieben.
Ich bin - zu Beginn meiner Diagnose - ängstlicher geworden. (Inzwischen habe ich mich wieder etwas beruhigt.)
Ich kann es nicht ertragen, wenn man mich und meine Krankheit nicht richtig ernst nimmt.
Ich raste schneller aus als früher.
Das Thema Krankheit kommt ziemlich oft bei mir vor.
Ich geniesse die Tage intensiver.
Ich sehe Dinge intensiver, als zuvor.
Ich fühle mich so bewusst wohl, wenn ich lachen kann.
Ich habe Wünsche und Ziele, die ich JETZT verwirklichen will.
Ich habe Verständnis gewonnen für die Kranken.
Ich habe Verständnis gewonnen für die Angehörigen.

Noch mehr? Im Moment fällt mir gerade nichts mehr ein.
Ja wo ist sie denn geblieben, die "alte" Brigitte?
Ist sie wirklich nicht mehr da?

Wie geht es Euch anderen Patienten so dabei? Was glaubt Ihr, wie habt IHR Euch verändert?
Ihr lieben Angehörigen und Freunde, was glaubt Ihr, wie sich Eure Mutter/euer Vater seit der Krebsdiagnose verändert hat?
Ist es wirklich so eine grosse Veränderung?

Ganz liebe Sonntagsgrüsse
von Brigitte

14.05.2002, 08:27
Hallo Brigitte,
diesen Satz "Wo ist die alte Petra geblieben?!"kenn ich nur zu gut.
Ich weis noch am Anfang der Krankheit kam gerade mein Mann nicht damit zurecht, dass ich schnell aufbrausend war, dass ich vor allem anfing endlich mal an mich zu denken,statt nur an andere.
Ich fing an,wenn Probleme in der Ehe auftraten, nicht mehr den Mund zuhalten, um des lieben Friedens willen.
Fast zwölf Jahre lang habe ich als Krankenschwester gearbeitet, war immer für andere da und das war auch in der Verwandtschaft und Freundeskreis so.War jemand da, der krank oder Hilfe brauchte, Petra war sofort zur Stelle.
Nur dies gibt es jetzt nicht mehr.Ich bin egoistisch geworden in der Hinsicht.Ich sag mir oft, die Leute sollen sich selber helfen, für mich geht auch keiner alle zwei Tage zum Arzt und kommt dann anschliessend zu mir nach Hause und versorgt meinen Haushalt.
Ich würge auch Leute am Telefon gnadenlos ab, wenn ich keine Lust habe zu telefonieren, hätte ich früher nie getan.
Das sind all die Kleinigkeiten, die sich verändert haben.Ich glaube schon, dass Angehörige ihre Probleme damit haben.
Manchmal packt mich die Wut, wenn es heist Du musst stark sein, das warst Du bis jetzt auch.Oder:"Ich weis wie Du Dich fühlst"
So??Wissen sie das denn??Haben unsere Angehörige denn schon mal Chemo bekommen?? Sind sie schon mal dreimal die Woche zur Bestrahlung gegangen??
Hat ihnen schon mal einer gesagt, dass sie Metastasen haben??
Den meisten doch wohl nicht.
Ich weis auch, dass Angehörige, dass nur gut und lieb meinen.Aber bei mir gibt es Tage da kann ich solche Dinge einfach nicht hören.
Ich glaube schon, dass diese Krankheit uns verändert.

Liebe Grüsse und alles Gute
Petra

17.05.2002, 20:43
Hallo zusammen,
Hallo Petra,

Liebe Petra, wenn ich Deine Zeilen so lese, fällt mir gerade ein gewisses Denkschema ein:
Es gibt da so ein Gerücht, welches besagt, dass oftmals Frauen Brustkrebs bekommen, welche sich bisher immer nur für andere aufgeopfert haben sollen. Oder welche schlecht nein sagen konnten. Vielleicht meint dieses Gerücht ja sogar alle Krebspatienten? Alles Menschen, die sich für andere immer aufgeopfert haben sollen?

Ich empfinde das als völligen Quatsch! Trotzdem "bohrt" sich dieses Denken offenbar in so manche Hirne rein, und so unterschwellig bekomme selbst ich das immer wieder mal von meinen Leuten zu hören, obwohl mich doch alle kennen und von mir wissen, dass ich schon immer wunderbar nein sagen konnte und eine absolute Kämpfernatur war. - Ich könnte hier jetzt natürlich zugestehen, dass ich mich ja AUCH immer mein Leben lang habe anpassen müssen, an die Normen, an die Gesellschaft, oder wie auch immer, ... was schlussendlich ja auch als eine gewisse Aufopferung angesehen werden kann, nicht wahr? Man kann es doch drehen und wenden wie man will, man könnte also IMMER einen Grund für "Aufopferung" beim Krebspatienten finden!

Fact ist auf jeden Fall: Eine Krebsdiagnose schockiert und erschüttert einen Menschen so sehr, dass er sich praktisch dazu gezwungen sieht, hauptsächlich nur noch auf SICH zu schauen, denn es geht ja um SEIN Leben! Wozu soll er sich - in genau dieser Situation - da auch noch gleichzeitig um ANDERE kümmern? Woher soll er diese Kraft auch noch nehmen? Zudem wird ihm seine "begrenzte" Zeit bewusst, so dass hier Angehörige oder Freunde sich nicht wundern sollten, wenn plötzlich ein schnelles "Nein!" oder eine unerwartet ungeduldige Entschlossenheit zu Tage tritt.

Ich finde, das ist eine ganz wichtige Sache, worüber Angehörige oder Freunde von Krebspatienten nachdenken sollten.

Leute, die "alte" Brigitte ist nämlich noch immer da!

Ganz liebe Grüsse an Euch alle
Brigitte

19.07.2002, 19:42
Hallo alle zusammen,

Ich bin neu hier und bin sehr froh das es dieses Forum gibt.
Im Moment fahren meine Gefühle Achterbahn denn bei meiner Schwester ist am Montag Brustkrebs diagnostisiert und schon am Donnerstag ist ihre linke Brust amputiert worden und es wurde gleichzeitig an einer Brustrekonstruktion mit einem Expander begonnen.Es geht alles so furchtbar schnell und es bleibt einem keine Zeit um einen klaren Kopf zu bekommen.Meine Schwester ist ein sehr positiv eingestellter Mensch und sieht die noch anstehenden Behandlungen (Chemo,Bestrahlung und Hormonbehandlung) ebenso positiv.
Tja,aber wie gehe ich nun damit um? Natürlich rede ich mit meiner Schwester offen über ihre Krankheit,auch wenn es weh tut aber meine Hilflosigkeit versuche ich ihr nicht zu zeigen.Ich vergrieche mich lieber zu Hause in ein stilles Kämerlein und lass meinen Tränen freien lauf.Ich bin soooo unsicher und habe eine sch.....angst um sie.
Wie kann ich ihr nur helfen ohne ihr eine Last zu sein???

wünsche Euch ein schönes Wochenende
liebe Grüsse Andrea

20.07.2002, 23:27
Hallo Andrea,
Du bist doch schon auf dem richtigen Weg, Deiner Schwester zu helfen! Zeig ihr, wieviel sie Dir bedeutet, hilf ihr, indem Du einfach nur da bist, dass sie weiß, sie ist nicht allein und daß sie sich auf Dich verlassen kann. Auch ich habe Brustkrebs, Chemo und Amputation schon hinter mir und bin jetzt in der Bestrahlung. Während der ganzen Monate hat mir meine große Schwester geholfen, sie kam zwischendrin immer mal für 1 Woche, ansonsten haben wir fast täglich mit einander telefoniert. Das hat mir sehr viel Kraft gegeben zum Durchhalten. Ihr müßt nur offen miteinander umgehen, sich auch sagen können, wenn einem der andere auf den Wecker fällt, ohne zu schmollen, manchmal braucht man als Betroffener einfach nur etwas Ruhe, um aufzutanken und dann ist man wieder froh, jemanden zum Reden zu haben.
Kopf hoch und alles Gute für Euch
liebe Grüße Bärbel

21.07.2002, 09:17
Hallo alle zusammen,
wenn hier manchmal über Sinn einer Krebserkrankung gesprochen wird, so möchte ich aufstehen und euch erzählen, bei mir hatte die Erkrankung Sinn. Nach der OP und der Behandlung fing ich an zu leben.
Ich habe Brustkrebs, 1 Lymphknoten befallen und bekam leichte Chemos und Bestrahlungen. Ja und dann bekam ich eine Kur und dort lernte ich, dass es mich gab, ich lernte Schwimmen, ich ging mit anderen am Strand spazieren, ich hatte den ganzen Tag Zeit für mich!
Nun bin ich seit drei Jahren in der Selbsthilfe und dort wurde mir am Anfang so vieeel gegeben. Ich gehe einmal die Woche turnen in der Selbsthilfe. Ja und dort waren 13 Leute, die mir unendlich viel gaben. Und ich sah andere Schicksale und dass jeder so seine Geschichte hat. Seitdem bin ich halt in der Selbsthilfe und weiß, dass die "Neuen" meist verängstigt sind und froh, wenn man ein bisschen auf sie zugeht.
Denn auch ich war mal ne Neue und hab von Krebs nur gewusst, dass man dann stirbt. Krebs im Fernsehen, zack weggezappt, Krebs in einem Artikel, schnell drübergeschlagen. Es gab keinen Krebs! und es hat keinen zu geben!
Ja und so sehen dieses Thema auch einige meiner Kollegen. Sie wollen nicht mit dem Thema konfrontiert werden. Ja und deshalb hat mich meine am nahestehenste Kollegin während des 1/2 Jahres gemieden. Sie hatte Angst vor der Konfrontation. Ich bin 43 Jahre mittlerweile und da hat man halt noch nichts, vor allen keinen Krebs.
Ja und mein Mann der meinte nachdem ich aus der Kur zurückkam, so siehste jetzt bist du wieder gesund. Du weißt ja ich werde nie richtig gesund.
Heißt: Geh auf deinen Platz. Deine Zeit zum Leben für dich ist vorbei.
Und das ist genau der Punkt wo es bei mir nicht mehr so hinhaut. Ich habe jetzt gelebt und mir ging es gut. Und ich werde mich -hoffe ich jedenfalls - nicht mehr zurücknehmen, jedenfalls nicht mehr so.
Und deshalb denke ich, ich hab vor der Erkrankung mein Leben irgendwie weggeschmissen. Immer nur für später gelebt, ja später......da werde ich dann. Und durch den Krebs ist mir bewusst geworden, wo ist später. Gibt es für mich ein später? Ich muss jetzt leben.
Aber mit meinen Kindern -mittlerweile 18 und 20 - kann ich darüber auch nicht sprechen. Und am meisten tut mir halt weh, dass nicht mal einer sagt, oh je wir hatten so ne Angst, dass du vielleicht sterben könntest. Verdammt er hätte mir vielleicht gezeigt, dass ich existiere, wichtig für sie bin und sie mich lieben.
So jetzt heule ich doch noch, wollte gar nicht so in die Tiefe.
Aber wenn man sein Leben anschaltet, meine damit Gefühle zulässt, so bedeutet es neben tiefer Zuneigung und Freude auch negative Sachen ertragen zu müssen. Und wie sollen Menschen, denen ich vorgelebt habe, mich wegzustecken, sich so schnell auf mich einstellen können.
Es ist gut, dass es hier dieses Forum gibt, man trifft Menschen, die einen verstehen. Und das tut gut.
Ich wünsche euch einen schönen Sonntag
Doris

21.07.2002, 10:25
Guten Morgen allerseits,
eine Weile hat hier jetzt niemand mehr geschrieben, deswegen bin ich in die Sparte für die "Angehörigen" runter gerutscht, um dort mit ihnen zu plaudern. Aber ich sehe, dass hier unter den einzelnen Krebs-Sparten eben auch viele Angehörige sind und Fragen stellen.

Hallo Andrea, Du fragst, wie Du Deiner Schwester helfen kannst, OHNE ihr eine Last zu sein.
Doch die richtige Frage müsste eigentlich lauten, was heisst es, eine Last ZU SEIN!
Stell DIR die Frage, WAS Dich belasten würde, wenn Du schwer krank wärst, Andrea. WAS würde Dich da sehr stören?
Wären es die ewigen Worte wie: "Das wird schon wieder!" ?
Oder wären es Deine Angehörigen, die DIR die ganze Zeit etwas vorjammern, über ihre Rückenschmerzen, ihre Zehenschmerzen?
Oder wären es Angehörige, die Dir alle volle Stunde ein Telefon machen, um zu fragen, wie es Dir geht?
Oder wären es Angehörige, welche DIR gar nicht richtig zuhören wollen, weil sie Deine Krankheit so schlimm finden, und somit zeigen, dass sie das Thema vor lauter Angst gar nicht erwähnen wollen?
Oder wären es Angehörige, die Dir die ganze Zeit sagen, was Du jetzt zu tun hast, weil SIE ja gesund sind und alles besser wissen?
Oder wären es jene Menschen, von denen Du einfach plötzlich nichts mehr hörst, weil sie sich klammheimlich zurück gezogen haben?

Es gibt viele Punkte, die eine LAST für den Betroffenen sein können, wenn man ein bisschen genauer hinschaut und sich in den Patienten hinein zu versetzen versucht. Und sobald man dies versucht, erkennt man auch, dass es da aber auch sehr viele Punkte gibt, mit welchen man dem Patienten HELFEN kann.
Zum Beispiel hilft die blosse Anwesenheit schon sehr viel (sofern es kein Aufdrängen ist). Die Liebe der Angehörigen. Das Begleiten. Das Zuhören. Das Verstehen. Das Gespräch (ohne Befehle zu geben). Das Fragen, WIE man helfen könnte (darauf kann der Patient am besten eine Antwort geben), das Ehrlichsein, das Zugeben der eigenen Hilflosigkeit, das miteinander Weinen, ... aber auch die Ablenkung, das "andere" wie Geschichten erzählen aus dem Alltag, das miteinander Lachen, das Fröhlichsein, und dieses "etwas" miteinander zu tun oder zu unternehmen ...

All diese Punkte beziehen sich ganz sicher auf die Anfangszeit einer Krebsdiagnose. Am Anfang steckt der Schock noch sehr tief. Aber diese Punkte sind auch wichtig für die spätere Zeit eines Betroffenen. Denn wenn Du einmal Krebs hattest, ... wirst Du für den Rest Deines Lebens damit leben müssen. Der Krebs ist wie ein Mörder, welcher Dir die ganze Zeit auf der Schulter sitzt und Dich hämisch angrinst.
Ja, man muss lernen, mit diesem Mörder zusammen zu leben, doch das WEISS jeder Krebsbetroffene, das braucht man ihm nicht erst zu SAGEN! Es ist also ein Lernprozess, welcher Wochen, Monate, ja manchmal auch JAHRE dauern kann. Und dieser Lernprozess zu LERNEN, ... ist nicht gerade einfach.
Angehörige machen einen ähnlichen Lernprozess durch. Auch hier kann es lange dauern, bis sie gelernt haben zu akzeptieren und damit zu leben, auch wenn es nicht sie selber betrifft. Immerhin kann ich (als Selbstbetroffene) sagen: Es LOHNT sich, diesen Lernprozess durch zu gehen ...

Ja, hallo Doris, ... so gesehen hat der Krebs einen Sinn. Man könnte zwar echt auf den Sch... verzichten, allerdings, ... doch wenn man zurück schaut, GIBT es irgendwo einen Sinn. Positiv oder Negativ, spielt keine Rolle. Denn beides gehört zum Leben ...

Ganz herzliche Sonntagsgrüsse
von Brigitte

21.07.2002, 14:44
Hallo Bärbel,

Danke für Deine lieben Zeilen,nach der ersten Panik die sich bei mir logischer Weise breitgemacht hat, habe ich mich wieder gefangen und werde natürlich auf welche Art und Weise auch immer, für meine Schwester da sein.Das wird nicht immer einfach sein denn wir beide wohnen mehr als 600 km voneinander entfernt, aber ich weiss das dies kein Hinderniss für mich sein wird um sie regelmässig zu besuchen.Mittlerweile habe ich, so wie auch Du mit Deiner Schwester, täglich telefonischen Kontakt und ich merke das dies uns beiden sehr gut tut. Sie ist nach wie vor sehr positiv eingestellt und redet offen mit mir über alle Dinge die sie bewegen.
Ich weiss das sie noch einen weiten Weg vor sich hat und meine Familie und ich werde ihr auch weiterhin zeigen das wir sie lieben um ihr dadurch die Kraft zum durchhalten zu geben.

Nochmals vielen Dank Bärbel, ich wünsche Dir aber auch Deiner Familie weiterhin viel Kraft und alles erdenklich Gute,
liebe Grüsse Andrea

23.07.2002, 10:17
Hallo,
ich bin selbst betroffen und bekomme teilweise die Krise, wenn ich Außenstehende reden höre. Meine Operation war im Nov. 2000.Ich war 31 Jahre und hatte einen sehr agressiven Krebs. Ich habe unter der Chemo gelitten. Nicht nur, daß es mir sehr schlecht ging, ich habe auch darunter gelitten,daß ich die Haare verloren habe.Kurz bevor es soweit war, sagte ich, daß ich Angst davor hätte, die Haare zu verlieren. Und meinte Schwiegermutter meinte:"Ach was, Du verlierst die Haare nicht." Das ist doch kein Trost. So ein Mist, es war sicher, daß ich die Haare verliere. Oder jetzt höre ich:"Ach, Du brauchst keine Angst mehr zu haben, Du siehst gut aus und wirst auch nichts mehr bekommen.
Diese ernste Sache wird total verharmlost. Man fühlt sich eher so, als wollten sich diese Menschen gar nicht mit dieser Krankheit befassen. Ich jammere wirklich nie rum oder so, ich erwähne nur schon mal, (wenn wieder die Nachsorgeuntersuchungen anstehen) daß ich Angst habe.
Wenn jemand Kopfschmerzen hat oder ein Zahn gezogen bekommt, wird die Welle überhaupt gemacht.
Ich will nicht sagen, daß es in diesem Moment für diesen Menschen nicht schlimm ist, aber doch nicht mit einer Krebserkrankung zu vergleichen.
Ich möchte hiermit sagen, wenn ihr die Sache bei einem Betroffenen zu sehr verharmlost, kommt er sich verar... vor.
Dann hat man überhaupt keine Lust mehr, mit diesem Menschen über Ängste oder sonst etwas zu reden.

Ich wünsche Euch und Euren Angehörigen alles Gute und natürlich das nötige Feingefühl.
Liebe Grüße Regina

23.07.2002, 18:47
Hallo ihr da drausen....
zur Zeit lese ich alles was mit Krebs zutun hat.Meine Partnerin welche ich jetzt seit 2 Jahren kenne und lieben gelernt habe,hat Brustkrebs. Ich versuche so normal aufmerksam und zärtlich zusein wie immer. Aber je mehr ich mich in dieses Thema einlese um so ängstlicher werde ich. Auch ist mior bei dieser Krankheit bewust, dass dies auch auf alle Bereiche des Lebens einwirken kann. Die Ärzte geben auch nur unvollständige Auskunft. Die Hystologischen Befunde sind am vergangen Freitag mitgeteilt worden und am Montag wurden dann noch Lymphknoten entfernt. Wies weitergeht ist noch offen.

Die Angst, hier zuverlieren ist groß.

Ich bitte um eine Antwort wie soll ich mich verhalten.
Gruß
Harald

24.07.2002, 11:36
Hallo Harald,
... ja, wie's weitergeht, ist leider IMMER offen. Ich kann Dir leider keine "Gebrauchsanweisung" dafür geben, WIE Du Dich verhalten sollst, ... und doch kann ich Dir hier als Selbstbetroffene den einen oder andern Tip geben.
Dass Du Angst hast, ist verständlich, aber leider kommst Du da nicht drum herum. Stell Dich Deiner Angst, frag Dich WOVOR Du genau Angst hast. Setze Dich mit der Krankheit auseinander, welche ja vom Todesgedanken begleitet ist, was auch bedeutet, dass Du Verlustängste durchmachen musst. Das muss aber nicht bedeuten, dass Deine Partnerin jetzt null Chancen hat, doch wenn Du die "mögliche" negative Seite ignorierst aus lauter Angst, wird die Angst am Ende nämlich DICH beherrschen. Du wirst eher in Gefahr geraten, Fehler zu machen, Deiner Partnerin und auch Dir selbst etwas vorzumachen, Du wirst schneller in Versuchung geraten, Dich von ihr zurück zu ziehen und sie somit mit ihrem Kampf alleine zu lassen.
Wenn Du nämlich auch diese Seite annehmen kannst, (und diese Seite HAT dieser Krebs nun mal) wirst Du letzten Endes mehr Kraft für Deine Partnerin aufbringen können. Du wirst weniger an Deine Ängste denken, sondern an die ihren, Du wirst sie besser verstehen können, wirst sie besser auf ihrem "neuen" Weg begleiten können.

Du bist nicht alleine, Harald, denn alle Angehörigen stellen die selben Fragen wie Du. Bleibe Du selber, frag Dich nicht was DU willst, sondern was SIE will, sei für sie DA, sei einfach menschlich und liebe sie.
Anwesenheit eines geliebten Menschen hilft schon sehr viel in dieser schweren Zeit. Das Zuhören. Das Begleiten. Das Miteinander-Weinen. Aber auch das Miteinander-Lachen ist wichtig. Such mit ihr gemeinsam nach Lösungen, aber dränge sie nie. Letzten Endes muss sie alles selber entscheiden.
Und sprich mit ihr, wenn Du Zweifel oder Ängste hast. Nur Ehrlichkeit hilft, wenn man gemeinsam diesen Weg gehen muss.

Du kannst auch hier in dieser Sparte ein wenig die vielen Einträge durchlesen, oder in der Sparte für die Angehörigen mitlesen, wo auch Betroffene mitschreiben. Je mehr Du Dich damit befasst, um so mehr wirst Du verstehen und einfühlen können. Deine Angst wird zwar nie ganz verschwinden (man kann sie nicht einfach abschalten), aber je besser Du verstehen kannst, um so besser wirst Du damit umgehen und Deine Partnerin begleiten können.

Ich wünsche Dir und Deiner lieben Partnerin viel Kraft, Harald, und ich hoffe, dass es ihr bald wieder besser geht. - Ich würde mich freuen, bald wieder etwas von Dir hier zu lesen.

Ganz liebe Grüsse
von Brigitte

08.12.2002, 14:24
...also, wenn ich eure Beiträge so lese, habe ich das Gefühl, daß bei uns zu Hause irgendwie alles andersherum läuft: Meine Mutter hat Brustkrebs, sie wußte das schon ca. 1 Jahr lang, bevor sie zum Arzt gegangen ist, und hat "seelenruhig" (???, so sieht es zumindest für Außenstehende aus)dem Tumor beim Wachsen zugeschaut. Die Brust ist ihr natürlich - nach einer ersten Chemotherapie, um den Tumor schrumpfen zu lassen - komplett abgenommen worden, einschließlich von 12 Lymphknoten in der Achsel. Jetzt hat sie gerade eine weitere Chemo hinter sich, wartet auf den ersten Termin für die Bestrahlung, dann folgt wohl wieder Chemo. Hinter dem Schlüsselbein ist eine Lymphdrüse befallen, die nicht herausgenommen werden kann und bisher auf die Chemo leider nicht anspricht. Das Eigenartige ist, daß sie die Einzige zu sein scheint, die da einfach nicht drüber sprechen will. Mein Vater, meine 3 Schwestern, meine Tochter und ich gehen alle offen mit dem Thema um, sammeln Informationen, Berichte, etc. - nur meine Mutter will partout nicht wahrhaben, worum es eigentlich geht. Sie holt sich nicht mal bei den Arztbesuchen irgendwelche Informationen, sie läßt einfach alles über sich ergehen und will sich nicht weiter damit auseinandersetzen. Die Bestrahlung hätte sie um ein Haar abgelehnt, weil sie "keine Lust hat, 5 mal die Woche ins Krankenhaus zu fahren". Was macht man nur mit so jemandem? Mein Vater ist kurz davor, sie entmündigen zu lassen, um ihr Leben zu retten. Wie kann man meiner Mutter nur klarmachen, daß sie auch ein bißchen selbst kämpfen muß, daß die Medikamente allein so nicht unbedingt helfen werden, und daß derartig desinteressierte Patienten auch die Ärzte nicht gerade motivieren?

08.12.2002, 20:54
Hallo liebe Anne,
ja, es läuft noch oftmals ganz andersrum, als man meint.
Nun, da ich selber Krebsbetroffene bin, kann ich Dir als erstes mal folgendes erklären, damit Du vielleicht ein bisschen verstehen kannst, was Deine Mutter durchmacht.

Angehörige machen Ähnliches durch, aber wenn es einen selbst betrifft, ist es irgendwie verwirrend, makaber, komisch. Du hast das Gefühl, Du stehst völlig neben Dir selbst und schaust da einem Film zu. Nebst dem Schock kommt der Unglaube, dann kommt Verdrängung, dann kommt plötzlich mal Gleichgültigkeit, dann wieder panische Angst. Während Du noch immer diesem "Film" von Dir selber zuschaust, bist Du wie gelähmt!
Und in der Phase der Angst und des Unglaubens kann auch mal dieses "Weigern" kommen. Du willst Dich weigern, überhaupt erst zum Arzt zu gehen. Ins Krankenhaus zu gehen. Diese Behandlungen über Dich ergehen zu lassen. Diese ernsten Gesichter der Ärzte auf Dir zu spüren. Dieses Gefühl zu spüren, dass da "Fremde" plötzlich über Dein Leben zu bestimmen scheinen, welches da wegen IHNEN auf einmal völlig aus den Fugen gerät! Sie krempeln Dir den ganzen Alltag um! Und sie machen Dir Angst. Du weisst, dass es nicht an ihnen liegt, aber Du willst da gar nicht erst in dieser Situation sein, und das alles durchmachen müssen. Du willst nicht, dass Du Krebs hast! Das darf einfach nicht sein. Daran könntest Du sterben. Vielleicht schon bald. Das willst Du nicht. Davor hast Du Angst. - Und trotzdem weisst Du, dass es so ist. Du weisst auch, dass Du was dagegen tun musst. Aber Du WILLST nicht! Also weg mit diesen Gedanken, weg mit diesem Wort "Krebs", also gar nicht erst darüber reden! Und überhaupt: Am liebsten "weg" mit Dir selber, abhauen auf eine Insel, weg von all den Sorgen und diesem neuen Leid!

So in etwa fühlt man sich, Anne. Man fühlt sich aber auch so, wenn man NICHT einfach schweigt, wenn man trotzdem immer brav zum Arzt geht, wenn man all dies durchsteht, wenn man kämpft und weitermacht.
Nun wird es wohl eine Frage sein, was für eine Art Mensch man ist, wie man VOR dem Krebs schon war. Vielleicht war man immer schon ein Kämpfer, dann wird man vermutlich auch bei der eigenen Krebsdiagnose zu kämpfen anfangen. Vielleicht war man aber schon immer ein ruhigerer Mensch, oder jemand, welcher die Dinge gerne mal "verdrängt" hat, ... so wird man vermutlich auch bei einer Krebsdiagnose so vorgehen.
Aber nichts, liebe Anne, ist die Regel. Denn Krebs kann auch ein "Wechsel" bedeuten. Es kann ein neues "Denken" anfangen, wie man vorher noch nie so gedacht hat. Man kann Dinge erkennen, die man vorher nie so gesehen hat. Man kann anfangen, in sich hinein zu horchen, wie man es noch nie zuvor getan hat.
Aber all dies braucht Zeit. Es geht nicht von heute auf morgen. Es können Phasen sein. Wochen, aber auch Monate.
Aber Änderungen kommen. Irgendwie jedenfalls.

Ja, und dann kommt noch das "Selbstbestimmungsrecht" dazu, wenn ich das mal so formulieren darf. Da möchte ich Dich gerne noch fragen:
Wie stark ist Deine Mutter, und war sie vielleicht schon immer etwas eigensinnig? Vielleicht ist es ja wirklich ihr Wunsch, überhaupt keine Behandlung machen zu lassen? Wie gut kennst Du Deine Mutter?
Wenn dem so wäre, so wären die ganzen Behandlungen, die Arztbesuche, ihre eigenen Angehörigen, ... alles nur eine Art "Druck" machen! Beugt sie sich diesem "Druck" und gibt somit bloss nach? (Auch wenn Eure Hilfe gut gemeint ist, Anne, das ist kein Vorwurf, gell? Ich kenne das bloss von meiner Situation her selber).

Oder lebt sie wirklich in völliger Angst?
Kann nämlich sein, dass sie sich in diesem "Film" befindet, welchen ich Dir oben beschrieben habe. In diesem Falle wäre Euer Dasein ebenso wichtig, denn hier braucht sie Euch ganz dringend. Sie braucht da nämlich Eure Geduld, wenn sie sich wieder mal "weigert". Sie braucht Euer Verständnis (keine Vorwürfe oder ein Drängen). Vielleicht braucht sie ein paar "Verlockungen"? Kleine Versprechen, dass man sie so und so oft besuchen kommt? Kleine Belohnungen mit Dingen, an denen sie sich freut? Kleine Ablenkungen in ihrer schwierigen Zeit? Vielleicht braucht sie Ärzte, die lächeln können? Vielleicht interessiert sie ein "per Zufall" liegengelassenes Buch über Krebs, was ihre Neugier, ihren Kampfgeist wecken könnte?

Versuche es heraus zu finden, liebe Anne. Klar, sie ist keine "bequeme" Patientin für die Ärzte (und für Euch wahrscheinlich auch nicht), aber irgendwo liegt der Grund für all ihre "Weigerungen" oder ihre "Gleichgültigkeit". Frage sie, was sie möchte und was sie sich wünscht. Vielleicht kann sie es Dir sagen?

Ich jedenfalls wünsche Deiner Mutter eine Menge Kraft, viele positive Erlebnisse und Gesundheit.

Alles Gute an Dich
von der "krassen" Brigitte

PS: Das Thema hier habe ich vor einiger Zeit mal aufgesetzt. Da es bei meinem Namen aber hin und wieder Verwechslungen mit anderen Brigittes geben kann, bleibe ich künftig nun beim "Känguruh" und bei "krasse" Brigitte. - Bloss zur Info, ja? - Bis dann!

08.12.2002, 21:34
Liebe Anne,
es ist toll, dass Ihr Euch so um Eure Mutter sorgt und kümmert. Das ist für Eure Mutter eine große Hilfe. Aber was Wisst Ihr von Eurer Mutter? Wollt Ihr ihr Leben retten oder wollt Ihr, dass Ihr Euch nicht mit Ihrem Tod auseinandersetzen müsst? Diese Krankheit hat viele Gesichter. Wenn man Betroffener ist, lernt man viel über sich selbst, wenn man Angehöriger lernt man viel über den Kranken und lernt ebenfalls viel über sich selbst.
Mein Vater war vor 16 Jahren an Lungenkrebs erkrankt und ich vor 8 Jahren an Brustkrebs. Ich kenne also beide Seiten. Man muss dem Kranken die Chance geben zu kämpfen, aber wenn er nicht kämpfen will, muss man das akzeptieren. Will sagen, man muss ihm die Hilfe anbieten, aber man kann ihn nicht zwingen, sie anzunehmen.
Ich kann Euch gut verstehen. Aber ich kann auch Deine Mutter verstehen. Lass ihr ihren Willen, aber gib ihr das Gefühl, dass Ihr für sie da seid.
Ich wünsche Euch viel Kraft auf diesem schwierigen Weg.
Brigitte

09.12.2002, 09:41
Hallo Anne,
gottseidank gibt es keine Entmündigunen mehr (kein Richter würde außerdem einen Menschen aus dem von Euch angegebenen Grund entmündigen) und das ist in diesem Fall auch gut so. Ich verstehe die Angst von Euch sehr gut, aber wie stellt Ihr Euch euer Ansinnen mit der Entmündigung vor? Wollt Ihr mit einer fortan depressiven, in sich verschlossenen Mutter weiterleben, der Ihr die eigene Entscheidungsfreiheit weggenommen habt? Ich kann mich nur den beiden Brigitte's anschließen - die Betroffene selbst entscheidet, wo es lang geht. Ihr könnt nur versuchen einen Weg der Begleitung für Euch zu finden. Wenn Ihr die Situation, so wie sie im Moment ist, nicht aushalten könnt (und dies kann ich gut verstehen, meine Familie konnte meine Erkrankung damals auch nicht aushalten), dann wäre vielleicht eine Beratung für Euch das richtige. Möglicherweise könnt Ihr mit Unterstützung z.B. in einer Krebsberatungsstelle lernen, mit dieser Situation für Euch besser zurecht zu kommen und einen, für Euch alle passenden Weg der besseren Kommunikation entwickeln.
Ich habe Frauen in ähnlicher Situation wie Eure Mutter kennengelernt, die z.B. spürten, daß die Familie mit Äußerungen über Angst vor möglichem Tod oder ähnlichem (Lebensqualität, Testament, Patientenverfügung, etc.) zu sehr belastet war und immer vom Thema ablenkte. Möglicherweise ist das Schweigen eine reine Schonhaltung Euch gegenüber. Versucht, Euch ihren Gedanken anzunähern, 'sie' bestimmen zu lassen, wo es langgeht, denn sie ist die betroffene und sie muß mit allen Entscheidungen, die getroffen werden einverstanden sein und weiterleben.
Gruß von Robie

15.12.2002, 08:36
Hallo zusammen,
dies ist wirklich ein schwieriges Thema.
Ich habe meine Mam durch Bauchspeicheldrüsenkrebs verloren. Da war ich Angehöriger. In der Zeit habe ich viel geweint und war manchmal sprachlos. Meine Mam konnte und wollte nicht (sie wollte uns damit nicht belastten) darüber reden. Das alles ist mir erst hinterher klar geworden (Abschiedsbrief usw.) Ich habe einen fast blinden Vater, der wollte überhaupt nicht darüber reden. Mit meiner Tochter und weiteren Bekannten und Verwandten habe ich Gesprächpartner gehabt.
Aber diese ganze Situation hat mich gestärkt.
Ein halbes Jahr nach dem Tod meiner Mam bin ich selbst an Krebs, BK erkrankt. Ein Schock für mich.
Aus der Zeit als Angehöriger von Krebserkrankten habe ich viel Kraft erhalten und wusste, dass meine Tochter nun das gleiche durchmacht wie ich vorher. Das wollte ich nicht.
Ich sage immer die Krankheit verändert uns auch zum Positiven.
Ich wollte mit dieser Diagnose 'BK' weiterleben und bin immer sehr offen mit allem umgegangren, dass hat manch einem geschockt, aber oft habe ich damit dem anderen geholfen mit meiner Krankheit und mir umzugehen.
In dieser Zeit hat man Menschen gehabt, die den Kontakt zu mir gemieden habe, diese Menschen meide ich jetzt, denn als gesunder kann man sich doch zusammen nehmen und wenn schon der Kranke auf den Gesunden zugeht, kann man was zurück erwarten.
Traurig ist nur, das habe ich auch erfahren, wenn diejenigen plötzlich selbst Betroffene werden, durch eigene Krankheit oder als Angehörige, dann besinnen Sie sich , ach da war doch wer.
Leider ist es so im Leben. Auf alle Fälle rede ich mit meiner Tochter (25J) viel über die Krankheit, meine Gefühle und auch ihre usw. Das müssen alle Betroffene, denn schließlich kommt die Zeit da geht es nicht mehr. Jetzt höre ich damit auf, mir kommen die Tränen. Ich bin dankbar, dass es diese Forum gibt.
Für alle Betroffene und Angehörige alles alles Gute!!!! Silvia.

16.12.2002, 14:15
Liebe Anne,
ich denke, das Wichtigste ist, dass Du und Deine Familie verstehen, dass Deine Mutter nicht aus Desinteresse an ihrer eigenen Erkrankung so handelt. Das alles hat viel mit Schock und Depression zu tun. Ich sehe das an meiner eigenen Mutter, die mich gerade aus dem Krankenhaus angerufen hat, weil sie bis heute nacht dort an ihr Bett gefesselt ist, wegen der Chemo-Infusionen. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass sie ihren BK-Rückfall, sprich die Metastasen im Halsbereich, schon Wochen vor ihrem Arztbesuch bemerkt hatte. Aber da sie kurz vorher ihren Mann verloren hatte, dachte sie, sie könne das alles nicht ertragen und hat versucht, es zu verdrängen. Was natürlich nicht ging, ich habe gemerkt, dass sie neben dem Verlust meines Vaters noch etwas anderes belastete. Erst als ihre Stimme weg war und sie kaum noch was schlucken konnte, hat sie sich von mir dazu überreden lassen, zum Arzt zu gehen. Man kann ihr da aber keinen Vorwurf draus machen, denn dieses Leid und diesen Schockzustand kann man nur nachempfinden, wenn man ihn selber erlebt! Zunächst hat sie auch jegliche Chemo abgelehnt, weil sie sich dazu nicht in der Lage fühlte. Ich habe ihre Entscheidung erstmal so hingenommen, es ist ja schließlich ihr Körper! Ich habe ihr aber gesagt, dass sie sich, wenn sie sich doch anders entscheiden sollte, auf mich verlassen kann. Nachdem es ihr jetzt allgemein etwas besser geht, hat sie sich doch für die Chemo entschieden. Ich denke, manche Menschen brauchen für solche Dinge auch einfach mehr Zeit. Und dann darf man sie auch nicht zwingen! Man muss nur zeigen, dass man da ist und bei allen Dingen zur Seite steht. Wenn meine Mutter allerdings weiter darauf bestanden hätte, dass sie keine Chemo machen will, dann hätte ich das akzeptiert, auch wenn es sehr schwer gewesen wäre.
Zu der Frage hier im Forum, wie man sich verhalten soll: Ich denke, das hängt stark von dem Verhältnis ab, das man vorher zueinander hatte. Meine Mutter und ich hatten immer schon ein zwar sehr enges, aber auch ein recht "nüchternes" Verhältnis. Im Gefühle zeigen sind wir beide nicht so gut. Das von heute auf morgen zu ändern wird nicht klappen. Über praktische Dinge können wir sehr gut reden, z.B. habe ich eine General- und Gebrechlichkeitsvollmacht für den Notfall von ihr bekommen. Aber wie es in ihr drin aussieht, darüber zu sprechen fällt uns ziemlich schwer. Ich lasse sie auch nicht spüren, wie sehr mich die ganze Situation belastet, vor allem nachdem gerade erst vor 5 Monaten mein Vater tödlich verunglückt ist. Ich habe einfach das Gefühl, ihr jetzt das Gefühl geben zu müssen, dass ich für uns beide stark genug bin.
Viele Grüße, Tina

17.12.2002, 08:34
Hi Tina,
ich danke Dir für Deine lieben Worte, und ich denke, ich kann Dir hier bestimmt auch im Namen Deiner Mutter ein herzliches Dankeschön sagen. Auch wenn es schwer für Dich ist, so kannst Du doch die Ängste, aber auch die augenblickliche Meinung Deiner Mutter akzeptieren. Das bedeutet für jemanden, der Krebs hat, sehr viel, auch wenn derjenige manchmal selber nicht so ganz klar weiss, was denn nun richtig ist oder nicht.

Angst lähmt natürlich den Betroffenen, aber wenn ihm gerade in diesem Moment die ganze Familie und je nach dem auch noch der Bekanntenkreis andauernd sagt, was das Beste für ihn ist, so blockiert das manchmal nur noch die Entscheidungsfähigkeit.
Ich weiss noch, wenn ich damals all das getan hätte, womit mich meine eigenen Leute (bei meinem Krebs) in vollster Überzeugung "beraten" hatten, (und diese Beratungen waren ziemlich vielschichtig, das ging sogar bis zur Elektropuls-Therapie oder bis zum Geistheiler!), dann hätte ich heute wahrscheinlich schon ALLES ausprobiert! - Am Ende hätte ich vielleicht nicht mal sagen können, WAS mir denn nun wirklich geholfen hat.
Ich hatte diese "Beratungen" meiner Leute zwar als Idee mal betrachtet und mir auch angehört, aber wenn ich dann unsicher war oder verneinte, dann kamen Vorwürfe, die da lauteten, ich sei so stur, und ob ich denn bald schon Metastasen kriegen wolle?
Ich weiss, sie meinten es alle nur gut, jedoch war jeder einzelne von ihnen von etwas ganz Speziellem überzeugt, was ER getan hätte in dieser Situation. Sie verlangten also alle von mir, so zu handeln, wie SIE handeln würden, aber MEINE Entscheidung wollten sie dann leider nicht akzeptieren.
Hier fing dann ein "Druck" an, welcher mich selber nur noch mehr irritierte. Und es tat auch weh. Ich fragte mich da: Was macht denjenigen nur so SICHER, dass SEINE Behandlungsmethoden-Idee die BESTE sein soll? Warum ist er sauer auf mich, weil ich nicht gleicher Meinung bin?
Tja, und da gab es dann sogar den einen oder anderen, welcher SO sauer war, ... dass er sich bis heute nicht mehr bei mir gemeldet hat!
Keine Ahnung, was diese Menschen jetzt von mir denken. Vielleicht, dass ich "unbelehrbar" bin? Dass ich selber Schuld bin, wenn ich nicht auf SIE gehört habe und deswegen sterben könnte?

Es ist richtig, nur der Betroffene alleine kann die Entscheidung fällen. Ob sie richtig ist oder falsch, kann niemand beurteilen. Der Betroffene selbst muss ein gewisses Mass an Überzeugung besitzten, dass jenes, was er tut, ihm helfen wird. Es ist SEINE eigene, ganz persönliche Hoffnung.
Aber manchmal brauchen Entscheidungen Zeit, da hast Du völlig recht, liebe Tina. Krebs sorgt auch für eine gewisse "Panik", da will man ganz schnell handeln. Doch da ja jeder Mensch verschieden ist, auch die jeweilige Situation, gehört eben zu den Entscheidungen des Betroffenen ein bisschen Respekt und Akzeptanz dazu. Und egal, welchen Weg ein krebsbetroffener Mensch wählt, er ist auf JEDEM Weg auf die Anwesenheit seiner lieben Angehörigen angewiesen, auf ihre Begleitung, und auf ihre ganze Liebe.
Und einen krebsbetroffenen Menschen deswegen entmündigen zu wollen, ist hier völlig fehl am Platz. Ja, zum Glück geht sowas nicht. (Da hätten mich ja meine Leute auch entmündigen können, mein lieber Schwan! Wo stünde ich dann heute?)

Ich finde Dich super, Tina, das wollte ich Dir auf jeden Fall hier sagen, gell?
Ganz liebe Grüsse, viel Kraft und alles Gute für Deine Mutter wünscht Dir
die "krasse" Brigitte