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struwwelpeter
10.12.2006, 13:24
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Rudolph, das Rentier mit der Roten Nase

Hoch oben im Norden, wo die Nächte dunkler und länger und der Schnee viel weißer ist als in unseren Breitengraden, sind die Rentiere beheimatet. In jedem Jahr geht der Weihnachtsmann dort auf die Suche nach den stärksten und schnellsten Tieren, um seinen gewaltigen Schlitten durch die Luft zu befördern. In dieser Gegend lebte eine Rentierfamilie mit ihren fünf Kindern.. Das Jüngste hörte auf den Namen Rudolph und war ein besonders lebhaftes und neugieriges Kind, das seine Nase in allerlei Dinge steckte. Tja, und diese Nase hatte es wirklich in sich. Immer, wenn das kleine Rentier-Herz vor Aufregung ein bisschen schneller klopfte, leuchtete sie so rot wie die glühende Sonne kurz vor dem Untergang.

Egal, ob er sich freute oder zornig war, Rudolphs Nase glühte in voller Pracht. Seine Eltern und Geschwister hatten ihren Spaß an der roten Nase, aber schon im Rentierkindergarten wurde sie zum Gespött der vierbeinigen Racker. "Das ist der Rudolph mit der roten Nase", riefen sie und tanzten um ihn herum, während sie mit ihren kleinen Hufen auf ihn zeigten. Und dann erst in der Rentierschule! Die Rentier-Kinder hänselten ihn wo sie nur konnten.

Mit allen Mitteln versuchte Rudolph seine Nase zu verbergen, indem er sie mit schwarzer Farbe übermalte. Spielte er mit den anderen verstecken, freute er sich, dass er diesmal nicht entdeckt worden war. Und im gleichen Moment begann seine Nase so zu glühen, dass die Farbe abblätterte.

Ein anderes Mal stülpte er sich eine schwarze Gummikappe darüber. Nicht nur, dass er durch den Mund atmen musste. Als er auch noch zu sprechen begann, klang es als säße eine Wäscheklammer auf seiner Nase. Seine Mitschüler hielten sich die Rentier-Bäuche vor Lachen, aber Rudolph lief nach Hause und weinte bitterlich. "Nie wieder werde ich mit diesen Blödhufen spielen", rief er unter Tränen, und die Worte seiner Eltern und Geschwister konnten ihn dabei nur wenig trösten.

Die Tage wurden kürzer und wie in jedem Jahr kündigte sich der Besuch des Weihnachtsmannes an. In allen Rentier-Haushalten wurden die jungen und kräftigen Burschen herausgeputzt. Ihre Felle wurden so lange gestriegelt und gebürstet bis sie kupfernfarben schimmerten, die Geweihe mit Schnee geputzt bis sie im fahlen Licht des nordischen Winters glänzten.

Und dann war es endlich soweit. Auf einem riesigen Platz standen Dutzende von Rentieren, die ungeduldig und nervös mit den Hufen scharrten und schaurig-schöne Rufe ausstießen, um die Mitbewerber zu beeindrucken. Unter ihnen war auch Rudolph, an Größe und Kraft den anderen Bewerbern zumeist deutlich überlegen. Pünktlich zur festgelegten Zeit landete der Weihnachtsmann aus dem nahegelegenen Weihnachtsdorf, seiner Heimat, mit seinem Schlitten, der diesmal nur von Donner, dem getreuen Leittier gezogen wurde.

Leichter Schnee hatte eingesetzt und der wallende rote Mantel war mit weißen Tupfern übersät. Santa Claus machte sich sofort an die Arbeit, indem er jedes Tier in Augenschein nahm. Immer wieder brummelte er einige Worte in seinen langen weißen Bart.

Rudolph kam es wie eine Ewigkeit vor. Als die Reihe endlich bei ihm angelangt war, glühte seine Nase vor Aufregung fast so hell wie die Sonne. Santa Claus trat auf ihn zu, lächelte freundlich und – schüttelte den Kopf. "Du bist groß und kräftig. Und ein hübscher Bursche dazu ", sprach er, "aber leider kann ich dich nicht gebrauchen. Die Kinder würden erschrecken, wenn sie dich sähen." Rudolphs Trauer kannte keine Grenzen. So schnell er konnte, lief er hinaus in den Wald und stampfte brüllend und weinend durch den tiefen Schnee.

Die Geräusche und das weithin sichtbare rote Licht lockten eine Elfe an. Vorsichtig näherte sie sich, legte ihre Hand auf seine Schulter und fragte : "Was ist mit dir?"
"Schau nur, wie meine Nase leuchtet. Keiner braucht ein Rentier mit einer roten Nase!" antwortete Rudolph.
"Das kenne ich", sprach die Elfe, "ich würde gerne im Weihnachtsdorf mit den anderen Elfen arbeiten. Aber immer, wenn ich aufgeregt bin, beginnen meine Ohren zu wackeln. Und wackelnde Ohren mag Santa Claus nicht."

Rudolph blickte auf, wischte sich mit den Hufen die Tränen aus den Augen und sah eine bildhübsche Elfe, deren Ohren im Rhythmus eines Vogelschlags hin und her wackelten.
"Mein Name ist Herbie", sagte sie schüchtern. Und während sie sich so in die Augen sahen, der eine mit einer leuchtend roten Nase, die andere mit rhythmisch wackelnden Ohren, prusteten sie urplötzlich los und lachten bis ihnen die Bäuche weh taten.

An diesem Tag schlossen sie Freundschaft schwatzten bis in die Nacht und kehrten erst am frühen Morgen heim.
Mit Riesenschritten ging die Zeit auf Weihnachten zu. Herbie und Rudolph trafen sich in dieser Zeit viele Male im Wald. Alle waren mit den Vorbereitungen für das Weihnachtsfest so beschäftigt, dass sie nicht bemerkten, wie sich das Wetter von Tag zu Tag verschlechterte.

Am Vorabend des Weihnachtstages übergab die Wetterfee Santa Claus den Wetterbericht. Mit sorgenvoller Miene blickte er zum Himmel und seufzte resigniert : "Wenn ich morgen anspanne, kann ich vom Kutschbock aus noch nicht einmal die Rentiere sehen. Wie soll ich da den Weg zu den Kindern finden?"

In dieser Nacht fand Santa Claus keinen Schlaf. Immer wieder grübelte er über einen Ausweg nach. Schließlich zog er Mantel, Stiefel und Mütze an, spannte Donner vor seinen Schlitten und machte sich auf den Weg zur Erde. "Vielleicht finde ich dort eine Lösung", dachte er. Während seines Fluges begann es in dichten Flocken zu schneien. So dicht, dass Santa Claus kaum etwas sehen konnte.
Lediglich ein rotes Licht unter ihm leuchtete so hell, dass ihm der Schnee wie eine riesige Menge Erdbeereis vorkam. Santa Claus liebte Erdbeereis. "Hallo", rief er, "was hast du für eine hübsche und wundervolle Nase! Du bist genau der, den ich brauche. Was hältst du davon, wenn du am Weihnachtstag vor meinem Schlitten herläufst und mir so den Weg zu den Kindern zeigst?"

Als Rudolph die Worte des Weihnachtsmannes hörte, fiel ihm vor Schreck der Tannenbaum zu Boden und seine Nase glühte so heftig wie noch nie in seinem Leben. Vor lauter Freude fehlten ihm die Worte. Erst langsam fand er seine Fassung wieder.
"Natürlich furchtbar gerne. Ich freu’ mich riesig."
Doch plötzlich wurde er sehr traurig. "Aber wie finde ich den Weg zurück zum Weihnachtsdorf, wenn es so dicht schneit?"
Im gleichen Moment, in dem er die Worte aussprach, kam ihm eine Idee.
"Bin gleich wieder da", rief er, während er schon in schnellem Galopp auf dem Weg in den Wald war und einen verdutzten Santa Claus zurückließ. Wenige Minuten später kehrten ein Rentier mit einer glühenden Nase und eine Elfe mit wackelnden Ohren aus dem Wald zurück. "Sie wird uns führen, Santa Claus", sagte Rudolph voller Stolz und zeigte auf Herbie. "Mit ihren Ohren hält sie uns den Schnee vom Leibe. Und sie kennt den Weg."
"Das ist eine prachtvolle Idee", dröhnte Santa Claus. "Aber jetzt muss ich zurück. Auf morgen dann."

Und so geschah es, dass Santa Claus am Weihnachtstag von einem Rentier mit einer roten Nase und einer Elfe mit wackelnden Ohren begleitet wurde.
Rudolph wurde für seine treuen Dienste am nächsten Tag von allen Rentieren begeistert gefeiert. Den ganzen Tag tanzten sie auf dem großen Marktplatz und sangen dazu : "Rudolph mit der roten Nase, du wirst in die Geschichte eingehen."

Und es muss jemanden gegeben haben, der Santa Claus und seine beiden Helfer beobachtet hat. Sonst gäbe es sie heute nicht, die Geschichte von Rudolph mit der roten Nase.

struwwelpeter
10.12.2006, 13:29
http://www.bilder-hochladen.net/files/1gop-9n.gifDer störrische Esel
und die süße Distel der Heil'gen Nacht


Als der heilige Josef im Traum erfuhr, dass er mit seiner Familie vor der Bosheit des Herodes fliehen müsse, weckte der Engel in dieser bösen Stunde auch den Esel im Stall.

"Steh auf!" sagte er von oben herab, "du darfst die Jungfrau Maria mit dem Herrn nach Ägypten tragen." Dem Esel gefiel das gar nicht. Er war kein sehr frommer Esel, sondern eher ein wenig störrisch von Gemüt. "Kannst du das nicht selber besorgen?" fragte er verdrossen. "Du hast doch Flügel, und ich muss alles auf dem Buckel schleppen! Warum denn gleich nach Ägypten, so himmelweit!"

"Sicher ist sicher!" sagte der Engel; und das war einer von den Sprüchen, die selbst einem Esel einleuchten müssen.

Als er nun aus dem Stall trottete und zu sehen bekam, welch eine Fracht der heilige Josef für ihn zusammengetragen hatte, das Bettzeug für die Wöchnerin und einen Pack Windeln für das Kind, das Kistchen mit dem Gold der Könige und zwei Säcke mit Weihrauch und Myrrhe, einen Laib Käse und eine Stange Rauchfleisch von den Hirten, den Wasserschlauch, und schließlich Maria selbst mit dem Knaben, auch beide wohlgenährt, da fing er gleich wieder an, vor sich hinzumaulen. Es verstand ihn ja niemand außer dem Jesuskind.

"Immer dasselbe", sagte er, "bei solchen Bettelleuten! Mit nichts sind sie hergekommen, und schon haben sie eine Fuhre für zwei Paar Ochsen beisammen. Ich bin doch kein Heuwagen", sagte der Esel, und so sah er auch wirklich aus, als ihn Joseph am Halfter nahm; es waren kaum noch die Hufe zu sehen.

Der Esel wölbte den Rücken, um die Last zurecht zu schieben, und dann wagte er einen Schritt, vorsichtig, weil er dachte, dass der Turm über ihm zusammenbrechen müsse, sobald er einen Fuß voransetze. Aber seltsam, plötzlich fühlte er sich wunderbar leicht auf den Beinen, als ob er selber getragen würde; er tänzelte geradezu über Stock und Stein in der Finsternis.

Nicht lange, und es ärgerte ihn auch das wieder. "Will man mir einen Spott antun?" brummte er. "Bin ich etwa nicht der einzige Esel in Bethlehem, der vier Gerstensäcke auf einmal tragen kann?"

In seinem Zorn stemmte er plötzlich die Beine in den Sand und ging keinen Schritt mehr von der Stelle.

Wenn er mich auch noch schlägt, dachte der Esel erbittert, dann hat er seinen ganzen Kram im Graben liegen!

Allein Joseph schlug ihn nicht. Er griff unter das Bettzeug und suchte nach den Ohren des Esels, um ihn dazwischen zu kraulen. "Lauf noch ein wenig", sagte der heilige Joseph sanft, "wir rasten bald!"

Daraufhin seufzte der Esel und setzte sich wieder in Trab. So einer ist nun ein großer Heilger, dachte er, und weiß nicht einmal, wie man einen Esel antreibt!

Mittlerweile war es Tag geworden, und die Sonne brannte heiß. Joseph fand ein Gesträuch, das dünn und dornig in der Wüste stand, in seinem dürftigen Schatten wollte er Maria ruhen lassen. Er lud ab und schlug Feuer, um eine Suppe zu kochen; der Esel sah es voll Misstrauen. Er wartete auf sein eigenes Futter, aber nur, damit er es verschmähen konnte. "Eher fresse ich meinen Schwanz", murmelte er, "als euer staubiges Heu!"

Es gab jedoch gar kein Heu, nicht einmal ein Maul voll Stroh; der heilige Joseph, in seiner Sorge um Weib und Kind, hatte es rein vergessen. Sofort fiel den Esel ein unbändiger Hunger an. Er ließ seine Eingeweide so laut knurren, dass Joseph entsetzt um sich blickte, weil er meinte, ein Löwe säße im Busch.

Inzwischen war auch die Suppe gar geworden, und alle aßen davon. Maria aß, und Joseph löffelte den Rest hinterher, und auch das Kind trank an der Brust seiner Mutter; nur der Esel stand da und hatte kein einziges Hälmchen zu kauen. Es wuchs da überhaupt nichts, nur etliche Disteln im Geröll. "Gnädiger Herr!" sagte der Esel erbost und richtete eine lange Rede an das Jesuskind; eine Eselsrede zwar, aber ausgekocht scharfsinnig und ungemein deutlich in allem, worüber die leidende Kreatur vor Gott zu klagen hat. "I-a! " schrie er am Schluss, das heißt: "So wahr ich ein Esel bin!"

Das Kind hörte alles aufmerksam an. Als der Esel fertig war, beugte er sich herab und brach einen Distelstängel; den bot es ihm an.

"Gut!" sagte er, bis ins Innerste beleidigt. "So fresse ich eben eine Distel! Aber in deiner Weisheit wirst du voraussehen, was dann geschieht. Die Stacheln werden mir den Bauch zerstechen, so dass ich sterben muss, und dann seht zu, wie ihr nach Ägypten kommt!"
Wütend biss er in das harte Kraut, und sogleich blieb ihm das Maul offen stehen; denn die Distel schmeckte durchaus nicht, wie er es erwartet hatte, sondern nach süßestem Honigklee, nach würzigstem Gemüse. Niemand kann sich etwas derart Köstliches vorstellen, er wäre denn ein Esel.

Für diesmal vergaß der Graue seinen ganzen Groll. Er legte seine langen Ohren andächtig über sich zusammen, was bei einem Esel soviel bedeutet, wie wenn unsereins die Hände faltet.

Karl Heinrich Waggerl
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struwwelpeter
10.12.2006, 22:44
Die verlorene Weihnachtsgeschichte
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Es gab einmal einen Engel, der hatte eigentlich seinen festen Platz bei den himmlischen Heerscharen und hatte bis jetzt auch noch an nichts anderes gedacht, als zur rechten Zeit seine Harfe anzuschlagen und seinen weißen Arbeitsanzug sauber zu halten. Das ging schon seit vielen tausend Jahren so und Jonny, so hieß er, hätte sich nicht träumen lassen, dass sich daran noch mal etwas ändern würde. Träumen war übrigens auch nicht seine Sache, war er selber doch nicht weniger als ein Traum.

Aber es kam doch anders. Der Herrgott, den er immer sehr gerne mochte, weil er immer so schön gütig war und sich noch nie beschwert hatte, wenn er mal einen falschen Ton auf seiner Harfe angeschlagen hatte, hatte nämlich einen himmlischen Plan gefasst. Und zwar hatte er sich entschlossen, dass es an der Zeit wäre, den Menschen ein Zeichen zu geben, dass es den Herrgott noch gäbe.

Dazu schien es Gott auch höchste Zeit zu sein, denn die Menschen waren gerade
eifrig dabei, immer mehr von dem kaputt zu machen, was er doch mal mit so viel Mühe geschaffen hatte. Gott wurde angst und bange, wenn er nach unten blickte. Gerade neulich hatte ihn wieder ein furchtbarer Knall aus dem Schlaf gerissen und es hatte bis zu ihm herauf geblitzt. Den Engeln hatte es fast den Heiligenschein weggeblasen.

Gott rief also den Jonny zu sich und sprach sehr lange und ernsthaft mit ihm über seine Sorgen. Schon einmal hätte er versucht, den Menschen etwas Klarheit zu schenken, damit sie nicht mehr soviel kaputt machen müssten. Damals hätten sie da unten schon die gleichen Probleme gehabt: Die einen waren reich und die anderen versklavt und glücklich war niemand.

Damals war auch ein Bote auf die Erde geschickt worden, erzählte Herrgott. Aber die Mission war nicht wunschgemäß verlaufen: Zuerst war der menschliche Körper des Boten ermordet worden und dann hatten die Menschen noch eine fürchterlich sentimentale Geschichte aus seinem Leben gemacht. Eine Geschichte, die sich die Menschen zwar immer wieder zur Belebung des Weihnachtsfestes anhörten aber überhaupt nicht mehr zuhörten. Und daher kam die Liebe, die in der Geschichte steckte, überhaupt nicht mehr hervor und die Welt wurde kälter und kälter.

Darum hatte sich Gott also nun entschlossen, einen neuen Versuch zu starten, bevor sich die Menschen vor lauter Unglück alle gegenseitig umgebracht hatten.

Also meinte Gott: "Pass auf Jonny, du nimmst dir jetzt deine Harfe, ziehst deinen leuchtenden Arbeitsanzug an und dann gehst du runter auf die Erde. Dort musst du dir dann jemanden suchen, der oder die diese Weihnachtsgeschichte wirklich und ernsthaft verstanden hat. Den oder die musst du dann bitten und ermutigen und ihm oder ihr die Kraft geben, sie allen anderen Menschen zu erzählen. Während dieser Erzählungen musst du dann immer auf deiner himmlischen Harfe spielen, damit sie das Herz der Menschen aufschließt. Alles was in der Weihnachtsgeschichte erzählt wird, wird dann direkt in das Herz der Menschen dringen und dann ist die Welt bestimmt gerettet."

So einfach war das also. Jonny war begeistert. Da Heiligabend nicht mehr fern war, machte er sich auch gleich auf den Weg zu den Menschen. Er überlegte, welche Menschen die Weihnachtsgeschichte wohl am dringendsten nötig hätten. Nachdem er einige Zeit auf die Erde heruntergeschaut hatte, kam er auf die sogenannten zivilisierten Menschen in diesen sogenannten reichen Ländern.

Es war aber gar nicht einfach in diesen Ländern einen Menschen zu finden, der als Erzähler oder Erzählern in Frage käme.

In einer Einkaufsstraße fand Jonny einen Mann mit einem gemütlich aussehenden Bart, einer Zipfelmütze und mit Kindern um ihn herumstehend, der erzählte Weihnachtsmärchen. "Das muss er sein," dachte Jonny und schwebte zu ihm herunter.

Aber um so näher er kam um so verwirrter wurde er: die Kinder hörten ja gar nicht zu! Woran lag das nur? Und dann merkte er, dass der Mann in ein Mikrophon sprach so dass die Kinder gar nicht seine wirkliche Stimme hörten sondern nur ein hässliches Gekrächze. Und der Bart war nicht echt, die Mütze war aus Pappe und als er dann noch in die Gedanken des Mannes schaute, sah er dort nur seine nächste Gehaltsabrechnung. Die Geschichte, die er erzählte, interessierte ihn überhaupt nicht, obwohl sie wirklich sehr schön war. Außerdem war er noch von so hellen Lampen angeleuchtet, dass er seine Zuhörerschaft gar nicht anschauen konnte.

Das war es also nicht. Schnell schwebte Jonny weiter. "Sind die Menschen etwa alle so?" fragte er sich verzweifelt. Da kam er an einer Kirche vorbei, die war zu Ehren Gottes aufgebaut worden, erinnerte er sich. Das musste also eine Stelle sein, wo die Menschen noch von Gott und seiner Liebe wussten. Schnell schwebte Jonny herunter. Tatsächlich, der Oberpriester erzählte gerade die Weihnachtsgeschichte. Aber was war das? Die wenigen Zuhörer waren ja gar nicht von der Liebe der Geschichte erfüllt!

Wäre das der Fall gewesen hätten sie sich doch umarmen müssen, zumindest ab und zu einmal anlächeln. Aber nichts von alledem. Jonny spürte auch den Grund. Der Pastor glaubte und fühlte selbst nicht, was er erzählte. Er hatte die Geschichte jahrelang studiert, zerpflückt, analysiert, hinterfragt, so dass von der Wärme, den feinen unberührbaren Zusammenhängen nichts mehr übrig war. Deshalb konnte er die Geschichten auch nicht mehr erzählen. Er erzählte den Menschen daher Dinge aus ihrer Welt, einer Welt, die sie kannten, deren Einsamkeit sie kannten und in der sie es dem Pastor natürlich auch nicht glaubten, wenn er von Gemeinsamkeit und Nächstenliebe sprach.

Niedergeschlagen verließ Jonny die Kirche. Sollte es auf dieser Welt etwa niemanden mehr geben, der die Weihnachtsgeschichte wirklich erzählen konnte? Er schwebte weiter, vorbei an den hektischen, Geschenke hortenden Menschen, den stinkenden Autos und dem Lärm. Solange, bis es stiller wurde, bis die Menschen weniger und stiller wurden, bis dahin, wo die Stadt den Schnee nicht mehr zu einem endlosen grauen Matsch einschmolz und noch weiter.

Und Jonny fand ein kleines Dorf, im Norden eine Kirche, in der Mitte ein Haus, darin ein warmes Zimmer mit einem Ofen und daneben ein Mädchen hinter einem Spinnrad. Es spann Wolle und dachte dabei an die Schafe, die die Wolle für die Menschen hergaben und an die Hirten, die dort draußen in der Kälte auf die Schafe aufpassten. Und das Mädchen mochte die Schafe und die Hirten und überhaupt die Menschen und ganz besonders die Kinder. Es spürte deshalb, was die unschuldige Liebe eines Kindes der Welt der Erwachsenen geben konnte und dass manche der Hirten dort draußen in der Kälte sehr viel mehr Wärme übrig hatten, als dieser Landpfleger in seinem warmen Palast.

Und was das Wichtigste für Jonny war, das Mädchen kannte auch die Weihnachtsgeschichte. Sie erzählte sie manchmal kleinen Kindern, auf die sie aufpasste um Geld zu verdienen und sie wurde auch verstanden. Die Augen der Zuhörer fingen dann an zu leuchten und die Wärme der Geschichte sprang auf sie über. Nur die meisten älteren Leute verstanden nur wenig. Deren Herzen waren schon zu fest verriegelt.

"Endlich," dachte Jonny, "hier ist meine Aufgabe, hier habe ich den Menschen gefunden, der die Welt retten kann.

Und Jonny holte seine Harfe heraus und schlug sie an. Plötzlich war die Welt um das Mädchen wie verzaubert. Menschen, die vorher gar kein Interesse an der Geschichte hatten, kamen plötzlich herbei, baten, die Geschichte zu erzählen, hörten zu, tauten innen drin auf, wurden lebendig und verstanden die Geschichte mit Begeisterung. Ihre Herzen schlugen höher und die Menschen erzählten die Geschichte weiter, denn sie hatten gemerkt, wie viel Liebe sich Menschen geben können.

Die Menschen sahen auf einmal, wie grau die Welt, die sie sich erschaffen hatten war. Sie wollten auf einmal leben, weil sie an das lebende Kind im Stall von Bethlehem dachten. Sie nahmen alle ihre Bomben auseinander und verbuddelten sie tief unter der Erde. Dann trafen sie sich überall, um die Weihnachtsgeschichte zu hören und sie nahmen sich die Zeit dazu, die sie vorher nie gehabt zu haben glaubten.

Jonny spielte sich die Finger wund und das Mädchen begann heiser zu werden aber die beiden waren froh. Und Jonny merkte, dass sein Plan oder vielmehr der des lieben Herrgottes aufgegangen war.

Und so gaben die beiden so viel von ihrer doppelten Liebe, der Liebe des Menschen, die mit himmlischer Hilfe auf offene Herzen traf, an die Menschen weiter, dass die Welt ein ganz kleines Stück besser wurde.

Das Einzige, was das Mädchen und auch Jonny nicht wussten und was ihnen manchen Zweifel erspart hätte, war folgendes: Gott hatte viele, viele, viele Jonnys auf die Erde geschickt und in jeder Ecke und überall fanden sie Menschen, ein Mädchen, einen Jungen, einen Mann, eine Frau, die die Weihnachtsgeschichte noch verstanden. Und all die Jonnys halfen all den Menschen, sie weiter zu erzählen. Und darum scheint es doch so zu sein, dass die Welt noch nicht ganz verloren ist.

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Autor unbekannt

struwwelpeter
10.12.2006, 22:46
http://www.bilder-hochladen.net/files/1gop-ab.gifWarum der Engel lachen musste

Die bevorstehende Geburt des Christkinds bereitete den Engeln ziemliches Kopfzerbrechen. Sie mussten nämlich bei ihren Planungen sehr vorsichtig sein, damit die Menschen auf Erden nichts davon bemerkten. Denn schließlich sollte das Kind in aller Stille geboren werden und nicht einen Betrieb um sich haben, wie er in Nazareth auf dem Wochenmarkt herrschte.

Probleme gab es auch bei der Innenausstattung des Stalles von Bethlehem. An der Futterraufe lockerte sich ein Brett aber hat jemand schon einmal einen Engel mit Hammer und Nagel gesehen?! Das Stroh für das Krippenbett fühlte sich hart an, das Heu duftete nicht gut genug, und in der Stalllaterne fehlte das Öl.

Aber auch was die Tiere anbetraf, gab es allerhand zu bedenken. Genau an dem für den Engelschor auserwählten Platz hing ein Wespennest. Das musste ausquartiert werden. Denn wer weiß, ob Wespen einsichtig genug sind, um das Wunder der Heiligen Nacht zu begreifen? Die Fliegen, die sich Ochse und Esel zugesellt hatten, sollten dem göttlichen Kind nicht um das Näslein summen oder es gar im Schlafe stören. Nein, kein Tier durften die Engel vergessen, das etwa in der hochheiligen Nacht Unannehmlichkeiten bereiten könnte.

Unter dem Fußboden im Stall wohnte eine kleine Maus. Es war ein lustiges Mäuslein, das sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen ließ, höchstens, wenn die Katze hinter ihm her war. Aber dann flüchtete es schnell in sein Mäuseloch zurück. Im Herbst hatte die Maus fleißig Früchte und Körner gesammelt; jetzt schlief sie in ihrem gemütlichen Nest. Das ist gut, dachte der verantwortliche Engel, wer schläft, sündigt nicht, und bezog die Maus nicht weiter in seine Überlegungen ein.

Nach getaner Arbeit kehrten die Boten Gottes in den Himmel heim. Ein Engel blieb im Stall zurück; er sollte der Mutter Maria in ihrer schweren Stunde beistehen. Damit aber keiner merkten konnte, dass er ein Engel war, nahm er seine Flügel ab und legte sie sorgsam in eine Ecke des Stalles. Als die Mutter Maria das Kind gebar, war sie sehr dankbar für die Hilfe des Engels.

Denn kurz darauf kamen schon die Hirten, nachdem sie die frohe Botschaft gehört hatten, und der Hütehund und die Schafe. Obwohl die Männer sich bemühten, leise zu sein, und sozusagen auf Zehenspitzen gingen, klangen ihre Schritte doch hart und der Bretterboden knarrte. War es da ein Wunder, dass die Maus in ihrem Nest aufwachte? Sie lugte zum Mäuseloch hinaus und hörte die Stimme " Ein Kind ist uns geboren ...", konnte aber nichts sehen.

Neugierig verließ sie ihr schützendes Nest und schon war die Katze hinter ihr: Schnell wollte das Mäuslein in sein Mäuseloch zurück, aber ein Hirte hatte inzwischen seinen Fuß darauf gestellt. "Heilige Nacht hin oder her", sagte die Katze zu der entsetzten Maus, "jetzt krieg ich dich!"

Und damit ging die wilde Jagd los. Die Maus in ihrer Angst flitzte von einer Ecke in die andere, sauste zwischen den Beinen der Hirten hindurch, huschte unter die Krippe und die Katze immer hinterher: Zwischenzeitlich bellte der Hütehund und die Schafe blökten ängstlich. Irgendwo gackerte aufgeregt eine Henne.

Die Hirten wussten nicht recht, was los war, denn eigentlich waren sie gekommen, um das Kind anzubeten. Aber sie konnten ja ihr eigenes Wort nicht mehr verstehen, und alles rannte durcheinander: Es ging zu wie in Nazareth auf dem Wochenmarkt.

Als die Engel im Himmel das sahen, ließen sie buchstäblich ihre Flügel hängen. Es ist tröstlich zu wissen, dass auch so unfehlbare Wesen wie Engel nicht an alles denken. Das Mäuslein indessen befand sich in Todesangst. Es glaubte seine letzte Sekunde schon gekommen, da flüchtete es in seiner Not unter die Engelsflügel. lm gleichen Moment fühlte es sich sachte hochgehoben und dem Zugriff der Katze entzogen. Das Mäuslein wusste nicht, wie ihm geschah. Es schwebte bis unters Dachgebälk, dort hielt es sich fest. Außerdem hatte es jetzt einen weiten Blick auf das ganze Geschehen im Stall.

Die Katze suchte noch ungläubig jeden Winkel ab, aber sonst hatte sich alles beruhigt. Der Hütehund, bewachte die ruhenden Schafe. Die Hirten knieten vor der Krippe und brachten dem Christkind Geschenke dar. Alles Licht und alle Wärme gingen von diesem Kinde aus. Das Christkind lächelte der Maus zu, als wollte es sagen, "Gell, wir wissen schon, wen die Katze hier herunten sucht". Sonst hatte niemand etwas von dem Vorkommnis bemerkt.

Außer dem Engel, der heimlich lachen musste, als er die Maus mit seinen Flügeln sah. Er kicherte und gluckste trotz der hochheiligen Stunde so sehr, dass sich der heilige Josef schon irritiert am Kopf kratzte.
Es sah aber auch zu komisch aus, wie die kleine Maus mit den großen Flügeln in die Höhe schwebte. Die erstaunte Maus hing also oben im Dachgebälk in Sicherheit.

Und ihre Nachkommen erzählen sich noch heute in der Heiligen Nacht diese Geschichte. Macht ihnen die Speicher und Türme auf, damit sie eine Heimat finden - die Fledermäuse - wie damals im Stall von Bethlehem.
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struwwelpeter
13.12.2006, 04:13
Der glückliche kleine Vogelhttp://www.bilder-hochladen.net/files/1gop-al.gif

Zizibä saß in einem kahlen Fliederbusch und fror. Zizibä war ein kleiner Vogel . Er hatte sein Federkleid dick aufgeplustert, weil's dann ein wenig wärmer war. Da saß er wie ein dicker, runder ball, und keiner ahnte, wie dünn sein Körper drunter aussah. Zizibä hatte die Augen zu. Er mochte schon gar nicht mehr hinsehen, wie die Schneeflocken endlos vom Himmel herunterfielen und alles zudeckten. Alle Futterplätze waren zugeschneit. Ach und Hunger tat so weh. Zwei Freunde von Zizibä waren schon gestorben. Stellt Euch mal vor, Ihr müsstet in einem kahlen Strauch sitzen, ganz alleine im Schnee, und hättet nichts zu essen. Kein Frühstück, kein Mittagessen - und abends müsstet Ihr hungrig einschlafen, ganz allein draußen im leeren Fliederbusch, wo's dunkel ist und kalt. Das wäre doch schlimm.

Zizibä musste das alles erleiden. Er saß da und rührte sich nicht. Nur manchmal schüttelte er den Schnee aus den Federn. Wieder ging ein hungriger Tag zu Ende. Zizibä wollte einschlafen. Er hörte plötzlich ein liebliches Geklingel. Dann wurde es hell und warm, und Zizibä dachte: Oh, das ist gewiss der Frühling. Aber es war der Weihnachtsengel. Er kam daher mit einem Schlitten voller Weihnachtspakete. Er sang vergnügt. "Morgen Kinder wird's was geben..." und leuchtete mit seinem Laternchen den Weg. Da entdeckte er auch unseren Zizibä. "Guten Abend", sagte der Engel, "warum bist du so traurig?" - "Ich hab' so Hunger", piepste Zizibä und machte vor Kummer wieder die Augen zu. - "Du armer kleiner", sagte der Engel, "ich habe auch nichts zu essen dabei. Woher kriegen wir nur was für dich?" Aber das war's ja, was Zizibä auch nicht wusste. Doch dann hatte der Engel eine himmlische Idee.

"Warte", sagte er, "ich werde dir helfen. Bis morgen ist alles gut. Schlaf nur ganz ruhig." Aber Zizibä war schon eingeschlafen und merkte gar nicht, wie der Engel weiterzog und im nächsten Haus verschwand.

Im nächsten Haus wohnte Franz. Das war ein netter, kleiner Bub. Jetzt lag er im Bett und schlief und träumte von Weihnachten. Der Engel schwebte leise herzu , wie eben Engel schweben, und beugte sich über ihn. Leise, leise flüsterte er ihm etwas ins Ohr, und was Engel sprechen, das geht gleich ins Herz. Der Franz verstand auch sofort, um was sich's handelt, obwohl er fest schlief.

Als er am nächsten Morgen wach wurde, rieb er sich die Augen und guckte zum Fenster hinaus. "Ei, so viel Schnee", rief er, sprang aus dem Bett, riss das Fenster auf und fuhr mit beiden Händen in den Schnee. Dann machte er einen dicken Schneeball und warf ihn aus Übermut hoch in die Luft. Plötzlich hielt er inne. Wie war das noch heute Nacht? Hatte er nicht irgend etwas versprochen? Richtig, da fiel's ihm ein. Er sollte dem Zizibä Futter besorgen.

Der Franz fegte den Schnee vom Fensterbrett und rannte zur Mutter in die Küche. "Guten Morgen, ich will den Zizibä füttern, ich brauch Kuchen und Wurst!", rief er. - "Das ist aber nett, dass du daran denkst", sagte die Mutter, "aber Kuchen und Wurst taugen nicht als Futter. Der Kuchen weicht auf, und die Wurst ist viel zu salzig. Da wird der arme Zizibä statt an Hunger an Bauchschmerzen sterben."

Die Mutter ging und holte eine Tüte Sonnenblumenkerne. "Die sind viel besser", sagte sie. Der Franz streute die Kerne aufs Fensterbrett und rief: "Guten Appetit, Zizibä!" Dann musste er sausen, um noch rechtzeitig zur Schule zu kommen.

Als die Schule aus war, kam er auf dem Nachhauseweg beim Samenhändler Korn vorbei. Der Franz ging in den Laden und sagte: "Ich hätte gern Futter für die Vögel im Garten." Er legte sein ganzes Taschengeld auf den Tisch. Dafür bekam er eine große Tüte voll Samen und Meisenringe.

Nun rannte er nach Hause zu seinem Fensterbrett. Aber - o weh - da war alles zugeschneit. Doch die Körner waren verschwunden. Die hatte Zizibä noch rechtzeitig entdeckt. Er hatte seine Vettern und Kusinen herbeigeholt, und sie hatten sich einen guten Tag gemacht, während der Franz in der Schule war. Es darf nicht wieder alles zuschneien, dachte der Franz, und als sein Vater am Nachmittag heimkam, machten sie sich gleich daran und zimmerten ein wunderschönes Futterhaus. Das hängten sie vor dem Fenster auf.

Am nächsten Tag sprach sich's bei der ganzen Vogelgesellschaft herum, dass es beim Franz etwas Gutes zu essen gab. Das war eine große Freude, denn kein Vogel brauchte mehr vor Hunger zu sterben, und abends, wenn der Engel vorbeikam, sah er nur satte und zufriedene Vögel friedlich schlummern. Dafür legte er dem Franz noch ein Extra-Geschenk unter den Weihnachtsbaum, und es wurde ein wunderschönes Fest.
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Autor unbekannt

struwwelpeter
13.12.2006, 04:16
Das kleine Schneeflöckchen
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Es war Winter, dicke Schneeflocken wirbelten durch die Luft und bedeckten die Stadt mit einer dicken, weißen Decke. In den Fenstern funkelten Kerzenlichter, es wurde gebacken und der Christbaum geschmückt; denn morgen war Heiligabend. Alle freuten sich auf das Weihnachtsfest, Kinder spielten vergnügt im Garten. Auf den Straßen roch es nach frischem Lebkuchen. Doch nicht alle Kinder waren fröhlich. Ein kranker Junge saß mit traurigen Augen am Fenster und beobachtete das Schneetreiben. Er hatte einen Schal um den Hals gewickelt und seine Nase war ganz rot. Während die Kinder draußen ausgelassen Schneeflocken fingen und einen großen Schneemann bauten, musste er in seinem Bett liegen, weil er Schnupfen und Husten hatte.

So saß er da und schaute den Schneeflocken nach, die an seinem Fenster vorbei wehten. Eine von ihnen - die Kleinste - setzte sich auf sein Fensterbrett, um sich vom Fliegen zu erholen. Sie sah den kranken, traurigen Jungen am Fenster und erzählte es den anderen Schneeflocken. Sie fassten einen Plan. Zusammen flogen sie zu dem kranken Jungen und setzten sich an die Fensterscheibe. Der kranke Junge schaute immer noch mit traurigen Augen aus dem Fenster.

Leise flüsterte das kleine Schneeflöckchen der Schneeflocke neben ihr etwas ins Ohr und die flüsterte es zu der nächsten. Dann setzten sie sich alle so auf die Fensterscheibe, dass sie aussahen wie ein großer, weißer Eisstern. Die Augen des kranken Jungen fingen an zu leuchten; jetzt war er gar nicht mehr traurig.
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Um das kleine Schneeflöckchen berühren zu können, streckte er seine Hand zum Fenster. Vorsichtig fasste der kranke Junge an die Scheibe und legte seine Hand auf den Stern aus Schneeflocken. Für ein paar Augenblicke konnte er das kleine Schneeflöckchen ganz nah spüren. Und als er seine Hand wieder wegnahm, hatten sich die Flocken plötzlich zu einem Herz geformt. Sie änderten ständig ihre Form und erfreuten den kranken Jungen mit immer neuen Bildern. Lachend spielte der kranke Junge mit den Schneeflocken an seinem Fenster. Am nächsten Tag war Weihnachten und er würde weiter aus dem Fenster schauen, um die Schneeflocken zu beobachten und gesund zu werden, denn morgen war ja Heiligabend.
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Autor unbekannt

struwwelpeter
15.12.2006, 01:40
Drei merkwürdige Gäste und ein guter Stern


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Die vornehmen Leute aus dem Osten hatten den Stall und die Krippe noch nicht lange verlassen, da trug sich eine seltsame Geschichte in Bethlehem zu, die in keinem Buch verzeichnet ist.



Wie die Reitergruppe der Könige gerade am Horizont verschwand, näherten sich drei merkwürdige Gestalten dem Stall. Die erste trug ein buntes Flickenkleid und kam langsam näher. Zwar war sie wie ein Spaßmacher geschminkt, aber eigentlich wirkte sie hinter ihrer lustigen Maske sehr, sehr traurig. Erst als sie das Kind sah, huschte ein leises Lächeln über ihr Gesicht. Vorsichtig trat sie an die Krippe heran und strich dem Kind zärtlich über das Gesicht. Vorsichtig trat sie an die Krippe heran und strich dem Kind zärtlich über das Gesicht.



"Ich bin die Lebensfreude", sagte sie. "Ich komme zu dir, weil die Menschen nichts mehr zu lachen haben. Sie haben keinen Spaß mehr am Leben. Alles ist so bitterernst geworden." Dann zog sie ihr Flickengewand aus und deckte das Kind damit zu. "Es ist kalt in dieser Welt. Vielleicht kann dich der Mantel des Clowns wärmen und schützen."



Darauf trat die zweite Gestalt vor. Wer genau hinsah, bemerkte ihren gehetzten Blick und spürte, wie sehr sie in Eile war. Als sie aber vor das Kind in der Krippe trat, schien es, als falle alle Hast und Hektik von ihr ab.


"Ich bin die Zeit", sagte die Gestalt und strich dem Kind zärtlich über das Gesicht. "Eigentlich gibt es mich kaum noch. Die Zeit sagt man, vergeht wie im Flug. Darüber haben die Menschen aber ein großes Geheimnis vergessen. Zeit vergeht nicht, Zeit entsteht. Sie wächst wie Blumen und Bäume. Sie wächst überall dort, wo man sie teilt." Dann griff die Gestalt in ihren Mantel und legte ein Stundenglas in die Krippe. "Man hat wenig Zeit in dieser Welt. Diese Sanduhr schenke ich dir, weil es noch nicht zu spät ist. Sie soll dir ein Zeichen dafür sein, dass du immer soviel Zeit hast, wie du dir nimmst und anderen schenkst."



Dann kam die dritte Gestalt an die Reihe. Die hatte ein geschundenes Gesicht voller dicker Narben, so als ob sie immer und immer wieder geschlagen worden wäre. Als sie aber vor das Kind in der Krippe trat, war es, als heilten die Wunden und Verletzungen, die ihr das Leben zugefügt haben musste.


"Ich bin die Liebe", sagte die Gestalt und strich dem Kind zärtlich über das Gesicht. "Es heißt, ich sei viel zu gut für diese Welt. Deshalb tritt man mich mit Füßen und macht mich fertig." Während die Liebe so sprach, musste sie weinen und drei dicke Tränen tropften auf das Kind. "Wer liebt, hat viel zu leiden in dieser Welt. Nimm meine Tränen. Sie sind, wie das Wasser, das den Stein schleift. Sie sind wie der Regen, der den verkrusteten Boden fruchtbar macht und selbst die Wüste zum Blühen bringt."



Da knieten die Lebensfreude, die Zeit und die Liebe vor dem Kind des Himmels. Drei merkwürdige Gäste brachten dem Kind ihre Gaben dar. Das Kind aber schaute die drei an, als ob es sie verstanden hätte. Plötzlich drehte dich die Liebe um und sprach zu den Menschen, die dabeistanden: "Man wird dieses Kind zum Narren machen, man wird es um seine Lebenszeit bringen und es wird viel leiden müssen, weil es bedingungslos lieben wird. Aber weil es Ernst macht mit der Freude und weil es seine Zeit und Liebe verschwendet, wird die Welt nie mehr so wie früher sein. Wegen dieses Kindes steht die Welt unter einem neuen, guten Stern, der alles andere in den Schatten stellt."



Darauf standen die drei Gestalten auf und verließen den Ort. Die Menschen aber, die all das miterlebt hatten, dachten noch lange über diese rätselhaften Worte nach.....



Autor unbekannt


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struwwelpeter
15.12.2006, 01:51
Der allererste Weihnachtsbaum
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Der Weihnachtsmann ging durch den Wald. Er war ärgerlich. Sein weißer Spitz, der sonst immer lustig bellend vor ihm herlief, merkte das und schlich hinter seinem Herrn mit eingezogener Rute her.

Er hatte nämlich nicht mehr die rechte Freude an seiner Tätigkeit. Es war alle Jahre dasselbe. Es war kein Schwung in der Sache. Spielzeug und Esswaren, das war auf die Dauer nichts. Die Kinder freuten sich wohl darüber, aber quieken sollten sie und jubeln und singen, so wollte er es, das taten sie aber nur selten.
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Den ganzen Dezembermonat hatte der Weihnachtsmann schon darüber nachgegrübelt, was er wohl Neues erfinden könne, um einmal wieder eine rechte Weihnachtsfreude in die Kinderwelt zu bringen, eine Weihnachtsfreude, an der auch die Großen teilnehmen würden. Kostbarkeiten durften es auch nicht sein, denn er hatte so und soviel auszugeben und mehr nicht.

So stapfte er denn auch durch den verschneiten Wald, bis er auf dem Kreuzweg war. Dort wollte er das Christkindchen treffen. Mit dem beriet er sich nämlich immer über die Verteilung der Gaben.
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Schon von weitem sah er, dass das Christkindchen da war, denn ein heller Schein war dort. Das Christkindchen hatte ein langes weißes Pelzkleidchen an und lachte über das ganze Gesicht. Denn um es herum lagen große Bündel Kleeheu und Bohnenstiegen und Espen- und Weidenzweige, und daran taten sich die hungrigen Hirsche und Rehe und Hasen gütlich. Sogar für die Sauen gab es etwas: Kastanien, Eicheln und Rüben.

Der Weihnachtsmann nahm seinen Wolkenschieber ab und bot dem Christkindchen die Tageszeit. „Na, Alterchen, wie geht's?“ fragte das Christkind. „Hast wohl schlechte Laune?“ Damit hakte es den Alten unter und ging mit ihm. Hinter ihnen trabte der kleine Spitz, aber er sah gar nicht mehr betrübt aus und hielt seinen Schwanz kühn in die Luft.

„Ja“, sagte der Weihnachtsmann, „die ganze Sache macht mir so recht keinen Spaß mehr. Liegt es am Alter oder an sonst was, ich weiß nicht. Das mit den Pfefferkuchen und den Äpfeln und Nüssen, das ist nichts mehr. Das essen sie auf, und dann ist das Fest vorbei. Man müsste etwas Neues erfinden, etwas, das nicht zum Essen und nicht zum Spielen ist, aber wobei alt und jung singt und lacht und fröhlich wird.“

Das Christkindchen nickte und machte ein nachdenkliches Gesicht; dann sagte es: „Da hast du recht, Alter, mir ist das auch schon aufgefallen. Ich habe daran auch schon gedacht, aber das ist nicht so leicht.“
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„Das ist es ja gerade“, knurrte der Weihnachtsmann, „ich bin zu alt und zu dumm dazu. Ich habe schon richtiges Kopfweh vom vielen Nachdenken, und es fällt mir doch nichts Vernünftiges ein. Wenn es so weitergeht, schläft allmählich die ganze Sache ein, und es wird ein Fest wie alle anderen, von dem die Menschen dann weiter nichts haben als Faulenzen, Essen und Trinken.“

Nachdenklich gingen beide durch den weißen Winterwald, der Weihnachtsmann mit brummigem, das Christkindchen mit nachdenklichem Gesicht. Es war so still im Wald, kein Zweig rührte sich, nur wenn die Eule sich auf einen Ast setzte, fiel ein Stück Schneebehang mit halblautem Ton herab. So kamen die beiden, den Spitz hinter sich, aus dem hohen Holz auf einen alten Kahlschlag, auf dem große und kleine Tannen standen. Das sah wunderschön aus. Der Mond schien hell und klar, alle Sterne leuchteten, der Schnee sah aus wie Silber, und die Tannen standen darin, schwarz und weiß, dass es eine Pracht war. Eine fünf Fuß hohe Tanne, die allein im Vordergrund stand, sah besonders reizend aus. Sie war regelmäßig gewachsen, hatte auf jedem Zweig einen Schneestreifen, an den Zweigspitzen kleine Eiszapfen, und glitzerte und flimmerte nur so im Mondenschein.


Das Christkindchen ließ den Arm des Weihnachtsmannes los, stieß den Alten an, zeigte auf die Tanne und sagte: „Ist das nicht wunderhübsch?“

„Ja“, sagte der Alte, „aber was hilft mir das ?“

„Gib ein paar Äpfel her“, sagte das Christkindchen, „ich habe einen Gedanken.“

Der Weihnachtsmann machte ein dummes Gesicht, denn er konnte es sich nicht recht vorstellen, daß das Christkind bei der Kälte Appetit auf die eiskalten Äpfel hatte. Er hatte zwar noch einen guten alten Schnaps, aber den mochte er dem Christkindchen nicht anbieten.

Er machte sein Tragband ab, stellte seine riesige Kiepe in den Schnee, kramte darin herum und langte ein paar recht schöne Äpfel heraus. Dann faßte er in die Tasche, holte sein Messer heraus, wetzte es an einem Buchenstamm und reichte es dem Christkindchen.

„Sieh, wie schlau du bist“, sagte das Christkindchen. „Nun schneid mal etwas Bindfaden in zwei Finger lange Stücke, und mach mir kleine Pflöckchen.“

Dem Alten kam das alles etwas ulkig vor, aber er sagte nichts und tat, was das Christkind ihm sagte. Als er die Bindfadenenden und die Pflöckchen fertig hatte, nahm das Christkind einen Apfel, steckte ein Pflöckchen hinein, band den Faden daran und hängte den an einen Ast.

„So“, sagte es dann, „nun müssen auch an die anderen welche, und dabei kannst du helfen, aber vorsichtig, dass kein Schnee abfällt!“

Der Alte half, obgleich er nicht wusste, warum. Aber es machte ihm schließlich Spaß, und als die ganze kleine Tanne voll von rotbäckigen Äpfeln hing, da trat er fünf Schritte zurück, lachte und sagte; „Kiek, wie niedlich das aussieht! Aber was hat das alles für'n Zweck?“

„Braucht denn alles gleich einen Zweck zu haben?“ lachte das Christkind.
„Paß auf, das wird noch schöner. Nun gib mal Nüsse her!“

Der Alte krabbelte aus seiner Kiepe Walnüsse heraus und gab sie dem Christkindchen. Das steckte in jedes ein Hölzchen, machte einen Faden daran, rieb immer eine Nuss an der goldenen Oberseite seiner Flügel, dann war die Nuss golden, und die nächste an der silbernen Unterseite seiner Flügel, dann hatte es eine silberne Nuss und hängte sie zwischen die Äpfel.

„Was sagst nun, Alterchen?“ fragte es dann. „Ist das nicht allerliebst?“

„Ja“, sagte der, „aber ich weiß immer noch nicht...“

„Komm schon!“ lachte das Christkindchen. „Hast du Lichter?“

„Lichter nicht“, meinte der Weihnachtsmann, „aber 'nen Wachsstock!“
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„Das ist fein“, sagte das Christkind, nahm den Wachsstock, zerschnitt ihn und drehte erst ein Stück um den Mitteltrieb des Bäumchens und die anderen Stücke um die Zweigenden, bog sie hübsch gerade und sagte dann; „Feuerzeug hast du doch?“

„Gewiss“, sagte der Alte, holte Stein, Stahl und Schwammdose heraus, pinkte Feuer aus dem Stein, ließ den Zunder in der Schwammdose zum Glimmen kommen und steckte daran ein paar Schwefelspäne an. Die gab er dem Christkindchen. Das nahm einen hellbrennenden Schwefelspan und steckte damit erst das oberste Licht an, dann das nächste davon rechts, dann das gegenüberliegende. Und rund um das Bäumchen gehend, brachte es so ein Licht nach dem andern zum Brennen.

Da stand nun das Bäumchen im Schnee; aus seinem halbverschneiten, dunklen Gezweig sahen die roten Backen der Äpfel, die Gold- und Silbernüsse blitzten und funkelten, und die gelben Wachskerzen brannten feierlich. Das Christkindchen lachte über das ganze rosige Gesicht und patschte in die Hände, der alte Weihnachtsmann sah gar nicht mehr so brummig aus, und der kleine Spitz sprang hin und her und bellte.

Als die Lichter ein wenig heruntergebrannt waren, wehte das Christkindchen mit seinen goldsilbernen Flügeln, und da gingen die Lichter aus. Es sagte dem Weihnachtsmann, er solle das Bäumchen vorsichtig absägen. Das tat der, und dann gingen beide den Berg hinab und nahmen das bunte Bäumchen mit.

Als sie in den Ort kamen, schlief schon alles. Beim kleinsten Hause machten die beiden halt. Das Christkindchen machte leise die Tür auf und trat ein; der Weihnachtsmann ging hinterher. In der Stube stand ein dreibeiniger Schemel mit einer durchlochten Platte. Den stellten sie auf den Tisch und steckten den Baum hinein. Der Weihnachtsmann legte dann noch allerlei schöne Dinge, Spielzeug, Kuchen, Äpfel und Nüsse unter den Baum, und dann verließen beide das Haus so leise, wie sie es betreten hatten.

Als der Mann, dem das Häuschen gehörte, am andern Morgen erwachte und den bunten Baum sah, da staunte er und wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Als er aber an dem Türpfosten, den des Christkinds Flügel gestreift hatte, Gold- und Silberflimmer hängen sah, da wusste er Bescheid. Er steckte die Lichter an dem Bäumchen an und weckte Frau und Kinder. Das war eine Freude in dem kleinen Haus wie an keinem Weihnachtstag. Keines von den Kindern sah nach dem Spielzeug, nach dem Kuchen und den Äpfeln, sie sahen nur alle nach dem Lichterbaum. Sie fassten sich an den Händen, tanzten um den Baum und sangen alle Weihnachtslieder, die sie wussten, und selbst das Kleinste, das noch auf dem Arm getragen wurde, krähte, was es krähen konnte.

Als es hellichter Tag geworden war, da kamen die Freunde und Verwandten des Bergmanns, sahen sich das Bäumchen an, freuten sich darüber und gingen gleich in den Wald, um sich für ihre Kinder auch ein Weihnachtsbäumchen zu holen. Die anderen Leute, die das sahen, machten es nach, jeder holte sich einen Tannenbaum und putzte ihn an, der eine so, der andere so, aber Lichter, Äpfel und Nüsse hängten sie alle daran.

Als es dann Abend wurde, brannte im ganzen Dorf Haus bei Haus ein Weihnachtsbaum, überall hörte man Weihnachtslieder und das Jubeln und Lachen der Kinder.

Von da aus ist der Weihnachtsbaum über ganz Deutschland gewandert und von da über die ganze Erde. Weil aber der erste Weihnachtsbaum am Morgen brannte, so wird in manchen Gegenden den Kindern morgens beschert.

struwwelpeter
17.12.2006, 00:04
Die vier Kerzen http://www.ingrid-gremme.de/assets/images/w_kerzen1.gif


Vier Kerzen brannten am Adventskranz. So still, dass man hörte, wie die Kerzen zu reden begannen.

Die erste Kerze seufzte und sagte: "Ich heiße Frieden.
Mein Licht leuchtet, aber die Menschen halten keinen Frieden. "
Ihr Licht wurde immer kleiner und verlosch schließlich ganz.

Die zweite Kerze flackerte und sagte: "Ich heiße Glauben.
Aber ich bin überflüssig. Die Menschen wollen von Gott nichts wissen.
Es hat keinen Sinn mehr, dass ich brenne."
Ein Luftzug wehte durch den Raum, und die zweite Kerze war aus.
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Leise und traurig meldete sich nun die dritte Kerze zu Wort. "Ich heiße Liebe.
Ich habe keine Kraft mehr zu brennen. Die Menschen stellen mich an die Seite. Sie sehen nur sich selbst und nicht die anderen, die sie lieb haben sollen. "
Und mit einem letzten Aufflackern war auch dieses Licht ausgelöscht.

Da kam ein Kind in das Zimmer. Es schaute die Kerzen an und sagte:
"Aber, aber, Ihr sollt doch brennen und nicht aus sein!" Und fast fing es an zu weinen.

Da meldete sich auch die vierte Kerze zu Wort.
Sie sagte: "Hab keine Angst!
Solange ich brenne, können wir auch die anderen Kerzen wieder anzünden.
Ich heiße Hoffnung."

Mit einem Streichholz nahm das Kind Licht von dieser Kerze und zündete die anderen Lichter wieder an.


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struwwelpeter
17.12.2006, 00:09
Die Weihnachtsverpflichtung
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"Du Bruderherz, wie hältst du es diesmal mit Weihnachten? Ich meine – fährst du wieder zur Mutter, oder hast du sonst was vor?"
Die Stimme am anderen Ende der Leitung klingt sarkastisch: "Ob ich anderes vorhabe ist gut! Klar würde ich lieber gleich zum Skilaufen fahren – und Marion natürlich auch. sie hält mich total sentimental, dass ich am Heiligabend bei Mutter sein muss."
"Bei mit ist es genauso. Aber jetzt, da sie allein ist, können wir schlecht anders. Wenigstens Heiligabend und am ersten Feiertag sollten wir schon da sein. Mir wird zwar jetzt schon unbehaglich, wenn ich an Mutters Weihnachtsbrimborium denke, aber wir werden's wohl überstehen."
"Im letzten Jahr haben wir ihr allerdings tüchtig unsere Meinung gesagt, weißt du noch?"
"Und ob! Von der verlogenen Gefühlsduselei, die weder mit dem religiösen Gehalt des Festes noch mit unserer Lebenssituation viel zu tun hat. Sie hat arg geschluckt daran und seitdem nie mehr darüber gesprochen."
"Glaub doch nicht, dass du einen Menschen in ihrem Alter noch ändern kannst. Aber ich freue mich, dich wiederzusehen; kommt ja schließlich auch nicht mehr häufig vor."
Martin Leichtbauer legte den Hörer auf die Gabel und stellte zu seinem eigenen Verwundern fest, dass er erleichtert war, ja dass er sich freute auf die vermeintliche Verpflichtung, Weihnachten bei der Mutter verleben zu müssen ....
Als er am frühen Nachmittag des 24. Dezember an der Wohnungstür seiner Mutter klingelte, öffnete sein Bruder die Tür.
"Prima, dass du da bist, vor etwa 10 Minuten bin ich angekommen!"
"Und Mutter?" "Sie ist im Weihnachtszimmer – Wohnzimmer, meine ich. Da darf ja eh und je vor Heiligabend niemand rein. Ich glaube, es würde ihr ganz gut passen, wenn wir noch eine Weile aus den Füßen wären – und ich hätte Lust, vor Einbruch der Dunkelheit mit dir einen Spaziergang zu machen. Auf den Pfaden unserer Kindheit", fügte er lachend hinzu.
Die Straßen waren ziemlich menschenleer, als die beiden Brüder nebeneinander durch die früh einsetzende Dämmerung des Heiligen Abends gingen.
"schon ein komisches Gefühl, als Erwachsener über dieselben Straßen zu gehen, die man als Junge so gut gekannt hat. es ist dasselbe und doch überhaupt nicht mehr dasselbe .....", sagte Martin.
"Wir haben uns verändert", antwortete ihm der Bruder, "sehr sogar – und die Straßen auch. schau mal da, wo jetzt diese grässliche Tankstelle steht, war früher das windschiefe Fachwerkhäuschen der alten Frau Übertür. Erinnerst du dich nicht mehr an sie? Wir klopften im Vorbeilaufen immer an ihre Tür und hatten unseren Spaß daran, wenn sie schimpfend mit ihrem Besen gerannt kam ... Man hat sie dann in ein Heim gebracht und das Haus abgerissen ..."
"Du, ich muss lange nicht mehr hier gewesen sein – da hinten, wo früher Weiden standen, ist jetzt eine Fabrik. Aus dem Holz der Weiden haben wir uns Flöten gemacht ... Und wo ist der Bach, der dort floss?"
"Längst kanalisiert und überbaut. Das ganze Gebiet, in dem man abends die Frösche quaken und so viele Vögel singen hörte, ist trockengelegt und zu einem Industriegeländer gemacht worden. Hat dir Mutter nicht die Zeitungen geschickt damals, als die Entscheidung dafür im Stadtrat zur Diskussion stand? Man müsse den Mut haben, alte Zöpfe abzuschneiden und sich den Gegebenheiten und Erfordernissen der Jetztzeit anzupassen, lautete die verherrschende Meinung."

Martin spürte, wie ein Schaudern ihn überlief. Er klappte den Kragen seines Mantels nach oben, zog unwillkürlich die Schultern hoch und suchte mit den Augen so etwas wie einen tröstenden Halt, einen Schutz. Seine Blicke aber irrten vergeblich den Horizont entlang über die düsteren Silhouetten von Schornsteinen, Hochhäusern und Hochspannungsmasten. - "Lass uns nach Hause gehen", sagte er, "es ist ungemütlich hier und Mutter wird fertig sein.
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"Meinst du nicht, dass es ihr einen Knacks gegeben hat, als wir letztes Jahr über ihr Bürgerweihnachten gelästert haben? Die Künstlichkeit der trauten Stimmung, des Singenmüssens, die Zwänge der Gottesdienste und Mahlzeiten - statt eines lockeren Ausschlafens . . "
"Du, ich habe den Eindruck, dass das alles für Mutter gar nicht künstlich ist, ihr gibt das alles was. Da, sieh mal, in unserer Wohnung brennt schon der Weihnachtsbaum und - ist das nicht Mutters Stimme?"

Die beiden waren wieder vor dem Haus ihrer Mutter angekommen. Aus dem oberen Stockwerk konnte man deutlich die Klänge eines Klaviers und eine Frauenstimme vernehmen: "Vom Himmel hoch, da komm ich her . . "

"Sie übt sicher für das gemeinsame Krippenprogramm, räusper dich schon mal. Wollen wir klingeln?"
"Wart noch einen Moment, gleich ist sie fertig. - Du, sie fängt noch ein Lied an: Es ist ein Ros' entsprungen - ihre alten Lieblingslieder. Und dass der Weihnachtsbaum schon brennt! Vielleicht haben wir uns verspätet, und sie ist jetzt ärgerlich?"
Auf das Klingelzeichen brach der Gesang ab. Die Mutter öffnete die Türe, ein strahlendes Leuchten im Gesicht. "Kommt rein, ich habe den Baum schon angezündet!"
Das Zimmer war - wie in den Kindheitstagen - warm, glänzend, duftend. Schweigend standen alle, schauten in die Krippe, in die Lichter der Kerzen, das sich in der aufsteigenden Wärme leicht bewegende Lametta ... Und war vorher alles Kälte und Unbehagen, so war jetzt alles voller Wärme und Gemütlichkeit.

"Wollt ihr nicht eure Geschenke anschauen?" Mutter ergriff die beiden bei den Armen und führte sie zum Gabentisch. Die Brüder zögerten etwas und tauschten einen kurzen, ratlosen Blick aus, der zu sagen schien: Wieso denn jetzt schon Gabentisch, da stand doch früher immer Weihnachtsevangelium und Krippensingen auf dem Programm? Mutter aber schien unbeirrt und völlig gelöst und heiter. Nachdem die Geschenke ausgetauscht und besichtigt waren, legte sie eine Schallplatte auf und sagte: "Im Kühlschrank stehen belegte Brote, ist jemand so nett und holt sie? - Ich bin ja lernfähig", fügte sie lächelnd hinzu. "In: letzten Jahr habt ihr gesagt, die üppigen Mahlzeiten wären euch zuviel, und ohne den ganzen Arbeitsaufwand hätten wir viel mehr Zeit füreinander. Das stimmt. Wer holt eine gute Flasche aus dem Keller?"

Die Wurstbrote schmeckten gut, trotzdem war da etwas, was die Bissen nicht so recht rutschen ließ ... An Mutter konnte, es nicht liegen, die sprudelte nur so vor ungebremster Erzählfreude und schien den Abend mit vollen Zügen zu genießen. "Aber ich rede die ganze Zeit", unterbrach sie sich schließlich. "Was ' gibt es bei euch?, erzählt doch mal!" "Ach Mutter, weißt du, wir sind noch etwas betroffen von den Veränderungen, die wir eben auf dem Spazierweg festgestellt haben: Das Fachwerkhaus der alten Übertor abgerissen, die Weiden sind weg, und sogar den Bach gibt es nicht mehr."

"Es hat sich soviel verändert, und irgendwie ist alles kälter und hässlicher geworden", fügte der Bruder hinzu.

Eine Weile saßen sie schweigend. "Mutter, was hast du weiter vor?" Hans versuchte einen neuen Gesprächsbeginn, "jch meine: wie geht es jetzt weiter in deinem Programm?"
Eine kleine, etwas peinliche Pause entstand.
"Ich habe kein Programm für euch", sagte die Mutter schließlich leise. "Ihr habt mir letztes Jahr vorgeworfen, ich zwänge euch zu einer Art des Feierns, die längst nicht mehr die eure wäre. Das muss und kann ich akzeptieren. So will ich euch sagen, wie ich für mich Weihnachten feiern will: Ich werde nachher in die Mette gehen und morgen ausschlafen. Ihr könnt zur Kirche mitkommen oder hier bleiben - wie ihr wollt. Ihr habt mir letztes Jahr gesagt, die üppigen Mahlzeiten belasteten euch nur, und da mir selber daran nichts liegt, habe ich diesmal ganz darauf verzichtet und somit viel mehr freie Zeit. Vielleicht essen wir morgen zu Mittag Schinkentoast? Wenn ihr wollt, können wir dann gemeinsam etwas spazieren gehen. Am Abend, wenn ihr dann wieder weg seid, wird eine Freundin mit ihrer Blockflöte kommen." Sie sah fast etwas verlegen, aber sehr glücklich aus, als sie nach ein paar Minuten des Schweigens fortfuhr: "Wenn wir dann nicht in den Spiegel schauen, fühlen wir uns wie in unserer Jugend ..., wir singen einstimmig, zweistimmig, mit Klavier, mit Flöte, lesen uns dann gegenseitig Weihnachtsgeschichten vor - und lassen dabei all unsere kitschigen, nostalgischen. Weihnachtsgefühle zu. Es tut uns einfach gut - und glaubt nicht, dass ich deswegen weniger an die gedacht hätte, denen es Weihnachten nicht so gut geht wie uns."

"Das wissen wir von dir, Mutter, aber" - Martins Stimme klang unsicher -, "wollen wir nicht vielleicht jetzt doch etwas gemeinsam singen? Du tust es doch gerne, oder?"

Auf Mutters Gesicht trat ein bestimmter, ablehnender Zug. "Nein, ihr sollt nichts tun, was, ihr nur mir zuliebe tut. Außerdem - selbst wenn ich wollte, könnte ich gar nicht mehr unbefangen mit euch so feiern, wie wir das früher immer getan haben, als ich noch dachte, dass es euch genauso viel Freude macht wie mir." "Irgendwie hat es uns wohl auch Freude gemacht....", lenkte Hans ein, aber die Mutter blieb hart.
"Glaubt ihr, selbst wenn ich euch den Gefallen tun wollte - ich könnte jetzt gar nicht. Man kann eine gefällte Linde nicht plötzlich wieder aufrichten, wenn man nachträglich zu der Meinung gekommen, ist, dass sie doch eigentlich ganz hübsch aussah. Ebenso wenig lassen sich ausgerottete Frösche und Vögel plötzlich wieder einbürgern, lässt sich ein planierter Bach wieder zu einem natürlichen ungezügelten Gewässer machen - und lässt sich eine alte Tradition wieder herstellen, wenn sie einmal kaputtgemacht worden ist."

Eine Weile saßen alle ganz still, sahen auf ihre Weingläser, in deren Rund sich der Weihnachtsbaum mit all seinen Kerzen verhalten leuchtend vervielfältigte, und hörten den Kinderstimmen zu, die aus dem Plattenspieler drangen: Oh, du fröhliche ...

"Das war kein Vorwurf an euch, glaubt mir das bitte", ließ sich Mutters Stimme wieder vernehmen. "Ich gebe zu, dass mir eure Kritik letztes Jahr hart angekommen ist. Ihr habt eure Bedürfnisse und Wünsche, und ich habe meine. Ich weiß jetzt sogar ganz deutlich, wie das aussieht, was ich für mich will und brauche. Für mich ist das alles ganz in Ordnung so." Nach einer kleinen Pause fügte sie leise hinzu:

"Und ich hoffe, für euch auch ......"http://www.bilder-hochladen.net/files/1gop-bd.gif

Lydia Strzebniok

struwwelpeter
20.12.2006, 03:04
Der Engel Heinrich
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Als ich dieses Jahr meine Pyramide und die Krippe und die zweiunddreißig Weihnachtsengel wieder einpackte, behielt ich den letzten in der Hand.

"Du bleibst", sagte ich. "Du kommst auf meinen Schreibtisch. Ich brauche ein bisschen Weihnachtsfreude für das ganze Jahr."
"Da hast du aber ein Glück gehabt", sagte er.
"Wieso?" fragte ich ihn.
"Na, ich bin doch der einzige Engel, der reden kann."
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Stimmt! Jetzt erst fiel es mir auf. Ein Engel, der reden kann? Das gibt es ja gar nicht! In meiner ganzen Verwandtschaft und Bekanntschaft ist das noch nicht vorgekommen. Da hatte ich wirklich Glück gehabt.

"Wieso kannst du eigentlich reden? Das gibt es doch gar nicht. Du bist doch aus Holz!"
"Das ist so. Nur wenn jemand einmal nach Weihnachten einen Engel zurückbehält, nicht aus Versehen oder weil er sich nichts dabei gedacht hat, sondern wegen der Weihnachtsfreude, wie bei dir, dann können wir reden. Aber es kommt ziemlich selten vor. Übrigens heiße ich Heinrich."
"Heinrich? Bist du denn ein Junge? Du hast doch ein Kleid an!" - Heinrich trägt nämlich ein langes, rotes Gewand.
"Das ist eine reine Modefrage. Hast du schon einmal einen Engel in Hosen gesehen? Na also."

Seitdem steht Heinrich auf meinem Schreibtisch. In seinen Händen trägt er einen goldenen Papierkorb, oder vielmehr: Einen Müllkorb. Ich dachte erst, er sei nur ein Kerzenhalter, aber da hatte ich mich geirrt, wie ihr gleich sehen werdet. Heinrich stand gewöhnlich still an seinem Platz, hinter der rechten hinteren Ecke meiner grünen Schreibunterlage (grün und rot passt so gut zusammen!) und direkt vor ein paar Büchern, zwei Bibeln, einem Gesangbuch und einem Bändchen mit Gebeten. Und wenn ich mich über irgendetwas ärgere, hält er mir seinen Müllkorb hin und sagt: "Wirf rein!" Ich werfe meinen Ärger hinein - und weg ist er!

Manchmal ist es ein kleiner Ärger, zum Beispiel wenn ich wieder meinen Kugelschreiber verlegt habe oder eine fremde Katze in unserer Gartenlaube vier Junge geworfen hat. Es kann aber auch ein großer Ärger sein oder eine große Not oder ein großer Schmerz, mit dem ich nicht fertig werde, zum Beispiel, als kürzlich ein Vater und eine Mutter erfahren mussten, dass ihr fünfjähriges Mädchen an einer Krankheit leidet, die nicht mehr zu heilen ist. Wie soll man da helfen! Wie soll man da trösten! Ich wusste es nicht. "Wirf rein!" sagte Heinrich, und ich warf meinen Kummer in seinen Müllkorb.
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Eines Tages fiel mir auf, dass Heinrichs Müllkorb immer gleich wieder leer war.
"Wohin bringst du das alles?"
"In die Krippe", sagte er.
"Ist denn so viel Platz in der kleinen Krippe?"
Heinrich lachte. "Pass auf! In der Krippe liegt ein Kind, das ist noch kleiner als die Krippe. Und sein Herz ist noch viel, viel kleiner."
Er nahm seinen Kerzenhalter unter den linken Arm und zeigte mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, wie klein.
"Denn deinen Kummer lege ich in Wahrheit gar nicht in die Krippe, sondern in das Herz dieses Kindes. Verstehst du das?"
Ich dachte lange nach. "Das ist schwer zu verstehen. Und trotzdem freue ich mich. Komisch, was?"
Heinrich runzelte die Stirn. "Das ist gar nicht komisch, sondern die Weihnachtsfreude, verstanden?"

Auf einmal wollte ich Heinrich noch vieles fragen, aber er legte den Finger auf den Mund. "Psst!" sagte er. "Nicht reden! Nur sich freuen!"

Dietrich Mendt
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struwwelpeter
20.12.2006, 03:11
Weihnachtstränen
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Das war Weihnachten, am Heiligen Abend, in der Bahnhofsgaststätte in Hamm. Die Münsteraner Elli und Fred waren zu Besuch bei der Mutter. Und weil es bis zur Bescherung noch Zeit war, bummelten sie durch die festlich strahlenden Straßen und erfreuten sich an der vorweihnachtlichen Stille. Ihr Ziel war die Bahnhofsgaststätte, wo sie, wie schon Jahre vorher, den dort stehenden, liebevoll geschmückten großen Christbaum bewundern wollten. Weihnachtsmelodien tönten sanft durch die Bahnhofsgaststätte, und der Anblick des schönen Tannenbaumes ließ Elli und Fred so recht in Weihnachtsstimmung kommen.
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Am Tisch gegenüber sahen sie eine ältere Frau, die Kreuzworträtsel löste und ein Glas Wein vor sich stehen hatte. Daneben lagen ein Walkman und einige Musik-Kassetten. Die Frau schien glücklich zu sein, wie Elli und Fred es waren, aber irgendwie stimmte die beiden das Alleinsein zur Weihnacht ein bisschen traurig. Die Münsteraner kamen mit ihr ins Gespräch. Sie sei schon Jahre allein und habe gelernt, sich mit eigener Kraft zum Glück zu verhelfen, sagte sie. Sie müsse ganz besonders zur Weihnacht ihrem Glück kräftig unter die Arme greifen. "Na, ja", fügte sie hinzu, "ganz ohne Gottes Hilfe geht es nicht. Aber ich feiere meine Weihnacht und ich hoffe, ohne Wehmut und mitwenig Tränen, denn ganz ohne Tränen habe ich es noch nicht geschafft."

Da kam die Kellnerin an ihren Tisch. "Es ist 14.30 Uhr", sagte sie, und mit den Worten: "Wir schließen um 15 Uhr, darf ich abrechnen", schien sie abrupt die wahrscheinlich mit viel Mühe und Selbstbeherrschung aufgebaute Weihnachtsstimmung der Frau zu zerstören.

Aber das dachten Elli und Fred nur, denn die Frau vom Tisch gegenüber zeigte sich gefasst. "Gleich beginnt meine Weihnacht", sagte sie, nahm den Kopfhörer des Walkmans in die Hand und ... Fred unterbrach sie: "Und was machen Sie nach 15 Uhr? Es ist Weihnachten, Heiligabend?" "Irgendwo werde ich Menschen treffen", erwiderte sie, "vielleicht in der Bahnhofshalle, aber ganz sicher in den Kirchen unserer schönen Stadt." Sie setzte den Kopfhörer auf, und aus dem Walkman klang es leise "Vom Himmel hoch, da komm` ich her..."
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Und als die beiden den Christbaum mit seinen strahlenden Kerzen und dann die Frau am Tisch nebenan betrachteten, da sahen sie, wie Tränen über ihre Wangen liefen. "Siehst du, Elli", sagte Fred, "sie hat vorausgesagt, dass ihre Weihnacht nicht ohne Tränen ablaufen würde", und als er Elli anschaute, sah er, dass auch ihr Gesicht voller Tränen war. Auch Fred musste ganz schön die Zähne zusammenbeißen, um nicht auch noch ..., denn aus dem Walkman klang es leise: "Stille Nacht, heilige Nacht". Es war Weihnachten, Heiligabend in der Bahnhofsgaststätte in Hamm.

Und dann geschah etwas, das Elli und Fred wie ein Wunder erschien: Als sie abends in der vollbesetzten Kirche standen, winkte ein Mensch zu ihnen herüber - das war die Frau vom Nachmittag in der Bahnhofsgaststätte, vom Tisch gegenüber. Sie stand nur ein paar Schritte neben den beiden. Und weil Elli gerade betete, ergänzte sie ihre Bitte an den Himmel: "Herr, beschütze diese wundervolle Frau, die, obwohl allein, uns beiden so viel Kraft und Zuversicht schenkt."
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Nach dem Gottesdienst trafen sich die drei vor der Kirche wieder. "Ich bin ein bisschen heiser", sagte sie, "und das kommt vom Weihnachtsliedersingen, ich war heute Abend schon in mehreren Kirchen und, wie ich Ihnen schon voraussagte, immer unter Menschen. Es war für mich wieder ein schöner Heilig Abend. Frohe Weihnacht wünsche ich Ihnen."

Sie reichte Elli und Fred die Hand. Die beiden waren bedrückt, aber auch beglückt und schauten die Frau mit Hochachtung an. Lieblich klangen die Weihnachtsglocken durch die stille Nacht, als die Frau von der Bahnhofsgaststätte, vom Tisch nebenan, den Kirchplatz verließ.

Siegfried Walden
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struwwelpeter
20.12.2006, 03:20
Das kleine Mädchen und das Licht der Weihnacht
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Es war am Heilig Abend und Marie-Luise kam wieder einmal zu spät nach Hause. Wie fast jeden Tag war sie zum spielen in den Stadtwald gegangen und wurde dort durch die niedlichen Eichhörnchen abgelenkt. Sie hatte den niedlichen Tierchen beim Spielen zugeschaut und darüber die Zeit vergessen. Sie sahen aber auch zu possierlich aus, wenn sie aufgeregt von Baum zu Baum hüpften, im Schnee vergeblich nach Nüssen suchten und aufgeschreckt durch die Menschen, plötzlich wieder am Baum hingen.

Aber all das interessierte ihren Stiefvater nicht. Sie war wieder einmal zu spät nach Hause gekommen und nur das zählte für ihn. Er schimpfte und sagte: "So unpünktlich wie du bist, verpasst du noch das Christkind heute Abend! Geh noch zum Kaufmann und hole mir Zigaretten, bring auch ein Feuerzeug mit!"
Ihre Mutter war eine kleine zierliche Person, die ihrem Mann noch nie widersprochen hatte, gab Marie-Luise Geld und sagte: "Zieh deine warmen Stiefel und den neuen Mantel an, es ist schon kalt draußen!"
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Marie-Luise ging und merkte dass es wieder anfing zu schneien. Die Luft war kalt und der Schnee fiel in immer dickeren Flocken vom Himmel. Ob die Eichhörnchen bei dem dichten Schnee zu den Nüssen finden würden?
Ihr Weg war nicht weit und so entschloss sie sich, im Stadtwald vorbei zu sehen wie es den Eichhörnchen ging, oder ob sie sich vor dem Schneefall versteckten.

Am Stadtwald angekommen sah Marie-Luise ein armes Mädchen das barfuss, frierend auf einer Bank saß. Sie setzte sich zu dem Mädchen auf die Bank und fragte: " Warum gehst du nicht nach Hause, hier ist es doch viel zu kalt und du wirst krank werden, wenn du hier sitzen bleibst." Das Mädchen erzählte, dass es von zu Hause weggelaufen war, weil ihre Mutter sie so sehr geschlagen hatte. Sie wollte nicht mehr nach Hause gehen, denn dort hatte sie niemand lieb. Ich will zu meinen Großeltern ans andere Ende der Stadt gehen und dort Weihnachten feiern. Aber mir ist so kalt und es ist noch ein weiter Weg! Marie-Luise überlegte wie sie dem Mädchen helfen könne und da kam ihr die rettende Idee: " Wenn ich mich beeile bin ich in ein paar Minuten beim Kaufmann und dann auch schnell zu Hause, da werde ich nicht besonders frieren, ich gebe dir meine Stiefel und den Mantel, dann kannst du zu deinen Großeltern gehen. Marie-Luise zog sich schnell die Stiefel und den Mantel aus und gab beides dem Mädchen.

Schnell lief sie zum Kaufmann um die Zigaretten und das Feuerzeug zu kaufen. Der alte Mann hinter dem Tresen sagte zu ihr: "He Kleine, wie läufst du denn bei der Kälte rum! Barfuss mit einem dünnen Kleid! Du holst dir ja den Tod!" Ich habe keinen weiten Weg und bin gleich wieder zu Hause."
" Na dann beeil dich, ich mache jetzt auch Feierabend, ich will mit meinen Kindern noch in den Kindergottesdienst gehen."

Marie-Luise beeilte sich und lief schnell nach Hause. Sie rannte um die Ecken ....und da passierte es. An einer Zaunecke blieb sie mit Ihrem Kleid an einer Zaunlatte hängen und ihr neues Kleid zerriss. Ein großer Riss ging quer über die Seite. Sie erschrak und dachte, was wird wohl mein Stiefvater sagen? Dieses Mal wird er richtig böse sein. Sie fing an zu weinen und ging langsam weiter. Plötzlich merkte sie, dass sie nicht mehr auf dem Heimweg war, sondern wieder am Stadtwald stand. Dem Ort, der ihr immer wieder Trost gab, wenn sie traurig war. Sie sah wieder Eichhörnchen und wie sie glücklich durch den Schnee tollten. Marie-Luise bemerkte nicht die Kälte um sie herum und wurde immer glücklicher.

Plötzlich merkte Marie-Luise das es dunkel und gleichzeitig auch kalt wurde. Sie bemerkte die Kälte, die schnell von ihren Füßen aufwärts stieg. Marie-Luise muss sich irgendwie wärmen und da fiel ihr das Feuerzeug ein das sie ja noch hat. Sie warf es an und wärmte sich die Finger an der Flamme. Die Finger wurden zwar ein bisschen warm, aber es half nichts, die Füße wurden immer kälter sie spürte sie schon nicht mehr.

Da raschelte es im Gebüsch neben ihr und sie bekam Angst, lief davon, weg vom Weg, quer durch den Wald. Nur weg von dem schrecklichen Ort. Es wurde immer finsterer um sie und sie fürchtete sich immer mehr. Marie-Luise wusste nicht mehr wo im Wald sie war, obwohl sie doch so oft hier war. Aber nie war es dunkel und kalt, richtig furchteinflössend wie heute Abend!
Marie-Luise sah mit ihren verweinten Augen ein flackerndes Licht. Es schien ganz in der Nähe zu sein. Und so ging sie darauf zu und hoffte, dass sie sich dort wärmen könne und vielleicht auch nach dem Weg zu fragen.

Sie kam an einen Schuppen, in dem ein Feuer durchs Fenster zu sehen war, also ging sie hinein um sich zu wärmen. Drinnen war es sehr warm, schon fast heiß, dachte sie. Da bemerkte sie, dass es kein normales Feuer war, sondern der Schuppen brannte! Eine Petroleumlampe war umgekippt und so hatte das Stroh Feuer gefangen. Sie wollte schnell wieder raus laufen, da bemerkte sie in einer Ecke des Schuppens eine kleine verängstigte Katze sitzen. Sie dachte nicht an die Gefahr in die sie sich begab und ging schnell in den Schuppen zurück. Marie-Luise nahm die Katze und ging schnell wieder raus aus dem Schuppen. Sie drückte die Katze an sich und schützte sie vor der Kälte. Mit der Katze auf dem Arm machte sich Marie-Luise weiter auf die Suche nach dem richtigen Weg. Aber der Wald war dunkel und kalt, ein Weg war nirgends zu sehen.
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Da sah Marie-Luise eine Gestalt in der Nähe stehen, diese strahlte ein seltsames warmes Licht aus. Sie ging auf die Gestalt zu und wusste plötzlich wem sie gegenüber stand. Genau so hatte sie sich in ihren Träumen das Christkind vorgestellt. Es muss es sein! Das Christkind hielt eine brennende Kerze in der Hand und obwohl der Wind stark durch die Bäume pfiff verlöschte das Licht nicht. Das Christkind sprach zu ihr: "Nimm die Kerze, sie wird dir den Weg nach Hause zeigen! Marie-Luise nahm die Kerze und stand wieder alleine im Wald, das Christkind war verschwunden, nur die Kerze und die kleine Katze waren noch da. Von der Kerze ging eine große Wärme aus, so dass es Marie-Luise ganz warm wurde. Ein paar Schritte weiter entdeckte sie auch wieder einen Baum den sie kannte, und von dem aus sie den Weg wieder fand. Wie weggewischt war die Angst vor ihrem Stiefvater und so lief sie schnell um nach Hause zu kommen. Sie kam an dem großen Strauch vorbei von dem sie im Sommer immer die leckeren Beeren genascht hatte. Doch was war das? Da hingen in dem Strauch ein paar Stiefel, die gleichen welche sie dem Kind gegeben hatte. Ein paar Schritte weiter hing ein Kleid wie das, welches sie an hat und zerrissen war. Wieder ein Stück weiter hing ein Mantel an einem Baum. Sie zog die neuen Kleider an und machte sich weiter auf den Weg nach Hause.

Als sie an der Wohnungstüre klingelte öffnete nicht wie sonst ihr Stiefvater die Türe, sondern ihre Mutter. Sie stand mit verweinten Augen in der Tür. Aus Sorge um Marie-Luise war mit dem Stiefvater ein großer Streit ausgebrochen, an dessen Ende er wütend die Wohnung verlies. Ihre Mutter weinte Freudentränen, dass Marie-Luise wieder zu Hause war.
Gemeinsam mit der kleinen Katze zündeten sie mit der Kerze des Christkindes, die Kerzen des Weihnachtsbaumes an und verbrachten einen schönen friedlichen Heilig Abend.

Zum Abschluss des Abends gingen sie in die Kirche, um Gott zu danken, dass alles so gut ausgegangen war. Marie-Luise nahm die Kerze des Christkindes mit. Diese war noch kein Stück heruntergebrannt und leuchtete trotzdem hell und warm. Auf dem Weg zur Kirche sahen sie ein Mädchen traurig auf einer Bank sitzen, es war das Mädchen, welches die Kleidung von Marie-Luise erhalten hatte. Sie hatte sich verlaufen und fand den Weg zu ihren Großeltern nicht. Marie-Luise gab ihr die Kerze des Christkindes, damit auch dieses Mädchen noch heute ihr Glück finden könne!

Rolf Tischer

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struwwelpeter
22.12.2006, 00:24
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Der kleine Engel Benedikt

Benedikt, der kleine Engel mit den roten Pausbäckchen war überglücklich. Dieses Jahr war er doch tatsächlich von der Himmelskommission, aus der Schar der Engel, für eine heißbegehrte Aufgabe ausgewählt worden, nämlich am Heiligen Abend dem Weihnachtsmann beim Verteilen der Geschenke zu helfen. Wirklich, überglücklich war er. Schon seit Wochen wurde in der Himmelswerkstatt über nichts anderes gesprochen als darüber, wer am 24. Dezember mit auf die Erde dürfte. Dem Weihnachtsmann zu helfen war etwas Tolles, etwas ganz Besonderes.
Schon die Fahrt mit dem Schlitten und den Rentieren davor - allen voran Rudolf - war ein außergewöhnliches Erlebnis. Klar war leider auch, dass viele kleine Engel gebraucht wurden um die Himmelswerkstatt wieder aufzuräumen, das Chaos zu beseitigen, das durch die Arbeiten für Weihnachten in den Werkstätten und in der Bäckerei entstanden war. Es mussten ja auch die Wolkenbetten aufgeschüttelt und die Sterne blank geputzt werden und viele Arbeiten mehr standen an. All die nicht immer geliebten Arbeiten, die aber irgendwann gemacht werden mussten.

Alle Kinder wissen, wovon hier die Rede ist. Und darum träumten alle Engel davon, einmal als Helfer des Weihnachtsmannes mit auf die Erde zu dürfen.
Benedikt hatte es also geschafft, dieses Mal war er ausgesucht worden. Sein Glück war für ihn unfassbar. Wo er doch dieses Jahr sehr oft bei der Weihnachtsbäckerei ermahnt worden war nicht so viel vom Teig und den Plätzchen zu naschen. Es war nicht so, daß der aufsichtsführende Engel es ihm nicht gönnte, jedoch waren die Wangen unseres kleinen Benedikts schon ganz schön gerundet und das Bäuchlein wurde auch ein wenig kugelig. Man kann sagen, Engel Benedikt war ganz groß darin, Sätze wie "Benedikt, gleich kriegst Du Bauchweh!" zu überhören. Und die Rangelei mit seinem Freund, dem Engel Elias, weil dieser ihn "Mopsi" genannt hatte, hatte er auch in die hinterste Schublade seines Denkens gepackt. All zu viele Ermahnungen bedeuten nichts Gutes, bedeuteten letzten Endes das Verbot einer Lieblingsbeschäftigung, meistens für eine ganz schön lange Zeit. Na, da hatte man wohl dieses Jahr ein Auge - wenn nicht sogar zwei - zugedrückt!
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Pünktlich am 24. Dezember stand der Schlitten mit den Rentieren, die mit den Hufen scharrten, vor dem Himmelstor. Viele Engel hatten sich versammelt, um ihnen nachzuwinken. Der Weihnachtsmann ließ die Peitsche knallen und mit lautem Schlittenglockengeläut ging es auf einem extrabreiten, glitzernden und glänzenden Mondstrahl hinunter auf die Erde. Rudolf versuchte sich in ein paar Extrasprüngen - er hatte wohl zu lange im Stall gestanden - was den Schlitten kurzfristig auf einen "Zick-Zack- Kurs" brachte. Engel Benedikt fand das toll. Es würde ein langer Abend werden mit vielen Arbeitsstunden und so hatte der Weihnachtsbäckerei-Engel Engel Benedikt, die goldene Himmelsnaschdose voller köstlicher Leckereien, wie Marzipan- Kartoffeln, Schokoladenlebkuchen, Zimtsterne, Butterspekulatius zur Stärkung mitgegeben und beim Füllen hineingetan, was Engel Benedikt am liebsten mochte. Selig drückte er sie nun mit seinen dicken Patschhänden an sein Bäuchlein und kuschelte sich höchst zufrieden ein wenig an den Weihnachtsmann, um sich im nächsten Moment wieder kerzengerade aufzusetzen; schließlich war er als "Weihnachtsmann - Helfer - Engel" schon beinahe ein großer Engel! Auf der Erde sah es so schön aus. Es schneite sacht - die dafür zuständigen Engel hatten wohl doch noch ein paar Tonnen voller Schnee im äußersten Winkel des Himmelsgefrierraumes gefunden. Der Schnee knirschte leise beim Betreten der Wege. Sanft leuchtete das Licht aus den Häusern und ließ den Schnee auf Straßen, Häusern und Bäumen glitzern. Kirchenglocken läuteten und verbreiteten eine festliche Stimmung. Sogar der Wind hatte sein ansonsten stürmisches Temperament gezügelt und war kaum spürbar. Engel Benedikt vermutete, er war auf dem Weg, sich zur Ruhe zu legen.
Schon viele Stunden waren der Weihnachtsmann und sein kleiner Helfer unterwegs. Die Freude der Kinder, ihre glänzenden Augen, die friedliche Stimmung von alten und jungen Menschen, der milde Glanz der Kerzen aus den Wohnstubenfenstern hatte ihnen immer wieder neue Kraft gegeben. Jetzt hatten sie nur noch ein einziges nicht allzu großes Geschenk zu einer Wohnung im letzen Wohnblock einer Straße zu bringen.

Schon ein bisschen ermüdet gingen der Weihnachtsmann und Engel Benedikt am Fenster dieser Wohnung vorbei. Das Fenster war einen Spalt zum Lüften geöffnet worden. Engel Benedikt sah in das Wohnzimmer. Der Weihnachtsmann und er sahen ein Ehepaar mit einem kleinem etwa 7 Jahre alten Jungen. Der Junge sah sehr dünn und blass aus und beide Eltern stützten ihn liebevoll, als sie vom Esstisch zum Sofa gingen. Gerade beugte sich die Mutter über ihn und sagte: " Was für ein Glück für uns, dass Du doch schon zu Weihnachten wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden konntest!" "Ja Mama" sagte der Junge, "das ist für mich das schönste Geschenk, mehr brauche ich eigentlich gar nicht." "Na, so ganz wird der Weihnachtsmann dich wohl nicht vergessen haben", sagte der Vater zu seinem Sohn. Der Weihnachtsmann ging zur Wohnungstür um das kleine bescheidene Paket hinzulegen. "Hier, leg die Keksdose dazu", flüstert der kleine Engel Benedikt und hob seine kleinen Arme mit den Köstlichkeiten in die Höhe um sie dem Weihnachtsmann zu geben. Es war sein voller Ernst und tat ihm eigentlich überhaupt nicht - na vielleicht ein winziges bisschen leid - was er aber ganz schnell unterdrückte. "Danke Bene, gut gemacht", flüsterte der Weihnachtsmann und strich Engel Benedikt sacht über den Kopf. Die Wangen des kleinen Engels glühten vor Stolz. Bene hatte der Weihnachtsmann zu ihm gesagt. "Bene" sagte sonst immer nur das Christkind zu ihm, wenn es ihn für besonders liebevolles Verhalten lobte.

Nachdem der Weihnachtsmann nun alle Geschenke verteilt hatte, begaben sich beide auf den Weg zum Rentierschlitten, um die Rückreise anzutreten. Sie kamen am Fenster vorbei und sahen, wie der Junge sich besonders über die Keksdose freute und rief: "Mama, Papa, guckt doch mal, wie sie glänzt und glitzert, und hmmm, hier probiert mal die Kekse, sie sind köstlicher, nein, einfach himmlisch!" Der Weihnachtsmann und der kleine Engel lächelten sich an: "Wie recht er hat" sagte der kleine Engel glücklich.
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Gerlinde Bartels

struwwelpeter
22.12.2006, 00:27
Der Weihnachtsstern
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"Ottar ist so dumm", sagten die andern Schulkinder. In jeder Schule muss es natürlich einen Dümmsten geben - hier war es Ottar. Er war ziemlich neu, ein kleiner Kerl aus der Stadt, den die Mutter in dieser vortrefflichen Gegend bei ebenso vortrefflichen Leuten untergebracht hatte, als sie krank wurde. Sie musste in ein Krankenhaus und konnte sich deshalb nicht um ihn kümmern. Er hatte keinen Vater - das war durchgesickert.
Die Lehrerin hörte eines Tages in der Schule die Äußerung, dass Ottar so dumm sei.
Einige Schüler der dritten Klasse standen in der Pause beisammen und waren viel, viel klüger; fanden sie wenigstens.
Da bekam die Lehrerin plötzlich die tiefe Furche zwischen den Augenbrauen, und hinter dem Kneifer blitzte es scharf. "Still, Kinder!" sagte sie. "Ich bin nicht sicher, ob nicht Ottar einer der Klügsten von euch allen ist. Er ist nur anders. Marsch, weiter! Nicht herumstehen und den neuen Kameraden verleumden!"

Es war kurz vor dem Fest. Überall in den Häusern begann es nach Weihnachten zu riechen und zu schmecken, in allen Ecken wurde geflüstert, Koffer und Schränke wurden abgeschlossen. Und alle Kinder waren ganz, ganz brav. Der Weihnachtsbaum war aus dem Wald geholt worden und stand duftend da, bis er zum strahlenden Mittelpunkt geschmückt werden sollte.

In der Schule erzählte die Lehrerin am letzten Tag vor den Weihnachtsferien von dem Kindlein, das in einem Stall geboren und in eine Krippe gelegt wurde, von den Hirten, die ihre Schafe hüteten und sahen, wie sich der sternübersäte Himmel öffnete. Engel erschienen und sangen. Sie erzählte auch von den drei weisen Männern aus dem Osten, die einen großen, glänzenden Stern erblickt hatten und ihm auf seiner Wanderung gefolgt waren, bis er über dem niedrigen kleinen Stall in einem fremden Land stehen geblieben.
Ottar vergaß ganz und gar, wo er war, denn als die Lehrerin die Erzählung beendet hatte, stand er auf und ging zu ihr hin, obwohl es mitten in der Unterrichtsstunde war. Sie trug an einer goldenen Kette um den Hals ein kleines Goldkreuz, an dem er zu fingern begann und fragte: "Bist du sicher, dass das alles wahr ist?" - "Ja, natürlich."
"Das mit dem Stern auch? Da haben sie wohl in der Nacht wandern und am Tage schlafen müssen?"
"Ja, wahrscheinlich."
Die andern fingen zu kichern an, denn es war nicht gebräuchlich, sich in dieser Gegend so zu benehmen. Sie pflegten in der Schule stillzusitzen und keine unnötigen Fragen zu stellen oder gar am Goldkreuz der Lehrerin zu fingern. Sie fand aber, dass er es tun konnte, denn sie untersagte das Kichern, während Ottar auf seinen Platz zurückging - verlegen und errötend.

In Langset schmückte der Vater selbst den Christbaum, er war schon eine endlose Zeit allein im Zimmer drinnen, während die Mutter sich mit dem Weihnachtsmahl beschäftigte und alle Kinder die Ohren spitzten und warteten.
"Du kriegst auch etwas", sagten sie zu Ottar. "Hab nur keine Angst." Ottar lächelte; sie waren heute so lieb - er aber wartete auf etwas ganz Bestimmtes. Er wartete auf einen Brief von seiner Mutter, denn seit dem letzten war es schon lange her. Und in dem Brief würde sicher stehen, dass sie viel wohler war und bald nach Hause kommen durfte. Sie musste ihm doch zu Weihnachten schreiben, dessen war er ganz sicher. Der Brief würde bald kommen. Er hatte gar nichts dagegen, nach einem oder ein paar Armvoll Holz hinausgeschickt zu werden, denn dabei konnte er nach dem Postboten Ausschau halten.

Der Brief war aber schon gestern gekommen; Ottar wusste es nur nicht. Er kam nicht von der Mutter selbst, nein. Und nun hatten sich Leute in Langset dahin geeinigt, dass es Zeit genug sei, wenn der Junge nach dem Fest von dem Brief erführe. Dann allerdings müsste es anders werden, denn Ottars Mutter hatte für den Jungen nur bis Weihnachten bezahlt. Und es war wohl kaum anzunehmen, dass sie etwas hinterließ, womit die weitere Bezahlung erfolgen konnte. Jetzt sollte er aber die Weihnachtstage bei ihnen feiern - sie waren ja keine Unmenschen.

So allein er auch da draußen mit seinem Holz in der Dämmerung über den Hof ging - in Wirklichkeit war er noch viel einsamer, als er wusste. Denn im Krankenhaus war seine Mutter kurz vor Weihnachten gestorben.

Viel Holz trug er nicht auf einmal herein, aber die Arme waren vollbeladen, und der Schnee biss in die blaugefrorenen Finger, die das Holz umklammerten. Er musste bestimmt die Handschuhe anziehen. Als er am Fenster vorbeiging, sah er den Weihnachtsbaum, um den der Vater beschäftigt war; er hielt feine Glaskugeln und gute Kuchenmänner in den Händen - es war bestimmt unerlaubt, ihm zuzusehen, weshalb Ottar gewissenhaft den Blick abwandte.
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Da - plötzlich sah er den Stern. Droben zwischen den Wolken kam ein großer goldener Stern am blassblauen Himmel dahergesegelt. Ottar ging es wie ein Stoß durch den ganzen Körper. Er blieb still stehen und umklammerte die Holzscheite; das Herz klopfte, dass es ihm beinahe die Kehle zuschnürte. Konnte es wirklich wahr sein, konnte das...? Jetzt war er hinter den Wolken verschwunden, aber im nächsten Augenblick war er wie durch einen Schleier wieder sichtbar; langsam glitt er dort oben seine Bahn entlang. Das konnte nichts anderes sein als der Weihnachtsstern! Der Stern der Weisen, der damals im Osten entzündet worden war und über das Himmelszelt wanderte. Da war er wieder" Denn die gewöhnlichen Sterne standen doch still. Außer wenn manchmal einer als Sternschnuppe herunterfiel.

Als Ottar sich darüber klar war, dass es der Stern der Weisen sein musste, den er sah, wurde er so aufgeregt, dass er das Holz einfach fallen ließ, durch die Hoftür hinauslief und die Richtung einschlug, die der Stern wies.
Er versuchte, den Kopf so weit wie möglich in den Nacken zu legen und den Stern nicht aus den Augen zu lassen, während er lief. Er stolperte aber über die hohe Schneekante des Weges, fiel hin und stand wieder auf. Er musste sich damit begnügen, nur dann und wann hinaufzuschauen. Zwischen den Höfen lagen große Abstände, und der Weg lag wie ausgestorben da. Auf jedem Hof war es still, denn hinter den Fensterscheiben hatte man die Lichter der Weihnacht bereits angezündet. Drinnen waren alle zum Fest versammelt, alle, die zusammengehörten, Vater, Mutter und die Kinder. Sie hielten einander an den Händen und sangen und taten alles, um an diesem Abend recht lieb zueinander zu sein. Nur Ottar stapfte in der Dämmerung auf dem Weg dahin. Er dachte aber gar nicht daran, dass er zu bedauern war, auch daran nicht, dass man ihn in
Langset vielleicht suchte, dass es immer dunkler wurde und dass er für einen weiten Marsch nicht angezogen war. Sogar der Brief, auf den er gewartet hatte, war jetzt aus seinen Gedanken verschwunden. Ihn erfüllte bis aufs äußerste ein großes, unbekanntes Glücksgefühl: Der Stern der Weisen war noch einmal entzündet worden - für ihn! Wo wollte er mit ihm hin? Führte er ihn zur Mutter oder vielleicht wieder zu einem Stall mit einem Kind in der Krippe - was wusste er? Klopfenden Herzens eilte er dem Wunder entgegen.

Ottar war ziemlich weit gelaufen, als er warm und atemlos wurde und immer langsamer vorankam. Er war in eine unbekannte Gegend gekommen, ja in ein anderes Land. Es wurde jetzt kalt, merkte er, denn er begann zu frieren, und seine Zähne klapperten; hungrig war er auch, fühlte er plötzlich. Der Stern aber wanderte dort oben ruhig von Süden nach Norden, er sah ihn manchmal.
Aber nie wollte er sich senken oder über einem Haus oder einer Hütte am Weg stehen bleiben. Ottar steckte die Hände in die Taschen und ging weiter. Der Wind trieb ihm den Schnee ins Gesicht, so dass er den Kopf senken musste. Er hob den Blick nicht mehr so oft zum Stern empor, aber er wusste, dass er dort oben war.

Inzwischen war es ganz dunkel geworden. Die Tannen längs des Weges waren gleichsam in dichteren Reihen aufmarschiert. Er merkte jetzt, dass er tiefen Wald zu beiden Seiten haben musste. Wäre der Stern nicht gewesen, würde er sicher Angst bekommen haben. Er hob den Kopf, um sich seines Begleiters zu vergewissern - da blieb er wie gebannt stehen. Da war nicht nur ein Stern, sondern ein ganzer Haufen! Droben zwischen den Wolken zog jetzt eine ganze Schar desselben Weges.

Mit einem Male gingen ihm die Augen auf, und er erkannte den unbarmherzigen Zusammenhang: Die Wolken waren gewandert - die Sterne aber standen still. Auch der Weihnachtsstern stand still, er war nur klarer und größer als die anderen und zitterte ein wenig, als ob er fröre. Dass er sich so täuschen konnte! Es war ja jetzt ganz deutlich!

Etwas in ihm zerbrach, die Spannung ließ nach, das Wunder war nur ein Trug. Brennend heiß um die Ohren, obwohl es ihn gleichzeitig vor Kälte schüttelte, stand er allein in dem schwarzen Wald. Ottar ist dumm, Ottar ist dumm! Er ging im Takt mit diesen Worten, während er den Weg fortsetzte. Umkehren und heimgehen konnte er nicht, denn dann hätte er erklären müssen, und das konnte er nicht. Und doch lag Ottar eine halbe Stunde später in einem warmen Bett und erzählte einem Mann und einer Frau, die bei ihm saßen, wie alles gekommen war.

Das war so zugegangen: Nils und Oline hatten sich eben an den Weihnachtstisch gesetzt, als es leise und vorsichtig an der Tür pochte. Es hätte ein Vogel sein können, der mit seinem Schnabel pickte. Ihr kleiner Hof lag wohl am Weg - aber wer konnte am Heiligen Abend so spät noch unterwegs sein? Sie erschraken nicht wenig, als der Kleine hereinkam, ein erschöpftes Wesen aus der Dunkelheit und Kälte da draußen.

"Verzeiht - ich bin wohl fehlgegangen", stammelte er verwirrt. Hier war es so schön warm und behaglich, es roch so gut nach Braten, die zwei am Tisch sahen so gutmütig aus, und in einer Ecke des Zimmers stand ein kleiner Weihnachtsbaum mit Lichtern. Das konnte wohl nicht stimmen. Dann zeigte es sich, dass es doch stimmte. Die zwei alten Leute hatten alles, was zum Weihnachtsfest gehörte, außer einem kleinen Ottar. Und da stand er nun bei ihnen im Zimmer, hungrig wie ein Wolf, um mit dem guten Weihnachtsessen bei ihnen gesättigt zu werden, durchgefroren, um durch die Wärme bei ihnen aufgetaut zu werden, und gerade so todmüde, dass er gleich zu Bett gebracht werden musste. Sie fragten ihn vorsichtig aus, während sie sich um ihn bemühten und ihn allmählich warm bekamen.

Was er ihnen erzählte, berührte ihre Herzen ganz wunderlich. Was er nicht erzählte, errieten sie. Ein Kind, das in der Welt so einsam war, dass es am Weihnachtsabend allein in den Wald ging, war zu ihnen gekommen.

Am Tag darauf kam ein Bote aus Langset. Der Vater war es selbst. Es war ein großer Aufstand gewesen, als Ottar verschwunden war und sie nur die Holzscheite auf dem Hof fanden. Der Weihnachtsabend war auf dem Hof ganz ins Wasser gefallen, nur des fremden Jungen wegen. Die ganze Umgebung war aufgeschreckt worden, aber erst heute war man so weit nach Norden gekommen, bis zu Nils und Oline. Und jetzt sollte der Ausreißer wieder mit nach Langset - bis auf weiteres wenigstens.

"Nein", sagte Ottar bestimmt. Es entfuhr ihm - bang sah er von einem zum anderen. Dann verkroch er sich wie eine erschreckte Katze unter dem Bett. Es gab keine Schläge. Der Vater ging allein nach Hause.
Nils begleitete ihn in den Gang hinaus, und man hörte, dass sie miteinander etwas besprachen. Es ist schwer zu sagen, wer zufriedener war, der, der ging, oder die, die zurück blieben.

"Hierauf müssen wir uns einen Herzensstärker zu Gemüte führen"; meine Mutter Oline und holte die Kaffeekanne und einen großen Teller mit Weihnachtskuchen. Dann setzte sie sich freundlich und behäbig an den Tisch und goss ein. Vater Nils, lang und knochig, kam herbei und ließ sich auf der Bank nieder; man merkte, dass er ein wahrer Freund von Kaffee und Weihnachtskuchen war.
Ottar hatte bereit seinen festen Platz neben ihm. Er hielt ein tüchtiges Stück Kuchen in der Hand, vergaß aber hineinzubeißen - sein Blick wurde immer ferner.
"Du musst essen, mein Junge, damit du groß wirst und deine Beine bis auf den Boden reichen wie die meinen", sagte Nils.
Da schaute Ottar ihn an, als wäre er plötzlich aus dem Schlummer geweckt worden. "Ich möchte nur eins wissen."
"Na, was denn?"
"Ob es nicht doch der Weihnachtsstern war!"
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Marie Hamsun (1881 -1969)

struwwelpeter
22.12.2006, 00:33
Der Engel der nicht singen wollte
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Als die Menge der himmlischen Heerscharen über den Feldern von Bethlehem jubelte: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden", hörte ein kleiner Engel plötzlich zu singen auf. Obwohl er im unendlichen Chor nur eine kleine Stimme war, machte sich sein Schweigen doch bemerkbar. Engel singen in geschlossenen Reihen, da fällt jede Lücke sogleich auf. Die Sänger neben ihm stutzten und setzten ebenfalls aus. Das Schweigen pflanzte sich rasch fort und hätte beinahe den ganzen Chor ins Wanken gebracht, wenn nicht einige unbeirrbare Großengel mit kräftigem Anschwellen der Stimmen den Zusammenbruch des Gesanges verhindert hätten. Einer von ihnen ging dem gefährlichen Schweigen nach. Mit bewährtem Kopfnicken ordnete er das weitere Singen in der Umgebung und wandte sich dem kleinen Engel zu.

Warum willst du nicht singen?" fragte er ihn streng. Er antwortete: "Ich wollte ja singen. Ich habe meinen Part gesungen bis zum "Ehre sei Gott in der Höhe". Aber als dann das mit dem "Frieden auf Erden unter den Menschen" kam, konnte ich nicht mehr weiter mitsingen. Auf einmal sah ich die vielen Soldaten in diesem Land und in allen Ländern. Immer und überall verbreiten sie Krieg und Schrecken, bringen Junge und Alte um und nennen das Frieden. Und auch wo nicht Soldaten sind, herrschen Streit und Gewalt, fliegen Fäuste und böse Worte zwischen den Menschen und regiert die Bitterkeit gegen Andersdenkende. Es ist nicht wahr, dass auf Erden Friede unter den Menschen ist, und ich singe nicht gegen meine Überzeugung! Ich merke doch den Unterschied zwischen dem, was wir singen, und dem, was auf Erden ist. Er ist für mein Empfinden zu groß, und ich halte diese Spannung nicht länger aus."
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Der große Engel schaute ihn lange schweigend an. Er sah wie abwesend aus. Es war, als ob er auf eine höhere Weisung lauschen würde. Dann nickte er und begann zu reden: "Gut. Du leidest am Zwiespalt zwischen Himmel und Erde, zwischen der Höhe und der Tiefe. So wisse denn, dass in dieser Nacht eben dieser Zwiespalt überbrückt wurde. Dieses Kind, das geboren wurde und um dessen Zukunft du dir Sorgen machst, soll unseren Frieden in die Welt bringen. Gott gibt in dieser Nacht seinen Frieden allen und will auch den Streit der Menschen gegen ihn beenden. Deshalb singen wir, auch wenn die Menschen dieses Geheimnis mit all seinen Auswirkungen noch nicht hören und verstehen. Wir übertönen mit unserem Gesang nicht den Zwiespalt, wie du meinst. Wir singen das neue Lied." Der kleine Engel rief: "Wenn es so ist, singe ich gerne weiter."

Der Große schüttelte den Kopf und sprach: "Du wirst nicht mitsingen. Du wirst einen anderen Dienst übernehmen. Du wirst nicht mit uns in die Höhe zurückkehren. Du wirst von heute an den Frieden Gottes und dieses Kindes zu den Menschen tragen. Tag und Nacht wirst du unterwegs sein. Du sollst an ihre Häuser pochen und ihnen die Sehnsucht nach ihm in die Herzen legen. Du musst bei ihren trotzigen und langwierigen Verhandlungen dabei sein und mitten ins Gewirr der Meinungen und Drohungen deinen Gedanken fallen lassen. Du musst ihre heuchlerischen Worte aufdecken und die anderen gegen die falschen Töne misstrauisch machen. Sie werden dir die Türe weisen, aber du wirst auf den Schwellen sitzen bleiben und hartnäckig warten. Du musst die Unschuldigen unter deine Flügel nehmen und ihr Geschrei an uns weiterleiten. Du wirst nichts zu singen haben, du wirst viel zu weinen und zu klagen haben. Du hast es so gewollt. Du liebst die Wahrheit mehr als das Gotteslob. Dieses Merkmal deines Wesens wird nun zu deinem Auftrag. Und nun geh. Unser Gesang wird dich begleiten, damit du nie vergisst, dass der Friede in dieser Nacht zur Welt gekommen ist."
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Der kleine Engel war unter diesen Worten zuerst noch kleiner, dann aber größer und größer geworden, ohne dass er es selber merkte. Er setzte seinen Fuß auf die Felder von Bethlehem. Er wanderte mit den Hirten zu dem Kind in der Krippe und öffnete ihnen die Herzen, dass sie verstanden, was sie sahen. Dann ging er in die weite Welt und begann zu wirken. Angefochten und immer neu verwundet, tut er seither seinen Dienst und sorgt dafür, dass die Sehnsucht nach dem Frieden nie mehr verschwindet, sondern wächst, Menschen beunruhigt und dazu antreibt, Frieden zu suchen und zu schaffen. Wer sich ihm öffnet und ihm hilft, hört plötzlich wie von ferne einen Gesang, der ihn ermutigt, das Werk des Friedens unter den Menschen weiterzuführen.

Werner Reiser

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struwwelpeter
22.12.2006, 21:16
Das Paket des lieben Gottes
von Bertolt Brecht

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Nehmt eure Stühle und eure Teegläser mit hier hinter an den Ofen und vergeßt den Rum nicht. Es ist gut, es warm zu haben, wen man von der Kälte erzählt.

manche Leute, vor allem eine gewisse Sorte Männer, die etwas gegen Sentimentalität hat, haben eine starke Aversion gegen Weihnachten. Aber zumindest ein Weihnachten in meinem leben ist bei mir wirklich in bester Erinnerung. Das war der Weihnachtsabend 1908 in Chicago.

Ich war anfangs November nach Chicago gekommen, und man sagte mir sofort, als ich mich nach der allgemeinen Lage erkundigte, es würde der härteste Winter werden, den diese ohnehin genügend unangenehme Stadt zustande bringen könnte. Als ich fragte, wie es mit den Chancen für einen Kesselschmied stünde, sagte man mir, Kesselschmiede hätten keine Chance, und als ich eine halbwegs mögliche Schlafstelle suchte, war alles zu teuer für mich. Und das erfuhren in diesem Winter 1908 viele in Chicago, aus allen Berufen.

Und der Wind wehte scheußlich vom Michigan-See herüber durch den ganzen Dezember, und gegen Ende des Monats schlossen auch noch eine Reihe großer Fleischpackereien ihren Betrieb und waren eine ganze Flut von Arbeitslosen auf die kalten Straßen.

Wir trabten die ganzen Tage durch sämtliche Stadtviertel und suchten verzweifelt nach etwas Arbeit und waren froh, wenn wir am Abend in einem winzigen, mit erschöpften Leuten angefüllten Lokale im Schlachthofviertel unterkommen konnten. Dort hatten wir es wenigstens warm und konnten ruhig sitzen. Und wir saßen, so lange es irgend ging, mit einem Glas Whisky, und wir sparten alles den Tag über auf dieses eine Glas Whisky, in das noch Wärme, Lärm und Kameraden mit einbegriffen waren, all das, was es an Hoffnung für uns noch gab.

Dort saßen wir auch am Weihnachtsabend dieses Jahres, und das Lokal war noch überfüllter als gewöhnlich und der Whisky noch wässeriger und das Publikum noch verzweifelter. Es ist einleuchtend, daß weder das Publikum noch der Wirt in Feststimmung geraten, wenn das ganze Problem der Gäste darin besteht, mit einem Glas eine ganze Nacht auszureichen, und das ganze Problem des Wirtes, diejenigen hinauszubringen, die leere Gläser vor sich stehen hatten.

Aber gegen zehn Uhr kamen zwei, drei Burschen herein, die, der Teufel mochte wissen woher, ein paar Dollars in der Tasche hatten, und die luden, weil es doch eben Weihnachten war und Sentimentalität in der Luft lag, das ganze Publikum ein, ein paar Extragläser zu leeren. fünf Minuten darauf war das ganze Lokal nicht wiederzuerkennen.

Alle holten sich frischen Whisky (und paßten nun ungeheuer genau darauf auf, daß ganz korrekt eingeschenkt wurde), die Tische wurden zusammengerückt, und ein verfroren aussehendes Mädchen wurde gebeten, einen Cakewalk zu tanzen, wobei sämtliche Festteilnehmer mit den Händen den Takt klatschten. Aber was soll ich sagen, der Teufel mochte seine schwarze Hand im Spiel haben, es kam keine reche Stimmung auf.

Ja, geradezu von Anfang an nahm die Veranstaltung einen direkt bösartigen Charakter an. ich denke, es war der zwang, sich beschenken lassen zu müssen, der alle so aufreizte. Die Spender dieser Weihnachtsstimmung wurden nicht mit freundlichen Augen betrachtet. Schon nach den ersten Gläsern des gestifteten Whiskys wurde der Plan gefaßt, eine regelrechte Weihnachtsbescherung, sozusagen ein Unternehmen größeren Stils, vorzunehmen.

Da ein Überfluß an Geschenkartikeln nicht vorhanden war, wollte man sich weniger an direkt wertvolle und mehr an solche Geschenke halten, die für die zu Beschenkenden passend waren und vielleicht sogar einen tieferen Sinn ergaben.

so schenkten wir dem Wirt einen Kübel mit schmutzigem Schneewasser von draußen, wo es davon gerade genug gab, damit er mit seinem alten Whisky noch ins neue Jahr hinein ausreichte. Dem Kellner schenkten wir eine alte, erbrochene Konservenbüchse, damit er wenigstens ein anständiges Servicestück hätte, und einem zum Lokal gehörigen Mädchen ein schartiges Taschenmesser, damit es wenigstens die Schicht Puder vom vergangenen Jahr abkratzen könnte.

Alle diese Geschenke wurden von den Anwesenden, vielleicht nur die Beschenkten ausgenommen, mit herausforderndem Beifall bedacht. Und dann kam der Hauptspaß.

Es war nämlich unter uns ein Mann, der mußte einen schwachen Punkt haben. Er saß jeden Abend da, und Leute, die sich auf dergleichen verstanden, glaubten mit Sicherheit behaupten zu können, daß er, so gleichgültig er sich auch geben mochte, eine gewisse, unüberwindliche Scheu vor allem, was mit der Polizei zusammenhing, haben mußte. Aber jeder Mensch konnte sehen, daß er in keiner guten Haut steckte.

Für diesen Mann dachten wir uns etwas ganz Besonderes aus. Aus einem alten Adreßbuch rissen wir mit Erlaubnis des Wirtes drei Seiten aus, auf denen lauter Polizeiwachen standen, schlugen sie sorgfältig in eine Zeitung und überreichten das Paket unserm Mann.

Es trat eine große Stille ein, als wir es überreichten. Der Mann nahm zögernd das Paket in die Hand und sah uns mit einem etwas kalkigen Lächeln von unten herauf an. Ich merkte, wie er mit den Fingern das Paket anfühlte, um schon vor dem Öffnen festzustellen, was darin sein könnte. Aber dann machte er es rasch auf.

Und nun geschah etwas sehr merkwürdiges. Der Man nestelte eben an der Schnur, mit der das Geschenk" verschnürt war, als sein Blick, scheinbar abwesend, auf das Zeitungsblatt fiel, in das die interessanten Adreßbuchblätter geschlagen waren. Aber da war sein Blick schon nicht mehr abwesend. Sein ganzer dünner Körper (er war sehr lang) krümmte sich sozusagen um das Zeitungsblatt zusammen, er bückte sein Gesicht tief darauf herunter und las. Niemals, weder vor- noch nachher, habe ich je einen Menschen so lesen sehen. Er verschlang das, was er las, einfach. Und dann schaute er auf. Und wieder hatte ich niemals, weder vor- noch nachher, einen Mann so strahlend schauen sehen wir diesen Mann.

Da lese ich eben in der Zeitung", sagte er mit einer verrosteten mühsam ruhigen Stimme, die in lächerlichem Gegensatz zu seinem strahlenden Gesicht stand, daß die ganze Sache einfach schon lang aufgeklärt ist. Jedermann in Ohio weiß, daß ich mit der ganzen Sache nicht das Geringste zu tun hatte." Und dann lachte er.

Und wir alle, die erstaunt dabei standen und etwas ganz anderes erwartet hatten und fast nur begriffen, daß der Mann unter irgendeiner Beschuldigung gestanden und inzwischen, wie er eben aus dem Zeitungsblatt erfahren hatte, rehabilitiert worden war, fingen plötzlich an, aus vollem Halse und fast aus dem Herzen mitzulachen, und dadurch kam ein großer Schwung in unsere Veranstaltung, die gewisse Bitterkeit war überhaupt vergessen, und es wurde ein ausgezeichnetes Weihnachten, das bis zum morgen dauerte und alle befriedigte.

Und bei dieser allgemeinen Befriedigung spielte es natürlich gar keine Rolle mehr, daß dieses Zeitungsblatt nicht wir ausgesucht hatten, sondern Gott.
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struwwelpeter
22.12.2006, 21:22
Das Märchen von den fünfundzwanzig Bohnenstangen
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Da sind im tiefen Wald einmal fünfundzwanzig schöne Tannebäumchen gewesen. Denen hat es nicht mehr gefallen im grünen Wald, und sie haben gesagt: "Jetzt wollen wir in die weite Welt gehen. Der Wald ist uns zu grün, der Wald ist uns zu tief." Und in einer Nacht, da heben die fünfundzwanzig Tannenbäumchen Ihre Wurzeln aus der Erde genommen und sind in die weite Welt gegangen. Was waren das dumme Tannenbäumchen! Aber sie sind noch so jung gewesen und haben gemeint, in der weiten Welt wäre es schöner als im dunklen, grünen, tiefen Wald.
Und wie sie so durch die weite Welt gingen, da hatten sie auf einmal Hunger. Und sie sind in der Stadt in ein Gasthaus gegangen und wollten etwas zu essen haben. Da hat der Wirt Ihnen eine Erbsensuppe gebracht. "Oh weh!" haben die fünfundzwanzig Tannenbäumchen gesagt, "gibt es denn hier keinen Tau?"
"Nein, den gibt es nicht in der weiten Welt."
Da haben die Tannenbäumchen die Erbsensuppe stehen lassen und sind weitergegangen. Und sie sind an ein Haus gekommen, daraus roch es so schön nach Tannenharz, und die fünfundzwanzig Tannenbäumchen sind nur sie herumgesprungen vor Freude. Und dann haben sie an die Haustür geklopft. Und wie der Mann von dem Haus herausgekommen ist, da haben sie ihn gefragt:
Mann vom Häuschen Tannenharz
Können wir nicht bei Dir wohnen?
Wir wollen gern Dein Häuschen kehren
Deine kleinen Kinder lehren,
Erzählen von dem grünen Wald,
Und im Winter, wenn es kalt,
Dir den Ofen schüren.
"Ei ja" hat der Mann gesagt, "kommt nur hereinspaziert, zum Ofenschüren kann ich Euch gerade brauchen." Und er hat die Türe weit aufgemacht.
von Wilhelm Mathiessen
08.08. 1891 - 26.11. 1965
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struwwelpeter
24.12.2006, 01:54
Frieden auf Erden
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Wie jedes Jahr und jeden Tag sah Jesus um die gleiche Zeit in seinen Terminkalender. "Aha", murmelte er, "die Erde ist heute also wieder einmal an der Reihe". Er befahl sogleich den Engel Bartholomäus zu sich.

"Bartholomäus", befahl er, "sieh auf der Erde nach, ob die Menschen dort in meinem Sinne leben und arbeiten. Stelle fest, ob sie Frieden halten und sich verstehen. Prüfe, ob sie sich geben und nicht nur fordern und nehmen. Na, du kennst dich ja aus, beeile dich und berichte mir dann."

Der Engel Bartholomäus begab sich also auf die Erde und beobachtete die Menschen. Er spazierte mit ihnen durch die Städte, sah ihre glücklichen Gesichter und hörte, wie sich die Menschen gegenseitig die nettesten Dinge wünschten. Später dann schaute er durch so manches Wohnzimmerfenster. Fleißig notierte der Engel alles.

Gedankenvoll blickte er sich um. "Ja", dachte er, "Jesus hat wirklich alles gut durchdacht. Sein Leben und Wirken hier auf der Erde hat Früchte getragen. Die Menschen sind friedlich, fröhlich, unbekümmert und zufrieden."

Also kehrte er mit diesen guten Nachrichten zurück und berichtete sogleich. "Herr, es ist wundervoll, genau so, wie Du es Dir gewünscht hast. Ich habe die Menschen beobachtet. Sie leben in Deinem Sinne. Tagsüber gehen Sie ihrer Arbeit nach, sind fröhlich und zufrieden. Jeder hat für jeden ein nettes Wort. Sie sind gutgelaunt, lachen von Herzen und sind sehr hilfsbereit. Abends gehen sie in die Kirche, beten Dich an und lobpreisen Dein Werk. Alle danken Dir für Deine Güte, die Sünder sitzen in den Beichtstühlen und bereuen. Ich habe gesehen, wie sich die Menschen beschenken. Die Eltern ihre Kinder, die Kinder ihre Eltern. Die Staatsmänner übermitteln überall hin ihre Grüße und auch sie erwähnen Dich und gedenken Deiner."

"Brav, brav, Bartholomäus", lobte Jesus beifällig dessen Bericht und hakte die Erde in seinem Terminkalender mit goldenem Stift ab. Es waren nur goldene Haken hinter allen diesen notierten Welten, zu denen er seine Engel sandte. Überall war alles in seinem Sinne in Ordnung.

Auf der Erde war inzwischen der Heilige Abend vorbei. Die Rundfunkstationen verkündeten die Beendigung der Waffenstillstände, die Kinder zerbrachen ihr neues Spielzeug, die Eltern stritten wie gewohnt, die Staatsmänner drohten und alle Menschen waren wieder misslaunig.
Jesus sendet die Engel immer nur an seinen Geburtstagen auf seine Welten. Wie sollte er also jemals erfahren, wie es auf unserer Welt wirklich zugeht?
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Adalbert Hauser

struwwelpeter
24.12.2006, 01:56
Heiligabend
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Es war Heiligabend, überall im Land, auch in der großen Stadt. Eine Schneedecke lag auf den Häusern und Straßen. Leicht vergilbt war sie schon, weil die große Stadt sogar Weihnachten ihren schmutzigen Stempel aufdrückte. Aber es standen Sterne am Himmel, nicht viele, doch schöne, schön wie eh und je. Die Luft war zum Schneiden kalt, richtig anfassen konnte man sie.

Der Mann legte einen Nebelwattebausch vor sich in die Luft, der sich vor Schreck in der Kälte gleich zusammen knäulte und dann langsam in die Nacht davon schwebte. Er war allein. Ab und zu brauste ein Auto vorbei, in dem es warm sein musste. Die Menschen darin fuhren zu einem Ziel, an dem andere Menschen auf sie warteten und sich freuen würden. Über den Mann freute sich niemand. Neulich hatte ihm einer gesagt, früher hätte man solche Taugenichtse wie ihn umgebracht. Heute saß der wohl mit Tränen der Rührung in den Augen vor irgend einem Weihnachtsbaum.

Der Mann hatte Hunger. Natürlich hätte er ins Asyl gehen können, wahrscheinlich hatte man da heute Abend sogar eine Tischdecke aufgelegt. Aber nichts in der Welt hätte ihn da heute hingetrieben. Er dachte an die kalten Fliesen, die schlecht verputzten leicht fleckigen Wände, den abgestandenen Geruch, vermischt mit Desinfektionsmitteln.

Er bemühte sich, an etwas anderes zu denken. Er wollte heute Nacht draußen sein, er wollte sehen, ob es der Wärme seines geliebten Sternenhimmels und der freien Luft noch einmal gelingen würde, die Kälte zu vertreiben, die mit jedem Jahr schrecklicher für seinen alten Körper wurde. Vielleicht würde er doch noch einmal spüren, was Weihnachten als Kind für ihn bedeutet hatte.

Er setzte sich auf eine Bank. Um ihn herum war ein kleiner Park zwischen zwei Hauptstraßen. Es war spät und der Park leer. Oder doch nicht? Auf dem einzigen Weg kam eine alte Frau daher, langsam, als sei sie schwer beladen. Aber sie hatte nichts bei sich, nur sich selbst. In ihrem Gesicht gab es tausend Runzeln, Falten, ja Furchen wie auf einem Acker im Frühjahr.

Aber in ihren Augen war Sommer. Endlos lang ging sie auf den alten Mann zu, dabei war sie ihm von Anfang an ganz nahe. Dann stand sie endlich vor ihm., gebeugt, aber nicht außer Atem. Sie schauten sich an. Der Blick der Frau war ernst und voller Liebe. In seinen Ohren rauschte es und er hatte den Eindruck, als würde die Welt hinter der Frau sich langsam auflösen.
"Wie heißt du?" fragte sie ihn langsam. Ihre Stimme klang ruhig, etwas rau und gebrochen vielleicht.

"Peter" hörte er sich einen Namen sagen, den er schon fast vergessen hatte, denn er hatte im Mund der anderen Menschen meistens nur etwas hässliches, wertloses gemeint. Aber diesmal löste sich das Wort sanft und freundlich von seinem Mund, es wurde größer, immer größer und fing dann an, in den Himmel davon zu schweben, höher und höher. Dort stand sein Name dann von einem Horizont zum anderen in goldgelben Buchstaben geschrieben und Sterne umflogen die Ränder. Dann wurde das Wort langsam wieder kleiner und verschwand in der Unendlichkeit des schwarzblauen Nachthimmels.

"Warum schaust du so unglücklich?" fragte die Frau jetzt, während sie ihre faltigen Hände, die aus graugelb geblümten Ärmeln kamen, auf seine Schultern legte. Als die Frage ihn traf, hüllte sie ihn ein wie ein dicker weicher Mantel und er fühlte eine Wärme in sich fließen, wie er sie schon lange nicht mehr gespürt hatte.

Und dann erzählte Peter. Von der Schule erzählte er, wo die Menschen ihm Fragen stellten, ohne dass ihm je einer Antworten gesagt hätte, von seinen Eltern, die Karriere machten, von seinen Kindern, die Geld wollten, von seinem Chef, der keinen Menschen wollte. Dann war da die Hoffnung auf Bücher, die er doch nicht verstanden hatte, da waren Sozialhelfer, die ihn nicht verstanden hatten, dann kam der Alkohol.

Alles, alles hörte die Frau sich geduldig an. Und all diese Worte, Bilder, Geschichten, Peters Furcht und auch Peters Freude und Hoffnung, die mit der Zeit freigeweht wurden, all das schwebte nach oben in den Himmel, wurde größer, nahm tausend Farben an, sprühte, umgab sich mit goldenen Girlanden, explodierte und schlug Feuerräder.

Es war ein gewaltiges Feuerwerk. Der Himmel war voll von blitzenden, leuchtenden Worten, die langsam in die Weite des Weltalls davon schwebten. Nachdem sich die Worte verloren hatten, war der Himmel übersät mit schillerndem, blitzendem Staub. Und Peter war nicht mehr kalt. Seine Worte hatten seiner Welt die lange vermisste Wärme zurückgegeben.
Lange starrte er ungläubig in den Himmel und nur langsam lösten sich seine Gedanken von den Bildern.

"Du bist nicht von hier, nicht wahr?" rang Peter sich durch, zu fragen.
"Nein," lächelte die Frau, "aber ich bin hier, nur für dich und es war ein langer Weg." "Warum besuchst du mich?"
"Du hast mich doch gerufen! Lass uns tanzen!"

Peter stand auf, schwerfällig, denn er hatte lange nicht mehr getanzt und seine Knochen waren darüber mürbe geworden. Vorsichtig und unsicher Umfasste er die alte Frau, der Stoff ihres Kleides fühlte sich grob an.
Er hatte etwas Angst, doch dann merkte er, dass seine Füße sich von selbst bewegten. Oder bewegten sie sich gar nicht? Peter schwebte durch den Park. Die Winternacht drehte sich um die beiden und jetzt hörte er auch die Musik. Glocken klangen, ganz leise und sie gaben den Takt an. Ein Schwindelgefühl hüllte ihn sacht und zärtlich ein. Die beiden Geliebten schienen stillzustehen und die Welt drehte sich im Walzertakt.

Das lächelnde Gesicht der geheimnisvollen Frau beleuchtete Peter. Das Leuchten dehnte sich aus und schon war alles um ihn herum in helles Licht gebadet. Auch das Klingen der Glocken wurde größer und lauter und schien die ganze Welt auszufüllen. Weiche, leuchtende, glitzernde Schneeflocken wehten ihm jetzt ins Gesicht.

Das Lächeln der Frau war auf eine seltsame Weise anders geworden. Das Lächeln eines Kindes? Es lag in seinen Armen und schrie und der alte Mann spürte, wie ein Schauer von Glück seine Falten glättete. Die Schneeflocken fielen immer wilder und schon war es ein Schneesturm, der ihm entgegenwehte. Nur noch das Gesicht des Kindes schmolz mit seiner Wärme eine Öffnung hinein. Peter schaute und schaute. Wärme floss zu ihm herüber, in ihn hinein, füllte ihn ganz bis zum äußeren Rand seiner Haut mit Liebe. Und nichts mehr sonst war da. Nur noch Liebe, Liebe, Liebe.
Der Schnee hatte den alten Mann auf der Bank zugeweht. Er saß still da, wie ein Schneemann, den Kinder dort hingesetzt hatten. Die Hände hatte er gefaltet, der Kopf war leicht nach vorne genickt.
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Roland Rauch

struwwelpeter
24.12.2006, 02:02
Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern
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Es war so grässlich kalt; es schneite und es begann dunkler Abend zu werden. Es war auch der letzte Abend des Jahres, Silvesterabend. In dieser Kälte und in dieser Dunkelheit ging auf der Straße ein kleines, armes Mädchen mit bloßem Kopf und nackten Füßen; ja, sie hatte zwar Pantoffeln angehabt, als sie von Hause wegging, aber was nützte das schon! Es waren sehr große Pantoffeln, ihre Mutter hatte sie zuletzt benutzt, so groß waren sie, und die verlor die Kleine, als sie über die Straße eilte, während zwei Wagen so erschreckend schnell vorbeifuhren. Der eine Pantoffel war nicht zu finden, und mit dem andern lief ein Knabe davon; er sagte, den könne er als Wiege brauchen, wenn er selbst einmal Kinder bekomme.

Da ging nun das kleine Mädchen auf den nackten, kleinen Füßen, die vor Kälte rot und blau waren. In einer alten Schürze trug sie eine Menge Schwefelhölzer, und ein Bund hielt sie in der Hand. Niemand hatte ihr den ganzen Tag hindurch etwas abgekauft; niemand hatte ihr einen kleinen Schilling gegeben. Hungrig und verfroren ging sie dahin und sah so eingeschüchtert aus, die arme Kleine! Die Schneeflocken fielen in ihr langes, blondes Haar, das sich so schon um den Nacken ringelte, aber an diese Pracht dachte sie wahrlich nicht. Aus allen Fenstern glänzten die Lichter, und dann roch es auf der Straße so herrlich nach Gänsebraten; es war ja Silvester- Abend, ja, daran dachte sie!

Drüben in einem Winkel zwischen zwei Häusern, von denen das eine etwas mehr vorsprang als das andere, dort setzte sie sich hin und kauerte sich zusammen. Die kleinen Beine hatte sie unter sich hochgezogen; aber es fror sie noch mehr, und nach Hause zu gehen, wagte sie nicht. Sie hatte ja keine Schwefelhölzer verkauft, nicht einen einzigen Schilling bekommen. Ihr Vater würde sie schlagen, und kalt war es zu Hause, sie hatten nur eben das Dach über sich, und da pfiff der Wind herein, obwohl in die größten Spalten Stroh und Lumpen gestopft waren. Ihre kleinen Hände waren beinahe ganz abgestorben vor Kälte. Ach!
Ein kleines Schwefelhölzchen könnte gut tun. Wenn sie es nur wagen würde, eines aus dem Bund zu ziehen, es gegen die Wand zu streichen und die Finger zu erwärmen! Sie zog eins heraus, ritsch! Wie es sprühte, wie es brannte! Es war eine warme, helle Flamme, wie ein kleines Licht, als sie, es mit der Hand umschirmte. Es war ein seltsames Licht: dem kleinen Mädchen war es, als säße es vor einem großen, eisernen Ofen mit blanken Messingkugeln und einem Messingrohr. Das Feuer brannte so herrlich, wärmte so gut; nein, was war das! Die Kleine streckte schon die Füße aus, um auch diese zu wärmen - da erlosch die Flamme. Der Ofen verschwand, sie saß mit einem kleinen Stück des abgebrannten Schwefelhölzchens in der Hand.

Ein neues wurde angestrichen, es brannte, es leuchtete, und wo der Schein auf die Mauer fiel, wurde diese durch- sichtig wie ein Schleier; sie sah gerade in die Stube hinein, wo der Tisch gedeckt stand mit einem blendendweißen Tischtuch, mit feinem Porzellan, und herrlich dampfte die gebratene Gans, gefüllt mit Zwetschgen und Äpfeln; und was noch prächtiger war: die Gans sprang von der Schüssel herunter, watschelte durch die Stube, mit Messer und Gabel im Rücken; gerade auf das arme Mädchen kam sie zu. Da erlosch das Schwefelholz, und es war nur die dicke, kalte Mauer zu sehen.

Die Kleine zündete ein neues an. Da saß sie unter dem schönsten Weihnachtsbaum; er war noch größer und schöner geschmückt als der, den sie bei der letzten Weihnacht durch die Glastür bei dem Kaufmann gesehen hatte. An den grünen Zweigen brannten tausend Kerzen, und bunte Bilder, gleich denen, welche die Schaufenster schmückten, sahen auf sie herab. Die Kleine streckte beide Hände in die Höhe - da erlosch das Schwefelholz; die vielen Weihnachtslichter stiegen höher und höher. Sie sah, jetzt waren sie zu den hellen Sternen geworden, einer von ihnen fiel und hinterließ einen langen Feuerstreifen am Himmel. »Jetzt stirbt jemand«, sagte die Kleine, denn die alte Großmutter, die einzige, die gut zu ihr gewesen, aber nun tot war, hatte gesagt: wenn ein Stern fällt, geht eine Seele hinauf zu Gott.

Sie strich wieder ein Schwefelhölzchen gegen die Mauer, es leuchtete ringsumher, und in dem Glanz stand die alte Großmutter, so klar, so schimmernd, so mild und lieblich.

»Großmutter«, rief die Kleine, »oh, nimm mich mit! Ich weiß, du bist fort, wenn das Schwefelhölzchen ausgeht, fort, ebenso wie der warme Ofen, der herrliche Gänsebraten und der große, gesegnete Weihnachtsbaum!«

Und sie strich hastig den ganzen Rest von Schwefelhölzern an, die im Bund waren. Sie wollte Großmutter recht festhalten; und die Schwefelhölzer leuchteten mit einem solchen Glanz,
dass es heller war als der lichte Tag. Großmutter war früher nie so schön, so groß gewesen; sie hob das kleine Mädchen auf ihren Arm, und sie flogen in Glanz und Freude so hoch, so hoch dahin; und dort war keine Kälte, kein Hunger, keine Angst, sie waren bei Gott.

Aber im Winkel beim Hause saß in der kalten Morgenstunde das kleine Mädchen mit roten Wangen, mit einem Lächeln um den Mund - tot, erfroren am letzten Abend des alten Jahres. Der Neujahrsmorgen ging über der kleinen Leiche auf die mit den Schwefelhölzern dasaß, von denen ein Bund fast abgebrannt war.
Sie hatte sich wärmen wollen, sagte man. Niemand wußte, was sie Schönes gesehen hatte und in welchem Glanz sie mit der alten Großmutter eingegangen war zur Neujahrsfreude.
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Hans Christian Andersen

struwwelpeter
24.12.2006, 02:08
Das Christkind

Über der ganzen Ebene, soweit sie reichte, lag der Schnee glänzend im Mondschein da. Das erste, was Veva tat, war, dass sie zum Himmel aufblickte, den großen Stern wiederzufinden, und aufgeregt erzählte sie Trese, wie der große Stern gerade über dem Häuschen zu sehen gewesen war, wo das Christkind aufs neue zur Welt kam. Aber nun sah der Himmel ganz anders aus: alle Sterne hatten ihr Licht angesteckt! Am schwarz-blauen Himmelszelt wimmelte es von großen und kleinen Sternen, wirr durcheinander und dicht gesät; sie funkelten und tanzten wie zitternde Feuerfünkchen, wie schelmische Augen, die fortwährend zwinkerten und blinzelten. Und mitten zwischen ihnen hing der schöne runde Vollmond, der die ganze Welt mit silbrigem Glanz übergoß und den Schnee erglitzern ließ, so weit das Auge reichte. Der Wind hatte sich gelegt, und es war ganz still in dieser Nacht. Der Schnee krachte, er knirschte unter jedem Schritt; an anderen Stellen war er pulverig wie leckeres Backmehl, das unter dem Fuß aufstäubt.

Veva fand jetzt alles noch viel einsamer und stiller als am Abend. Es beängstigte und erfreute sie zugleich, wenn sie daran dachte, daß es nun Nacht war, die echte heilige Christnacht, und dass sie sich aufgemacht hatte, das Jesuskind zu schauen; es war zu überwältigend, um es zu glauben. Sie stapfte zwischen Trese und der Mutter einher, und das war ihr das einzig Sichere, daran sie sich überzeugen konnte, dass es kein Traum war, was sie hier draußen auf dem Feld erlebte. Und doch, es kam noch die Kälte dazu! Die Kälte, die überall hinkniff, wo sie bloße Haut vorfand, und den ganzen Körper des Kindes wie mit tausend Nadeln stach, so dass es tüchtig wehtat. Zu Hause am Herd war es so warm gewesen, dass sie es nun draußen schwer aushalten konnte - der Unterschied war gar zu groß. Aber als sie so mit den Zähnen klapperte, dass Mutter es hörte, warf diese ihr ihren Mantel über den Kopf, und nun wurde es wirklich lustig. Veva lief wie in einem Kapellchen, im dunkeln, aber warm eingemummt, und nun wusste sie selbst nicht mehr recht, ob sie vorwärts ging oder an Ort und Stelle trippelte; sie ließ sich nur führen, hielt Mutters Hand fest und fing an, von ihrem unsagbaren Glück zu träumen. Die Pächtersfrau und die Magd plauderten leise miteinander. Veva aber wollte oder konnte es nicht hören, weil sie sich mit ihren eigenen Gedanken beschäftigte.

Nach einer Weile öffnete Veva den Mantel einen Spalt breit, und als sie mit einem Auge durchguckte, sah sie vorn Trese, die alte Magd, die mit beiden Bündeln am Arm unter dem weit offenstehenden Mantel einem wandelnden Fuder Heu glich. Nun wagte Veva noch einen Blick, um in die Ferne auszuschauen, und wahrhaftig; „Sieh, Mutter“, rief das Kind, „siehst du es! Das Licht brennt noch! da ist's!“ „Ja, das ist das Kätnerhaus, wir sind bald da...“

„Und was willst du nun zu dem Kindlein sagen?“ Veva wusste nicht, was sie antworten solle; sie hatte nicht daran gedacht, dort etwas zu sagen - das würde sie sich nie getrauen -, sie wollte nur das Kindlein still bewundern. „Ich will es ansehen, Mutter“, sagte sie.

„Und hast du das Kindlein nichts zu fragen? Das ist aber wenig.“

Veva überlegte, aber sie konnte es sich nicht denken, sonst noch irgend etwas zu tun als das göttliche Kind anzuschauen. Sie war voll schaudernder Ehrfurcht vor dem, was sie erleben sollte, und schätzte diese Gunst allein so hoch, dass kein anderes Verlangen in ihr aufkommen konnte. Sie fühlte sich unwürdig, wie die dürftigste unter den Hirtinnen, die voll Glückseligkeit, aber voll Furcht sich leise nahen und niederknien und kaum aufzuschauen wagen zu dem göttlichen Kind, das wirklich aus dem Himmel auf die Erde herabgestiegen ist. Sie konnte es sich nicht anders vorstellen; sie kam nur, anzubeten, und schon das war ein großes Glück für sie. Aber nun erfüllte Mutters Vorschlag, der sie wie eine große Überraschung traf, ihr Herz mit neuer Freude.

„Du mußt das Christkind bitten, dass es nächstes Jahr auch einmal zu uns auf den Hof kommt“, sagte Mutter.

„Ach ja!“ Daß sie daran nicht gedacht hatte! Dies war die passende Gelegenheit, sich diese Gunst für das nächste Jahr auszubitten.

„Ach, wenn das geschehen könnte!“, sagte Trese. Keine von den dreien wusste noch etwas hinzuzufügen; sie schwiegen, als geschähe es aus Ehrfurcht, weil sie sich jetzt dem Häuschen näherten. Das Licht, das sie aus weiter Ferne hatten blinzeln sehen, war nun ganz nah, und wirklich, nun traten sie leiser auf und hielten inne, um die Ruhe nicht zu stören; denn hier war es stiller als selbst auf der weiten Fläche, wo sich nichts bewegte. Vor der Tür zauderten sie noch ein wenig, dann klopfte Trese mit dem Knöchel sacht an das Fensterchen und flüsterte, das Gesicht gegen den Spalt gedrückt: „Meetje, mach auf, Trese ist da und hat gute Begleitung mit...“ Veva hielt den Atem an, so ergriffen und scheu war sie. Sie fürchtete, dass nun nach all dem langen Warten am Ende noch etwas dazwischenkommen könnte: dass sie nicht eingelassen würden, dass sie das Kindlein nicht zu sehen bekämen oder dass es vielleicht schon fort wäre... Aber Meetje öffnete hastig die Tür. „Womit kann ich euch dienen?“ fragte das Frauchen, verwundert über diesen späten Besuch. „Die Pächterin vom Gutshof und ihr Töchterchen würden jetzt gern das Christkind sehen“, antwortete Trese in dem gleichen gewollt feierlichen Ton. Aber nun tat er seine Wirkung: „Ei, ei!“ rief das Frauchen mit verhaltenem Atem und gedämpfter Stimme. „Wer ist da? Ist's wirklich wahr? Die Herrin selbst? Wie kommen wir zu dieser Ehre? Und Trese, die alte Trese, noch so spät... Gott, was für Sachen! Und in der Christnacht noch dazu! Kommt doch herein! Und ich lass euch da in der Kälte stehen, wo es so friert!“ Das Frauchen hatte ganz den Kopf verloren; sie stotterte und stammelte vor Verwunderung. Sie könnten nichts dafür, dass es hier so dunkel sei, weil sie nur ein Lämpchen hatten, und das müsste in der Webkammer brennen bei der Wöchnerin... Veva schlüpfte an Mutters Rock mit herein, blieb bestürzt stehen und blickte bebend in die Dunkelheit. „Kommt nur, ihr Leute“, flüsterte Meetje und drückte leise die Tür der Kammer auf, wo das Lämpchen brannte.

Eine warme muffige Treibhausluft schlug ihnen entgegen, aber weder die Pächterin noch die Magd sahen, wie man da hineinkommen könnte. Mit Mühe mussten sie sich alle vorwärtsschieben und sich zwischen Kamin und Stühlen durchquetschen; die Kammer war so klein, daß beinahe kein Platz mehr übrig blieb, weil der Webstuhl und das Bett den ganzen Raum in der Mitte ausfüllten. Der Mann war von dem Flachsfaserfeuerchen aufgesprungen und schaute erschrocken, wer da nun so unerwartet hereinkäme. Er suchte Platz zu schaffen und schob die Stühle aus dem Weg und stellte sich selbst in den äußersten Winkel. Die Frau im Bett öffnete ihre großen Augen und richtete sich halb auf, um sehen zu können; da verklärte ein leises glückliches Lächeln ihre Züge. So voll und so durcheinander stand hier alles unter der Balkendecke zwischen den weißgekalkten Lehmwänden, dass man das Ganze nicht recht übersehen konnte. Aber Veva hatte es doch schnell entdeckt: vor dem Bett, in dem die Frau lag, stand auf vier plumpen Beinen eine hölzerne Mulde, und darin lag etwas, das mit Webabfall und Lumpen umwickelt war, und ganz in der Ecke hinter diesem wirklichen Krippchen standen Lenchen und Trinchen! Die erschrockenen Gesichter der beiden Mädchen blickten verwundert auf, und Veva sah, dass die beiden die Krippe bewachten, in der das Kindlein liegen müsste. Das Mädchen wusste nicht, wie sie dort hinkommen sollte, aber sie wagte nicht sich zu rühren, noch zu sprechen.

„Dicht bei dicht macht warm“, sagte Meetje Moeie freundlich, „es ist hier zwar etwas eng, wir sitzen alle in ein und demselben Nest, da spart man Feuerung... Wir wärmen uns gegenseitig, seht...“ Und sie wies auf eine dunkle Höhlung auf dem Boden zwischen dem Fußende des Bettes und der Mauer: „Da liegen schon zwei Schläfer, und die beiden ältesten müssen gleich noch mit hinein - das ist die Schlafstelle für die Mädchen.“ Dann zeigte sie auf das ausgetretene Loch unter dem Webstuhl: „Das ist das Bett der beiden Jungen, sie liegen auch schon drin.“

Es war zu dunkel, als dass man etwas unterscheiden hätte können, und es musste der Pächterin allmählich zum Bewusstsein kommen, wie es hier von Kindern wimmelte und wie die untergebracht waren. „Schlafen die Würmchen auch nur so auf der Erde?“, fragte sie teilnehmend.

„Ach da liegen sie warm, sie haben zusammengeballte Säcke und ein paar Lumpen in ihrer Kuhle, und sie wärmen sich aneinander“, sagte Meetje Moeie.

„Still, dass sie nicht wach werden! flüsterte die Bäuerin, denn sie fürchtete, es möchte jeden Augenblick ein tüchtiges Geschrei losbrechen, wenn das Kroppzeug munter würde. Gott, wie war es möglich, hier so aufeinandergepackt zu hausen? Jetzt merkte sie, dass es hier noch an anderem als an Kinderwindeln und leinenen Lappen fehlte. Sie wusste nicht, was sie tun oder sagen sollte, so beschämt war sie, hier als behäbige Bäuerin zu stehen, und es tat ihr leid, dass sie nicht viel mehr mitgebracht hatte, was diesen Leuten dienen könnte.
Diesen Weihnachtsbesuch hatte sie als reine Freundlichkeit aufgefasst, um einer Laune ihres Kindes zu genügen, aber nun sah sie den Ernst der Lage, und ein grenzenloses Mitleid erfüllte ihr Gemüt. Als sie sich nach Veva umsah, merkte sie, dass das Kind - Gott weiß wie - durch den engen Raum zwischen den Stützen des Kamins und dem Webstuhl zu der Krippe geklettert war und an die beiden andern geschmiegt dastand. Die Arme eins um des andern Schulter geschlungen, beugten sie sich über die hölzerne Krippe und verharrten in starrer Bewunderung. Das älteste Mädchen hatte ein Tuch zurückgeschoben, und nun lag das Gesichtchen des Neugeborenen frei. Sobald sie es gesehen hatte, wusste Veva nicht mehr, was rund um sie her vorging, sie sah das Kindlein: ein ganz kleines Kindlein, Äuglein und Mündchen zugekniffen, ein Gesichtchen, nicht größer als eine kleine Faust... Sie sah es an und konnte sich nicht satt sehen daran.
Noch niemals hatte sie solch einen kleinen, kleinen Säugling gesehen, und sie wagte erst nicht zu glauben, dass er lebte.

Die Pächterin kümmerte sich um die Frau, die im Bett lag; sie murmelte ganz leise, während Trese und Meetje Moeie die Bündel aufmachten. Aber Veva sah und hörte nichts von alledem; sie fühlte sich in dem Besitze dessen, was ihr höchstes Verlangen darstellte: nun war sie überzeugt, dass sie wirklich vor der Krippe stand und das Jesuskind anschauen durfte; sie dachte keinen Augenblick daran, dass es so ganz anders war, als sie es sich früher vorgestellt hatte.
Von der übernatürlichen Klarheit war hier nichts, nichts von dem Glanze und dem Leuchten, die das göttliche Kind ausstrahlen müsste, keine schwebenden Engel, kein himmlischer Gesang; aber dies alles vermisste Veva nicht einmal, denn eine wunderbare Klarheit strahlte aus ihrem eigenen Innern und erleuchtete alles, was sie sah; und die ungewöhnliche Armut und Dürftigkeit der vollgestellten muffigen Webkammer ließ sie unbewusst an den armen kleinen Stall zu Bethlehem denken, wo der Wind frei durch die Löcher blies. Die äußerst alltäglichen Dinge erschienen ihr alle so wunderbar, dass sie noch immer Mühe hatte, sich zu überzeugen, dass es kein Traum war, aber sie spürte zu deutlich die Haarlocken an ihren Wangen, und gegen ihre Schultern stießen von beiden Seiten die Schultern ihrer beiden kleinen Gespielinnen Lenchen und Trinchen, die ebenso entzückt schienen wie sie selbst und in stummer Verwunderung vor der Krippe standen.

Trotz ihrer eigenen Verzückung fühlte Veva dennoch, wie viel reicher und köstlicher der Besitz für Lenchen und Trinchen war, denn diese vom Schicksal bevorzugten Kinder hatten diesen heiligen Schatz ins Haus bekommen, indessen sie sich mit einem Christbaum und ein wenig Tand hatte bescheiden müssen. Veva beneidete die armen Mädchen jetzt nicht mehr; sie musste ihnen unsäglich dankbar sein dafür, dass sie sie an der Gnade, das göttliche Kind hier sehen zu dürfen, teilhaben ließen.

Die drei hatten noch kein Wort miteinander gesprochen, als die Pächterin mit halber Stimme fragte: „Veva, was hast du nun für die artigen Kinder mitgebracht?“ Da stand die Kleine beschämt; sie erschrak und wusste nichts zu tun als traurig aufzublicken, da Mutter sie bei dieser hartherzigen Nachlässigkeit ertappte. Alle ihre Gedanken waren vom Christkind eingenommen; was ihr die Engel aus dem Himmel mitgebracht hatten, galt ihr so wenig, dass ihr nicht einmal der Gedanke gekommen war, etwas davon an diese armen Kinder zu verschenken. Wie gern hätte sie ihnen alle ihre Schätze abgetreten, ihnen ihre Dankbarkeit zu zeigen für die große Wohltat, die ihr zuteil wurde! „Nun, bleibst du noch hier, oder gehst du mit Trese nach Hause?“ fragte die Pächterin. Veva rührte sich nicht. Sie stand wie ein Bildstöckchen da und sah ihrer Mutter flehend ins Auge. Sie wollte so gern hier bleiben! „Gut, dann gehen wir in die Kirche und lassen dich hier, bis wir wiederkommen.“ Veva konnte es nicht erwarten, bis Mutter weg war, damit sie sicher sei, dass sie bleiben dürfte.

Der Mann und das alte Frauchen gaben der Pächterin und Trese bis vor die Haustür das Geleit, dann wurde es vollkommen still im Kämmerlein. Veva bekam einen Stuhl zum Sitzen, und nun standen die Mädchen zu beiden Seiten der Krippe; sie strengten sich an, als hätten sie Nachtwache beim Christkind zu halten. Meetje Moeie schlurfte auf Strümpfen hin und her, legte Flachsfasern auf Feuer und rührte in der Pfanne. Der Mann war nicht zurückgekommen und war sicher auch zur Christmette gegangen. Lenchen und Trinchen wagten noch immer nicht zu sprechen, aus Ehrerbietung oder aus Furcht, dass das Kindlein aufwachen könnte. Im stillen war es Vevas innigstes Verlangen, das Kindlein wach zu sehen, oder dass es doch einmal eines von seinen Äuglein öffnen möchte; es schien aber ruhig weiterschlafen zu wollen. Wenn es geschah, dass Veva flüchtig aufschaute, sah sie jedesmal in da bleiche Gesicht und die sanften Augen der mageren Frau mit dem nie weichenden Lächeln, die so glücklich schien und fortwährend ihren Blick auf die drei Mädchen und die Krippe heftete.

Veva wusste eigentlich nicht, ob es sehr lange oder sehr kurz gedauert hatte, aber es wunderte sie und sie erschrak, als sie an der Haustür ein Geräusch hörte und Mutter schon zurückgekehrt war. „Komm nun, Kind, die Leute wollen schlafen gehen und wir auch“, sagte die Pächtersfrau. Veva stand wie angewachsen da; sie hatte die beiden Händchen auf den Rand der Krippe gelegt, weil sie es nicht wagte, das Kind selbst anzurühren, es fiel ihr schwer, die Hände wegzuziehen und Abschied zu nehmen. Vor dem Fortgehen sah sie noch zum letzten Mal zum Krippchen, und siehe da: nun bewegte sich etwas und das Christkind schien aufwachen zu wollen; es öffnete die Äuglein und lächelte! Veva schoss das Blut zum Herzen, dass es heftig zu klopfen begann und sie keinen Schritt vorwärts zu tun wagte. Aber Mutter drängte: „Komm nur, es wird spät, die Leute werden schon daheim sein!“

„Mutter, Mutter!“ Veva wollte erklären, dass nun etwas Wichtiges bevorstehe, aber die Pächterin begriff nicht, was ihr Töchterchen sagen wolle. „Morgen darfst du noch einmal wiederkommen, wenn du dich ausgeschlafen hast!“

Veva musste mit, Trese legte ihr das Tuch um die Schultern und nahm sie an der Hand. „Sag guten Abend, oder besser, guten Tag!“ Und plötzlich fiel ihr etwas ein, und sie nahm den Faden wieder auf: „Schau, es ist wahr: Gesegnete Weihnachten! Ich hatte vergessen, dass es schon Christtag ist!“

„Gesegnete Weihnachten!“ wünschten nun sie alle einander. Der Mann und Meetje Moeie kamen bis zur Tür mit, um der Pächtersfrau zu danken; die Wöchnerin rief vom Bett aus auch noch ihren Dank, worauf die junge Bäuerin sich entschuldigte und versprach, am Tage noch das eine oder andere zu schicken und alles für das Kindchen zu tun, was nötig war... „Ihr werdet sehen!“ rief die alte Trese Meetje Moeie zu, „dies Christkind bringt noch Glück ins Haus!“

Vevachen ging an Treses Hand; sie hatte nicht gewagt, sich noch einmal nach der Krippe umzusehen; auch fehlte ihr der Mut, Lenchen und Trinchen ihr Vorhaben mitzuteilen; aber sie war fest entschlossen, alles, was sie zu Weihnachten bekommen hatte, mit den Kindern zu teilen. Aber da erschrak sie auf einmal: sie hatte vergessen, das Kindlein zu fragen, ob es im nächsten Jahr zu ihnen auf den Hof kommen wolle! Sie wagte nicht zu bekennen, dass sie das versäumt hatte, und es quälte sie wie ein großes Unglück...

In der nächtigen Weite war es ganz still; noch immer überflutete eine seltsame Klarheit die weiten weißen Felder, aber auf dem Schnee liefen schwarze Menschengestalten, die aus der Kirche heimkehrten. „Mutter, darf ich den Kindern morgen meine Weihnachtssachen bringen?“

„Ja, Kind.!

„Die Kinder haben nichts bekommen, nicht wahr, Mutter?“

„Nein, nichts, Veva!“

„Aber sie haben das Christkindchen, Mutter!“

„Ja, sie haben das Christkindchen“, sagte die Pächtersfrau, und es war Veva, als hätte die Mutter bei diesem Worte schwer geseufzt. Und warum ließ Trese ein mitleidiges „Ach Gott, das Kind!“ darauf folgen? Keins von den dreien sprach ein Wort, wie sie so über den Schnee gingen, der fortwährend unter den Füßen knirschte. Veva schaute aufwärts zu den Sternen, die immer noch mächtig funkelten; ihr Herz war voll Freude und Angst, ihr Gemüt gerührt von dem, was sie gesehen hatte. Das Geheimnisvolle des Geschehens rund um sie her verstand sie nicht, und vielem, woran sie dachte, vermochte sie weder einen Sinn noch eine Erklärung zu geben. Es verlangte sie aber, sobald sie ausgeschlafen hätte, ihre Geschenke nach dem Kätnerhaus zu bringen und die Freude all der Kinder mitansehen zu dürfen.

In der großen Diele des Gutshofes war wieder Geräusch, Bewegung, Licht, Wärme und üppige Geselligkeit in Fülle, wie am hellichten Tag. Der Kaffee duftete, die mit Butter gestrichenen Schnitten vom Weihnachtsstollen lagen hochgestapelt auf den Zinnschüsseln. Jedem Neueintretenden wurden „Gesegnete Weihnachten“ gewünscht, und jeder nahm an der großen Tafel Platz. Dann wurde die Flasche wieder hergeholt und die Gläser wurden vollgeschenkt. Veva stand verlegen da wie in einem fremden Haus; sie fühlte keine Lust, jemand etwas von dem mitzuteilen, was sie geschaut hatte: immerfort guckte sie zur Mutter und Trese und hatte Angst, dass eine von ihnen etwas davon erzählen könnte; sie wollte ihr Glück verborgen halten. Als das Kind aus der kalten Luft plötzlich in die Wärme kam, wurde es bald vom Schlaf überwältigt, und unwillkürlich war es mit einem Stück Weihnachtsstollen in der Hand bei Tisch vor Schlaf zusammengesunken; ohne dass sie es gewahrte, wurde sie aufgepackt, ins Bett getragen und zugedeckt. Da lag das Kind in tiefem Schlaf.

Aber was Veva an jenem Weihnachtsmorgen träumte, war noch tausendmal schöner, als was sie in der Nacht in Wirklichkeit erfahren und erlebt hatte.
Als Engel schwebte sie auf Flügeln über dem Schneefeld durch die Luft und trug den Christbaum mit allem, was daran hing, federleicht auf ihrer Handfläche.
Der schöne große Stern mit den sieben feurigen Strahlen funkelte hoch über dem Häuschen.

Mit rauschendem Flügelschlag schwebte Veva geradewegs durch den Schornstein hinunter, ohne irgendwo anzustoßen. Nun war das Häuschen voll von Licht und hellem Glanz. Sie brachte den Christbaum hinein, an dem die Lichtlein brannten. Im Krippchen lag rosig das Christkind mit einem Apfel in der Hand, selbst wie ein Äpfelchen auf einem goldgelben Bettchen von Haferstroh.
Es hatte ein schneeweißes Hemdchen an, und seine blauen Äuglein waren offen und lachten Veva freundlich an. Es schüttelte seine schönen Ringellöckchen und streckte ihr die molligen Händchen entgegen. Lenchen und Trinchen waren auch dabei und alle die anderen Kinder und Hirten und Hirtinnen, die mit himmlischer Stimme sangen:

Ihr Hirten, lasst eure Schafe im Feld!
Der große Herr, der Schöpfer der Welt,

Er ist euch geboren, die ihr wart verloren,
Und liegt in der Krippe im kleinen Stall,

Euch zu erlösen nach Adams Fall.
Da wird er gefunden, in Windeln gebunden,

Eine Jungfrau ist Mutter dem Knaben klein,
Sein Vater ist Gott Vater allein.

Macht euch auf die Beine, ihr Hirten, schnell!
Lauft, Hirten, lauft! Lauft Hirten, lauft!

Lauft, Hirten, lauft! Lauft, Hirten, lauft!
Doch lasst mir schlafen das heilige Kind!

Seid leise, leise! Doch lauft geschwind!

Der Christbaum stand mitten in der Kammer, so groß, dass er sie ganz ausfüllte, und nun tanzten die Hirten und Hirtinnen rundherum, und Veva tanzte auch mit zwischen Lenchen und Trinchen. Als sie sich müde getanzt hatten, ging Veva ohne Zagen an die Krippe, sah das strahlende Kindlein an und beugte sich mit all der Lust ihres kindlichen zarten Gemüts tief zu ihm hinunter und Das Christkind
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Über der ganzen Ebene, soweit sie reichte, lag der Schnee glänzend im Mondschein da. Das erste, was Veva tat, war, dass sie zum Himmel aufblickte, den großen Stern wiederzufinden, und aufgeregt erzählte sie Trese, wie der große Stern gerade über dem Häuschen zu sehen gewesen war, wo das Christkind aufs neue zur Welt kam. Aber nun sah der Himmel ganz anders aus: alle Sterne hatten ihr Licht angesteckt! Am schwarz-blauen Himmelszelt wimmelte es von großen und kleinen Sternen, wirr durcheinander und dicht gesät; sie funkelten und tanzten wie zitternde Feuerfünkchen, wie schelmische Augen, die fortwährend zwinkerten und blinzelten. Und mitten zwischen ihnen hing der schöne runde Vollmond, der die ganze Welt mit silbrigem Glanz übergoß und den Schnee erglitzern ließ, so weit das Auge reichte. Der Wind hatte sich gelegt, und es war ganz still in dieser Nacht. Der Schnee krachte, er knirschte unter jedem Schritt; an anderen Stellen war er pulverig wie leckeres Backmehl, das unter dem Fuß aufstäubt.

Veva fand jetzt alles noch viel einsamer und stiller als am Abend. Es beängstigte und erfreute sie zugleich, wenn sie daran dachte, daß es nun Nacht war, die echte heilige Christnacht, und dass sie sich aufgemacht hatte, das Jesuskind zu schauen; es war zu überwältigend, um es zu glauben. Sie stapfte zwischen Trese und der Mutter einher, und das war ihr das einzig Sichere, daran sie sich überzeugen konnte, dass es kein Traum war, was sie hier draußen auf dem Feld erlebte. Und doch, es kam noch die Kälte dazu! Die Kälte, die überall hinkniff, wo sie bloße Haut vorfand, und den ganzen Körper des Kindes wie mit tausend Nadeln stach, so dass es tüchtig wehtat. Zu Hause am Herd war es so warm gewesen, dass sie es nun draußen schwer aushalten konnte - der Unterschied war gar zu groß. Aber als sie so mit den Zähnen klapperte, dass Mutter es hörte, warf diese ihr ihren Mantel über den Kopf, und nun wurde es wirklich lustig. Veva lief wie in einem Kapellchen, im dunkeln, aber warm eingemummt, und nun wusste sie selbst nicht mehr recht, ob sie vorwärts ging oder an Ort und Stelle trippelte; sie ließ sich nur führen, hielt Mutters Hand fest und fing an, von ihrem unsagbaren Glück zu träumen. Die Pächtersfrau und die Magd plauderten leise miteinander. Veva aber wollte oder konnte es nicht hören, weil sie sich mit ihren eigenen Gedanken beschäftigte.

Nach einer Weile öffnete Veva den Mantel einen Spalt breit, und als sie mit einem Auge durchguckte, sah sie vorn Trese, die alte Magd, die mit beiden Bündeln am Arm unter dem weit offenstehenden Mantel einem wandelnden Fuder Heu glich. Nun wagte Veva noch einen Blick, um in die Ferne auszuschauen, und wahrhaftig; „Sieh, Mutter“, rief das Kind, „siehst du es! Das Licht brennt noch! da ist's!“ „Ja, das ist das Kätnerhaus, wir sind bald da...“

„Und was willst du nun zu dem Kindlein sagen?“ Veva wusste nicht, was sie antworten solle; sie hatte nicht daran gedacht, dort etwas zu sagen - das würde sie sich nie getrauen -, sie wollte nur das Kindlein still bewundern. „Ich will es ansehen, Mutter“, sagte sie.

„Und hast du das Kindlein nichts zu fragen? Das ist aber wenig.“

Veva überlegte, aber sie konnte es sich nicht denken, sonst noch irgend etwas zu tun als das göttliche Kind anzuschauen. Sie war voll schaudernder Ehrfurcht vor dem, was sie erleben sollte, und schätzte diese Gunst allein so hoch, dass kein anderes Verlangen in ihr aufkommen konnte. Sie fühlte sich unwürdig, wie die dürftigste unter den Hirtinnen, die voll Glückseligkeit, aber voll Furcht sich leise nahen und niederknien und kaum aufzuschauen wagen zu dem göttlichen Kind, das wirklich aus dem Himmel auf die Erde herabgestiegen ist. Sie konnte es sich nicht anders vorstellen; sie kam nur, anzubeten, und schon das war ein großes Glück für sie. Aber nun erfüllte Mutters Vorschlag, der sie wie eine große Überraschung traf, ihr Herz mit neuer Freude.

„Du mußt das Christkind bitten, dass es nächstes Jahr auch einmal zu uns auf den Hof kommt“, sagte Mutter.

„Ach ja!“ Daß sie daran nicht gedacht hatte! Dies war die passende Gelegenheit, sich diese Gunst für das nächste Jahr auszubitten.

„Ach, wenn das geschehen könnte!“, sagte Trese. Keine von den dreien wusste noch etwas hinzuzufügen; sie schwiegen, als geschähe es aus Ehrfurcht, weil sie sich jetzt dem Häuschen näherten. Das Licht, das sie aus weiter Ferne hatten blinzeln sehen, war nun ganz nah, und wirklich, nun traten sie leiser auf und hielten inne, um die Ruhe nicht zu stören; denn hier war es stiller als selbst auf der weiten Fläche, wo sich nichts bewegte. Vor der Tür zauderten sie noch ein wenig, dann klopfte Trese mit dem Knöchel sacht an das Fensterchen und flüsterte, das Gesicht gegen den Spalt gedrückt: „Meetje, mach auf, Trese ist da und hat gute Begleitung mit...“ Veva hielt den Atem an, so ergriffen und scheu war sie. Sie fürchtete, dass nun nach all dem langen Warten am Ende noch etwas dazwischenkommen könnte: dass sie nicht eingelassen würden, dass sie das Kindlein nicht zu sehen bekämen oder dass es vielleicht schon fort wäre... Aber Meetje öffnete hastig die Tür. „Womit kann ich euch dienen?“ fragte das Frauchen, verwundert über diesen späten Besuch. „Die Pächterin vom Gutshof und ihr Töchterchen würden jetzt gern das Christkind sehen“, antwortete Trese in dem gleichen gewollt feierlichen Ton. Aber nun tat er seine Wirkung: „Ei, ei!“ rief das Frauchen mit verhaltenem Atem und gedämpfter Stimme. „Wer ist da? Ist's wirklich wahr? Die Herrin selbst? Wie kommen wir zu dieser Ehre? Und Trese, die alte Trese, noch so spät... Gott, was für Sachen! Und in der Christnacht noch dazu! Kommt doch herein! Und ich lass euch da in der Kälte stehen, wo es so friert!“ Das Frauchen hatte ganz den Kopf verloren; sie stotterte und stammelte vor Verwunderung. Sie könnten nichts dafür, dass es hier so dunkel sei, weil sie nur ein Lämpchen hatten, und das müsste in der Webkammer brennen bei der Wöchnerin... Veva schlüpfte an Mutters Rock mit herein, blieb bestürzt stehen und blickte bebend in die Dunkelheit. „Kommt nur, ihr Leute“, flüsterte Meetje und drückte leise die Tür der Kammer auf, wo das Lämpchen brannte.

Eine warme muffige Treibhausluft schlug ihnen entgegen, aber weder die Pächterin noch die Magd sahen, wie man da hineinkommen könnte. Mit Mühe mussten sie sich alle vorwärtsschieben und sich zwischen Kamin und Stühlen durchquetschen; die Kammer war so klein, daß beinahe kein Platz mehr übrig blieb, weil der Webstuhl und das Bett den ganzen Raum in der Mitte ausfüllten. Der Mann war von dem Flachsfaserfeuerchen aufgesprungen und schaute erschrocken, wer da nun so unerwartet hereinkäme. Er suchte Platz zu schaffen und schob die Stühle aus dem Weg und stellte sich selbst in den äußersten Winkel. Die Frau im Bett öffnete ihre großen Augen und richtete sich halb auf, um sehen zu können; da verklärte ein leises glückliches Lächeln ihre Züge. So voll und so durcheinander stand hier alles unter der Balkendecke zwischen den weißgekalkten Lehmwänden, dass man das Ganze nicht recht übersehen konnte. Aber Veva hatte es doch schnell entdeckt: vor dem Bett, in dem die Frau lag, stand auf vier plumpen Beinen eine hölzerne Mulde, und darin lag etwas, das mit Webabfall und Lumpen umwickelt war, und ganz in der Ecke hinter diesem wirklichen Krippchen standen Lenchen und Trinchen! Die erschrockenen Gesichter der beiden Mädchen blickten verwundert auf, und Veva sah, dass die beiden die Krippe bewachten, in der das Kindlein liegen müsste. Das Mädchen wusste nicht, wie sie dort hinkommen sollte, aber sie wagte nicht sich zu rühren, noch zu sprechen.

„Dicht bei dicht macht warm“, sagte Meetje Moeie freundlich, „es ist hier zwar etwas eng, wir sitzen alle in ein und demselben Nest, da spart man Feuerung... Wir wärmen uns gegenseitig, seht...“ Und sie wies auf eine dunkle Höhlung auf dem Boden zwischen dem Fußende des Bettes und der Mauer: „Da liegen schon zwei Schläfer, und die beiden ältesten müssen gleich noch mit hinein - das ist die Schlafstelle für die Mädchen.“ Dann zeigte sie auf das ausgetretene Loch unter dem Webstuhl: „Das ist das Bett der beiden Jungen, sie liegen auch schon drin.“

Es war zu dunkel, als dass man etwas unterscheiden hätte können, und es musste der Pächterin allmählich zum Bewusstsein kommen, wie es hier von Kindern wimmelte und wie die untergebracht waren. „Schlafen die Würmchen auch nur so auf der Erde?“, fragte sie teilnehmend.

„Ach da liegen sie warm, sie haben zusammengeballte Säcke und ein paar Lumpen in ihrer Kuhle, und sie wärmen sich aneinander“, sagte Meetje Moeie.

„Still, dass sie nicht wach werden! flüsterte die Bäuerin, denn sie fürchtete, es möchte jeden Augenblick ein tüchtiges Geschrei losbrechen, wenn das Kroppzeug munter würde. Gott, wie war es möglich, hier so aufeinandergepackt zu hausen? Jetzt merkte sie, dass es hier noch an anderem als an Kinderwindeln und leinenen Lappen fehlte. Sie wusste nicht, was sie tun oder sagen sollte, so beschämt war sie, hier als behäbige Bäuerin zu stehen, und es tat ihr leid, dass sie nicht viel mehr mitgebracht hatte, was diesen Leuten dienen könnte.
Diesen Weihnachtsbesuch hatte sie als reine Freundlichkeit aufgefasst, um einer Laune ihres Kindes zu genügen, aber nun sah sie den Ernst der Lage, und ein grenzenloses Mitleid erfüllte ihr Gemüt. Als sie sich nach Veva umsah, merkte sie, dass das Kind - Gott weiß wie - durch den engen Raum zwischen den Stützen des Kamins und dem Webstuhl zu der Krippe geklettert war und an die beiden andern geschmiegt dastand. Die Arme eins um des andern Schulter geschlungen, beugten sie sich über die hölzerne Krippe und verharrten in starrer Bewunderung. Das älteste Mädchen hatte ein Tuch zurückgeschoben, und nun lag das Gesichtchen des Neugeborenen frei. Sobald sie es gesehen hatte, wusste Veva nicht mehr, was rund um sie her vorging, sie sah das Kindlein: ein ganz kleines Kindlein, Äuglein und Mündchen zugekniffen, ein Gesichtchen, nicht größer als eine kleine Faust... Sie sah es an und konnte sich nicht satt sehen daran.
Noch niemals hatte sie solch einen kleinen, kleinen Säugling gesehen, und sie wagte erst nicht zu glauben, dass er lebte.

Die Pächterin kümmerte sich um die Frau, die im Bett lag; sie murmelte ganz leise, während Trese und Meetje Moeie die Bündel aufmachten. Aber Veva sah und hörte nichts von alledem; sie fühlte sich in dem Besitze dessen, was ihr höchstes Verlangen darstellte: nun war sie überzeugt, dass sie wirklich vor der Krippe stand und das Jesuskind anschauen durfte; sie dachte keinen Augenblick daran, dass es so ganz anders war, als sie es sich früher vorgestellt hatte.
Von der übernatürlichen Klarheit war hier nichts, nichts von dem Glanze und dem Leuchten, die das göttliche Kind ausstrahlen müsste, keine schwebenden Engel, kein himmlischer Gesang; aber dies alles vermisste Veva nicht einmal, denn eine wunderbare Klarheit strahlte aus ihrem eigenen Innern und erleuchtete alles, was sie sah; und die ungewöhnliche Armut und Dürftigkeit der vollgestellten muffigen Webkammer ließ sie unbewusst an den armen kleinen Stall zu Bethlehem denken, wo der Wind frei durch die Löcher blies. Die äußerst alltäglichen Dinge erschienen ihr alle so wunderbar, dass sie noch immer Mühe hatte, sich zu überzeugen, dass es kein Traum war, aber sie spürte zu deutlich die Haarlocken an ihren Wangen, und gegen ihre Schultern stießen von beiden Seiten die Schultern ihrer beiden kleinen Gespielinnen Lenchen und Trinchen, die ebenso entzückt schienen wie sie selbst und in stummer Verwunderung vor der Krippe standen.

Trotz ihrer eigenen Verzückung fühlte Veva dennoch, wie viel reicher und köstlicher der Besitz für Lenchen und Trinchen war, denn diese vom Schicksal bevorzugten Kinder hatten diesen heiligen Schatz ins Haus bekommen, indessen sie sich mit einem Christbaum und ein wenig Tand hatte bescheiden müssen. Veva beneidete die armen Mädchen jetzt nicht mehr; sie musste ihnen unsäglich dankbar sein dafür, dass sie sie an der Gnade, das göttliche Kind hier sehen zu dürfen, teilhaben ließen.

Die drei hatten noch kein Wort miteinander gesprochen, als die Pächterin mit halber Stimme fragte: „Veva, was hast du nun für die artigen Kinder mitgebracht?“ Da stand die Kleine beschämt; sie erschrak und wusste nichts zu tun als traurig aufzublicken, da Mutter sie bei dieser hartherzigen Nachlässigkeit ertappte. Alle ihre Gedanken waren vom Christkind eingenommen; was ihr die Engel aus dem Himmel mitgebracht hatten, galt ihr so wenig, dass ihr nicht einmal der Gedanke gekommen war, etwas davon an diese armen Kinder zu verschenken. Wie gern hätte sie ihnen alle ihre Schätze abgetreten, ihnen ihre Dankbarkeit zu zeigen für die große Wohltat, die ihr zuteil wurde! „Nun, bleibst du noch hier, oder gehst du mit Trese nach Hause?“ fragte die Pächterin. Veva rührte sich nicht. Sie stand wie ein Bildstöckchen da und sah ihrer Mutter flehend ins Auge. Sie wollte so gern hier bleiben! „Gut, dann gehen wir in die Kirche und lassen dich hier, bis wir wiederkommen.“ Veva konnte es nicht erwarten, bis Mutter weg war, damit sie sicher sei, dass sie bleiben dürfte.

Der Mann und das alte Frauchen gaben der Pächterin und Trese bis vor die Haustür das Geleit, dann wurde es vollkommen still im Kämmerlein. Veva bekam einen Stuhl zum Sitzen, und nun standen die Mädchen zu beiden Seiten der Krippe; sie strengten sich an, als hätten sie Nachtwache beim Christkind zu halten. Meetje Moeie schlurfte auf Strümpfen hin und her, legte Flachsfasern auf Feuer und rührte in der Pfanne. Der Mann war nicht zurückgekommen und war sicher auch zur Christmette gegangen. Lenchen und Trinchen wagten noch immer nicht zu sprechen, aus Ehrerbietung oder aus Furcht, dass das Kindlein aufwachen könnte. Im stillen war es Vevas innigstes Verlangen, das Kindlein wach zu sehen, oder dass es doch einmal eines von seinen Äuglein öffnen möchte; es schien aber ruhig weiterschlafen zu wollen. Wenn es geschah, dass Veva flüchtig aufschaute, sah sie jedesmal in da bleiche Gesicht und die sanften Augen der mageren Frau mit dem nie weichenden Lächeln, die so glücklich schien und fortwährend ihren Blick auf die drei Mädchen und die Krippe heftete.

Veva wusste eigentlich nicht, ob es sehr lange oder sehr kurz gedauert hatte, aber es wunderte sie und sie erschrak, als sie an der Haustür ein Geräusch hörte und Mutter schon zurückgekehrt war. „Komm nun, Kind, die Leute wollen schlafen gehen und wir auch“, sagte die Pächtersfrau. Veva stand wie angewachsen da; sie hatte die beiden Händchen auf den Rand der Krippe gelegt, weil sie es nicht wagte, das Kind selbst anzurühren, es fiel ihr schwer, die Hände wegzuziehen und Abschied zu nehmen. Vor dem Fortgehen sah sie noch zum letzten Mal zum Krippchen, und siehe da: nun bewegte sich etwas und das Christkind schien aufwachen zu wollen; es öffnete die Äuglein und lächelte! Veva schoss das Blut zum Herzen, dass es heftig zu klopfen begann und sie keinen Schritt vorwärts zu tun wagte. Aber Mutter drängte: „Komm nur, es wird spät, die Leute werden schon daheim sein!“

„Mutter, Mutter!“ Veva wollte erklären, dass nun etwas Wichtiges bevorstehe, aber die Pächterin begriff nicht, was ihr Töchterchen sagen wolle. „Morgen darfst du noch einmal wiederkommen, wenn du dich ausgeschlafen hast!“

Veva musste mit, Trese legte ihr das Tuch um die Schultern und nahm sie an der Hand. „Sag guten Abend, oder besser, guten Tag!“ Und plötzlich fiel ihr etwas ein, und sie nahm den Faden wieder auf: „Schau, es ist wahr: Gesegnete Weihnachten! Ich hatte vergessen, dass es schon Christtag ist!“

„Gesegnete Weihnachten!“ wünschten nun sie alle einander. Der Mann und Meetje Moeie kamen bis zur Tür mit, um der Pächtersfrau zu danken; die Wöchnerin rief vom Bett aus auch noch ihren Dank, worauf die junge Bäuerin sich entschuldigte und versprach, am Tage noch das eine oder andere zu schicken und alles für das Kindchen zu tun, was nötig war... „Ihr werdet sehen!“ rief die alte Trese Meetje Moeie zu, „dies Christkind bringt noch Glück ins Haus!“

Vevachen ging an Treses Hand; sie hatte nicht gewagt, sich noch einmal nach der Krippe umzusehen; auch fehlte ihr der Mut, Lenchen und Trinchen ihr Vorhaben mitzuteilen; aber sie war fest entschlossen, alles, was sie zu Weihnachten bekommen hatte, mit den Kindern zu teilen. Aber da erschrak sie auf einmal: sie hatte vergessen, das Kindlein zu fragen, ob es im nächsten Jahr zu ihnen auf den Hof kommen wolle! Sie wagte nicht zu bekennen, dass sie das versäumt hatte, und es quälte sie wie ein großes Unglück...

In der nächtigen Weite war es ganz still; noch immer überflutete eine seltsame Klarheit die weiten weißen Felder, aber auf dem Schnee liefen schwarze Menschengestalten, die aus der Kirche heimkehrten. „Mutter, darf ich den Kindern morgen meine Weihnachtssachen bringen?“

„Ja, Kind.!

„Die Kinder haben nichts bekommen, nicht wahr, Mutter?“

„Nein, nichts, Veva!“

„Aber sie haben das Christkindchen, Mutter!“

„Ja, sie haben das Christkindchen“, sagte die Pächtersfrau, und es war Veva, als hätte die Mutter bei diesem Worte schwer geseufzt. Und warum ließ Trese ein mitleidiges „Ach Gott, das Kind!“ darauf folgen? Keins von den dreien sprach ein Wort, wie sie so über den Schnee gingen, der fortwährend unter den Füßen knirschte. Veva schaute aufwärts zu den Sternen, die immer noch mächtig funkelten; ihr Herz war voll Freude und Angst, ihr Gemüt gerührt von dem, was sie gesehen hatte. Das Geheimnisvolle des Geschehens rund um sie her verstand sie nicht, und vielem, woran sie dachte, vermochte sie weder einen Sinn noch eine Erklärung zu geben. Es verlangte sie aber, sobald sie ausgeschlafen hätte, ihre Geschenke nach dem Kätnerhaus zu bringen und die Freude all der Kinder mitansehen zu dürfen.

In der großen Diele des Gutshofes war wieder Geräusch, Bewegung, Licht, Wärme und üppige Geselligkeit in Fülle, wie am hellichten Tag. Der Kaffee duftete, die mit Butter gestrichenen Schnitten vom Weihnachtsstollen lagen hochgestapelt auf den Zinnschüsseln. Jedem Neueintretenden wurden „Gesegnete Weihnachten“ gewünscht, und jeder nahm an der großen Tafel Platz. Dann wurde die Flasche wieder hergeholt und die Gläser wurden vollgeschenkt. Veva stand verlegen da wie in einem fremden Haus; sie fühlte keine Lust, jemand etwas von dem mitzuteilen, was sie geschaut hatte: immerfort guckte sie zur Mutter und Trese und hatte Angst, dass eine von ihnen etwas davon erzählen könnte; sie wollte ihr Glück verborgen halten. Als das Kind aus der kalten Luft plötzlich in die Wärme kam, wurde es bald vom Schlaf überwältigt, und unwillkürlich war es mit einem Stück Weihnachtsstollen in der Hand bei Tisch vor Schlaf zusammengesunken; ohne dass sie es gewahrte, wurde sie aufgepackt, ins Bett getragen und zugedeckt. Da lag das Kind in tiefem Schlaf.

Aber was Veva an jenem Weihnachtsmorgen träumte, war noch tausendmal schöner, als was sie in der Nacht in Wirklichkeit erfahren und erlebt hatte.
Als Engel schwebte sie auf Flügeln über dem Schneefeld durch die Luft und trug den Christbaum mit allem, was daran hing, federleicht auf ihrer Handfläche.
Der schöne große Stern mit den sieben feurigen Strahlen funkelte hoch über dem Häuschen.

Mit rauschendem Flügelschlag schwebte Veva geradewegs durch den Schornstein hinunter, ohne irgendwo anzustoßen. Nun war das Häuschen voll von Licht und hellem Glanz. Sie brachte den Christbaum hinein, an dem die Lichtlein brannten. Im Krippchen lag rosig das Christkind mit einem Apfel in der Hand, selbst wie ein Äpfelchen auf einem goldgelben Bettchen von Haferstroh.
Es hatte ein schneeweißes Hemdchen an, und seine blauen Äuglein waren offen und lachten Veva freundlich an. Es schüttelte seine schönen Ringellöckchen und streckte ihr die molligen Händchen entgegen. Lenchen und Trinchen waren auch dabei und alle die anderen Kinder und Hirten und Hirtinnen, die mit himmlischer Stimme sangen:

Ihr Hirten, lasst eure Schafe im Feld!
Der große Herr, der Schöpfer der Welt,

Er ist euch geboren, die ihr wart verloren,
Und liegt in der Krippe im kleinen Stall,

Euch zu erlösen nach Adams Fall.
Da wird er gefunden, in Windeln gebunden,

Eine Jungfrau ist Mutter dem Knaben klein,
Sein Vater ist Gott Vater allein.

Macht euch auf die Beine, ihr Hirten, schnell!
Lauft, Hirten, lauft! Lauft Hirten, lauft!

Lauft, Hirten, lauft! Lauft, Hirten, lauft!
Doch lasst mir schlafen das heilige Kind!

Seid leise, leise! Doch lauft geschwind!

Der Christbaum stand mitten in der Kammer, so groß, dass er sie ganz ausfüllte, und nun tanzten die Hirten und Hirtinnen rundherum, und Veva tanzte auch mit zwischen Lenchen und Trinchen. Als sie sich müde getanzt hatten, ging Veva ohne Zagen an die Krippe, sah das strahlende Kindlein an und beugte sich mit all der Lust ihres kindlichen zarten Gemüts tief zu ihm hinunter und flüsterte ganz leise, sagte es sogar zweimal: „Christkind, Mutter bittet dich, du sollst nächstes Jahr zu uns kommen!“ Und Veva sah deutlich, dass das Kindlein freundlich nickte und lächelte.

Stijn Streuvels



flüsterte ganz leise, sagte es sogar zweimal: „Christkind, Mutter bittet dich, du sollst nächstes Jahr zu uns kommen!“ Und Veva sah deutlich, dass das Kindlein freundlich nickte und lächelte.
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Stijn Streuvels

struwwelpeter
24.12.2006, 02:15
Der Schneemann
von Hans Christian Andersen

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"Es knackt tüchtig in mir, so herrlich kalt ist es!" sagte der Schneemann. "Der Wind kann einem freilich Leben eintreiben. Und wie die Glühende dort glotzt!" - Er meinte die Sonne damit, die eben untergehen wollte. "Sie soll mich nicht zum Blinzeln bringen, ich kann die Brocken schon noch festhalten."

Er hatte nämlich statt Augen zwei große dreieckige Dachziegelbrocken, der Mund war ein Stück einer alten Harke, deshalb hatte er auch Zähne. Er war unter den Jubelrufen der Knaben geboren, begrüßt von Schellengeläut und Peitschenknall der Schlitten.
Die Sonne ging unter, der Vollmond ging auf, rund und groß, klar und schön in der blauen Luft. "Da haben wir sie wieder von einer andern Seite!" sagte der Schneemann. Er glaubte, es sei die Sonne, die sich wieder zeigte. "Ich habe ihr das Glotzen abgewöhnt! Nun kann sie dort hängen und leuchten, damit ich mich selber sehen kann. Wüsste ich nur, wie man es macht, um von der Stelle zu kommen! Ich möchte mich gar zu gern bewegen! Wenn ich es könnte, würde ich nun dort unten auf dem Eise hingleiten, wie ich es die Knaben tun sah; aber ich verstehe nichts vom Laufen."

"Weg! Weg!" bellte der alte Kettenhund; er war etwas heiser, das war er geworden, als er Stubenhund war und hinter dem Ofen lag. "Die Sonne wird dich laufen lehren! Das sah ich bei deinem Vorgänger auch. Weg, weg und weg sind sie alle!"

"Ich verstehe dich nicht, Kamerad!" sagte der Schneemann, "soll die dort oben mich laufen lehren?" Er meinte den Mond. "Ja, sie lief freilich vorhin, als ich sie fest ansah, nun schleicht sie von einer anderen Seite heran."

"Du weißt auch gar nichts!" sagte der Kettenhund, "aber du bist ja auch eben erst zusammengeklatscht worden. Was du nun siehst, heißt Mond, das was fortging, war die Sonne, sie kommt morgen wieder, sie wird dich schon lehren, in den Wallgraben hinabzulaufen. Wir bekommen bald anderes Wetter, das spüre ich in meinem linken Hinterbein, es reißt darin. Das Wetter schlägt um!"

"Ich verstehe ihn nicht", sagte der Schneemann, "aber ich habe das Gefühl, dass es etwas Unangenehmes ist, was er sagt. Sie, die so glotzte und sich dann davonmachte, die Sonne, wie er sie nennt, sie ist auch nicht meine Freundin, das habe ich im Gefühl!"

"Weg! Weg!" bellte der Kettenhund, ging dreimal um sich selbst herum und legte sich dann in seine Hütte, um zu schlafen.

Das Wetter änderte sich wirklich. Dicker, feuchter Nebel lag gegen Morgen über der ganzen Gegend; als es Tag wurde, begann es zu wehen, der Wind war so eisig, der Frost packte ordentlich zu, aber was war das für ein Anblick, als die Sonne aufging! Bäume und Büsche waren mit Raureif bedeckt, es sah aus wie ein Wald von weißen Korallen, es war, als ob alle Zweige mit strahlend weißen Blüten übersät wären. Die unendlich vielen und feinen Verästelungen, die man im Sommer unter all den Blättern nicht sieht, kamen nun alle einzeln, hervor, es war ein Spitzengewebe und so leuchtend weiß, als ströme ein weißer Glanz aus jedem Zweige. Die Hängebirke bewegte sich im Winde, es war Leben in ihr wie in allen Bäumen zur Sommerzeit, es war eine unvergleichliche Pracht! Und als dann die Sonne schien, nein, wie funkelte das Ganze, als ob es mit Diamantenstaub überpudert wäre, und auf der Schneedecke des Erdbodens glitzerten die großen Diamanten, oder man konnte auch glauben, dass dort unzählige kleine Lichter brannten, weißer als der weiße Schnee.

"Das ist unvergleichlich schön!" sagte ein junges Mädchen, das mit einem jungen Mann in den Garten trat und gerade beim Schneemann stehen blieb, wo sie die flimmernden Bäume betrachteten. "Einen schöneren Anblick hat man selbst im Sommer nicht!" sagte sie, und ihre Augen strahlten.

"Und so einen Kerl wie diesen hier hat man im Sommer erst recht nicht", sagte der junge Mann und zeigte auf den Schneemann. "Er ist ausgezeichnet!"

Das junge Mädchen lachte, nickte dem Schneemann zu und tanzte mit ihrem Freunde über den Schnee dahin, der unter ihnen knirschte, als gingen sie auf Stärkemehl. "Wer waren die beiden?" fragte der Schneemann den Kettenhund, "du bist länger auf dem Hofe als ich, kennst du sie?"

"Versteht sich!" sagte der Kettenhund. "Sie hat mich ja gestreichelt, und er hat mir einen Knochen gegeben, die beiße ich nicht!"

"Aber was stellen sie hier vor? Fragte der Schneemann.

"Brrr-rautleute!" sagte der Kettenhund. "Sie werden in eine Hütte ziehen und zusammen am Knochen nagen. Weg! Weg!"

"Haben die beiden ebensoviel zu bedeuten wie du und ich?" fragte der Schneemann.

"Sie gehören ja zur Herrschaft!" sagte der Kettenhund, "man weiß wirklich ungemein wenig, wenn man gestern erst geboren ist, das merke ich an dir!

Ich habe Alter und Kenntnisse, ich kenne alle hier im Hause! Und ich habe eine Zeit gekannt, wo ich nicht hier in der Kälte und an der Kette lag. Weg! Weg!"

"Die Kälte ist herrlich", sagte der Schneemann. "Erzähle, erzähle! Aber du darfst nicht so mit der Kette rasseln, denn dabei knackt es in mir."

"Weg! Weg!" bellte der Kettenhund. "Ein Hündchen bin ich gewesen, klein und niedlich, sagten sie, damals lag ich in einem Samtstuhl drinnen im Hause, lag im Schoße der obersten Herrschaft, sie küssten mich auf die Schnauze und wischten mir die Pfoten mit einem gestickten Taschentuch ab, ich hieß 'Schönster', 'Pusselpusselbeinchen', aber dann wurde ich ihnen zu groß, sie schenkten mich der Haushälterin, ich kam in die Kellerwohnung! Du kannst hineinsehen von dort aus, wo du stehst, du kannst in die Kammer hinabsehen, wo ich Herrschaft gewesen bin, denn das war ich bei der Haushälterin. Es war ein geringerer Ort als oben, aber hier war es gemütlicher, ich wurde nicht von den Kindern gedrückt und herumgeschleppt wie oben. Ich bekam ebenso gutes Futter wie früher und viel mehr! Ich hatte mein eigenes Kissen, und dann war da ein Ofen, der um diese Zeit das Schönste von der Welt ist! Ich kroch ganz darunter, so dass ich verschwunden war. Ach, von dem Ofen träume ich noch. Weg!"

"Sieht den ein Ofen so schön aus?" fragte der Schneemann. "Hat er Ähnlichkeit mit mir?"

"Er ist gerade das Gegenteil von dir! Kohlschwarz ist er, hat langen Hals mit Messingtrommel. Er frisst Brennholz, dass ihm das Feuer aus dem Munde sprüht. Man muss sich an seiner Seite halten, ganz nahe oder unter ihm, das ist äußerst angenehm. Du muss ihn durch das Fenster sehen können von dort aus, wo du stehst."

Und der Schneemann guckte, und wirklich sah er einen schwarzen blankpolierten Gegenstand mit Messingtrommel, das Feuer leuchtete unten heraus. Dem Schneemann wurde ganz wunderlich zumute, er hatte ein Gefühl, über das er sich selbst keine Rechenschaft ablegen konnte, es kam etwas über ihn, das er nicht kannte, das aber alle Menschen kenne, wenn sie nicht Schneemänner sind.

"Und warum verließest du sie?" fragte der Schneemann. Er hatte die Empfindung, dass es ein weibliches Wesen sein musste. "Wie konntest du nur so einen Ort verlassen?"

"Ich bin dazu gezwungen worden!" sagte der Kettenhund. "Sie warfen mich hinaus und legten mich hier an die Kette. Ich hatte den jüngsten Junker ins Bein gebissen, weil er mir den Knochen wegstieß, an dem ich nagte, Knochen um Knochen, denk' ich! Aber das nahmen sie übel, und von der Zeit an habe ich an der Kette gelegen und habe meine klare Stimme verloren, höre nur, wie heiser ich bin: Weg! Weg! Das war das Ende vom Liede!"

Der Schneemann hörte nicht mehr zu, er sah in die Kellerwohnung der Haushälterin, in ihre Stube hinab, wo der Ofen auf seinen vier eisernen Beinen stand und sich in derselben Größe zeigte wie der Schneemann.

"Es knackt so seltsam in mir!" sagte er. "Soll ich niemals dort hineinkommen? Es ist doch ein unschuldiger Wunsch, und unsere unschuldigen Wünsche werden gewiss in Erfüllung gehen. Es ist mein höchster Wunsch, mein einziger Wunsch, und es wäre fast ungerecht, wenn er nicht erfüllt würde. Ich muss dort hinein, ich muss mich an sie lehnen, und wenn ich auch das Fenster zerschlagen sollte!"

"Dort kommst du niemals hinein", sagte der Kettenhund, "und kommst du an den Ofen, dann bist du weg, weg!"

"Ich bin schon so gut wie weg!" sagte der Schneemann, "ich breche zusammen, glaube ich."

Den ganzen Tag stand der Schneemann da und guckte zum Fenster hinein, in der Dämmerstunde wurde die Stube noch einladender, vom Ofen her leuchtete es so mild, nicht wie der Mond und auch nicht wie die Sonne, nein, wie nur der Ofen leuchten kann, wenn er etwas in sich hat. Ging die Tür auf, so schlug die Flamme heraus, das war so seine Gewohnheit, es glühte ordentlich rot auf in dem weißen Gesicht des Schneemannes, es leuchtete rot über seine Brust.

"Ich halte es nicht mehr aus!" sagte er. "Wie schön es sie kleidet, die Zunge herauszustrecken!"

Die Nacht war sehr lang, aber nicht für den Schneemann, er stand da in seine eigenen schönen Gedanken vertieft, und die froren, dass es knackte.

Am Morgen waren die Kellerfenster zugefroren, sie trugen die schönsten Eisblumen, die nur ein Schneemann verlangen konnte, aber sie verbargen den Ofen. Die Scheiben wollten nicht auftauen, er konnte "sie" nicht sehen. Es knackte, es knirschte, es war gerade so ein Frostwetter, an dem ein Schneemann seine Freude haben muss, aber er freute sich nicht, er hätte sich so glücklich fühlen können und müssen, aber er war nicht glücklich, er hatte Ofensehnsucht.

"Das ist eine schlimme Krankheit für einen Schneemann", sagte der Kettenhund. "Ich habe auch an der Krankheit gelitten, aber ich habe sie überstanden. Weg! Weg! - Nun bekommen wir anderes Wetter!"

Und es gab anderes Wetter, es gab Tauwetter.

Das Tauwetter nahm zu, der Schneemann nahm ab. Er sagte nichts, er klagte nicht, und das ist das richtige Zeichen.

Eines Morgens brach er zusammen. Es ragte etwas wie ein Besenstiel in die Luft, dort, wo er gestanden hatte, um den Stiel herum hatten die Knaben ihn aufgebaut.

"Nun kann ich das mit seiner Sehnsucht verstehen", sagte der Kettenhund, "der Schneemann hat einen Feuerhaken im Leibe gehabt! Das ist es, was sich in ihm geregt hat, nun ist es überstanden Weg! Weg!"

Und bald war auch der Winter überstanden.

"Weg! Weg!" bellte der Kettenhund: aber die Mädchen auf dem Hofe sangen:

"Waldmeister grün! Hervor aus dem Haus!
Weide, die wollenen Handschuhe aus!
Lerche und Kuckuck, singt fröhlich drein! -
Frühling im Februar wird es sein!
Ich singe mit: Kuckuck! Quivit!
Komm liebe Sonne, komm oft - quivit!"
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Und dann denkt niemand mehr an den Schneemann.

struwwelpeter
24.12.2006, 02:18
Der Tannenbaum
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Draußen im Walde stand ein niedlicher, kleiner Tannenbaum; er hatte einen guten Platz, Sonne konnte er bekommen, Luft war genug da, und ringsumher wuchsen viel größere Kameraden, sowohl Tannen als Fichten.

Aber dem kleinen Tannenbaum schien nichts so wichtig wie das Wachsen; er achtete nicht der warmen Sonne und der frischen Luft, er kümmerte sich nicht um die Bauernkinder, die da gingen und plauderten, wenn sie herausgekommen waren, um Erdbeeren und Himbeeren zu sammeln. Oft kamen sie mit einem ganzen Topf voll oder hatten Erdbeeren auf einen Strohhalm gezogen, dann setzten sie sich neben den kleinen Tannenbaum und sagten: "Wie niedlich klein ist der!" Das mochte der Baum gar nicht hören.

Im folgenden Jahre war er ein langes Glied größer, und das Jahr darauf war er um noch eins länger, denn bei den Tannenbäumen kann man immer an den vielen Gliedern, die sie haben, sehen, wie viele Jahre sie gewachsen sind. "Oh, wäre ich doch so ein großer Baum wie die andern!" seufzte das kleine Bäumchen. "Dann könnte ich meine Zweige so weit umher ausbreiten und mit der Krone in die Welt hinausblicken! Die Vögel würden dann Nester zwischen meinen Zweigen bauen, und wenn der Wind weht, könnte ich so vornehm nicken, gerade wie die andern dort!"

Er hatte gar keine Freude am Sonnenschein, an den Vögeln und den roten Wolken, die morgens und abends über ihn hinsegelten. War es nun Winter und der Schnee lag ringsumher funkelnd weiß, so kam häufig ein Hase angesprungen und setzte gerade über den kleinen Baum weg. Oh, das war ärgerlich! Aber zwei Winter vergingen, und im dritten war das Bäumchen so groß, dass der Hase um es herumlaufen musste. "Oh, wachsen, wachsen, groß und alt werden, das ist doch das einzige Schöne in dieser Welt!" dachte der Baum.

Im Herbst kamen immer Holzhauer und fällten einige der größten Bäume; das geschah jedes Jahr, und dem jungen Tannenbaum, der nun ganz gut gewachsen war, schauderte dabei; denn die großen, prächtigen Bäume fielen mit Knacken und Krachen zur Erde, die Zweige wurden abgehauen, die Bäume sahen ganz nackt, lang und schmal aus; sie waren fast nicht zu erkennen. Aber dann wurden sie auf Wagen gelegt, und Pferde zogen sie davon, aus dem Walde hinaus. Wohin sollten sie? Was stand ihnen bevor?

Im Frühjahr, als die Schwalben und Störche kamen, fragte sie der Baum: "Wisst ihr nicht, wohin sie geführt wurden? Seid ihr ihnen begegnet?" Die Schwalben wussten nichts, aber der Storch sah nachdenkend aus, nickte mit dem Kopfe und sagte: "Ja, ich glaube wohl; mir begegneten viele neue Schiffe, als ich aus Ägypten flog; auf den Schiffen waren prächtige Mastbäume; ich darf annehmen, dass sie es waren, sie hatten Tannengeruch; ich kann vielmals von ihnen grüßen, sie sind schön und stolz!"

"Oh, wäre ich doch auch groß genug, um über das Meer hinfahren zu können! Was ist das eigentlich, dieses Meer, und wie sieht es aus?" "Ja, das ist viel zu weitläufig zu erklären!" sagte der Storch, und damit ging er. "Freue dich deiner Jugend!" sagten die Sonnenstrahlen; "freue dich deines frischen Wachstums, des jungen Lebens, das in dir ist!" Und der Wind küsste den Baum, und der Tau weinte Tränen über ihn, aber das verstand der Tannenbaum nicht.

Wenn es gegen die Weihnachtszeit war, wurden ganz junge Bäume gefällt, Bäume, die oft nicht einmal so groß oder gleichen Alters mit diesem Tannenbäume waren, der weder Rast noch Ruhe hatte, sondern immer davon wollte; diese jungen Bäume, und es waren gerade die allerschönsten, behielten immer alle ihre Zweige; sie wurden auf Wagen gelegt, und Pferde zogen sie zum Walde hinaus. "Wohin sollen diese?" fragte der Tannenbaum. "Sie sind nicht größer als ich, einer ist sogar viel kleiner; weswegen behalten sie alle ihre Zweige? Wohin fahren sie?"

"Das wissen wir! Das wissen wir!" zwitscherten die Meisen. "Unten in der Stadt haben wir in die Fenster gesehen! Wir wissen, wohin sie fahren! Oh, sie gelangen zur größten Pracht und Herrlichkeit, die man sich denken kann! Wir haben in die Fenster gesehen und erblickt, dass sie mitten in der warmen Stube aufgepflanzt und mit den schönsten Sachen, vergoldeten Äpfeln, Honigkuchen, Spielzeug, und vielen hundert Lichtern geschmückt werden."

"Und dann?" fragte der Tannenbaum und bebte in allen Zweigen. "Und dann? Was geschieht dann?" "Ja, mehr haben wir nicht gesehen! Das war unvergleichlich schön!" "Ob ich wohl bestimmt bin, diesen strahlenden Weg zu betreten?" jubelte der Tannenbaum. Das ist noch besser als über das Meer zu ziehen! Wie leide ich an Sehnsucht! Wäre es doch Weihnachten! Nun bin ich hoch und entfaltet wie die andern, die im vorigen Jahre davon geführt wurden! Oh, wäre ich erst auf dem Wagen, wäre ich doch in der warmen Stube mit all der Pracht und Herrlichkeit!

Und dann? ja, dann kommt noch etwas Besseres, noch Schöneres, warum würden sie mich sonst so schmücken? Es muss noch etwas Größeres, Herrlicheres kommen! Aber was? Oh, ich leide, ich sehne mich, ich weiß selbst nicht, wie mir ist!"

"Freue dich unser!" sagten die Luft und das Sonnenlicht; "freue dich deiner frischen Jugend im Freien!" Aber er freute sich durchaus nicht; er wuchs und wuchs, Winter und Sommer stand er grün; dunkelgrün stand er da, die Leute, die ihn sahen, sagten: "Das ist ein schöner Baum!" und zur Weihnachtszeit wurde er von allen zuerst gefällt. Die Axt hieb tief durch das Mark; der Baum fiel mit einem Seufzer zu Boden, er fühlte einen Schmerz, eine Ohnmacht, er konnte gar nicht an irgendein Glück denken, er war betrübt, von der Heimat scheiden zu müssen, von dem Flecke, auf dem er emporgeschossen war; er wusste ja, dass er die lieben, alten Kameraden, die kleinen Büsche und Blumen ringsumher nie mehr sehen werde, ja vielleicht nicht einmal die Vögel.

Die Abreise hatte durchaus nichts Behagliches. Der Baum kam erst wieder zu sich selbst, als er im Hofe mit andern Bäumen abgeladen wurde und einen Mann sagen hörte: "Dieser hier ist prächtig! Wir wollen nur den!" Nun kamen zwei Diener im vollen Staat und trugen den Tannenbaum in einen großen, schönen Saal. Ringsherum an den Wänden hingen Bilder, und bei dem großen Kachelofen standen große chinesische Vasen mit Löwen auf den Deckeln; da waren Wiegestühle, seidene Sofas, große Tische voll von Bilderbüchern und Spielzeug für hundertmal hundert Taler; wenigstens sagten das die Kinder. Der Tannenbaum wurde in ein großes, mit Sand gefälltes Fass gestellt, aber niemand konnte sehen, dass es ein Fass war, denn es wurde rundherum mit grünem Zeug behängt und stand auf einem großen, bunten Teppich. oh, wie der Baum bebte! Was würde da wohl vorgehen?

Sowohl die Diener als die Fräulein schmückten ihn. An einen Zweig hängten sie kleine, aus farbigem Papier ausgeschnittene Netze, und jedes Netz war mit Zuckerwerk gefüllt. Vergoldete Apfel und Walnüsse hingen herab, als wären sie festgewachsen, und über hundert rote, blaue und weiße kleine Lichter wurden in den Zweigen festgesteckt. Puppen, die leibhaft wie die Menschen aussahen - der Baum hatte früher nie solche gesehen -, schwebten im Grünen, und hoch oben in der Spitze wurde ein Stern von Flittergold befestigt. Das war prächtig, ganz außerordentlich prächtig! "Heute Abend", sagten alle, "heute Abend wird er strahlen!" und sie waren außer sich vor Freude. "Oh" dachte der Baum, "wäre es doch Abend! Würden nur die Lichter bald angezündet! Und was dann wohl geschieht? Ob da wohl Bäume aus dem Walde kommen, mich zu sehen? Ob die Meisen gegen die Fensterscheiben fliegen? Ob ich hier festwachse und Winter und Sommer geschmückt stehen werde?" Ja, er wusste gut Bescheid; aber er hatte ordentlich Borkenschmerzen vor lauter Sehnsucht, und Borkenschmerzen sind für einen Baum ebenso schlimm wie Kopfschmerzen für uns andere.

Nun wurden die Lichter angezündet. Welcher Glanz, welche Pracht! Der Baum bebte in allen Zweigen dabei, so dass eins der Lichter das Grüne anbrannte; es sengte ordentlich. "Gott bewahre uns!" schrieen die Fräulein und löschten es hastig aus. Nun durfte der Baum nicht einmal beben. Oh, das war ein Grauen! Ihm war bange, etwas von seinem Staate zu verlieren; er war ganz betäubt von all dem Glanze. Da gingen beide Flügeltüren auf, und eine Menge Kinder stürzte herein, als wollten sie den ganzen Baum umwerfen, die älteren Leute kamen bedächtig nach; die Kleinen standen ganz stumm, aber nur einen Augenblick, dann jubelten sie wieder, daß es laut schallte; sie tanzten um den Baum herum, und ein Geschenk nach dem andern wurde abgepflückt und verteilt. "Was machen sie?" dachte der Baum. Was soll geschehen?"

Die Lichter brannten gerade bis auf die Zweige herunter, und je nachdem sie nieder brannten, wurden sie ausgelöscht, und dann erhielten die Kinder die Erlaubnis, den Baum zu plündern. Sie stürzten auf ihn zu, dass es in allen Zweigen knackte; wäre er nicht mit der Spitze und mit dem Goldstern an der Decke festgemacht gewesen, so wäre er umgefallen. Die Kinder tanzten mit ihrem prächtigen Spielzeug herum, niemand sah nach dem Baume, ausgenommen das alte Kindermädchen, das zwischen die Zweige blickte; aber es geschah nur, um zu sehen, ob nicht noch eine Feige oder ein Apfel vergessen sei.

"Eine Geschichte, eine Geschichte!" riefen die Kinder und zogen einen kleinen, dicken Mann gegen den Baum hin, und er setzte sich gerade unter ihn, "denn so sind wir im Grünen", sagte er, "und der Baum kann besonders Nutzen davon haben, zuzuhören! Aber ich erzähle nur eine Geschichte. Wollt ihr die von Ivede- Avede oder die von Klumpe-Dumpe hören, der die Treppen hinunterfiel und doch erhöht wurde und die Prinzessin bekam?" "lvede-Avede!" schrieen einige, "Klumpe-Dumpe!" schrieen andere. Das war ein Rufen! Nur der Tannenbaum schwieg ganz still und dachte: Komme ich gar nicht mit, werde ich nichts dabei zu tun haben?" Er hatte ja geleistet, was er sollte. Der Mann erzählte von Klumpe-Dumpe, der die Treppen hinunterfiel und doch erhöht wurde und die Prinzessin bekam. Und die Kinder klatschten in die Hände und riefen: "Erzähle, erzähle!" Sie wollten auch die Geschichte von Ivede-Avede hören, aber sie bekamen nur die von Klumpe-Dumpe. Der Tannenbaum stand ganz stumm und gedankenvoll, nie hatten die Vögel im Walde dergleichen erzählt.

Klumpe-Dumpe fiel die Treppen hinunter und bekam doch die Prinzessin! Ja, ja, so geht es in der Welt zu!" dachte der Tannenbaum und glaubte, daß es wahr sei, weil ein so netter Mann es erzählt hatte. "Ja, ja! Vielleicht falle ich auch die Treppe hinunter und bekomme eine Prinzessin!" Und er freute sich, den nächsten Tag wieder mit Lichtern und Spielzeug, Gold und Früchten und dem Stern von Flittergold aufgeputzt zu werden. "Morgen werde ich nicht zittern!" dachte er. ich will mich recht aller meiner Herrlichkeit freuen. Morgen werde ich wieder die Geschichte von Klumpe-Dumpe und vielleicht auch die von Ivede-Avede hören." Und der Baum stand die ganze Nacht still und gedankenvoll.

Am Morgen kamen die Diener und das Mädchen herein. "Nun beginnt der Staat aufs neue!" dachte der Baum; aber sie schleppten ihn zum Zimmer hinaus, die Treppe hinauf, auf den Boden und stellten ihn in einen dunklen Winkel, wohin kein Tageslicht schien. "Was soll das bedeuten?" dachte der Baum. "Was soll ich hier wohl machen? Was mag ich hier wohl hören sollen?" Er lehnte sich gegen die Mauer und dachte und dachte. Und er hatte Zeit genug, denn es vergingen Tage und Nächte; niemand kam herauf, und als endlich jemand kam, so geschah es, um einige große Kasten in den Winkel zu stellen; der Baum stand ganz versteckt, man musste glauben, dass er ganz vergessen war.

"Nun ist es Winter draußen!" dachte der Baum. Die Erde ist hart und mit Schnee bedeckt, die Menschen können mich nicht pflanzen; deshalb soll ich wohl bis zum Frühjahr hier im Schutz stehen! Wie wohlbedacht ist das! Wie die Menschen doch so gut sind! Wäre es hier nur nicht so dunkel und schrecklich einsam! Nicht einmal ein kleiner Hase! Das war doch niedlich da draußen im Walde, wenn der Schnee lag und der Hase vorbeisprang, ja selbst als er über mich hinwegsprang; aber damals mochte ich es nicht leiden. Hier oben ist es doch schrecklich einsam!"

"Piep, piep!" sagte da eine kleine Maus und huschte hervor; und dann kam noch eine kleine. Sie beschnüffelten den Tannenbaum, und dann schlüpften sie zwischen seine Zweige. "Es ist eine gräuliche Kälte!" sagten die kleinen Mäuse. "Sonst ist hier gut sein; nicht wahr, du alter Tannenbaum?" "Ich bin gar nicht alt!" sagte der Tannenbaum; "es gibt viele, die weit älter sind denn ich!" "Woher kommst du?" fragten die Mäuse, "und was weißt du?" Sie waren gewaltig neugierig. "Erzähle uns doch von den schönsten Orten auf Erden! Bist du dort gewesen? Bist du in der Speisekammer gewesen, wo Käse auf den Brettern liegen und Schinken unter der Decke hängen, wo man auf Talglicht tanzt, mager hineingeht und fett herauskommt?"

"Das kenne ich nicht", sagte der Baum; "aber den Wald kenne ich, wo die Sonne scheint und die Vögel singen!" Und dann erzählte er alles aus seiner Jugend. Die kleinen Mäuse hatten früher nie dergleichen gehört, sie horchten auf und sagten: "Wie viel du gesehen hast! Wie glücklich du gewesen bist!"

"Ich?" sagte der Tannenbaum und dachte über das, was er selbst erzählte, nach. "Ja, es waren im Grunde ganz fröhliche Zeiten!" Aber dann erzählte er vom Weihnachtsabend, wo er mit Zuckerwerk und Lichtern geschmückt war. "Oh", sagten die kleinen Mäuse, "wie glücklich du gewesen bist, du alter Tannenbaum!" "Ich bin gar nicht alt!" sagte der Baum; "erst in diesem Winter bin ich aus dem Walde gekommen! Ich bin in meinem allerbesten Alter, ich bin nur so aufgeschossen." "Wie schön du erzählst!" sagten die kleinen Mäuse, und in der nächsten Nacht kamen sie mit vier anderen kleinen Mäusen, die den Baum erzählen hören sollten, und je mehr er erzählte, desto deutlicher erinnerte er sich selbst an alles und dachte: Es waren doch ganz fröhliche Zeiten! Aber sie können wiederkommen, können wiederkommen! Klumpe-Dumpe fiel die Treppe hinunter und bekam doch die Prinzessin; vielleicht kann ich auch eine Prinzessin bekommen." Und dann dachte der Tannenbaum an eine kleine, niedliche Birke, die draußen im Walde wuchs; das war für den Tannenbaum eine wirkliche, schöne Prinzessin. "Wer ist Klumpe-Dumpe?" fragten die kleinen Mäuse. Da erzählte der Tannenbaum das ganze Märchen, er konnte sich jedes einzelnen Wortes entsinnen; die kleinen Mäuse sprangen aus reiner Freude bis an die Spitze des Baumes. In der folgenden Nacht kamen weit mehr Mäuse und am Sonntage sogar zwei Ratten, aber die meinten, die Geschichte sei nicht hübsch, und das betrübte die kleinen Mäuse, denn nun hielten sie auch weniger davon.

"Wissen Sie nur die eine Geschichte?" fragten die Ratten. "Nur die eine", antwortete der Baum; "die hörte ich an meinem glücklichsten Abend, aber damals dachte ich nicht daran, wie glücklich ich war." "Das ist eine höchst jämmerliche Geschichte! Kennen Sie keine von Speck und Talglicht? Keine Speisekammergeschichte?"

"Nein!" sagte der Baum." "Ja, dann danken wir dafür!" erwiderten die Ratten und gingen zu den Ihrigen zurück. Die kleinen Mäuse blieben zuletzt auch weg, und da seufzte der Baum: "Es war doch ganz hübsch, als sie um mich herumsaßen, die beweglichen kleinen Mäuse, und zuhörten, wie ich erzählte! Nun ist auch das vorbei! Aber ich werde gerne daran denken, wenn ich wieder hervorgenommen werde."

Aber wann geschah das? Ja, es war eines Morgens, da kamen Leute und wirtschafteten auf dem Boden; die Kasten wurden weggesetzt, der Baum wurde hervorgezogen; sie warfen ihn freilich ziemlich hart gegen den Fußboden, aber ein Diener schleppte ihn gleich nach der Treppe hin, wo der Tag leuchtete. "Nun beginnt das Leben wieder!" dachte der Baum; er fühlte die frische Luft, die ersten Sonnenstrahlen, und nun war er draußen im Hofe. Alles ging geschwind, der Baum vergaß völlig, sich selbst zu betrachten, da war so vieles ringsumher zu sehen. Der Hof stieß an einen Garten, und alles blühte darin; die Rosen hingen frisch und duftend über das kleine Gitter hinaus, die Lindenbäume blühten, und die Schwalben flogen umher und sagten: "Quirrevirrevit, mein Mann ist kommen!" Aber es war nicht der Tannenbaum, den sie meinten. "Nun werde ich leben!" jubelte der und breitete seine Zweige weit aus; aber ach, die waren alle vertrocknet und gelb; und er lag da zwischen Unkraut und Nesseln. Der Stern von Goldpapier saß noch oben in der Spitze und glänzte im hellen Sonnenschein. Im Hofe selbst spielten ein paar der munteren Kinder, die zur Weihnachtszeit den Baum umtanzt hatten und so froh über ihn gewesen waren. Eins der kleinsten lief hin und riss den Goldstern ab.

"Sieh, was da noch an dem hässlichen, alten Tannenbaum sitzt!" sagte es und trat auf die Zweige, so dass sie unter seinen Stiefeln knackten. Der Baum sah auf all die Blumenpracht und Frische im Garten, er betrachtete sich selbst und wünschte, dass er in seinem dunklen Winkel auf dem Boden geblieben wäre; er gedachte seiner frischen Jugend im Walde, des lustigen Weihnachtsabends und der kleinen Mäuse, die so munter die Geschichte von Klumpe- Dumpe angehört hatten.
"Vorbei, vorbei!" sagte der arme Baum. "Hätte ich mich doch gefreut, als ich es noch konnte! Vorbei, vorbei!" Der Diener kam und hieb den Baum in kleine Stücke, ein ganzes Bund lag da; hell flackerte es auf unter dem großen Braukessel. Der Baum seufzte tief, und jeder Seufzer war einem kleinen Schusse gleich; deshalb liefen die Kinder, die da spielten, herbei und setzten sich vor das Feuer, blickten hinein und riefen: "Piff, paff!" Aber bei jedem Knalle, der ein tiefer Seufzer war, dachte der Baum an einen Sommerabend im Walde oder an eine Winternacht da draußen, wenn die Sterne funkelten; er dachte an den Weihnachtsabend und an Klumpe-Dumpe, das einzige Märchen, das er gehört hatte und zu erzählen wusste - und dann war der Baum verbrannt.

Die Knaben spielten im Garten, und der kleinste hatte den Goldstern auf der Brust, den der Baum an seinem glücklichsten Abend getragen hatte. Nun war der vorbei, und mit dem Baum war es vorbei und mit der Geschichte auch; vorbei, vorbei. Und so geht es mit allen Geschichten!
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Hans Christian Andersen

struwwelpeter
24.12.2006, 02:21
Weihnachtsmorgen
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Es war soweit! Julika streckte ihre dick eingepackten Füße aus dem Bett und fröstelte! Hui, war das kalt heute! Sie kniete sich in ihr Bett und blickte verschlafen aus dem Fenster in den noch dunklen Morgen. Draußen glitzerte der Schnee im Glanz des Vollmonds und Julikas Herz begann vor Aufregung zu hüpfen. Weiße Weihnacht!

Ihr Atem bildete Eisblumen auf der kalten Scheibe des Fensters und Julika jauchzte vor Entzücken. Schnell rutschte sie aus dem Bett und zog ihre zwei dicksten Pullover über ihr Nachtgewand und schlüpfte in die gefütterte Hose, die Tante Rosi ihr letztes Weihnachten geschenkt hatte. Leider war sie seitdem ein ganzes Stück gewachsen, so dass zwischen ihren dicken Stiefeln und dem Saum der Hose ein kleines Stückchen nackte Haut zu sehen war. Doch das kümmerte Julika nicht im geringsten. Schnell zog sie sich noch den Lammfellmantel über, den ihr die Mutter extra gekauft hatte, kramte die dicken Handschuhe aus den Taschen und setzte sich im Hinausgehen noch die Wollmütze ihres Bruders auf.

Alles in allem gab sie so eine sehr lustige Gestalt ab, doch ihr war warm und das war die Hauptsache. Sie rannte hinaus in den Schnee und freute sich ihres Lebens! Drinnen im Haus konnte sie leise Stimmen hören und das Rumpeln verkündete ihr, dass nun auch ihre Eltern aufgestanden waren. Schnell begann sie, den Schnee zu einer großen Kugel zusammenzurollen, und als die erste fertig war, wurde eine zweite und dritte erstellt. Mittlerweile war das Licht in der Küche angegangen und Julika konnte hören, wie ihre Mutter das Frühstück vor-bereitete. Schnell setzte sie die Kugeln aufeinander, die größte zu unterst, die kleinste zu oberst. Jetzt konnte Julika hören, dass auch ihre zwei Brüder, Jonas und Niklas, wach wurden. Das hieß beeilen, wollte sie ihr Werk doch ganz alleine fertig stellen. Sie rannte zurück zum Haus, zu dem Blumentopf neben dem Küchenfenster. Dort hatte sie alles wichtige versteckt: eine lange Mohrrübe als Nase für den kalten Freund, zwei Knöpfe für die Augen, fünf kleine Stückchen Kohle, die dem Vater beim Anzünden des Kamins heruntergefallen waren, sie sollten des Mund bilden, die Zipfelmütze von Großvater, die Julika zusammen mit der Pfeife extra dafür von ihm bekommen hatte und natürlich den Schal und die Kieselsteine, die sie brauchte, um ihn anzuziehen. Da würden die Eltern aber schauen! So ein toller Schneemann und Julika hatte ihn ganz allein gemacht!

Drinnen hörte sie, wie die Mutter die Brüder zum Frühstück rief, und bei dem Gedanken an eine dampfende Tasse heißen Kakaos wurde Julika bewusst, dass sie schon seit über einer Stunde im Schnee rumtollte. Ihr Magen knurrte, als sie sich die warmen, weichen, nach Milch und Honig duftenden Brötchen vorstellte, die ihre Mutter nur zu besonderen Anlässen buk. Leise öffnete sie die Haustür, streifte Mantel, Mütze und Stiefel fast gleichzeitig ab und hüpfte in die Küche.

Oh, war das ein Anblick! Jonas und Niklas saßen im Nachtgewand und dicken Plüschhausschuhen auf ihren Stühlen, der Vater hatte seinen Morgenrock übergezogen und guckte noch ganz verschlafen, und die Mutter stand am Herd und rührte den heißen Kakao. Der Tisch, nein, die ganze Küche war festlich geschmückt mit Tannenreisig und Weihnachtssternen und kleinen Putten die selig von imaginären Wolken lächelten. Die Küche leuchtete im Glanz der Kerzen, die überall aufgestellt waren. Mutter hatte sogar die silbernen Leuchter auf den Tisch gestellt! Die gute Tischdecke war aufgelegt, auf dem Tisch waren zwischen dem Tannenreisig Walnüsse und Haselnüsse und Mandarinen und bunte Lebkuchen verteilt, und in der schönen Kristallschüssel, die in der Mitte des Tisches zwischen den silbernen Leuchtern stand, lagen Pfeffernüsse, Zimtsterne und Hildaplätzchen.

Julika setzte sich auf ihren Platz, mit roter Nase und noch ganz außer Atem vom Schneemannbauen. Gleich nach dem Frühstück würde sie allen zeigen, was sie so früh schon draußen für alle gebaut hatte. Doch jetzt wollte sie zuerst einmal das köstliche Frühstück genießen, das ihre Mutter mit funkelnden Augen servierte: heiße Schokolade für Julika und die Brüder, duftender Kaffee für die Mutter und den Vater. Warme, frische Brötchen mit Butter und Honig oder der leckeren selbstgemachten Brombeermarmelade. Ein Kanten von dem guten Schinken, den Vater vom Bauern Johann bekommen hatte, frisches, dunkles Brot, natürlich die guten Plätzchen und für jeden ein Ei von der Henne Berta.

Da wurde geschlemmt! Und ganz still war es, weil keiner es wagte, den Morgen durch Worte zu stören. Doch wie es immer war, fing der kleine Niklas, der noch nicht begreifen konnte, was für ein besonderer Morgen es war, zu plappern an und als somit der Bann gebrochen war, fingen alle an zu erzählen. Vom letzen Jahr und den Jahren davor und wie schön der Schnee in diesem Jahr war und wer alles geschrieben hatte und dass es in diesem Jahr im Dorf sogar ein echtes Christkind gegeben hatte, denn die Frau vom Apotheker Lindberg hatte in der Christnacht ihr Kind bekommen.

Als dann alle vom Erzählen ganz rote Backen hatten und Jonas vor Spannung kaum noch sitzen konnte, erklärte der Vater das Frühstück für beendet und stand auf, um ins Wohnzimmer zu gehen, wo der Weihnachtsmann ganz sicher über Nacht die Geschenke für alle hingelegt hatte. Julika half der Mutter noch beim Abräumen des Geschirrs und Jonas löschte die Kerzen. Und dann hörten sie auch schon, wie die Klingel im Wohnzimmer die Bescherung ankündigte. Die Mutter wischte sich noch eilig die Hände an der Schürze ab, nahm Niklas auf den Arm und folgten dem Vater in die Wohnstube. Dieser hatte den Kamin angezündet und die Kerzen am Baum erhellten warm den Raum. Julika konnte vor Spannung kaum noch schlucken. Wo war ihr Geschenk? Hatte der Weihnachtsmann ihren Brief bekommen, in dem sie beschrieb, wie sehr sie den neuen Schlitten und die neue Hose brauchte? Und war sie auch artig genug gewesen? In der Schule hatte sie immer gut aufgepasst und hatte sogar ein Lob im Schönschreibwettbewerb erhalten. Die Eltern waren sehr zufrieden gewesen. Julika sah sich um: ihr Vater hielt gerade die Pfeife hoch, die Jonas ihm geschnitzt hatte, natürlich mit Großvaters Hilfe, und die Mutter zeigte dem kleinen Niklas seine Holzloko-motive, die der Vater erst am Abend vorher noch rot angemalt hatte.

Julika ging zum Lehnstuhl, unter dem sie die Kekse und die Milch für den Weihnachtsmann versteckt hatte und siehe da, der Weihnachtsmann hatte es gefunden und ihr zum Dank einen Schokoweihnachtsmann hingelegt. Julika hatte auch die Geschenke für die Eltern dort versteckt: eine Spange, die das Haar der Mutter zieren sollte und ein Päckchen Tabak für den Vater. Und für die Brüder hatte sie ein Schnitzmesser, denn das von Jonas war schon ziemlich alt und zwei Tiere für den Holzzoo von Niklas. Eine Kuh und ein Schwein. Julika holte die Geschenke, allesamt sorgfältig in rotes Seidenpapier eingeschlagen, hervor und überreichte sie an ihre Familie. Das war eine Freude zu sehen, wie sie die Sachen auspackten und dabei "ah" und "oh" riefen! Julika war so glücklich darüber zu sehen, wie die Geschenke den anderen gefielen, dass sie fast vergaß, selbst nach ihren Geschenken zu sehen. Niklas hatte ihr ein Bild gemalt, einen Schneemann, Jonas hatte ihr eine Tüte süßer Lakritze und zwei Lutscher gekauft, und die Mutter überreichte Julika ein Päckchen mit einer großen roten Schleife, in dem eine neue gefütterte Hose steckte. Julika freute sich riesig und dennoch war sie etwas betrübt. Kein Schlitten. Dabei hatte sie sich doch so sehr einen gewünscht. Vielleicht hatte der Weihnachtsmann ja nicht soviel tragen können oder vielleicht hatte der Schlitten nicht durch den Kamin gepasst.

Jetzt wollte sie der Familie aber erst einmal den Schneemann zeigen, der vor der Tür auf alle wartete, mit Rübennase und Kieselsteinknöpfen und einer Zipfelmütze auf dem runden, kahlen Kopf. Sie nahm die Eltern an die Hand und führte sie nach draußen, so wie sie waren, im Nachtgewand mit Morgenrock. Der Vater lachte vor Freude, als er den weißen, runden Mann sah, der ihn mit einem Lächeln aus Kohlestückchen begrüßte. Die Mutter klatschte in die Hände und beglückwünschte Julika zu so einem Meisterwerk. Und dann sah Julika etwas wunderschönes: Hinter dem Schneemann, kaum zu sehen, stand ein niegelnagel neuer Schlitten, mit echten Kufen und einer rot-weißen Schnur, um ihn die Hügel hinauf zu ziehen. Die Eltern blickten sich mit einem Lächeln an und der Vater blinzelte der Mutter zu, als Julika vor Begeisterung jauchzend ihre festen Stiefel und den Mantel überzog und in den Schnee hinaus zu ihrem neuen Schlitten eilte.

Das war ein Weihnachten! Und während Julika ihren kleinen Bruder Niklas auf dem Schlitten durch den Hof zog und Jonas eine Schneefrau für den Schneemann baute, verteilte der Vater das Brot an die Tiere im Wald, und die Mutter fütterte die Vögel und alles war perfekt und wunderschön.
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Autor unbekannt

struwwelpeter
29.11.2007, 22:33
Advent beginnt im September


Donnerstag, 13. September

Schönster Altweibersommer - Noch einmal Menschen in T-Shirt und Sandalen an den Kiosken und in den Strassencafés. Bisher keine besonderen Vorkommnisse in der Nordstadt von Hannover. Dann plötzlich um 10:47 Uhr kommt der Befehl von Aldi-Geschäftsfuehrer Erich B.: "5 Paletten Lebkuchen und Spekulatius in den Eingangsbereich!"
Von nun an überschlagen sich die Ereignisse. Zunächst reagiert Minimal-Geschäftsfuehrer Martin O. eher halbherzig mit einem erweiterten Kerzensortiment und Marzipankartoffeln an der Kasse.

15:07 Uhr
Edeka-Marktleiter Wilhelm T. hat die Mittagspause genutzt und operiert mit Lametta und Tannengrün in der Wurstauslage.

16:02 Uhr
Die Filialen von Penny und Plus bekommen Kenntnis von der Offensive, können aber aufgrund von Lieferschwierigkeiten nicht gegenhalten und fordern ein Weihnachtsstillstands-Abkommen bis zum 20. Oktober. Die Gespräche bleiben ohne Ergebnis.

Freitag, 14. September
07:30 Uhr
Im Eingangsbereich von Karstadt bezieht überraschend ein Esel mit Rentierschlitten Stellung, während zwei Weihnachtsmänner vom studentischen Nikolausdienst vorbeihastende Schulkinder zu ihren Weihnachtswünschen verhören. Zeitgleich erstrahlt die Kaufhausfassade im gleissenden Schein von 260.000 Elektrokerzen. Die geschockte Konkurrenz kann zunächst nur ohnmächtig zuschauen. Immerhin haben jetzt auch Kaufhof, REWE und Minimal den Ernst der Lage erkannt.

09:00 Uhr
Edeka setzt Krippenfiguren ins Gemüse.

09:12 Uhr
Minimal kontert mit massivem Einsatz von Rauschgoldengeln im Tiefkühlregal.

10:05 Uhr
Bei Kaufhof verirren sich dutzende Kunden in einem Wald von Weihnachtsbäumen.

12:00 Uhr
Neue Dienstanweisung bei Lidl: An der Käsetheke wird mit sofortiger Wirkung ein "Frohes Fest" gewünscht. Die Schlemmerabteilung von Kaufhof kündigt für den Nachmittag Vergeltungsmaßnahmen an.

Samstag, 15. September
07:00 Uhr
Karstadt schaufelt Kunstschnee in die Schaufenster.

08:00 Uhr
In einer eilig einberufenen Krisenversammlung fordert der aufgebrachte Penny-Geschäftsführer Walter T. von seinen Mitarbeitern lautstark: "Weihnachten bis zum äußersten" und verfügt den pausenlosen Einsatz der von der Konkurrenz gefürchteten CD "Weihnachten mit Michelle" über Deckenlautsprecher. Der Nachmittag bleibt ansonsten ruhig.

Montag, 17. September
08:00 Uhr
Anwohner der Schaufelder Strasse versuchen mit Hilfe einer einstweiligen Verfügung die nun von Kaufhof angedrohte Musikoffensive "Adventssingen mit den Wildecker Herzbuben" zu stoppen.

09:14 Uhr
Ein Aldi-Sattelschlepper mit Pfeffernüssen rammt den Posaunenchor "Adveniat", der gerade vor Karstadt zum großen Weihnachtsoratorium ansetzen wollte.

09:30 Uhr
Aldi dementiert. Es habe sich bei der Ladung nicht um Pfeffernüsse, sondern Christbaumkugeln gehandelt.

18:00 Uhr
In der Stadt kommt es kurzfristig zu ersten Engpässen in der Stromversorgung als der von C&A beauftragte Rentner Erwin Z. mit seinem Flak-Scheinwerfer Marke "Varta Volkssturm" den Stern von Bethlehem an den Himmel zeichnet.

Dienstag, 18. September
Die Fronten verhärten sich, die Strategien werden zunehmend aggressiver.

10:37 Uhr
Auf einem Polizeirevier meldet sich die Diabetikerin Anna K. und gibt zu Protokoll, sie sei soeben auf dem Platz von Lidl zum Verzehr von Glühwein und Christstollen gezwungen worden. Die Beamten sind ratlos.

12:00 Uhr
Seit gut einer halben Stunde beschießen Karstadt, Kaufhof und C&A die Einkaufszone mit Schneekanonen. Das Ordnungsamt mahnt die Räum- und Streupflicht an. Umsonst!

14:30 Uhr
Teile des Stadtbezirks sind unpassierbar. Eine Hubschrauberstaffel des Bundesgrenzschutzes beginnt mit der Bergung von Eingeschlossenen. Menschen wie du und ich, die nur mal in der schönen Herbstsonne bummeln und in der Eisdiele ein leckeres Eis genießen wollten.




9586

struwwelpeter
29.11.2007, 23:27
Liebe(r) Survivor, ( für mich gilt: 6 = setzen :)

ich, eine Struwweline eigentlich :)) viel mehr, habe in den letzten Jahren Weihnachten stets in Kliniken und Co verbracht!
Den wahren Zauber von Weihnachten den habe ich in der Betrachtung dessen gefunden.
Weihnachten und schenken:
wenn ich mir des öfteren die Weihnachtsgeschichten hervor nehme, wenn ich still die Adventszeit genießen kann, dann ist dies für mich ein riesengroßes Geschenk. Und meine Gedanken werden nicht so einzigartig sein, also möchte ich jeden so oft es eben geht daran teilhaben lassen.
Es freut mich sehr, dass ich Dir damit eine Freude bereiten kann. Den Dezember über habe ich noch "Urlaub" von der Klinik, also wird regelmäßig eine Geschichte erscheinen, mal besinnlich, mal zum Schmunzeln, traurig und auch so manches Mal auch nur mit der Erkenntnis das Weihnachten doch eine wunderschöne Zeit ist.
Dir wünsche ich ( so wie jedem anderen ebenso) eine wunderschöne Adventszeit!


9591




Danke nochmals

Liebe Grüße
Ina

Siby
29.11.2007, 23:37
Hallo Ina auch von mir DANKE
Die meisten Geschichten, kenn ich zwar schon (habe viele Weihnachtsgeschichten, die ich fast jedes Jahr zur Atventszeit wieder lese). Aber allein die Idee find ich Klasse.
Aber DIES JAHR bist du doch zu Hause?
Ganz liebe Grüße von Siby:winke:

struwwelpeter
30.11.2007, 12:19
Liebe Siby

Ich mag es kaum fassen, meine Gedanken bewegen sich diesmal nur um eine schöne, besinnliche Adventszeit und auf Weihnachten!
Ich freue mich auf das Brennen der Kerzen, den reich gefüllten Teller mit den Impressionen von Weihnachten Tag für Tag. Weihnachten ist das, was jeder für sich daraus macht! Ich genieße die Zeit - das neue Jahr ist noch weit, Weihnachten, es macht sich in mir breit. Es ist auch eine Zeit in der ich mir die Zeit nehme und das Erlebte aufarbeite, aber es ist gut so. Neue Energien mobilisieren, jeder so wie er es eben schafft. :)
Danke für Deine lieben Worte: ich hoffe das es mir diesmal gelingt, vorallem auch viele unbekannte (mehr oder weniger) Geschichten zu finden, die dieses Gefühl von Weihnachten jeden von euch näher bringt! L.G. Ina :winke:



Der ungeduldige Weihnachtsstollen



von Helmut Wördemann



Es war einmal ein Weihnachtsstollen, der war ganz durchknetet von dem Gedanken, als leckeres Frühstücksbrot mit Butter zu dienen. Ja, es wurde ihm sogar in Aussicht gestellt, zum Nachmittagskaffee serviert zu werden, wie Kuchen, wie richtiger Kuchen. Nun lag der süße Stollen aber schon wochenlang im Brotfach, lag da in durchsichtigem, glänzendem Weihnachtspapier mit Schneelandschaft und Christkind-Schlitten und musste mit ansehen, wie alle anderen Brote gebraucht wurden: das Schwarzbrot, das Vollkornbrot; sogar das Weißbrot und das Knäckebrot kamen regelmäßig an die Reihe und durften sich bewähren. Ich glaube, der Stollen wurde ganz blass vor Neid und vor Ungeduld, aber das konnte man nicht sicher sagen, weil er ja über und über mit Puderzucker bedeckt war. "Da hat man soviel Aufhebens um mich gemacht," dachte der Stollen bitter wie Sukade, "hat mich gesüßt und mit Rosinen gespickt. Ja, sogar Marzipanstückchen hat die Hausfrau in mich hineingebacken. Und nun? Nun bin ich überflüssig und gammele hier `rum, schön und lecker, aber unnütz." Doch dann kam Heiligabend. Die Hausfrau stellte im Wohnzimmer die Geschenke auf. Und nun, nun deckte sie in der Küche den festlichsten Kaffeetisch des Jahres; und das Beste, das Edelste und das Leckerste, das sie zu bieten hatte, das war der Weihnachtsstollen.


Leider konnte er seine große, feierliche Wichtigkeit nicht lange genießen, denn er schmeckte gar zu gut und war nach einer halben Stunde gegessen.




9611

Siby
30.11.2007, 13:04
Die Geschichte ist niedlich und ich kannte sie noch nicht!!!!!!
DANKE
9614
Siby

Ilse Racek
30.11.2007, 15:23
Hallo Ihr Lieben,

ich find's "goldig" - dieses Thema :) Obwohl ich keine praktizierende Christin bin ;o)

Und so les' ich halt jetzt weiter meinen Dawkins :)

Alles erdenklich Gute wünscht ALLEN
mit herzlichen Grüßen

struwwelpeter
02.12.2007, 23:59
Wie die drei Waisen aus dem Morgenlande es allen Schwierigkeiten zum Trotze doch noch rechtzeitig bis zum Stall in Bethlehem schafften



Die fetten Kamele jaulten gequält auf, und der Galoppometer zitterte bedenklich um die 60-Meile-Marke. Quietschend gingen die hellbraunen Trampeltiere in die Steilkurve der Wüstenpiste.
„Balthasar“, mahnte Kaspar, der auf dem zweiten Kamel saß, zum x-ten Male den Vorreiter, „gib mehr Stoff. Wir schaffen's sonst nie! Das wird ein Riesenreinfall!“
Balthasar grinste müde und preßte den Treibschenkel fester in die Weichen seines Reittieres. „Hast wohl schiß, Alter, was?“
„Mann“, erwiderte Kaspar, „das hat doch nix mit Schiß zu tun. Ist nur 'ne Überlebensfrage. Ich möchte gern in die biblische Weihnachtsgeschichte eingehen. Er ist jetzt ganz dicht vor uns. Siehst du ihn?“
Er deutete auf den blendend blauen zuckenden Stern, der groß jenseits des Grenzübergangs zu sehen war.
„Seh' ich doch locker ohne Pupille“, erklärte Balthasar und gab seinem Kamel so heftig die Peitsche, daß dieses mitten im Galopp einen ungetümen Satz macht, der Balthasar fast aus den Höckern gehauen hätte.
Melchior, der Schlußmann der kleinen Karawane, sagte gar nichts, obwohl er genauso wie Kaspar dachte, sondern keuchte nur schwer. Der lange Ritt nahm ihn körperlich mit.
Nur wenige Stadien vor ihnen und etwa 120 Klafter tiefer leuchteten zahlreiche Lichter in der Dunkelheit. Vor einer knappen halben Stunde bereits hatten sie die beiden Schilder mit den Hinweisen „Noch 15 Meilen bis Bethlehem“ und „Zum Toten Meer rechts einordnen“ passiert.
Unumstößliche Tatsache war, daß die Zeit drängte. Den Vorhersagen und ihren eigenen, gemeinhin recht zuverlässigen Berechnungen nach, mußte es jeden Augenblick passieren. Ein Indiz dafür war, daß der blendend blaue Stern intensiver zuckte und pulste, gerade so, als litte er unter himmlischen Wehen und sei kurz vorm Kreißen.
Unvermittelt sahen sich die drei Weisen, die interessanterweise auch noch Waisen waren - was sinnigerweise nicht überliefert wurde -, nach dem Überreiten einer Wanderdüne mit einem Meer lodernder Fackeln konfrontiert, die drei gewaltigen, gesenkte Schlagbäume, eine ebensolche Anzahl von Wachhäuschen sowie eine daneben befindliche Wachstation erleuchteten.
„Willkommen in der Zählstadt Bethlehem, Kreis Judäa!“ stand da in lateinischen und hebräischen Buchstaben auf einem Schild. Und auf einem anderen: „Achtung! Noch zwei Stadien bis zur Grenze! Ausweispapyri bereithalten!“
Der Andrang der Menschenmassen an Schlagbäumen und Wachstation war unglaublich. Ein akustischen Gewölk von Geschrei, Gewieher, Gejaule, Gesumm und Gebrumm empfing die drei herangaloppierenden Weisen.
Ohne Vorankündigung zügelte Balthasar sein Kamel. In letzter Sekunde nur konnten Kaspar und Melchior ein Aufreiten verhindern, indem sie seitlich auswichen.
Die beiden fluchten unschön und schauten ihren Vorreiter vorwurfsvoll fragend an.
„Da kommen wir doch nie durch! Machen wir lieber kehrt!“ meinte Balthasar resignierend, was überhaupt nicht zu seiner Art paßte.
„Wieso?“ wollte Melchior wissen.
„Na, sieh dir doch mal die Warteschlange an!“ Balthasar deutete auf den rechten Schlagbaum, neben dem das Schild „Morgenländer hier einreiten!“ stand, und die davor befindliche Schlange. „Bis wir abgefertigt sind, ist alles vorbei!“
„Oh, ja“, meinte Melchior betrübt und senkte zerknirscht sein turbangekröntes Haupt. „Das hätten wir natürlich vorhersehen müssen.“
„Ich hab's vorhergesehen“, erklärte Kaspar beschwichtigend, „und deshalb Vorsorge getroffen. Laßt mich nur machen.“
Er griff in eine seiner Satteltaschen und entnahm ihr drei große Umhängeschilder, auf denen in Hebräisch und Lateinisch „VIP“ geschrieben stand. Zwei davon reichte er seinen Begleitern. „Hängt sie euch um.“
Balthasar und Melchior wechselten einen erstaunten Blick, befolgten aber Kaspars Anweisungen, der sich nunmehr an die Spitze der kleinen Karawane setzte und auf besagten Schlagbaum zutrabte.
Im Vorbeireiten sahen die drei, daß die Warteschlange an dem mit „Römer hier einreiten“ beschilderten Durchlaß am kürzesten, die an dem mit „Judäer hier einreiten“ markierten am längsten war.
Die Massen wichen zunächst mürrisch und erbost, dann aber ehrfurchtsvoll beiseite, als sie erkannten, was auf den Schildern der drei Weisen stand, die an ihnen vorbeidrängten.
„Heil, Augustus! Halt!“ brüllte der römische Legionär neben dem Schlagbaum und hob drohend seinen Speer. „Vordrängeln gibt's nicht! Stellt Euch an, wie alle anderen auch!“
Kaspar deutete mit gewichtiger Miene auf sein „VIP“ Schild. „Heil, Augustus! Könnt Ihr nicht lesen, guter Mann?“ fragte er.
„Natürlich“, erwiderte der Angesprochene gekränkt, doch zugleich sichtlich beeindruckt. „Das muß ich wohl übersehen haben. Verzeiht.“
„Schon gut, schon gut“. Kaspar winkte ab. „Dürfen wir passieren?“
„Die Formalitäten müßt Ihr schon über Euch ergehen lassen, edle VIP-Herren“, erwiderte der Legionär nunmehr freundlicherer Miene. „Habt Ihr die Papyri zur Hand? Welches ist der zweck Eures Besuches? Seid Ihr beruflich oder als Touristen hier? Habt Ihr anmeldepflichtige Waren bei Euch?“ Er schaute die drei Weisen fragend an.
Die reichten ihm zunächst ihre Ausweispapyri.
„Ah“, meinte der Legionär, nachdem er einen kurzen Blich darauf geworfen hatte, „interessant. Bei Euch allen ist die Berufsbezeichnung „Weiser aus dem Morgenlande“ eingetragen“. Er musterte die drei plötzlich unterwürfig. „Seid Ihr etwa diese berühmten Wahrsager...?“ Er beendete den Satz nicht, sondern geriet ins Sinnen.
„Aber gewiß doch, guter Mann“, sagte Balthasar ungeduldig. „Es steht ja da. Nun laßt uns endlich passieren. Wir sind in Eile!“
Der Legionär reichte ihnen langsam die Papyri zurück und stützte sich auf seinen Speer „Ihr wißt gewiß, edle Herren“, meinte er dann. „daß - VIP hin, VIP her - hier Rom das Sagen hat. Ich muß also auf der Einhaltung der Einreiseformalitäten bestehen.“
„Na schön“, erklärte Kaspar. „Zweck unseres Besuches ist die Anbetung eines Kindes mit gleichzeitiger Übergabe von Geschenken. Woraus sich wohl von selbst ergibt, daß wir aus beruflichen Gründen hier sind. Und anmeldepflichtige Waren haben wir nicht. Genügt das als Auskunft?“
„Geschenke?“ Der Legionär runzelte die Stirn. „Und doch keine anmeldepflichtigen Waren? Hmm!“ Er lehnte seinen Speer ans Wachhäuschen, nahm den Helm ab und kratzte sich ebenso verunsichert wie verlegen den Schädel.
„Wenn Ihr's genau wissen wollt“, meldete sich ungehalten Balthasar, der wieder ganz der alte war, zu Worte, „wir führen nur die üblichen zollfreien Mengen von Weihrauch, Myrrhe und Gold mit. Überzeugt Euch doch selbst, wenn Ihr uns nicht glaubt! Macht schon, denn sonst werden wir bei Eurem Vorgesetzten eine Beschwerde einreichen, die Euch ein halbes Jahr Galeere einbringen kann, wie Ihr Euch wohl denken könnt“.
Der Legionär verneigte sich und griff zur Kurbel des Schlagbaums um diesen hochzudrehen.
„Verzeiht, verzeiht, edle Herren! Natürlich dürft Ihr passieren!“ rief er. „Ich dachte nur, daß Ihr, da Ihr so weise seid, einem bescheiden besoldeten Legionär einen heißen Tip geben könntet“; fügte er hinzu und sah die drei Weisen fast flehentlich bittend an, die ihre Kamele zu treiben begannen.
„Was für ein Tip?“ fragte Melchior, der sich wieder ans Ende der kleinen Karawane gesetzt hatte, in einem aufwallenden Gefühl von Mitleid für den römischen Besatzer.
„Ich wüßte gern die Lottozahlen der Weihnachtsausspielung“, sagte der Legionär. „Wenn ich sechs Richtige hätte, könnte ich endlich in Pension gehen. Am Tag vor Heiligabend ist Annahmeschluß“.
Melchior hielt sein Kamel an. „Wenn's weiter nichts ist.“ Er schaute zu dem blendend blauen zuckenden Stern hinüber, der jetzt über einem abbruchreifen Stall verweilte, und schloß kurz die Augen. „Die sechs Gewinnzahlen für Euch zum Mitschreiben“, meinte Melchior dann gönnerhaft und fuhr fort: „Sieben, acht, neun, zehn, zwölf, vierundzwanzig. Und die Zusatzzahl ist Null.“
„Ich danke Euch, edler Herr“, jauchzte der Legionär, der die Zahlen eifrig notiert hatte, überschwenglich, dieweil Melchior seinem Kamel die Sporen gab. „Das werde ich Euch nie vergessen!“
„Melchior!!!“ brüllten Kaspar und Balthasar, die schon weitergeritten waren, unisono, „Nun komm endlich!“
„Ich komme ja schon“, rief Melchior ihnen zu.“ Und an den Legionär gewandt sagte der im Angalopp: „Dankt mir lieber nicht, guter Mann. Annahmeschluß war nämlich gestern. Heute ist Heiligabend!“



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Cabrio fahren ist die bessere Form von Obdachlosigkeit:rotenase:

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struwwelpeter
03.12.2007, 22:36
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Der Beleuchtungswettkampf



Und für die Vorweihnachtszeit gilt dies ganz besonders. Habe dies meinem Nachbar erläutert, der mir in dieser Hinsicht voll zustimmt. Die kalte Witterung läßt die Gedanken klarer hervortreten, der Alltag mit seinen dummen Streitereien tritt zurück und macht wirklich Wichtigem Platz. Mein Nachbar erzählt mir, daß er in diesem Jahr beabsichtige, seine Tanne im Garten mit hübschen Lichtern zu schmücken. Wegen der Stimmung. Finde das toll.
Seit gestern hat mein Nachbar einen Tannenbaum illuminiert. Kleine Lämpchen, ca. 20 Stück weiß. Sieht hübsch aus, sagt die ganze Nachbarschaft. Habe beschlossen, mich solidarisch an der Weihnachtsstimmung zu beteiligen und mich im Baumarkt nach kleinen Lämpchen umgesehen. Natürlich sollte die Menge nicht zu spärlich ausfallen, von wegen der Wirkung und so. Erstand kurzentschlossen eine 50er Lichterkette mit extrastarken Lämpchen, brilliantweiß. Werde sie gleich heute abend montieren.
Komische Sache. Mein Nachbar scheint meinen Wunsch zur gutnachbarlichen Zusammenarbeit zwecks Verschönerung der Straße mißverstanden zu haben. Heute morgen waren bei ihm sämtliche Tannenbäume sowie zwei Kirschbäume und eine Platane mit Lichterketten versehen. Eine flüchtige Zählung mit dem Feldstecher ergab eine Rate von mindestens 80 Lämpchen je Baum. Soll das ein Wettkampf sein? Ist doch erwachsenen Menschen unwürdig.
Kam heute Mittag zufällig im Baumarkt vorbei.
Wußten Sie, daß man bei Abnahme von 15 Lichterketten a 150 Leuchteinheiten Sonderrabatte erhält? Besonders effektvoll seien blinkende Ketten, vorzugsweise die 250er-Einheiten mit Hochspannungssicherheitstransformator und induktiver Anschaltung. Da ich das für übertrieben halte, habe ich für die große Tanne lediglich 2 davon gekauft. Komme unter Einsatz von zwei Gummibäumen auf jetzt 14 behängte Gewächse. Ein Odem des Friedens geht vom Garten aus.
Eine Kampfansage. Mein verschwendungssüchtiger Nachbar hat den kompletten Zaun mit Leuchtkörpern behängt. Ca. 1000 rhythmisch blinkende Lampen in geschmacklosestem technicolor. Die Farbe bringt einen Stich ins proletarisch-billige in die Weihnachtsbeleuchtung. Das bestätigt auch mein Elektriker, der an unserer Fassade Leuchtsterne und die biblischen Motive angebracht hat. ?Wenn schon Farbe, dann aber leuchtend-kräftige Halogenstrahler wie diese hier.“
Die rhythmisch blinkenden Figuren an sämtlichen Fenstern verursachen schlimme Kopfschmerzen, die auch bei Betrachtung meiner neu angebrachten 5000-Watt-Licht-bogen-Himmelstrahler nur wesentlich besser werden. Sie werfen rhythmisch zuckende Lichtfinger in den wolkenverhangenen Himmel und geben einen interessanten Kontrast zu den lasergesteuerten Beamern, die auf den Wolken interessante Bilder und Szenen aus der Weihnachtsgeschichte schreiben. Dagegen sind die neu installierten Lauflichter an den Fassadenkanten des Hauses meines intriganten Nachbarn geradezu lächerlich profan.
Hatte heute Besuch eines Technikers der städtischen Stromwerke, der den fulminanten Anstieg meines Stromverbrauches für einen Defekt im Leitungssystem hielt. Unsere Unterhaltung wurde stark gestört durch das elektrische Glockengeläut auf dem Nachbargrundstück, das mit 38 Kupferglocken elektronisch gesteuert die bekanntesten 40 Weihnachtslieder spielt. Der Techniker empfahl mir, einen neuen Industrietrafo setzen zu lassen und im Abrechnungssystem auf Gewerbeabrechnung für mittelgroße Betriebe umzusteigen, wegen der günstigeren Grundgebühren. Beim Weggehen meinte er kopfschüttelnd, ob ich nicht etwas gegen dieses Glockenradau unternehmen wolle. Zeige ihn meine neuen 2000-Watt Außenlautsprecher mit Punktcharakteristik und die zugehörige Abspielstation für das Unterhaltungsband ?Stille Nacht“. Heute Abend gehe ich auf Sendung.
Habe einen Beamer installiert, der auf das Garagentor die Neuverfilmung der Jesusgeschichte mit Charles Heston in der Hauptrolle projiziert. In Reserve halte ich noch eine Kopie der ?10 Gebote“. Da kann mein geschmackloser Nachbar mit den Außenlautsprechern in der Rezitation der Weihnachtsgeschichte natürlich einpacken, zumal, der Schneewerfer auf meinem Dach durch die erzeugten Schneemengen alle Geräusche stark zu dämpfen pflegt. Mehrere strategisch angebrachte Heizstrahler halten dabei die illuminierten Gartenbäume schneefrei.
Die Menschenmassen in unserer Straße nehmen langsam unübersehbare Ausmaße an. Dabei kann ich voller Stolz feststellen, daß das Ausblasen von feinen Silbersternen vor dem Haus die allgemeine Bewunderung auf dieser Seite der Straße konzentriert. Da kann auch das Rentiergespann mit Kinderbelustigung meines Nachbarn nichts daranändern. Zumindest seit meinen kostenfreien Ausschank von Getränken und der Verteilung von Gebäckteilen.
Etwas Merkwürdiges ist passiert. Die Stadtverwaltung hat alle weihnachtlichen Zurschaustellungen in meiner Straße verboten, mit dem völlig irrelevanten Argument, hier werde ein nicht genehmigter Weihnachtsmarkt abgehalten. Ich bin fassungslos. Und das an Weihnachten, dem Fest des Friedens und der Besinnung.


9683

Linnea
04.12.2007, 21:41
Liebe Ina,

heute möchte ich Dir hier einmal einen kleinen Gruß hinterlassen. Ich hoffe Du genießt die (therapiefreie) Adventszeit in vollen Zügen! Alles Liebe und Gute für Dich! Deine Linnea



Aurelius

„Zimm“, machte der Engel Aurelius auf seiner Harfe. „Zimm, zilimm.“
„Halleluja!“ Der diensthabende Oberengel blieb neben Aurelius stehen. „Halleluja“, antwortete Aurelius höflich. Denn Engel sind immer höflich.
„Was machst du heuer zu Weihnachten?“, fragte der Oberengel. „Ich weiß noch nicht“, antwortete Aurelius. „Vielleicht Harfe üben. Ich möchte zum Himmelsorchester.“
„Wir brauchen noch einen Weihnachtsengel auf der Erde“, sagte der Oberengel. „Ich habe an dich gedacht.“
Aurelius legte die Harfe weg und nickte gehorsam. Denn Engel sind immer gehorsam.
„Was habe ich zu tun?“, fragte Aurelius. „Du darfst drei Menschen auf der Erde einen Wunsch erfüllen“, antwortete der Oberengel. „Nichts leichter als das“, frohlockte Aurelius. Engel frohlocken bekanntlich gern.
Der Oberengel lächelte nur.
Aurelius nahm die nächste Eilwolke zur Erde. Er landete in einer Stadt. Menschen hasteten an ihm vorbei, Autos hupten, eine Straßenbahn klingelte schrill.
„Schau, Mama, ein Engel“, sagte ein kleines Mädchen. „Das ist nur jemand, der sich als Engel verkleidet hat“, antwortete die Mutter und zog das Kind schnell weiter. Auch sie hatte es eilig.
Aurelius betrat ein Kaffeehaus. An einem der kleinen Marmortische saß ein Mann und hielt den Kopf in die Hände gestützt. Vor ihm lag ein dicker Briefumschlag. Schon wieder hat ein Verlag sein Buch abgelehnt, las Aurelius in seinen Gedanken. Denn Engel können natürlich Gedanken lesen. Wie gut, daß ich gekommen bin, dachte Aurelius.
„Sie wünschen?“, fragte er den Mann, der düster den Brief anstarrte.
„Tee mit Zitrone“, sagte der Mann, ohne aufzuschauen.
„Haben Sie denn keinen anderen Wunsch?“, fragte Aurelius eindringlich.
Der Mann schaute noch immer nicht auf. „Ich hab doch schon gesagt, Tee mit Zitrone“, wiederholte er ungeduldig.
Aurelius seufzte und dachte eine Tasse Tee mit Zitrone auf den kleinen Marmortisch. Ein Kaffeehaus ist wohl doch nicht der richtige Platz für einen Weihnachtsengel.
Lange schlenderte Aurelius unschlüssig durch die Straßen. Schließlich hörte er Kinderstimmen aus einem großen, grauen Haus. „Volksschule“ stand über dem Eingang. Aurelius öffnete die Tür und ging einen langen Gang entlang. Die Kinder hatten gerade Pause. Sie aßen belegte Brote oder Wurstsemmeln und tranken mit Strohhalmen Milch oder Kakao. Ein paar Kinder drehten sich nach Aurelius um und kicherten.
„Der ist bestimmt vom Gymnasium drüben. Da proben sie ein Weihnachtsspiel“, sagte jemand.
Aurelius hörte leises Schluchzen. In einer Klasse saß ein Kind mit verheultem Gesicht.
„Hallo, Klaus, hast du Kummer?“, fragte Aurelius. Klaus schaute Aurelius erstaunt an. „Bist du vom Schülertheater?“
Nein, ich bin einer von den Himmlischen“, antwortete Aurelius. „Du darfst dir etwas wünschen.“
„Ich bin doch nicht so blöd und glaub so was“, sagte Klaus.
„Hab ich nicht auch deinen Namen gewußt?“ gab Aurelius zu bedenken. Klaus überlegte kurz. „Steht doch da auf meinem Heft“, sagte er dann.
„Du hast einen Wunsch frei. Versuch’s doch“, drängte Aurelius. „Na los, du Scherzbold. Dann verwandle mein Nichtgenügend in eine Sehrgut“, verlangte Klaus und schob Aurelius sein Diktatheft entgegen. Da waren fast so viele Fehler wie Wörter.
„Noten sind doch unwichtig“, sagte Aurelius. „Gibt es denn nichts Wichtigeres, was du dir wünscht?“
„Ich hab mir gleich gedacht, daß du’s nicht kannst“, sagte Klaus.
Seufzend berührte Aurelius die Heftseite. „Null Fehler. Sehr gute Arbeit“, stand da plötzlich mit Rotstift geschrieben. Im Diktat war kein einziger Fehler mehr. Sprachlos starrte Klaus auf die schön geschriebenen Zeilen. Als er wieder aufschaute, war Aurelius verschwunden.
Es war dunkel geworden. Nachdenklich ging Aurelius an den weihnachtlich geschmückten Auslagen vorbei. Er schüttelte unzufrieden den Kopf. Einmal Tee mit Zitrone und ein Sehrgut im Diktatheft... Mit dem letzten Wunsch würde er achtsamer umgehen. Plötzlich hörte er eine verzweifelte Stimme durch die dicken Wände eines Hauses. Denn natürlich können Engel durch Wände hören. Aurelius ging der Stimme nach. Durch eine Wohnungstür im ersten Stock konnte man die Stimme ganz deutlich hören. Auch wenn man kein Engel war.
„Wenn ich nur wüßte, was ich machen soll! Es ist zum verzweifeln!“, jammerte die etwas schrille Stimme. Aurelius läutete. Die Tür wurde sofort aufgemacht.
„Na, endlich sind Sie da“, sagte eine rundliche kleine Frau mit rotem Gesicht, ohne Aurelius anzusehen. „Fangen Sie gleich an, die Brötchen anzubieten.“
„Brötchen?!“ Aurelius war verwirrt.
Jetzt schaute ihn die rundliche kleine Frau an. „Bringen Sie nicht die Brötchen für unsere Weihnachtsfeier?“, fragte sie entsetzt. „Ja, was wollen Sie denn dann? Und warum sind Sie verkleidet, um Himmels willen?“
„Um Himmels willen“, bestätigte Aurelius. „ich bin hier, um ihnen einen Wunsch zu erfüllen.“
„Sie sehen doch, Sie stören“, sagte die Frau nervös. „Das ist eine private Weihnachtsfeier.“ Es läutete wieder an der Tür. Diesmal waren es die Brötchen. Drei Kellner reichten üppig beladene silberne Teller herum. Die Brötchen waren kunstvoll verziert. Aurelius lehnte dankend ab. Engel essen keine Brötchen.
„Haben Sie denn keinen Wunsch?“, fragte Aurelius die Frau. Ein paar Gäste kamen näher und hörten zu. „Wir haben hier einen Weihnachtsengel“, rief die Frau. „Hat zufällig irgendjemand einen Wunsch?“ Die Gäste lachten und redeten durcheinander.
„Er soll beweisen, daß er ein echter Engel ist“, rief ein Gast laut. „Vielleicht schweben oder was Engel halt so tun.“
„Ihr vergeudet eine Gelegenheit, die vielleicht nie wiederkommt“, sagte Aurelius eindringlich.
„Wunsch ist Wunsch“, sagte der Gast störrisch. „Jawohl, Beweise“, sagte jemand anders lachend.
Aurelius war mit seiner Engelsgeduld am Ende. Er hob die linke Hand. Farbige Lichtstrahlen breiteten sich rund um ihn aus und wurden zu einem intensiven Leuchten. Einen Augenblick blieb Aurelius so stehen. Dann schwebte er durch das Doppelglasfenster in die dunkle Winternacht. Wie eine Sternschnuppe verglühte das Licht am nachtschwarzen Himmel.

„Frohe Weihnachten, lieber Aurelius“, rief der Oberengel zur Begrüßung. „heuer bin ich Weihnachtsengel für die Himmlischen. Du hast einen Wunsch frei.“
„Halleluja!“, frohlockte Aurelius. Leise und fast richtig begann er „Stille Nacht“ auf seiner Harfe zu spielen.
„Dein Wunsch?“, fragte der Oberengel.
„Nie wieder Weihnachtsengel!“, sagte Aurelius.

Edith Schreiber-Wicke

struwwelpeter
04.12.2007, 21:55
Adventskalender

Tagebuch eines Adventliebhabers, dessen Adventskalender zur Tragödie auswächst. Merke: Traue keinem Adventskalender!


Erster Dezember
Hurra, ich darf das erste Fenster meines Adventskalenders öffnen. Ein Schokoengelchen. Ich liebe den Advent.
* Zweiter Dezember
Eine Glocke. Ich lasse die Schokolade auf meiner Zunge zergehen und bekomme einen zärtlichen Kuss meiner Liebsten. Die Adventszeit ist immer so romantisch.
* Dritter Dezember
Kollege Meier erzählt mir von seinem tollen Adventskalender mit Pralinen und kleinen Geschenkchen. Ich freue mich für ihn. Ich hatte ein Schokoauto.
* Vierter Dezember
Ein Schokokopf. Nichts nennenswertes passiert.
* Fünfter Dezember
Kollege Niederkopf erzählt in der Kantine schmutzige Adventswitze. Habe aus Höflichkeit mitgelacht. Frl. Blasewetter sah pikiert zu Boden. Schokotannenzweig.
* Sechster Dezember
Nikolaustag. Meier kommt mit einem Nikolauskostüm und verteilt Schokolade und Kondome. Lustiger Scherz. Ich mache mich über die Schoki her und schiebe die Kondome unserer jungen, allerdings auch sehr hübschen Azubine zu. Schutz ist heute so was von wichtig. Vor allem für die Jugend. Demnächst muss ich mich wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz äußern.
* Siebter Dezember
Meine Liebste scheint sich über den Wischmop den ich ihr zum Nikolaus schenkte irgendwie nicht zu freuen. Istäußerst muffig heute. Schokoschlitten im Kalender. Kolleginnen gehen mir aus dem Weg. Menschenskind, ich wollte doch wirklich nur das Beste für die Kleine. Frl. Blasewetter murmelte was von "Ja, ja" und ".. sein bestes Stück".
* Achter Dezember
Zweiter Advent. Meine Liebste war wieder versöhnlich. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt als ich mein Sturmfeuerzeug zum Entzünden der zwei Kerzen auf dem Adventskranz zückte. Bei den anderen brannten nur zwei mickrige Kerzen, bei uns der ganze Kranz. Warum war das Holz auch nur so trocken?
* Neunter Dezember
Anschiss wegen Nikolaustag. Die Frauenbeauftragte unserer Firma grinste hämisch. Eintragung in der Personalakte. Als ich wieder an meinen Schreibtisch zurück kam fand ich zwei Kondome auf meinem Platz liegen. Schnell steckte ich sie ein. Schokoflugzeug.
* Zehnter Dezember
Hatte einen Schokohasen im Kalender und einen eiskalten Hasen mir gegenüber am Frühstückstisch sitzen. Sie hatte die Gummis in meiner Tasche gefunden. Meine Beteuerungen das ich ihr ewig treu bin prallten an ihr ab wie ein Zwerg an Santas Bauch. Frostiger Empfang im Büro und auch am Abend Zuhause. Habe Angst vor Frostbeulen.
* Elfter Dezember
Azubine kam im Minirock. Das macht sie extra. Ignoriere sie geflissentlich. Meier pfeift ihr nach. Blöd, dass er das auf der Türschwelle in sein Büro machte und ich allein auf dem Gang stand als sie sich umdrehte. Termin beim Boss für morgen in Outlook eingetragen. Mausi ist immer noch sauer
* Zwölfter Dezember
Meier schwärmt wieder davon was er heute in seinem Kalender fand. Er geht mir auf den Nerv. Der Boss glaubt mir meine Schilderung des Vorfalls am Vortag nicht. Zweite Eintragung und eine dringende Empfehlung einen Bogen um Auszubildende und Minderjährige zu machen.
* Dreizehnter Dezember
Schatzi spricht wieder mit mir. Ich wünschte nur es wäre was freundlicheres als "Bring den Müll raus". Hatte das Büro für mich allein. Zumindest gingen alle als ich es betrat. Als ich mich in der Kantine zu meinen Kollegen setzte standen diese auf. Mir fiel auch auf das sie mich heute nicht fragten ob ich zum essen gehe. Komisch.
* Vierzehnter Dezember
Die Nachbarkinder machten eine Schneeballschlacht. In einem Anfall eines jugendlichen Gefühls machte ich mit. Blöd das sich ein Stein in meinem Schneeball versteckte. Ich überschlug im Geiste wie viel eine Katze kosten könnte. Was muss das Vieh auch in die Wurfbahn springen.
* Fünfzehnter Dezember
Dritter Advent.
Behutsam entferne ich den "Katzenmörder"-Zettel von meiner Haustür. Mein Mäuschen war am Kofferpacken. Sie hatte mit einer Freundin telefoniert die lustigerweise mit einem meiner Kollegen verheiratet war. Meine Erklärungsversuche scheiterten.
* Sechzehnter Dezember
Hatte einen Schokotannenbaum im Kalender. Ich fand Schokolade nicht mehr so spannend. Mausi fehlt mir.
* Siebzehnter Dezember
Hab mit Mausi telefoniert. Konnte sie nach stundenlangen Betteln und Überreden dazu bringen wieder zurück zu kommen. Wir lagen uns weinend in den Armen. Als wir später ins Bett gingen kreuzte ein neues Problem auf. Stress erzeugt tatsächlich Impotenz. Ich war immer stolz darauf dass er stand wie ein Weihnachtsbaum. In dieser Nacht war's eher eine Trauerweide.
* Achtzehnter Dezember
In der Arbeit reißt Meier Pädophilenwitze. Werde dabei von Kollegen lachend angesehen. Gedanken an einen Axtmord durchschleichen meine Hirnwindungen.
* Neunzehnter Dezember
Schokoschlitten. Bin frustriert. Sex hat letzte Nacht wieder nicht geklappt. Mausi seufzt jedes Mal bei meinem Anblick.
* Zwanzigster Dezember
Kleiner Umtrunk. Meier gibt einen aus. Meier will auf kameradschaftlich machen und haut mir auf die Schulter so das ich mein Glas verschütte. Laufe panisch aufs Klo. Solche Flecken bekommt man später nicht mehr raus. Verdammt. Falsche Tür. Stehe nur in Unterhosen vor der Azubine. Sie hat nen Mini an. Das Gute daran: die Impotenz ist augenscheinlich vorbei.
* Einundzwanzigster Dezember
Ich lese zum dritten Mal die Kündigung während Mausi weinend ihre Sachen packt. Ihre Mutter im Auto hupt schon. Hatte eine Schokoweihnachtskugel.
* Zweiundzwanzigster Dezember
Ein Nachbar wünscht mir frohe Feiertage. Ich haue ihm ein blaues Auge. Habe kurz darauf selber eines. Der Freund der Azubine freute sich nicht so sehr über den Behandlungserfolg seiner Freundin bei meinem kleinen Schwellkörperproblem.
* Dreiundzwanzigster Dezember
Die Polizei steht vor der Tür. Ich denke sie sind wegen des kleinen Vorfalls im Supermarkt mit einem verkleideten Weihnachtsmann hier. Egal was mit mir passiert, ER würde keinen Nachwuchs mehr zeugen. Sie drohen die Tür einzutreten. Als Antwort schicke ich ihnen meinen lichterloh brennenden Weihnachtsbaum den ich aus dem Badezimmerfenster im ersten Stock fallen lasse. Ich hätte den Baum doch nicht schon im Wohnzimmer anzünden sollen. Nun hat auch die Feuerwehr ein dringendes Bedürfnis meine Wohnung von innen zu besichtigen. Ich sitze auf dem Dach und singe Weihnachtslieder die nicht unbedingt für Kinderohren gedacht sind.
* Vierundzwanzigster Dezember
Ich feiere Weihnachten mit Bob. Wir teilen uns unsere Zelle. Bob ist sehr nett. Er mag mich. Er sagt er habe ein Geschenk für mich. Ich freue mich schon, wenn ich es auspacken darf. Bob sagt, es ist etwas für jeden Tag. Aber warum kommt der Weihnachtsmann mit dickem Sack und strammer Rute?

Alles klar? So ein Adventskalender kann ganz schön in die Hose gehen. Auch in eine weihnachtliche Hose. *g*


http://www.gedichte-garten.de/adventskalender/advent.jpg

struwwelpeter
10.12.2007, 21:55
Säugling in Stall gefunden - Polizei und Jugendamt ermitteln


9928


Schreiner aus Nazareth und unmündige Mutter vorläufig festgenommen

BETHLEHEM, JUDÄA - In den frühen Morgenstunden wurden die Behörden von einem besorgten Bürger alarmiert. Er hatte eine junge Familie entdeckt, die in einem Stall haust. Bei Ankunft fanden die Beamten des Sozialdienstes, die durch Polizeibeamte unterstützt wurden, einen Säugling, der von seiner erst 14-jährigen Mutter, einer gewissen Maria H. aus Nazareth, in Stoffstreifen gewickelt in eine Futterkrippe gelegt worden war.
Bei der Festnahme von Mutter und Kind versuchte ein Mann, der später als Joseph H., ebenfalls aus Nazareth identifiziert wurde, die Sozialarbeiter abzuhalten. Joseph, unterstützt von anwesenden Hirten, sowie drei unidentifizierten Ausländern, wollte die Mitnahme des Kindes unterbinden, wurde aber von der Polizei daran gehindert.

Festgenommen wurden auch die drei Ausländer, die sich als "weise Männer"
eines östlichen Landes bezeichneten. Sowohl das Innenministerium als auch der Zoll sind auf der Suche nach Hinweisen über die Herkunft dieser drei Männer, die sich anscheinend illegal im Land aufhalten. Ein Sprecher der Polizei teilte mit, dass sie keinerlei Identifikation bei sich trugen, aber in Besitz von Gold, sowie einigen möglicherweise verbotenen Substanzen waren. Sie widersetzten sich der Festnahme und behaupteten, Gott habe ihn angetragen,sofort nach Hause zu gehen und jeden Kontakt mit offiziellen Stellen zu vermeiden. Die mitgeführten Chemikalien wurden zur weiteren Untersuchung in das Kriminallabor geschickt.
Der Aufenthaltsort des Säuglings wird bis auf weiteres nicht bekanntgegeben. Eine schnelle Klärung des ganzen Falls scheint sehr zweifelhaft. Auf Rückfragen teilte eine Mitarbeiterin des Sozialamts mit: "Der Vater ist mittleren Alters und die Mutter ist definitiv noch nicht volljährig. Wir prüfen gerade mit den Behörden in Nazareth, in welcher Beziehung die beiden zueinander stehen."
Maria ist im Kreiskrankenhaus in Bethlehem zu medizinischen und psychiatrischen Untersuchungen. Sie kann mit einer Anklage wegen Fahrlässigkeit rechnen. Ihr geistiger Zustand wird deshalb näher unter die Lupe genommen, weil sie behauptet,sie wäre noch Jungfrau und der Säugling stamme von Gott.
In einer offiziellen Mitteilung des Leiters der Psychiatrie steht: "Mir steht nicht zu, den Leuten zu sagen, was sie glauben sollen, aber wenn dieser Glaube dazu führt, dass - wie in diesem Fall - ein Neugeborenes gefährdet wird, muss man diese Leute als gefährlich einstufen. Die Tatsache, dass Drogen, die vermutlich von den anwesenden Ausländern verteilt wurden, vor Ort waren, trägt nicht dazu bei, Vertrauen zu erwecken. Ich bin mir jedoch sicher, dass alle Beteiligten mit der nötigen Behandlung in ein paar Jahren wieder normale Mitglieder unserer Gesellschaft werden können."
Zu guter Letzt erreicht uns noch diese Info: Die anwesenden Hirten behaupteten steif und fest, dass ein großer Mann in einem weißen Nachthemd mit Flügeln (!) auf dem Rücken ihnen befohlen hätte den Stall aufzusuchen und das Neugeborene zu seinem Geburtstag hoch leben zu lassen. Dazu meinte ein Sprecher der Drogenfahndung: "Das ist so ziemlich die dümmste Ausrede eines vollgekifften Junkies, die ich je gehört habe."
(gefunden in d.t.j. - Verfasser unbekannt)
(Falls es bis hierher jemand nicht gemerkt hat: Das ist eine Satire!:rotier: )


9929

struwwelpeter
11.12.2007, 01:16
Die Verspätung des Nikolaus



http://www.bilder-hochladen.net/files/1gop-2rt.jpg


Der große rote Nikolaus
sucht gar so gute Sachen aus.
Er geht zu jedem Haus
und bringt in Saus und Braus.


Den Sack zur Tür herein-
wo Kindelein klein
die beiden Äugelein
schon steckt ins Zimmer rein:


"Oh Nikolaus,
Du schaust gar grimmig drein,
was ist denn bloß im Sacke fein,
die Rute statt dem Zuckerhaus?


Was hab ich denn verbrochen,
ich hab Dir doch versprochen,
Dir auch Gedichterl aufzusagen,
ohne Stottern, ohne Zagen."


Der Nikolaus war doch nicht bös,
nur abgemüht und so nervös,
wei eben diesem guten Herrn
verloren ging sein Mandelkern.


Er war mit seinem Wunderschlitten
an Stadtens'Rande ausgeglitten
und mit härtester Gewalt
gegen einen Baum geprallt.


Des Sackes Netzwerk feingewebt
hatt' allerheftigst schon gebebt,
bis schließlich in den größten Wogen
die Äpfel, Nüss' auf Weg hinflogen.


Ein heft'ger Fluch wär über Lippen
des guten Nikolaus geglitten,
wenn ihm nicht plötzlich starr vor Schreck
die Luft in seiner Brust bleib weg.


Er sah den stark gefürchteten Ganoven,
vor dem es jeden Städter graust,
und der allein im Walde haust
mit einer Flinte vor sich tobend-

"Du kannst es doch nicht mehr verschenken,
niemand könnt' Dir gar verdenken,
wenn Du mir diese Sachen läßt,
in diesem gottverdammten Nest.


Der Niklaus schaute auf die Flinte,
was saß er drinnen in der Tinte,
jetzt muß das Fest des hei'gen Herrn
um viele Tag verschoben werden.

Und all die kleinen Kinderlein
jetzt ohne Freude müssen sein.
Und welche Schuld und Gram allein
wird auf dem Karren einzig sein.


Im Wald gab es ein Engelskind,
das lebte still in Einsamkeit
zum Schutz des bösen Ludermanns.
Es wollt, dass er auch Ruhe find
und nicht in scharzem Tod verschneit.


Er sah doch nie den Lichterschein,
der unweit von der Hütte wohnte-
auch wenn die Wärme war recht klein,
sie doch vor Tod und Kälte schonte.


Und eben dieses Lichterkind
kan durch die Kälte zu dem Wagen
und gab dem heil'gem Herrn geschwind
die neue Gab von Himmelsladen.


Entschuldigung und großer Segen
begleitet ihn auf seinen Wegen
durch die Welt zum Lichterschein -
Jetzt muß der Niklausabend später sein.



http://www.bilder-hochladen.net/files/1gop-2rv.gif

struwwelpeter
12.12.2007, 23:41
Plätzchenduft im ganzen Haus


9962


Wieder diese dunkle Jahreszeit. Wieder Dezember. Wieder diese langen Nächte und kurzen Tage. Und wieder die Familie, die quengelt, ich soll Plätzchen backen.
"Nein!" sage ich dieses Mal entschieden. "Ich backe in diesem Jahr keine Plätzchen. Mann und Sohn gucken mich an, als ob ich ihnen soeben mitgeteilt hätte, dass ich beabsichtige, nach Timbuktu auszuwandern. Alles, nur das nicht. Sie flehen. Sie nölen. Sie schimpfen. Und ich argumentiere damit, dass es keinen Spaß macht, viele Stunden in der Küche zuzubringen, nochmals Stunden mit deren Reinigung beschäftigt zu sein, die Produkte meiner Schweiß treibenden Arbeit sich noch am Backtag bis auf die Hälfte dezimieren zu sehen, um dann festzustellen, dass anschließend niemand mehr von den Keksen isst. Nicht nur nicht im Dezember, nein auch am Fest selbst wird alles Mögliche gegessen und genascht, nicht aber Mutters Kekse.
Ich schlug vor, in eine gute Konditorei zu gehen, und ein paar von diesen wunderbaren Keksen zu kaufen, die so schön aussehen, wie ich es niemals hinkriegen würde. Aber sie schüttelten beiden heftig die Köpfe und argumentierten: "Aber das riecht doch so schön im ganzen Haus." Okay, da hatten sie ja nun Recht. Trotzdem habe ich keine Lust, Kekse für den Mülleimer zu produzieren. Basta!
Im letzten Jahr hatte ich logisch überlegt und nur noch die Hälfte Kekse gebacken. In der Hoffnung, dass dann alle an einem Tag aufgegessen würden. Aber die Rechnung ging nicht auf. 1. hatte ich fast genau so viel Arbeit, weil es der verschmutzten Küche egal ist, ob zehn oder fünf Bleche gebacken wurden und 2. haben sie von der Hälfte eben wieder nur die Hälfte gegessen. Ob sie es unverschämt gefunden hätten, alles auf einmal zu essen, oder ob ausgerechnet im letzten November ihr Keksappetit nur halb so groß war, bleibt unbekannt. Mein Entschluss stand fester den je: In diesem Jahr keine Kekse.
Nun waren meine beiden Süßen nicht gewillt, auf selbst gebackene Weihnachtssüßigkeiten zu verzichten. Und weil Muttern dieses Mal nicht als Produzentin zur Verfügung stand passierte, was passieren musste. Die beiden wälzten Backbücher, kauften Frauenzeitschriften mit Plätzchenrezepten und bereiteten sich akribisch auf den großen Backtag vor. Wenn eine Frau kocht oder backt, geht sie in die Küche, schmeißt Ofen und Herd in Gang und legt los. Männer jedoch planen alles bis in die kleinste Kleinigkeit. Sie lasen die Rezepte, murmelten was von Kouvertüre, Petit Fours und viele andere leckere Ausdrücke. Ich schmunzelte, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie das hinkriegen würden. Meine Kekse, die ich immer genau nach Anweisung backte, sahen nie so umwerfend toll aus, wie sie in den Zeitschriften oder Backbüchern abgebildet waren. Aber die beiden hatten - so schien es - den Anspruch, es besser zu machen als ich.
Ich gebe zu, dass ich ein bisschen in meinem hausfraulichen Stolz gekränkt war. Und ein bisschen juckte es mich doch, ihnen zu zeigen, wer hier besser backen konnte. Doch ein Zurück gab es nun nicht mehr für mich. Zu viel hatte ich daran gesetzt, mein Ziel zu erreichen. Um nicht in irgendeine Versuchung zu kommen, in den nachmittäglichen Backvorgang einzugreifen, verzog ich mich für einige Stunden.
Ja, es stimmt, ich war sehr neugierig, als ich nach Hause kam. Was dort dekorativ in einer Schale angerichtet war, verschlug mir den Atem. Vanillekipferl mit Puderzucker, Zimtsterne mit rosa Verzierungen und vieles mehr. "Alle Achtung!" Das Kompliment meinte ich wirklich ernst.
Erst am Abend im Bett fiel mir auf, dass etwas gefehlt hatte. Der Duft. Genau! Der Plätzchenduft im ganzen Haus.

von R. Fehling

struwwelpeter
15.12.2007, 22:57
Interview mit dem Weihnachtsmann



Von Erich Kästner


Es hatte schon wieder geklingelt. Das neuntemal im Verlauf der letzten Stunde! Heute hatten, so schien es, die Liebhaber von Klingelknöpfen Ausgang. Mürrisch rollte ich mich türwärts und öffnete.
Wer, glauben Sie, stand draußen? Sankt Nikolaus persönlich! In seiner bekannten historischen Ausrüstung. "Oh", sagte ich. "Der eilige Nikolaus!" - "Der heilige, wenn ich bitten darf. Mit h!" Es klang ein wenig pikiert. "Als Junge habe ich Sie immer den eiligen Nikolaus genannt. Ich fand's plausibler." - "Sie waren das?" - "Erinnern Sie sich denn noch daran?" - "Natürlich! Ein kleiner hübscher Bengel waren Sie damals!"
"Klein bin ich immer noch." - "Und nun wohnen Sie also hier." - "Ganz recht." Wir lächelten resigniert und dachten an vergangene Zeiten.
"Bleiben Sie noch ein bißchen!" bat ich. "Trinken Sie noch eine Tasse Kaffee mit mir!" Er tat mir, offen gestanden, leid.
Was soll ich Ihnen sagen? Er blieb. Er ließ sich herein. Erst putzte er sich am Türvorleger die Stiefel sauber, dann stellte er den Sack neben die Garderobe, hängte die Rute an einen der Haken, und schließlich trank der mit mir in der Wohnstube Kaffee.
"Zigarre gefällig?" - "Das schlag ich nicht ab." Ich holte die Kiste. Er bediente sich. Ich gab ihm Feuer. Dann zog er sich mit Hilfe des linken den rechten Stiefel aus und atmete erleichtert auf. "Es ist wegen der Plattfußeinlage. Sie drückt niederträchtig." - "Sie Ärmster! Bei Ihrem Beruf!" - "Es gibt weniger Arbeit als früher. Das kommt meinen Füßen zupaß. Die falschen Nikoläuse schießen wie die Pilze aus dem Boden."
"Eines Tages werden die Kinder glauben, daß es Sie, den echten, überhaupt nicht mehr gibt." - "Auch wahr! Die Kerls schädigen meinen Beruf! Die meisten von denen, die sich einen Pelz anziehen, einen Bart umhängen und mich kopieren, haben nicht das mindeste Talent! Es sind Stümper!" - "Weil wir gerade von Ihrem Beruf sprechen", sagte ich, "hätte ich eine Frage an Sie, die mich schon seit meiner Kindheit beschäftigt. Damals traute ich mich nicht. Heute schon eher. Denn ich bin Journalist geworden." - "Macht nichts", meinte er und goß sich Kaffee zu. "Was wollen Sie seit Ihrer Kindheit von mir wissen?" - "Also", begann ich zögernd, "bei Ihrem Beruf handelt es sich doch eigentlich um eine Art ambulanten Saisongewerbes, nicht? Im Dezember haben Sie eine Menge Arbeit. Es drängt sich alles auf ein paar Wochen zusammen. Man könnte von einem Stoßgeschäft reden. Und nun ..." - "Hm?" - "Und nun wüßte ich brennend gern, was Sie im übrigen Jahr tun!"
Der gute alte Nikolaus sah mich einigermaßen verdutzt an. Er machte fast den Eindruck, als habe ihm noch niemand die so naheliegende Frage gestellt. "Wenn Sie sich nicht darüber äußern wollen ..." - "Doch, doch", brummte er. "Warum denn nicht?" Er trank einen Schluck Kaffee und paffte einen Rauchring. "Der November ist natürlich mit der Materialbeschaffung mehr als ausgefüllt. In manchen Ländern gibt's plötzlich keine Schokolade. Niemand weiß wieso. Oder die Äpfel werden von den Bauern zurückgehalten. Und dann das Theater an den Zollgrenzen. Und die vielen Transportpapiere. Wenn das so weitergeht, muß ich nächstens den Oktober noch dazunehmen. Bis jetzt benutze ich den Oktober eigentlich dazu, mir in stiller Zurückgezogenheit den Bart wachsen zu lassen."
"Sie tragen den Bart nur im Winter?" - "Selbstverständlich. Ich kann doch nicht das ganze Jahr als Weihnachtsmann herumrennen. Dachten Sie, ich behielte auch den Pelz an? Und schleppte 365 Tage den Sack und die Rute durch die Gegend? Na also. - Im Januar mache ich dann die Bilanz. Es ist schrecklich. Weihnachten wird von Jahrhundert zu Jahrhundert teurer!" - "Versteht sich." - "Dann lese ich die Dezemberpost. Vor allem die Kinderbriefe. Es hält kolossal auf, ist aber nötig. Sonst verliert man den Kontakt mit der Kundschaft." - "Klar." - "Anfang Februar lasse ich mir den Bart abnehmen."
In diesem Moment läutete es wieder an der Flurtür. "Entschuldigen Sie mich, bitte?" Er nickte. Draußen vor der Tür stand ein Hausierer mit schreiend bunten Ansichtskarten und erzählte mir eine sehr lange und sehr traurige Geschichte, deren ersten Teil ich mir tapfer und mit zusammen-gebissenen Ohren anhörte. Dann gab ich ihm das Kleingeld, das ich lose bei mir trug, und wir wünschten einander auch weiterhin alles Gute. Obwohl ich mich standhaft weigerte, drängte er mir als Gegengeschenk ein halbes Dutzend der schrecklichen Karten auf. Er sei, sagte er, schließlich kein Bettler. Ich achtete seinen schönen Stolz und gab nach. Endlich ging er.
Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, zog Nikolaus gerade ächzend den rechten Stiefel an. "Ich muß weiter", meinte er, "es hilft nichts. Was haben Sie denn da in der Hand?" - "Postkarten. Ein Hausierer zwang sie mir auf." - "Geben Sie her. Ich weiß Abnehmer. Besten Dank für Ihre Gastfreundschaft. Wenn ich nicht der Weihnachtsmann wäre, könnte ich Sie beneiden."
Wir gingen in den Flur, wo er seine Utensilien aufnahm. "Schade", sagte ich. "Sie sind mir noch einen Teil Ihres Jahreslaufs schuldig." Er zuckte die Achseln. "Viel ist im Grunde nicht zu erzählen. Im Februar kümmere ich mich um den Kinderfasching. Später ziehe ich auf Frühjahrsmärkten umher. Mit Luftballons und billigem mechanischen Spielzeug. Im Sommer bin ich Bademeister und gebe Schwimmunterricht. Manchmal verkaufe ich auch Eiswaffeln in den Straßen. Ja, und dann kommt schon wieder der Herbst - und nun muß ich wirklich gehen."
Wir schüttelten uns die Hand. Ich sah ihm vom Fenster aus nach. Er stapfte mit großen, hastigen Schritten durch den Schnee. An der Ecke Ungerstraße wartete ein Mann auf ihn. Er sah wie der Hausierer aus, wie der redselige mit den blöden Ansichtskarten. Sie bogen gemeinsam um die Ecke. Oder hatte ich mich getäuscht? Eine Viertelstunde danach klingelte es schon wieder. Diesmal erschien der Laufbursche des Delikatessengeschäftes Zimmermann Söhne. Ein angenehmer Besuch! Ich wollte bezahlen, fand aber die Brieftasche nicht gleich. "Das hat ja Zeit, Herr Doktor", meinte der Bote väterlich. "Ich möchte wetten, daß sie auf dem Schreibtisch gelegen hat!" sagte ich. "Nun gut, ich begleiche die Rechnung morgen. Aber warten Sie noch, ich bring' Ihnen eine gute Zigarre!" Die Kiste mit den Zigarren fand ich auch nicht gleich. Das heißt, später fand ich sie ebensowenig. Die Zigarren nicht. Die Brieftasche auch nicht. Das silberne Zigarettenetui war auch nicht zu finden. Und die Manschettenknöpfe mit den großen Mondsteinen und die Frackperlen waren weder an ihrem Platz noch sonstwo. Jedenfalls nicht in meiner Wohnung.
Ich konnte mir gar nicht erklären, wohin das alles geraten sein mochte. Es wurde trotzdem ein stiller hübscher Abend. Es klingelte niemand mehr. Wirklich, ein gelungener Abend. Nur irgend etwas fehlte mir. Aber was? Eine Zigarre? Natürlich! Glücklicherweise war das goldene Feuerzeug auch nicht mehr da. Denn das muß ich, obwohl ich ein ruhiger Mensch bin, bekennen: Feuer zu haben, aber nichts zum Rauchen im Haus, das könnte mir den ganzen Abend verderben!





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struwwelpeter
17.12.2007, 22:59
Das geflügelte Geschenk


Eine Weihnachtsgeschichte von Jan A. Loeffler


Früher war alles ein bißchen anders, auch Weihnachten. Mehr als 50 Jahre ist es her; damals als wir unsere Wünsche auf einen Wunschzettel schreiben durften.


«Liebes Christkind; ich fand kein
Spielzeug für 10 Franken das ich
mir wünschen würde, aber einen
Wunsch hätte ich schon. Könntest
Du mir eine Ente, eine weiße, zur
Weihnacht bringen?...»


Im Waisenhaus in Zürich schrieben viele Kinder jedes Jahr einen Wunschzettel: «An das Christkind - Himmel». Und wir wußten, daß unser Wunsch nur dann erfüllt würde, wenn das erhoffte Geschenk nicht mehr als 10 Schweizer Franken kostete. Was konnten wir nicht alles haben für 10 Franken! In den Katalogen der Spielzeuggeschäfte fanden wir vieles: «Nur 7,50 Franken ; nur 10 Franken» ; wir mußten sorgfältig aussuchen; da gab es so manches das nur 5 Franken kostete, und das wir eigentlich haben wollten, aber wir wollten die jährliche, einmalige Chance nicht einfach vertun. Es war nicht leicht, und einmal war es für mich unmöglich. Ich konnte mich nicht entschließen; nichts gefiel mir aus dem Katalog, nichts, was mit 10 Franken und darunter angeschrieben war. Und eigentlich wollte ich auch gar kein Spielzeug haben, ich wünschte mir eine Ente. Ja, eine richtige, lebendige Ente, genau gesagt, eine weiße Ente. Eine Ente die mir ganz allein gehören sollte.
Wir hatten im Waisenhaus Hühner, die uns die Eier lieferten. Wir hatten auch Enten. Enteneier soll man nur zum backen verwenden, sagte unsere Köchin. Wir hatten Hühner- und Enteneier, die ich jeden Tag einsammeln und in die Küche bringen mußte. Auch das Zählen und Wiegen der Eier war meine Aufgabe. Jeden Samstag musste ich das Hühnerhaus und die zwei Entenhäuschen säubern und natürlich auch Futter bringen. Es war ein begehrter Job im Waisenhaus, viel besser als Treppen reinigen oder Mühleimer leeren. Ich war Herr über Hühner und Enten; oder doch eher der Diener. Der «Herr» war nämlich Fräulein Lehmann, eine ältere Frau mit einem großen Kropf und immer frommen Worten, mit denen sie ihren Glauben an den lieben Gott bekannt gab. Sie gab auch bekannt, wenn die Hühner oder die Enten in die Küche gebracht werden mußten. Und wenn unser Gärtner, der Herr Stoll nicht da war, dann hackte das Fräulein Lehmann den Hühnern den Kopf ab; auch den Enten. Und alle, die Fräulein Anna, die Fräulein Ida und die anderen Frauen, die im Waisenhaus zu den Bediensteten gehörten, rupften «meinen» Hühnern und Enten die Federn aus; den Rest übernahm die Köchin. Gebratene Hühner oder Entenbraten, wer hätte da nicht gerne mit gegessen? Ich! Ich war krank; und entschuldigt, ich bekam in der Küche etwas anderes zu essen. Obwohl ich auch gerne Hühner aß, aber nur «fremde», nicht meine «eigenen». Ente liebte ich nicht so sehr; damals kannte ich «canard a l'orange» noch nicht.
Wenn ich eine eigene Ente hätte, so dachte ich, würde diese nie in die Küche müssen, dürfte ewig leben und schnattern und im kleinen Teich schwimmen und Eier legen; vielleicht sogar junge Entchen bekommen; die gehörten dann auch mir, oder? Soweit dachte ich damals nicht. Ich fragte mich nur, ob denn so eine Ente mehr als 10 Franken kosten würde. Niemand wußte es, keines der Kinder im Waisenhaus oder in der Schule wußte es. Und meinen «Chef», die Frau Lehmann, getraute ich mich nicht zu fragen. Ich stellte mir vor, was sie mir antworten würde: «Bete zum lieben Gott und sei schön brav und mache Deine Arbeit genau und richtig, vielleicht wird Dein Wunsch erhört und Du bekommst eine eigene Ente.» Das Erbitten einer Ente vom lieben Gott schien mir leicht zu sein. Aber ich wußte, daß das mit dem «brav sein» und «Arbeit gut und richtig machen» nicht so einfach war. Damit würde ich beim lieben Gott nichts erreichen, er wußte es sicher besser. Also ließ ich das Beten und schrieb: "Liebes Christkind; ich fand kein Spielzeug für 10 Franken das ich mir wünschen würde, aber einen Wunsch hätte ich schon. Könntest Du mir eine Ente, eine weiße, zur Weihnacht bringen? Ich weiß nicht, wieviel eine Ente kostet, und wenn es zuviel ist, dann bringe mir irgend etwas anderes, das nicht mehr als 10 Franken kostet, ich weiß nicht was. Danke und liebe Grüße. Hansli.» Der zusammengefaltete Wunschzettel kam in den kleinen Briefkasten in der großen Eingangshalle. Und dann kam das lange Warten. Bis am 24. Dezember, Heiligabend.
Der Speisesaal hatte eine Woche zuvor einen großen Tannenbaum erhalten, so groß, er reichte bis unter die Decke. Jetzt, am Heiligabend, brannten alle Kerzen, vielleicht über hundert, alle weiß. Silberne Kugeln glänzten, und silbernes Lametta schimmerte. Das war wie jedes Jahr; der Stall zu Bethlehem, mit dem Ochsen und dem Esel, mit der Krippe und der Maria und dem Josef und dem kleinen Jesuskind auf Marias Schoß. Ein bißchen Heu, ein bißchen Stroh und ein rotes Licht gab es im Stall, und auch Moos auf dem Dach. Jedes Jahr der gleiche Stall und jedes Jahr eine neue Freude, alle drängten sich vor der Krippe, ich auch. Und manche blickten verstohlen in das Halbdunkel des Speisesaals. Auf den Tischen waren nämlich all die Pakete und Päckchen verteilt, kaum zu sehen, weil weit weg vom Christbaum und dem Licht der Kerzen, geheimnisvoll. Aber alle mußten sich auf die Stühle setzen, die so angeordnet waren, daß der Stall zu Bethlehem von jedem zu sehen war. Und neben dem Stall setzte sich der Herr Meister hin; das war der höchste Chef im Waisenhaus, er las uns die Weihnachtsgeschichte vor. Jedes Jahr die gleiche, jedes Jahr mußten wir warten, bis der Herr Meister fertig gelesen hatte.
Dieses Jahr hörte ich nicht zu. Ich war enttäuscht. Wie hatte ich auch so blöd sein können und mir eine eigene, richtig lebendige Ente zu wünschen. So etwas konnte man doch nicht einpacken und als Paket auf die Tische stellen. Sicher war ein Paket für mich da, ganz sicher sogar, aber ganz sicher war da keine Ente drin. Von mir aus konnte die Geschichte so lange dauern, wie sie wollte. Ich war nicht interessiert am Ende, nicht neugierig darauf, was in meinem Paket war, es konnte nur eine Enttäuschung sein. Das wußte ich. Und der Herr Meister las und las und schnatterte... ja, da war ein Schnattern, ganz deutlich war es zu vernehmen. Alle schauten mich an, auch der Herr Meister. Alle lächelten und schauten mich an. Und wieder ein ganz kleines Schnattern. Mein Gott - ich würde eine eigene Ente bekommen. Ein Wunder. Und die Geschichte ging zu Ende, und das Licht wurde angezündet. Einige rannten zu den Tischen, einer rief: «Hansli, schau, schau hier, hier ist Deine Ente, hier, unter dem Tisch.» Unter dem Tisch, in einem großen geflochtenen Papierkorb war eine große, dicke, weiße Ente mit gelben Schnabel und blauen Augen. Meine Anita! So nannte ich sie, als ich sie sah, sofort. Weshalb Anita? Ich weiß es nicht; diese weiße, große Ente war für mich Anita. Und keines der Mädchen im Waisenhaus und niemand in der Schule hieß so. Anita.
Jetzt hatte ich meine eigene Ente; sogar zum Anfassen. Und Anita ließ es sich gefallen. Ich nahm sie aus dem Papierkorb, auf den Arm. Anita wehrte sich kaum; sie war schwer. Ich kam mit meinem Gesicht ganz nahe an ihren Kopf, sie zupfte mich sofort mit dem Schnabel an den Haaren, sie kniff mich ein bißchen ins Ohr. Hunger, ja Hunger mußte sie haben, meine arme Anita, und Durst. Im Papierkorb war zwar Heu, aber kein Wasser und keine Körner. Anita mußte zurück in den Papierkorb - ich holte ihr Wasser und Körner. Und sie «schaufelte» die Körner und schnäbelte im Wasser. Ich kannte doch die Enten, ich hatte Erfahrung mit ihnen. Wie viele Male hatte ich denn die Waisenhaus Enten gefüttert; jetzt fütterte ich Anita, meine eigene Ente. Natürlich mußte Anita bald ins Entenhaus zu den anderen Enten. Es war Nacht, Fräulein Lehmann kam mit mir, um zu helfen. Sie sagte: «Siehst du Hansli, dein Wunsch ging in Erfüllung. So ein schönes Weihnachtsgeschenk hast du bekommen. Jetzt wirst du dir sicher Mühe geben und versuchen, immer schön brav zu sein und deine Arbeit gut und richtig zu machen.» Ich habe es versucht, es gelang nicht immer. Aber ich hatte eine eigene Ente, die nicht in die Küche mußte. Wenigstens nicht solange ich im Waisenhaus war.
Drei Jahre später verließ ich das Waisenhaus. Anita blieb dort, bei den anderen Enten. Ich hatte andere Wünsche, von denen mancher in Erfüllung ging. Aber eine eigene, weiße, dicke Ente mit gelbem Schnabel und blauen Augen, so ein Geschenk gibt es nur einmal im Leben; es war ein Märchen - es war einmal!

struwwelpeter
18.12.2007, 23:57
Der Weihnachtsmann in der Lumpenkiste



In meiner Heimat gehen zum Andreastage, dem 30. November, die Ruprechte von Haus zu Haus. Die Ruprechte, das sind die Burschen des Dorfes in Verkleidungen, wie sie die Bodenkammern und die Truhen der Altenteiler, der Großeltern hergeben. Die rüden Burschen haben bei diesem Rundgang durch das Dorf keineswegs den Ehrgeiz, friedfertige Weihnachtsmänner zu sein. Sie dringen in die Häuser wie eine Räuberhorde. Sie schlagen mit Birkenruten um sich, werfen Äpfel und Nüsse, auch Backobst ins Zimmer. Sie brummen wie alte Bären und wackeln mit den vermummten Köpfen. "Können die Kinder beten?" brummen sie. Die Kinder beten. Sie beten vor Angst kunterbunt: "Müde bin ich, geh' zur Ruh' … komm, Herr Jesus, sei unser Gast … der Mai ist gekommen…"
Wenn die Ruprechthorde die kleine Dorfschneiderstube meiner Mutter verlassen hatte, roch es darin noch lange nach stockigen Kleidungsstücken, nach Mottenpulver und reifen Äpfeln. Meine kleine Schwester und ich aber saßen unter dem großen Schneidertisch. Die Tischplatte schien uns ein besserer Schutz als unsere Gebetchen, und wir wagten lange nicht hervorzukommen, noch weniger das Dörrobst und die Nüsse, die die Ruprechte in die Stube geworfen hatten, anzurühren. Das hat denn auch meiner Mutter nicht gefallen, denn sie bestellte im nächsten Jahr die Ruprechte ab. Oh, was hatten wir für eine mächtige Mutter! Sie konnte die Ruprechte abbestellen und dafür das Christkind einladen.
Zu uns kam also jahrsdrauf das Christkind, um uns mit den üblichen Weihnachtsbringern zu versöhnen. Das Christkind trug ein weißes Tüllkleid und ging in Ermangelung von heiligweißen Strümpfen - es war im Ersten Weltkrieg - barfuss in geborgten Brautschuhen. Sein Gesicht war von einem großen Strohhut überschattet, dessen Krempe mit Wachswattekirschen garniert war. Vom Rande des Strohhutes fiel dem Christkind ein weißer Tüllschleier ins Gesicht. Das holde Himmelskind sprach mit piepsiger Stimme und streichelte und sogar mit seinen Brauthandschuhhänden. Als wir unsere Gebete abgerasselt hatten, wurden wir mit gelben Äpfeln beschenkt, die den Goldparmänenäpfeln, die wir als Wintervorrat auf dem Boden in einer Strohschütte liegen hatten, sehr glichen. Das sollen nun Himmelsäpfel sein? Wir bedankten uns trotzdem artig mit ‚Diener' und ‚Knicks', und das Christkind stakte auf seinen nackten Heiligenbeinen in den Brautstöckelschuhen davon.
"Habt ihr gesehen, wie's Christkind aussah?" fragte meine mit dem Christkind zufriedene Mutter.
"Ja", sagte ich, "wie Buliks Alma hinter einer Gardine sah's aus." Buliks Alma war die etwa vierzehnjährige Tochter aus dem Nachbarhause. An diesem Abend sprachen wir nicht mehr über das Christkind. Vielleicht kam die Mutter auch wirklich nicht ohne Weihnachtsmann aus, wenn sie sich tagsüber die nötige Ruhe in der Schneiderstube erhalten wollte. Jedenfalls sollte der Weihnachtsmann nach dem missglückten Christkind nunmehr eine Werkstatt über dem Bodenzimmer unter dem Dach eingerichtet haben. Das war freilich eine dunkle, geheimnisvolle Ecke des Häuschens, in der wir noch nie gewesen waren. Die Treppe führte nicht unter das Dach, und eine Leiter war nicht vorhanden. Die Mutter wusste so geheimnisvoll zu erzählen, wie sehr der Weihnachtsmann dort oben nachts, wenn wir schliefen, arbeitete, dass uns das Umhertollen und Plappern verging, weil der Weihnachtsmann sich bei Tage doch ausruhen und schlafen musste.
Eines Abends vor dem Schlafengehen hörten wir dann auch wirklich den Weihnachtsmann in seiner Werkstatt werken, und die Mutter war sicher an jenem Abend dankbar gegen den Wind, der ihr beim Märchenmachen behilflich war.
Soll der Weihnachtsmann Nacht für Nacht arbeiten, ohne zu essen? Diese Frage stellte ich hartnäckig.
"Wenn ihr artig seid, isst er vielleicht wahrhaftig einen Teller Mittagessen von euch", entschied die Mutter.
Also erhielt der Weihnachtsmann am nächsten Tage von meiner Schwester und mir einen Teller Mittagessen. Den Teller stellten wir nach Ratschlägen unserer Mutter an der Tür des Bodenstübchens ab. Ich gab meinen Patenlöffel dazu. Sollte der Weihnachtsmann vielleicht mit den Fingern essen?
Bald hörten wir unten in der Schneiderstube, wie der Löffel im Teller klirrte. Oh, was hätten wir dafür gegeben, den Weihnachtsmann essen sehen zu dürfen; allein die gute Mutter warnte uns, den alten, wunderlichen Mann ja nicht zu vergrämen, und wir gehorchten.
Versteht sich, dass der Weihnachtsmann nun täglich von uns verköstigt wurde. Wir wunderten uns, dass Teller und Löffel, wenn wir sie am späten Nachmittag vom Boden holten, blink und blank waren, als wären sie durch den Abwasch gegangen. Der Weihnachtsmann war demnach ein reinlicher Gesell, und wir bemühten uns, ihm nachzueifern. Wir schabten und kratzten nach den Mahlzeiten unsere Teller aus, und dennoch waren sie nicht so sauber wie der leere Teller des heiligen Mannes auf dem Dachboden. Nach dem Mittagessen hatte ich als Ältester, um meine Mutter in der nähfädelreichen Vorweihnachtszeit zu entlasten, das wenige Geschirr zu spülen, und meine Schwester trocknete es ab. Da der Weihnachtsmann nun sein Essgeschirr im blitzblanken Zustand zurücklieferte, versuchte ich ihm auch das Abwaschen unseres Mittagsgeschirrs zu übertragen. Es glückte. Ich ließ den Weihnachtsmann für mich arbeiten, und meine Schwester war auch nicht böse, wenn sie die leicht zerbrechlichen Teller nicht abzutrocknen brauchte. War es Forscherdrang, der mich zwackte, war es, um mich bei dem Alten auf dem Dachboden beliebt zu machen: Ich begann ihm außerdem auf eigene Faust meine Aufwartung zu machen. Bald wusste ich, was ein Weihnachtsmann gerne aß. Von einem Stück Frühstücksbrot, das ich ihm hingetragen hatte, aß er zum Beispiel nur die Margarine herunter. Der Großvater schenkte mir ein Zuckerstück, eine rare Sache in jener Zeit. Ich schenkte das Naschwerk dem Weihnachtsmann. Er verschmähte es. Oder mochte er es nur nicht, weil ich es schon angeknabbert hatte? Auch einen Apfel ließ er liegen, aber eine Maus aß er. Dabei hatte ich ihm die tote Maus nur in der Hoffnung hingelegt, er würde sie wieder lebendig machen; hatte er nicht im Vorjahr einen neuen Schwanz an mein Holzpferd wachsen lassen?
Soso, der Weihnachtsmann aß also Mäuse. Vielleicht würde er sich auch über Heringsköpfe freuen, die meine Mutter weggeworfen hatte. Ich legte drei Heringsköpfe vor die Tür der Bodenstube, und da mein Großvater zu Besuch war, hatte ich sogar den Mut, mich hinter der Lumpenkiste zu verstecken, um den Weihnachtsmann bei seiner Heringskopfmahlzeit zu belauschen. Ganz wohl war mir nicht dabei. Mein Herz pochte in den Ohren. Lange zu warten brauchte ich indes nicht, denn aus der Lumpenkiste sprang - "Murr! Miau!" - unsere schwarzbunte Katze, die dort den Tag im warmen Lumpengewölle verschlief. Eine Erschütterung ging durch mein kleines Herz. Ich schwieg jedoch über meine Entdeckung und ließ meine Schwester fortan den Teller Mittagbrot allein auf den Boden zu schaffen.
Bis zum Frühling bewahrte ich mein Geheimnis, aber als in der Lumpenkiste im Mai, da vor der Haustür der Birnbaum blühte, vier Kätzchen umherkrabbelten, teilte ich meiner Mutter dieses häusliche Ereignis mit: "Mutter, Mutter, der Weihnachtsmann hat Junge!"



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Erwin Strittmatter

struwwelpeter
22.12.2007, 00:21
Der Weihnachtsbaum


Hans Christian Andersen (1805-1875)

Draußen im Wald stand ein niedlicher kleiner Tannenbaum. Er hatte einen guten Platz. Die Sonnenstrahlen liebkosten ihn, und der Wind strich durch seine Zweige. Im nächsten Jahr war der Baum schon um einen bedeutenden Ansatz größer und das Jahr darauf noch um einen.
"Ach, wenn ich doch so groß wie die anderen Bäume wäre", seufzte das Bäumchen, "dann könnte ich meine Zweige weit ausstrecken und mit meinem Wipfel in die weite Welt hinausblicken." Aber zwei Winter vergingen, und im dritten war das Bäumchen so groß, dass die Hasen darum herumlaufen mussten. "Nur wachsen, wachsen, groß und alt werden! Das ist doch das einzig Schöne auf der Welt!" dachte der Tännling bei sich. Im Spätherbst kamen Holzhauer in den Wald und fällten die größten Bäume wie in jedem Jahr. Ihre Äste wurden abgehauen, nackt, lang und schmal wurden sie auf ein Fuhrwerk gehoben und in die Welt hinausgeführt. Als mit dem Frühling Storch und Schwalbe wiederkehrten, fragte der Tannenbaum : "Wisst ihr, wohin die großen Stämme geführt werden?"
Der Storch nickte mit dem Kopf und sagte: "Viele neue Schiffe sind mir begegnet, als ich in Ägypten war, auf den Schiffen waren gewaltige Mastbäume, und ich vermute, das waren die Tannen aus diesem Wald." - "Ach, wäre ich doch auch schon so groß, um über das Meer fahren zu können!" - "Freu dich deiner Jugend!" sagten die Sonnenstrahlen, "freue dich deines fröhlichen Wachstums und des frischen Lebens in dir!"
Um die Weihnachtszeit wurden ganz junge Bäume gefällt. "Wohin sollen sie?" fragte der Tannenbaum. "Sie sind nicht größer als ich." - "Wir wissen es", piepsten die Spatzen, "sie werden mitten in der Stube aufgepflanzt und mit den herrlichsten Sachen, vergoldeten Äpfeln, Honigkuchen, Spielzeug und vielen bunten Lichtern geziert." - "Ob es wohl auch mir beschieden ist, diesen strahlenden Weg zu gehen?" fragte der Tannenbaum. "Das ist doch viel schöner als über das fremde Meer zu fahren."
"Freue dich unser", raunten die Luft und der Sonnenschein, "freue dich deiner frischen Jugend und deiner Freiheit." Aber der Tannenbaum freute sich gar nicht. Er wuchs und wuchs. Wieder kam Weihnachten und er wurde als erster gefällt. Ein großer Schmerz durchfuhr ihn, so dass er in Ohnmacht fiel. Er kam erst wieder zu sich, als er in einem Hof mit den anderen Bäumen abgeladen wurde und einen Mann sagen hörte: "Der ist prächtig! Den nehmen wir!" Zwei Diener kamen und trugen den Tannenbaum in einen großen herrlichen Saal. An den Wänden hingen prachtvolle Bilder, und neben dem großen Kachelofen standen kostbare chinesische Vasen mit Löwen auf den Deckeln. Da waren Schaukelstühle, seidene Ruhebetten, lange Tische mit Bilderbüchern. Der Tannenbaum wurde in ein mit Sand gefülltes Fass gestellt. Diener und Fräulein gingen umher und schmückten ihn mit kleinen Netzen aus buntem Papier, jedes gefüllt mit Zuckerwerk; vergoldete Nüsse und Äpfel hingen herab, und über hundert blaue, rote und weiße Kerzen wurden auf die Zweige gesteckt. Kleine Puppen schwebten im Grünen, und hoch oben auf der Spitze glänzte ein Stern aus Flittergold. Es war ganz unvergleichlich prächtig!
Oh, dachte der Baum, wäre es doch schon Abend, und was dann wohl geschehen würde! Am Abend wurden die Lichter angezündet. Oh, welcher Glanz! Welche Pracht! Plötzlich öffneten sich die großen Flügeltüren weit, und viele Kinder stürzten herein, die Kleinen standen ganz stumm, aber nur einen Augenblick, dann jubelten und schrieen sie, dass es nur so schallte. Sie tanzten um den Baum herum und nahmen ein Geschenk nach dem anderen von den Zweigen.
Was machen sie, dachte der Baum, was soll das? Und die Lichter brannten herunter bis auf die Zweige und wurden dann ausgelöscht. Und die Kinder durften den Baum plündern, dass es in allen Zweigen knackte. Niemand sah mehr auf den Baum. "Eine Geschichte, bitte eine Geschichte!" riefen die Kinder und zerrten einen kleinen Mann zum Baum, und er setzte sich unter die Zweige. "Denn so sitzen wir im Grünen", sagte er, "wollt ihr die von Ivede-Avede oder die von Klumpe-Dumpe hören?"
"lvede-Avede!" schrieen die einen, "Klumpe-Dumpe!" verlangten die andern. Und der Mann erzählte von Klumpe-Dumpe, der die Treppe hinunterfiel und doch erhöht wurde und die Prinzessin erhielt. Der Tannenbaum stand ganz still und in tiefe Gedanken versunken. Niemals hatten die Waldvögel solche Geschichten gewusst. Klumpe-Dumpe fiel die Treppe hinunter und bekam doch die Prinzessin zur Frau. Ja, ja, so geht es auf dieser Welt zu. Und er freute sich schon, am nächsten Morgen wieder mit Lichtern und Spielzeug geputzt zu werden. Am Morgen kamen der Knecht und die Magd herein. Doch sie schleppten ihn aus dem Saal hinaus auf den Boden. Dort stellten sie ihn in einen dunklen Winkel. Was soll das bedeuten, grübelte der Baum, was soll ich hier machen? Jetzt ist draußen Winter, deshalb können mich die Menschen nicht einpflanzen, darum soll ich wohl bis zum Frühjahr hier in sicherer Obhut stehen.
"Piep, piep", machte da eine kleine Maus und huschte hervor. Hinter ihr kam noch eine zweite. "Woher kommst du?" fragten die Mäuse. "Und was weißt du?" Sie waren schrecklich neugierig. "Erzähl uns doch von den schönsten Orten der Erde. Bist du dort gewesen? Bist du in der Speisekammer gewesen, wo der Käse auf den Brettern liegt und die Schinken unter der Decke hängen?" - "Nein, den Ort kenne ich nicht", antwortete der Tannenbaum, "aber ich kenne den Wald, wo die Sonne scheint und die Vögel singen." Er erzählte nun alles aus seiner Kindheit.
"Wie viel du gesehen hast, wie glücklich du gewesen bist!" sagten die kleinen Mäuse.
Dann berichtete er vom Weihnachtsabend, als er mit Kuchen und Lichtern geschmückt worden war. "Wie schön du erzählst!" sagten die Mäuschen, und am nächsten Abend kamen sie mit vier anderen Mäuschen, damit auch sie den Baum erzählen hören sollten. Und am Sonntag erschienen sogar zwei Ratten; diese aber sagten, die Geschichte sei gar nicht hübsch, und das betrübte die Mäuschen, denn nun hielten sie auch weniger davon.
"Das ist ja eine höchst jämmerliche Geschichte", sagten die Ratten. "Kennst du keine von Talglicht und Speck? Keine Speisekammergeschichte?" - "Nein", sagte der Baum. "Dann danken wir dafür!" erwiderten die Ratten und gingen heim zu ihren Familien. Zuletzt blieben auch die Mäuse fort. Da wurde der Baum sehr traurig.
Und eines Tages kamen Leute auf den Speicher, und ein Diener trug den alten Tannenbaum auf den Hof. "Nun werde ich leben", jubelte der Baum und breitete seine Zweige aus. Aber die waren alle vertrocknet und gelb. Nur der Stern aus Goldpapier saß noch oben an der Spitze und glänzte im hellen Sonnenschein. Die Kinder, die am Weihnachtsabend den Baum umtanzt hatten, kamen herbei und riefen: "Seht, was da noch an dem hässlichen alten Tannenbaum sitzt!" Und sie traten auf die Zweige, dass es krachte und knickte.
Und der Baum sah auf all die Blumenpracht und die leuchtende Schönheit im Garten. "Vorbei, vorbei!", seufzte er. "Hätte ich mich doch gefreut, als ich es noch konnte! Vorbei! Vorbei!"
Der Hausknecht kam und hieb den Baum in kleine Stücke. Ein ganzes Bündel lag da und flackerte hell auf unter dem großen Braukessel. Das Holz knisterte, und es schien, als seufze der Baum, und er dachte noch mal an einen Sommertag im Wald oder an eine Winternacht da draußen, wenn die Sterne funkelten. Er dachte an den Weihnachtsabend und an Klumpe-Dumpe, das einzige Märchen, das er gehört hatte und zu erzählen verstand. Und dann war der Tannenbaum verbrannt.
Die Knaben spielten im Garten, und der kleinste trug den Goldstern, der den Baum an seinem glücklichsten Abend geschmückt hatte, auf seiner Brust. Nun war die Weihnachtszeit vorbei, und mit dem Tannenbaum war es vorbei und mit der Geschichte auch; vorbei, vorbei, und so geht es mit allen Geschichten!


http://www.christmasmagazine.com/img/tree_old.jpg

struwwelpeter
22.12.2007, 12:56
Felix holt Senf


von Erich Kästner


Es war am Weihnachtsabend im Jahre 1927 gegen sechs Uhr , und Preissers hatten eben beschert.Der Vater balancierte auf einem Stuhl dicht vorm Weihnachtsbaum und zerdrückte die Stearinflämmchen zwischen den angefeuchteten Fingern.Die Mutter hantierte draußen in der Küche , brachte das Eßgeschirr und den Kartoffelsalat in die Stube und meinte:
>>Die Würstchen sind gleich heiß!<<
Ihr Mann kletterte vom Stuhl,klatschte fidel in die Hände und rief ihr nach: >>Vergiß den Senf nicht!<<
Sie kam, statt zu antworten , mit dem leeren Senfglas zurück und sagte:>>Felix,hol Senf!Die Würstchen sind sofort fertig.<<
Felix saß unter der Lampe und drehte an einem kleinen billigen Fotoapperat herum.Der Vater versetzte dem Fünfzehnjährigen einen Klaps und polterte:>>Nacher ist auch noch Zeit. Hier hast du Geld.Los,hol Senf!Nimm den Schlüssel mit,damit du nicht klingeln brauchst.Soll ich dor Beine machen?<<
Felix hielt das Senfglas , als wolle er damit fotografieren,nahm den Schlüssel und lief auf die Straße.Hinter den Ladentüren standen die Geschäftsleute ungeduldig und fanden sich vom Schicksal ungerecht behandelt . Aus den Fenstern aller Stockwerke schimmerten die Christbäume . Felix spazierte an hundert Läden vorbei und starrte hinein , ohne etwas zu sehen.Er war in einem Schwebezustand ,der mit Senf und Würstchen nichts zu tun hatte.Er war glücklich,bis ihm vor lauter Glück das Senfglas aus der Hand aufs Pflaster fiel.Die
Rolläden prasselten an den Schaufenstern herunter und Felix merkte,dass er sich seit
einer Stunde in der Stadt herumtrieb.Die Würstchen waren längst geplatzt!
Er brachte es nicht über sich , nach Hause zu gehen.So ganz ohne Senf! Gerade
heute hätte er Ohrfeigen nicht gut vertragen.
Herr und Frau Preisser aßen die Würstchen mit Ärger und ohne Senf.Um acht wurden sie ängstlich . Um neun liefen sie aus dem Haus und klingelten bei Felix Freunden.
Am ersten Weihnachtsfeiertag verständigten sie die Polizei. Sie warteten drei Tage vergebens . Sie warteten drei Jahre vergebens . ´Langsam ging ihre Hoffnung zugrunde , schließlich warteten sie nicht mehr und versanken in hoffnungsloser Traurigkeit.
Die Weihnachtsabende wurden von nun an das Schlimmste im Leben der Eltern.Da saßen sie schweigend vorm Christbaum ,betrachteten den kleinen billigen Fotoapperat und ein Bild ihres Sohnes , das ihn als Konfirmanden zeigte,im blauen Anzug , den schwarzen Filzhut keck auf dem Ohr.Sie hatten den Jungen so liebgehabt, und daß der Vater manchmal eine lockere Hhand bewiesen hatte, war doch nicht böse gemeint , nicht wahr? Jedes Jahr lagen die zehn alten Zigarren unterm Baum,die Felix dem Vater damals geschenkt hatte,und die warmen Handschuhe für die Mutter.Jedes Jahr aßen sie Kartoffelsalat mit Würstchen, aber aus Pietät ohne Senf.Das war ja auch gleichgültig , es konnte ihnen doch niemals schmecken.
Sie saßen nebeneinander,und vor ihren weinenden Augen verschwammen die
brennenden Kerzen zu großen glitzernden Lichtkugeln.Sie saßen nebeneinander,und er
sagte jedes Jahr: >>Diesmal sind die Würstchen aber ganz besonders gut.<< Und sie antwortete jedesmal:
>>Ich hol dir die von Felix noch aus der Küche.Wir können jetzt nicht mehr warten.<<
Doch um es rasch zu sagen:Felix kam wieder.
Das war am Weihnachtsabend im Jahre 1932 kurz nach sechs Uhr...Die Mutter hatte die heißen Würstchen hereingebracht , da meinte der Vater:>>Hörst du nichts? Ging nicht eben die Tür?<< Sie lauschten und aßen dann weiter. Als jemand ins Zimmer trat,wagten sie
nicht,sich umzudrehen.Eine zitternde Stimme sagte:>>So,da ist der Senf , Vater.<<
Und eine Hand schob sich zwischen den beiden alten Leuten hindurch und stellte
wahrhaftig ein gefülltes Senfglas auf den Tisch.
Die Mutter senkte den Kopf ganz tief und faltete die Hände.Der Vater zog sich am Tisch hoch,drehte sich trotz der Tränen lächelnd um , hob den Arm, gab dem jungen Mann eine schallende Ohrfeige und sagte :>>Das hat aber ziemlich lange gedauert , du Bengel.Setz dich hin!<<
Was nützte der Beste Senf der Welt , wenn die Würstchen kalt werden?Daß sie
kalt wurden , ist erwiesen.Felix saß zwischen den Eltern und erzählte von seinen Erlebnissen in der Fremde , von fünf langen Jahren und vielen wunderbaren Sachen.Die Eltern hielten ihn bei den Händen und hörten vor Freude nicht zu

Unterm Christbaum lagen Vaters Zigarren , Mutters Handschuhe und der
billige Fotoapperat. Und es schien , als hätten fünf Jahre nur zehn Minuten
gedauert.
Schließlich stand die Mutter auf und sagte :>>So Felix, jetzt hol ich dir
deine Würstchen.´<<


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struwwelpeter
23.12.2007, 15:47
Der kleine Sternenengel


Es war einmal ein kleiner Engel, der hatte viele kleine Sternchen auf seinem Gewand. Es waren so viele, das keiner sie zu zählen vermochte. An manchen Tagen leuchtetet und blinkten sie alle zusammen um die Wette, dann nämlich, wenn der kleine Sternengel glücklich war. Manchmal funkelten weniger Sternchen auf seinem Kleid. Dann war der kleine Engel nicht ganz so froh. Es gab auch Tage, da sah man kein einziges Sternchen auf seinem Gewand. Das waren die Tage, an denen der kleine Engel traurig war. Auch einem Engel konnte dies nämlich passieren!

Das war schlimm, denn wenn der kleinen Sternengel traurig war, musst er weinen, und wenn er weinte, purzelten die Lichtgeister, die für das Sternenfunkeln verantwortlich waren, wie Tränenbäche aus seinen Gewand. Das passierte leider oft, denn der kleine Sternenengel war oft traurig. "Du darfst nicht so viel weinen!" sagten seine Gefährten. "Aber ich bin oft traurig!" klagte der kleine Engel. Das konnten die anderen Sternenengel nicht verstehen. "Warum bist du so oft traurig?" fragten sie. "Am Himmel zu funkeln macht doch Spaß!"

Der kleine Sternenengel schüttelte den Kopf. "Wie kann ich mich freuen, wenn ich auf die Erde sehe?" fragte er. "So viel Not herrscht da und soviel Elend. Wie kann ich da fröhlich funkeln?" "Das Erdenelend macht dich traurig?" fragte ein Engel. "Was geht es uns an?" meinte ein anderer. "Die Erde ist so weit weg!" "Unser Job ist das Leuchten!" Die Sternenengel waren sich einig.

"Licht soll Hoffnung bringen", murmelte der kleine Engel, doch es hörte ihm keiner mehr zu. Und während seine Gefährten miteinander um die Wette funkelten, spähte er auf die Erde. Sogleich fiel sein Blick dorthin, wo Not herrschte.

Er sah einen Mann und eine Frau. Sie scheinen arm zu sein. Müde schleppten sie sich durch die Straßen einer Stadt. Die Frau erwartete ein Kind. Aber da war niemand, der sie aufnahm. An allen Türen wurden sie abgewiesen. Als sich die beiden in einem dunklen, schmutzigen Stall zum Schlaf legten, zerbrach dem kleinen Engel fast das Herz vor Kummer. Zu gerne hätte er ihnen geholfen. "Licht soll Hoffnung bringen", murmelte er nochmals betrübt. "Ach, was kann ich bloß tun?" Schon tropften die Tränen über seine Backen. Er weinte und weinte, und aus seinem Gewand purzelte ein Lichtgeist nach dem anderen, bis der kleine Engel kein einziges Sternchen mehr zum Funkeln übrig hatte. Da musste er noch mehr weinen. Am liebsten wäre ich jetzt in dem Stall bei diesen armen, ungeliebten Leuten, dachte er und schloss die Augen.

Auf einmal wurde es warm um ihn herum. Der kleine Engel blinzelte. Was war das? Verwundert sah er sich um. Helles, warmes Licht strahlte ihm entgegen, und von irgendwoher sang es. "Was ist geschehen?" murmelte er. "Wo bin ich?" Er hörte ein leises Weinen. Da sah er das Kind. Es lag in einer Krippe. In einem Stall. Das ist doch der alte Stall! Dachte der kleine Engel und freute sich. Wie hell es hier war! Und der Mann und die Frau! Wie glücklich sie sich über die Krippe beugten und dem Kind zulächelten!

Der kleine Sternenengel fühlte, wie alles in ihm lachte. "Die Hoffnung", jubelte er. "Sie ist da!" Und er spürte, wie das Licht zu ihm zurückkehrte und wie die Sternchen auf seinem Gewand zu funkeln begannen. Der kleinen Sternenengel war glücklich. Er warf einen liebevollen Blick auf das Kind, die Frau und den Mann und flüsterte: "Danke." Dann schwebte er funkelglitzerhell und hoffnungsfroh zum Himmel hinauf.

In dieser wundersamen Nacht strahlten die Sternchen auf dem Gewand des kleinen Engels heller als alle anderen Sterne am Himmel, und jeder, der ihn sah, freute sich und spürte so etwas wie Hoffnung. Das freute den kleinen Sternenengel, und er nahm sich vor, nie wieder die Hoffnung zu verlieren. Er konnte aber nicht aus seiner Haut herausschlüpfen. Immer wieder entdeckte er Dinge, die nicht schön waren und die ihn so traurig machten, dass er trotz aller Vorsätze weinen musste. Wie sollte er froh sein, wenn Menschen miteinander stritten, wenn sie böse zueinander waren und Kriege führten? Wenn sie hungerten, Not litten, einsam waren, Freunde oder gar ihre Heimat verloren? Ein Grund zum Traurigsein fand sich immer, und so landete der kleine Engel oft weinend und frierend auf der Erde, weil er seine Lichtgeister verloren hatte. Aber wie durch ein Wunder fand er irgendwo auch immer wieder ein Stück Hoffnung, und mit ihr kehrten die Lichtgeister auf sein Sternengewand zurück.

Auch im letzten Jahr hatte der kleine Sternenengel sein Licht verloren. Das war, als er in unserm Land Menschen entdeckt hatte, die eine neue Heimat suchten. Doch sie schienen nicht willkommen zu sein. Der kleine Engel sah Hass und Gewalt, und er hörte viele böse Worte. "Wo sollen sie denn hin?" empörte er sich. "Es ist doch genug Platz in diesem reichen Land!" Und weil er dies nicht begriff, musste er wieder weinen. Er weinte und weinte und landete in einer Stadt mitten in einem hellen, warmen Lichtermeer. Viele Menschen, große und kleine, alte und junge, arme und reiche, standen auf den Straßen, und jeder hielt ein kleines Licht in der Hand. Ein Licht gegen Hass und Streit und Gewalt. Es war eine funkelhelle Lichterkette, und auch die Menschengesichter strahlten hell und freundlich. Der kleine Sternenengel lächelte. "Die Hoffnung", rief er. "Sie ist da. Sie ist immer noch da!"

Da kehrten die Lichtgeister zu ihm zurück und die Sternchen auf seinem Gewand funkelten. Der kleine Sternengel blinkerte den Menschen einen Abschiedsgruß zu. Dann kehrte er zu seinem Himmelsplatz zurück. Er war zufrieden. Es gab sie noch, die Hoffnung. Und es würde sie immer geben





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struwwelpeter
23.12.2007, 21:34
Der Christbaumständer


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Beim Aufräumen des Dachbodens - ein paar Wochen vor Weihnachten - entdeckte ein Familienvater in einer Ecke einen ganz verstaubten, uralten Weihnachtsbaumständer. Es war ein besonderer Ständer mit einem Drehmechanismus und einer eingebauten Spielwalze. Beim vorsichtigen Drehen konnte man das Lied "Oh du fröhliche…" erkennen. Das musste der Christbaumständer sein, von dem Großmutter immer erzählte, wenn die Weihnachtszeit herankam. Das Ding sah zwar fürchterlich aus, doch da kam
ihm ein wunderbarer Gedanke. Wie würde sich Großmutter freuen, wenn sie am Heiligabend vor dem Baum säße und dieser sich auf einmal wie in uralter Zeit zu drehen begänne und dazu "Oh du fröhliche…" spielte. Nicht nur Großmutter, die ganze Familie würde staunen.

Es gelang ihm, mit dem antiken Stück ungesehen in seinen Bastelraum zu verschwinden. Gut gereinigt, eine neue Feder, dann müsste der Mechanismus wieder funktionieren. Überlegt er. Abends zog er sich jetzt geheimnisvoll in seinen Hobbyraum zurück, verriegelte die Tür und werkelte. Auf neugierige Fragen antwortete er immer nur "Weihnachtsüberraschung". Kurz vor Weihnachten hatte er es geschafft. Wie neu sah der Ständer aus, nachdem er auch noch einen Anstrich erhalten hatte.

Jetzt aber gleich los und einen prächtigen Christbaum besorgen, dachte er. Mindestens zwei Meter sollte der messen. Mit einem wirklich schön gewachsenen Exemplar verschwand Vater dann in seinem Hobbyraum. Wo er auch gleich einen Probelauf startete. Es funktionierte alles bestens. Würde Großmutter Augen machen!
Endlich war Heiligabend. "Den Baum schmücke ich alleine", tönte Vater. So aufgeregt war wer lange nicht mehr. Echte Kerzen hatte er besorgt, alles sollte stimmen. "Die werden Augen machen", sagte er bei jeder Kugel, die er in den Baum hin. Vater hatte wirklich an alles gedacht. Der Stern von Bethlehem saß oben auf der Spitze, bunte Kugeln, Naschwerk und Wunderkerzen waren
untergebracht, Engelhaar und Lametta dekorativ aufgehängt. Die Feier konnte beginnen.

Vater schleppte für Großmuter den großen Ohrensessel herbei. Feierlich wurde sie geholt und zu ihrem Ehrenplatz geleitet. Die Stühle hatte er in einem Halbkreis um den Tannenbaum gruppiert. Die Eltern setzten sich rechts und links von Großmutter, die Kinder nahmen außen Platz. Jetzt kam Vaters großer Auftritt. Bedächtig zündete er Kerze für Kerze an, dann noch die Wunderkerzen. "Und jetzt kommt die große Überraschung", verkündete er, löste die Sperre am Ständer und nahm ganz schnell seinen Platz ein.

Langsam drehte sich der Weihnachtsbaum, hell spielte die Musikwalze "Oh du fröhliche". War das eine Freude! Die Kinder klatschten vergnügt in die Hände. Oma hatte Tränen der Rührung in den Augen. Immer wieder sagte sie: "Wenn Großvater das noch erleben könnte, dass ich das noch erleben darf." Mutter war stumm vor Staunen.

Eine ganze Weile schaute die Familie beglückt und stumm auf den sich im Festgewand drehenden Weihnachtsbaum, als ein schnarrendes Geräusch sie jäh aus ihrer Versunkenheit riss. Ein Zittern durchlief den Baum, die bunten Kugeln klirrten wie Glöckchen. Der Baum fing an, sich wie verrückt zu drehen. Die Musikwalze hämmerte los. Es hörte sich an, als wollte "Oh du
fröhliche" sich selbst überholen. Mutter rief mit überschnappender Stimme: "So tu doch was!" Vater saß wie versteinert, was den Baum nicht davon abhielt, seine Geschwindigkeit zu steigern. Er dreht sich so rasant, dass die Flammen hinter ihren Kerzen herwehten. Oma bekreuzigte sich und betete. Dann murmelte sie: "Wenn Großvater das noch erlebt hätte."

Als Erstes löste sich der Stern von Bethlehem, sauste wie ein Komet durch das Zimmer, klatschte gegen den Türrahmen und fiel dann auf Felix, den Dackel. Der dort ein Nickerchen hielt. Der arme Hund flitzte wie von der Tarantel gestochen aus dem Zimmer in die Küche, wo man von ihm nur noch die Nase und ein Auge um die Ecke schielen sah. Lametta und Engelhaar hatten sich erhoben und schwebten wie ein Kettenkarussell am Weihnachtsbaum. Vater gab das Kommando "Alles in Deckung!" Ein Rauschgoldengel trudelte losgelöst durchs Zimmer, nicht wissend, was er mit seiner plötzlichen Freiheit anfangen solle.
Weihnachtskugeln, gefüllter Schokoladenschmuck und andere Anhängsel sausten wie Geschosse durch das Zimmer und platzten beim Aufschlagen auseinander.

Die Kinder hatten hinter Omas Sessel Schutz gefunden. Vater und Mutter lagen flach auf dem Bauch, den Kopf mit den Armen schützend. Mutter jammerte in den Teppich hinein: "Alles umsonst, die viele Arbeit, alles umsonst!" Vater war das alles sehr peinlich. Oma saß immer noch auf ihrem Logenplatz, wie erstarrt, von oben bis unten mit Engelhaar und Lametta geschmückt . Ihr kam Großvater in den Sinn, als dieser 14 - 18 in den Ardennen in feindlichem Artilleriefeuer gelegen hatte. Genau so musst es gewesen sein. Als gefüllter Schokoladenbaumschmuck an ihrem Kopf explodierte, registrierte sie Trocken "Kirschwasser" und murmelte: "Wenn Großvater das noch erlebt hätte!" Zu allem jaulte die Musikwalze im Schlupfakkord "Oh du fröhliche...". Bis mit
einem ächzenden Ton der Ständer seinen Geist aufgab.

Durch den plötzlichen Stopp neigte sich der Christbaum in Zeitlupe, fiel aufs kalte Buffet, die letzte Nadeln von sich gebend. Totenstille! Großmutter, geschmückt wie nach einer New Yorker Konfettiparade, erhob sich schweigend. Kopfschüttelnd begab sie sich, eine Lamettagirlande wie eine Schleppe tragend, auf ihr Zimmer. In der Tür stehend sagte sie: "Wie gut das Großvater das
nicht erlebt hat!"

Mutter, völlig aufgelöst zu Vater: "Wenn ich mir diese Bescherung ansehe, dann ist deine große Überraschung wirklich gelungen." Andreas meinte: "Du, Papi, das war echt stark! Machen wir das jetzt Weihnachten immer so?"


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struwwelpeter
25.12.2007, 14:01
Unser Weihnachtsengel




Das blonde Mädchen stand am Fenster und beobachtete, wie die sternförmigen Schneeflocken in lustigen Kreisen langsam der Erde zu fielen. Plötzlich drehte sie sich um. Das Zimmer war groß und hell erleuchtet. Die Mutter stand auf einem Stuhl, um dem Weihnachtsbaum den letzten goldenen Stern aufzusetzen. Alles sah auf den ersten Blick so fröhlich aus. Aber in den Augen der beiden Menschen spiegelte sich der Schmerz.
"Mama, wann kommt denn der Vati heim?" Die Frau drehte sich um und langsam kullerte ihr eine Träne über die Wange. "Kimm her meine Kleine. Der Papi kommt nie mehr wieder!"
Bei diesen schrecklichen Worten bahnten sich die Tränen auch bei der Kleinen ihren Weg. Sie konnte noch nicht verstehen, was damals geschehen war. Sie war ja noch so klein. Daddy war auf dem Nachhauseweg, als es passierte. Er konnte dem Lastwagen auf der vereisten Strasse nicht mehr ausweichen. Das Auto donnerte mit voller Geschwindigkeit in einen Baum. Der Mann starb noch am Unfallort.
Mutter und Tochter hielten sich fest in den Armen und erst jetzt bemerkte das Mädchen den wunderschönen Engel, der sich inzwischen auf einem Stuhl niedergelassen hatte. Er trug ein goldenes Gewand und über seinem Kopf schwebte ein gleichfarbener Ring.
"Mutti, schau doch, der Engel ist vom Himmel extra zu uns gekommen!" Sie erhob sich und eilte durch das Zimmer. Die Mutter konnte nur den leeren Stuhl sehen. "Komm zurück, Schatz. Engel setzen sich nicht auf Stühle.." - "Aber sieh doch, da sitzt einer!" Der Engel lächelte. Er wusste nur zu gut, dass Erwachsene durch ihn hindurch sahen.
Er bückte sich zu dem blonden Geschöpf. "Du musst jetzt stark sein und gut auf deine Mami aufpassen. Dem Papi geht es gut, er ist bei mir im Himmel. Jeden Tag begleitet er euch zwei überall hin. Ihr dürft nie vergessen, dass er immer da ist, egal zu welcher Zeit und wo ihr gerade seid."
Ein Staunen breitete sich auf dem Gesicht des Kindes aus. Der Engel streckte seine Hand aus und berührte sanft ihre Wange. Dann erhob er sich und flatterte zum offenen Fenster hinaus.
Die Mutter sah ihre Tochter da stehen, wie sie das Fenster anstarrte. Die Traurigkeit breitete sich noch mehr in ihrem Herzen aus. Aber da drehte sich die Kleine um, und ein Lächeln stand in ihren Augen. "Mami, der Engel hat mir verraten, dass Vati bei uns ist. Das ist doch schön!" Die Frau nahm ihr Kind in die Arme und drückte es ganz fest an sich. Sie beobachtete die Schneeflocken, die auch jetzt noch langsam vom Himmel der Erde zu fielen.


10217

struwwelpeter
25.12.2007, 21:32
Hans Christian Andersen

Ein Blatt vom Himmel

Hoch oben in der dünnen, klaren Luft flog ein Engel


mit einer Blume aus dem Himmelsgarten,
und während er einen Kuß auf die Blume drückte,
löste sich ein winzig kleines Blättchen ab und fiel auf die nasse Erde mitten im Walde;
da faßte es sogleich Wurzeln
und begann mitten zwischen den anderen Kräutern zu sprossen.
"Das ist ja ein merkwürdiger Steckling"
sagten sie, und keiner wollte sich zu ihm bekennen,
weder die Distel noch die Brennessel.
"Es wird wohl eine Art Gartengewächs sein"
sagten sie und lachten spöttisch.
Und sie machten sich über das vermeintliche Gartengewächs lustig;
aber es wuchs und wuchs
wie keines von den anderen und trieb Zweige weit umher in langen Ranken.
"Wo willst Du hin?" sagten die hohen Disteln,
die Stacheln an jedem Blatte hatten.
"Du gehst zu weit. Deine Zweige haben keine Stütze ud keinen Halt mehr.
Wir können
doch nicht stehen und Dich tragen!"
Der Winter kam und Schnee legte sich über die Pflanze;
aber durch sie bekam die Schneedecke einen Glanz,
als würde er von unten her mit Sonnenlicht durchströmt.
Im Frühjahr stand dort ein blühendes Gewächs, herrlich wie kein anderes im Walde.
Da kam ein Professor der Botanik daher, der ein Zeugnis bei sich hatte,
daß er war, was er war. Er besah sich die Pflanze, biß sogar in ihre Blätter,
aber sie stand nicht in seiner Pflanzenkunde; es war ihm nicht möglich zu entdecken,
zu welcher Gattung sie gehörte.
"Das ist eine Spielart!" sagte er.
"Ich kenne sie nicht, sie ist nicht in das System aufgenommen!"
"Nicht in das System aufgenommen" sagten die Disteln und Nesseln.
Die großen Bäume ringsum
hörten, was gesagt wurde,
und auch sie sahen, daß es
kein Baum von ihrer Art war; aber sie sagten nichts,
weder etwas Gutes noch etwas Schlechtes, das ist immer das Sicherste,
wenn man dumm ist.
Da kam ein armes, unschuldiges Mädchen durch den Wald;
ihr Herz war rein und ihr Verstand groß durch ihren Glauben
; ihr ganzes Erbteil in dieser Welt
bestand in einer alten Bibel, aber aus deren Blättern sprach Gottes Stimme zu ihr:
Wollen die Menschen Dir übel, so denke an die Geschichte von Joseph:
"Sie dachten Übles in ihren Herzen, aber Gott wendete es zum Besten"
Leidest Du Unrecht, wirst Du verkannt und verhöhnt,
so denke an den Reinsten und Besten,
den sie verspotteten und an das Kreuz nagelten, wo er noch betete:
"Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!"
Sie blieb vor der wunderbaren Pflanze stehen,
deren grüne Blätter so süß und erquickend dufteten
und deren Blüten im hellen Sonnenschein wie ein wahres Farbenfeuerwerk leuchteten.
Und aus jeder sang und klang es,
als verberge sie aller Melodien tiefen Born, der in Jahrtausenden nicht erschöpft wird.
Mit frommer Andacht schaute sie auf all die Gottesherrlichkeit;
sie bog einen der Zweige nieder, um die Blüte recht anschauen zu können
und ihren Duft einzuatmen.
Und ihr wurde licht und wohl ums Herz.
Gern hätte sie eine Blüte mitgenommen, aber sie hatte nicht das Herz,
sie zu brechen, sie würde nur zu schnell bei ihr welken,
und so nahm sie nur ein
einziges von den grünen Blättern, trug es heim,
legte es in ihre Bibel und dort lag es frisch, immer frisch und unverwelklich.
Zwischen den Blättern der Bibel lag es verborgen,
und mit der Bibel wurde es unter des jungen Mädchens Haupt gebettet,
als sie einige Wochen später im Sarge lag,
des Todes heiligen Ernst auf dem frommen Antlitz,
als ob es sich in ihrer irdischen Hülle noch abpräge,
daß sie nun vor ihrem Gotte stand.
Aber draußen im Walde blühte die wunderbare Pflanze,
die bald wie ein Baum anzusehen war.
Und alle Zugvögel kamen und neigten sich vor ihr,
besonders die Schwalben und Störche.
"Das ist ein ausländisches Gehabe!" sagten die Distel und die Klette,
"so würden wir uns doch hier niemals aufführen!"
Und die schwarzen Waldschnecken spuckten auf den Baum.
Da kam der Schweinehirt, er raufte Disteln und Ranken aus,
um sie zu Asche zu verbrennen;
den ganzen wunderbaren Baum, mit allen Wurzeln riß er aus
und stopfte ihn mit in das Bund.
"Er muß auch Nutzen bringen!" sagte er, und dann war es getan.
Aber nach Jahr und Tag litt des Landes König an der tiefsten Schwermut;
er war fleißig und arbeitssam, aber es half nichts.
Es wurden ihm tiefsinnige Schriften vorgelesen
und auch die allerleichtesten, aber auch das half nichts.
Da kam Botschaft von einem der weisesten Männer der Welt.
Man hatte sich an ihn gewendet und er ließ sie wissen,
daß sich ein sicheres Mittel finde, den Leidenden zu kräftigen und zu heilen.
"In des Königs eigenem Reiche wächst im Walde
eine Pflanze himmlischen Ursprungs,
so und so sieht sie aus, man kann sich gar nicht irren!"
und dann folgte eine Zeichnung der Pflanze, sie war leicht zu erkennen.
"Sie grünt Sommer und Winter;
man nehme jeden Abend ein frisches Blatt davon und lege es auf des Königs Stirn,
da wird es seine Gedanken licht machen,
und ein schöner Traum wird ihn für den kommenden Tag stärken!"
Das war nun deutlich genug, und alle Doktoren und der Professor der Botanik
gingen in den Wald hinaus.
Ja, aber wo war die Pflanze?
"Ich habe sie wohl mit in mein Bund gepackt!" sagte der Schweinehirt.
"Sie ist schon längst zu Asche geworden, aber ich verstand es nicht besser!"
"Er verstand es nicht besser!" sagten alle. "Unwissenheit!
Unwissenheit wie groß bist Du."
Und diese Worte konnte sich der Schweinehirt zu Herzen nehmen,
denn ihm und keinem anderen galten sie.
Nicht ein Blatt war zu finden, das einzige lag in dem Sarge der Toten,
und das wußte niemand.
Der König selbst kam in seiner Schwermut in den Wald zu dem Orte hinaus.
"Hier hat der Baum gestanden" sagte er, "das ist ein heiliger Ort"
Und die Erde wurde mit einem goldenen Gitter eingefaßt
und eine Schildwache stand Tag und Nacht davor. Der Professor der Botanik schrieb eine Abhandlung über die himmlische Pflanze,
und dafür wurde er vergoldet. Das war ihm ein großes Vergnügen.
Und die Vergoldung kleidete ihn und seine Familie,
und das ist das Erfreulichste an der ganzen Geschichte,
denn die Pflanze war fort und der König war schwermütig und betrübt
"aber das war er auch schon vorher!" sagte die Schildwache.


10224

struwwelpeter
30.11.2008, 23:23
14020

Gibt es ein Christkind?

Die 8jährige Virginia O´Hanlon aus New York wollte es ganz genau wissen. Darum schrieb sie an die Tageszeitung "Sun" einen Brief:

Ich bin 8 Jahre alt. Einige von meinen Freunden sagen, es gibt kein Christkind. Papa sagt, was in der Sun steht, ist immer wahr, Bitte sagen Sie mir, gibt es ein Chrsitkind?
Virginia O´Hanlon

Die Sache war dem Chefredaktuer Francis P. Church so wichtig, dass er selber antwortete - auf der Titelseite der "Sun":

Virginia,

Deine kleinen Freunde haben nicht recht. Sie glauben nur, was sie sehen; sie glauben, dass es nicht geben kann, was sie mit ihrem keinen Geist nicht erfassen können. Aller Menschengeist ist klein; ob er nun einem Erwachsenen oder einem Kind gehört. Im Weltall verliert er sich wie ein winziges Insekt. Solcher Ameisenverstand reicht nicht aus, die ganze Wahrheit zu erfassen und zu begreifen.
Ja, Virginia, es gibt ein Christkind. Es gibt es so gewiss wie Liebe und Großherzigkeit und Treue.Weil es all das gibt, kann unser Leben schön und heiter sein. Wie dunkel wäre die Welt, wenn es kein Christkind gäbe! Es gäbe dann auch keine Virginia, keinen Glauben, keine Poesie - gar nichts, was das Leben erst erträglich machte. Ein Flackerrest an sichtbarem Schönen bliebe übrig. Aber das Licht der Kindheit, das die Welt ausstrahlt, müsste verlöschen.
Es gibt ein Christkind. Sonst könntest Du auch den Märchen nicht glauben. Gewiss, Du könntest Deinen Papa bitten, er solle am Heiligen Abend Leute ausschicken, das Christkind zu fangen. Und keiner von ihnen bekäme das Christkind zu Gesicht - was würde das beweisen? Kein Mensch sieht es einfach so. Das beweist gar nichts. Die wichtigsten Dinge bleiben meistens unsichtbar. Die Elfen, zum Beispiel, wenn sie auf Mondwiesen tanzen. Trotzdem gibt es sie.
All die Wunder zu denken - geschweige denn sie zu sehen; das vermag nicht der Klügste auf der Welt. Was Du auch siehst, Du siehst nie alles. Du kannst ein Kaleidoskop aufbrechen und nach den schönen Farbfiguren suchen. Du wirst einige bunte Scherben finden; nichts weiter. Warum? Weil es einen Schleier gibt, den nicht einmal alle Gewalt auf der Welt zerreißen kann. Nur Glaube und Poesie und Liebe können ihn lüften. Dann wird die Schönheit und Herrlichkeit dahinter auf einmal zu erkennen sein; »Ist das denn auch wahr?« kannst Du fragen. Virginia, nichts auf der ganzen Welt ist wahrer und nichts beständiger.
Das Christkind lebt, und ewig wird es leben. Sogar in zehnmal zehntausend Jahren wird es da sein; um Kinder wie Dich und jedes offene Herz mit Freude zu erfüllen. Frohe Weihnacht, Virginia.

Dein Francis P. Church


P. S.: Der Briefwechsel zwischen Virginia O‘Hanlon und Francis P. Church stammt aus dem Jahr 1897. Er wurde über ein halbes Jahrhundert - bis zur Einstellung der »Sun« 1950 - alle Jahre wieder zur Weihnachtszeit auf der Titelseite der Zeitung abgedruckt.


Euch Allen eine schöne Adventszeit :engel:

Renate23
09.12.2008, 16:45
Liebe Userinnen und User,

heute hatte ich überraschend Besuch. Dieser kam nicht wie gewöhnlich zur Haustür, sondern versuchte es über den Balkon. Trotzdem hab ich ihn willkommen geheißen. Er muss jetzt so lange hier bleiben, bis die Rentiere mit dem Schlitten wieder vorbeikommen. Nachdem es jetzt aber keinen Schnee bei uns gibt, bleibt mir der Gast wohl eine Weile erhalten.

Liebe weihnachtliche Grüße

Renate http://img517.imageshack.us/img517/2226/einbruchdw8.jpg (http://imageshack.us)
http://img517.imageshack.us/img517/einbruchdw8.jpg/1/w480.png (http://g.imageshack.us/img517/einbruchdw8.jpg/1/)

struwwelpeter
11.12.2008, 23:37
Das Paket des lieben Gottes

Nehmt eure Stühle und eure Teegläser mit hier hinter an den Ofen und vergeßt den Rum nicht. Es ist gut, es warm zu haben, wenn man von der Kälte erzählt. Manche Leute, vor allem eine gewisse Sorte Männer, die etwas gegen Sentimentalität hat, haben eine starke Aversion gegen Weihnachten. Aber zumindest ein Weihnachten in meinem Leben ist bei mir wirklich in bester Erinnerung. Das war der Weihnachtsabend 1908 in Chicago.

Ich war anfangs November nach Chicago gekommen, und man sagte mir sofort, als ich mich nach der allgemeinen Lage erkundigte, es würde der härteste Winter werden, den diese ohnehin genügend unangenehme Stadt zustande bringen könnte. Als ich fragte, wie es mit den Chancen für einen Kesselschmied stünde, sagte man mir, Kesselschmiede hätten keine Chance, und als ich eine halbwegs mögliche Schlafstelle suchte, war alles zu teuer für mich. Und das erfuhren in diesem Winter 1908 viele in Chicago, aus allen Berufen.

Und der Wind wehte scheußlich vom Michigan-See herüber durch den ganzen Dezember, und gegen Ende des Monats schlossen auch noch eine Reihe großer Fleischpackereien ihren Betrieb und waren eine ganze Flut von Arbeitslosen auf die kalten Straßen.

Wir trabten die ganzen Tage durch sämtliche Stadtviertel und suchten verzweifelt nach etwas Arbeit und waren froh, wenn wir am Abend in einem winzigen, mit erschöpften Leuten angefüllten Lokale im Schlachthofviertel unterkommen konnten. Dort hatten wir es wenigstens warm und konnten ruhig sitzen. Und wir saßen, so lange es irgend ging, mit einem Glas Whisky, und wir sparten alles den Tag über auf dieses eine Glas Whisky, in das noch Wärme, Lärm und Kameraden mit einbegriffen waren, all das, was es an Hoffnung für uns noch gab.

Dort saßen wir auch am Weihnachtsabend dieses Jahres, und das Lokal war noch überfüllter als gewöhnlich und der Whisky noch wässeriger und das Publikum noch verzweifelter. Es ist einleuchtend, daß weder das Publikum noch der Wirt in Feststimmung geraten, wenn das ganze Problem der Gäste darin besteht, mit einem Glas eine ganze Nacht auszureichen, und das ganze Problem des Wirtes, diejenigen hinauszubringen, die leere Gläser vor sich stehen hatten.

Aber gegen zehn Uhr kamen zwei, drei Burschen herein, die, der Teufel mochte wissen woher, ein paar Dollars in der Tasche hatten, und die luden, weil es doch eben Weihnachten war und Sentimentalität in der Luft lag, das ganze Publikum ein, ein paar Extragläser zu leeren. fünf Minuten darauf war das ganze Lokal nicht wiederzuerkennen.

Alle holten sich frischen Whisky (und paßten nun ungeheuer genau darauf auf, daß ganz korrekt eingeschenkt wurde), die Tische wurden zusammengerückt, und ein verfroren aussehendes Mädchen wurde gebeten, einen Cakewalk zu tanzen, wobei sämtliche Festteilnehmer mit den Händen den Takt klatschten. Aber was soll ich sagen, der Teufel mochte seine schwarze Hand im Spiel haben, es kam keine reche Stimmung auf. Ja, geradezu von Anfang an nahm die Veranstaltung einen direkt bösartigen Charakter an. ich denke, es war der Zwang, sich beschenken lassen zu müssen, der alle so aufreizte. Die Spender dieser Weihnachtsstimmung wurden nicht mit freundlichen Augen betrachtet. Schon nach den ersten Gläsern des gestifteten Whiskys wurde der Plan gefaßt, eine regelrechte Weihnachtsbescherung, sozusagen ein Unternehmen größeren Stils, vorzunehmen.

Da ein Überfluß an Geschenkartikeln nicht vorhanden war, wollte man sich weniger an direkt wertvolle und mehr an solche Geschenke halten, die für die zu Beschenkenden passend waren und vielleicht sogar einen tieferen Sinn ergaben. So schenkten wir dem Wirt einen Kübel mit schmutzigem Schneewasser von draußen, wo es davon gerade genug gab, damit er mit seinem alten Whisky noch ins neue Jahr hinein ausreichte. Dem Kellner schenkten wir eine alte, erbrochene Konservenbüchse, damit er wenigstens ein anständiges Servicestück hätte, und einem zum Lokal gehörigen Mädchen ein schartiges Taschenmesser, damit es wenigstens die Schicht Puder vom vergangenen Jahr abkratzen könnte.

Alle diese Geschenke wurden von den Anwesenden, vielleicht nur die Beschenkten ausgenommen, mit herausforderndem Beifall bedacht. Und dann kam der Hauptspaß. Es war nämlich unter uns ein Mann, der mußte einen schwachen Punkt haben. Er saß jeden Abend da, und Leute, die sich auf dergleichen verstanden, glaubten mit Sicherheit behaupten zu können, daß er, so gleichgültig er sich auch geben mochte, eine gewisse, unüberwindliche Scheu vor allem, was mit der Polizei zusammenhing, haben mußte. Aber jeder Mensch konnte sehen, daß er in keiner guten Haut steckte. Für diesen Mann dachten wir uns etwas ganz Besonderes aus. Aus einem alten Adreßbuch rissen wir mit Erlaubnis des Wirtes drei Seiten aus, auf denen lauter Polizeiwachen standen, schlugen sie sorgfältig in eine Zeitung und überreichten das Paket unserm Mann.

Es trat eine große Stille ein, als wir es überreichten. Der Mann nahm zögernd das Paket in die Hand und sah uns mit einem etwas kalkigen Lächeln von unten herauf an. Ich merkte, wie er mit den Fingern das Paket anfühlte, um schon vor dem Öffnen festzustellen, was darin sein könnte. Aber dann machte er es rasch auf. Und nun geschah etwas sehr merkwürdiges. Der Man nestelte eben an der Schnur, mit der das Geschenk" verschnürt war, als sein Blick, scheinbar abwesend, auf das Zeitungsblatt fiel, in das die interessanten Adreßbuchblätter geschlagen waren. Aber da war sein Blick schon nicht mehr abwesend. Sein ganzer dünner Körper (er war sehr lang) krümmte sich sozusagen um das Zeitungsblatt zusammen, er bückte sein Gesicht tief darauf herunter und las. Niemals, weder vor- noch nachher, habe ich je einen Menschen so lesen sehen. Er verschlang das, was er las, einfach. Und dann schaute er auf. Und wieder hatte ich niemals, weder vor- noch nachher, einen Mann so strahlend schauen sehen wir diesen Mann.

Da lese ich eben in der Zeitung", sagte er mit einer verrosteten mühsam ruhigen Stimme, die in lächerlichem Gegensatz zu seinem strahlenden Gesicht stand, daß die ganze Sache einfach schon lang aufgeklärt ist. Jedermann in Ohio weiß, daß ich mit der ganzen Sache nicht das Geringste zu tun hatte." Und dann lachte er. Und wir alle, die erstaunt dabei standen und etwas ganz anderes erwartet hatten und fast nur begriffen, daß der Mann unter irgendeiner Beschuldigung gestanden und inzwischen, wie er eben aus dem Zeitungsblatt erfahren hatte, rehabilitiert worden war, fingen plötzlich an, aus vollem Halse und fast aus dem Herzen mitzulachen, und dadurch kam ein großer Schwung in unsere Veranstaltung, die gewisse Bitterkeit war überhaupt vergessen, und es wurde ein ausgezeichnetes Weihnachten, das bis zum morgen dauerte und alle befriedigte.

Und bei dieser allgemeinen Befriedigung spielte es natürlich gar keine Rolle mehr, daß dieses Zeitungsblatt nicht wir ausgesucht hatten, sondern Gott.

struwwelpeter
12.12.2008, 22:34
Die Christblume
Paula Dehmel

Einsam ist die Blume, von der ich euch heute erzählen will. Sie kennt nicht die frohen Tage des Frühlings noch die duftreichen Nächte des Sommers. Keine flüsternden Gefährtinnen wachsen neben ihr auf, kein Vogel singt sie in Träume. In Schnee und Eis muss sie schauen, der Nordwind streicht über sie hin, und das eintönige Krächzen der Rabenvögel ist ihre Musik.
Und doch ist sie weiß und zart wie nur eine ihrer Schwestern; anmutig wächst sie aus dem Kranze grüner Blätter empor, und ihr tiefer Kelch hütet die Geheimnisse der Blumen. Und sie fühlt keinen Winterschmerz! Still und stolz steht sie in ihrer Kraft. Sie weiß das sie begnadet ist: die einzige Blume, die im Winter blühen darf, die einzige Blume, die das heilige Christfest feiern darf mit den Bewohnern der Erde. Sage mir, Schwester der Lilie, was rief dich ins winterliche Leben? Was gab dir die Macht, der Kälte und dem Sturm zu trotzen? Warum schläfst du nicht im Frieden der Erde?
Die Blätter rauschen mir Töne und Akkorde zu, sie raunen und rauschen - Silben höre ich, Worte - und nun will ich ihre Geschichte erzählen.
Es ist Totensonntag. Auf dem Wege zum Kirchhof geht eine stille dunkle Schar Menschen. sie tragen Totenkränze, Tannenreiser und Immortellen, immergrüne Eichen und rote Vogelbeeren. Sie gehen schweigend, als dächten sie vergangener Tage oder träumten in banger Hoffnung von künftiger Helle. Der letzte im Zug ist ein kleiner Knabe, der auf der Schulter ein grünes Holzkreuz trägt, eine schwere Last für einen jungen Körper! Es ist ein armseliges Kreuz, roh gefügt, mit abgeschrägten Ecken. Des Knaben Blicke aber ruhen liebevoll darauf; seine jungen, ungeübten Hände haben wohl selbst das Holz geschnitzt.
Aus der Kapelle des Totenhauses läutet die kleine Glocke, und andächtig zieht die Schar der trauernden durch das Portal. Ein leiser Wind geht mit ihnen; es sind die Todesengel, die dem Zuge unsichtbar folgen. Vom breiten Mittelwege aus verteilen sich lautlos die Gäste der Toten. Bald hat auch der blasse Knabe das Grab seiner Mutter gefunden. Es ist ein frischer Hügel; ohne Schmuck und ohne Pflege liegt er im kühlen Frühnebel. Der Kleine kniet nieder, pflanzt sein Kreuzlein zu Häupten der Toten und betet leise. Der Engel, der ihm folgte, beugt sich nieder, um die Inschrift zu lesen. "Liebe Mutter", steht in großen, kindlichen Buchstaben auf dem Querholz, sonst nichts. Da küsst der Engel das Kind aufs Haupt.
Die andern Gräber schmückten sich nach und nach mit den Blumen und Kränzen der Leidtragenden; des Knaben Augen aber sahen angstvoll über das leere Grab, und ein Zucken des Schmerzes ging über das kleine Gesicht. "Lieber Gott," betete er leise, "lass meiner Mutter auch eine schöne Blume wachsen, ich muss fort ins Weisenhaus und kann ihr keine mehr bringen. Du aber kannst es, lieber Gott, du bist gut und allmächtig, und ich bitte dich so sehr."
Da küsste der Engel das Kind zum zweiten Male, und ein stiller Schein der Gewissheit kam in die braunen Augen des Knaben. Er rückte das Kreuzlein noch einmal zurecht, küsste das Grab seiner Mutter und folgte den andern Leuten, die den Heimweg antraten.
Der Engel aber flog heim zu Gott und brachte ihm den Wunsch des Knaben. "Es ist Winter," sprach der Herr, "alle Pflanzen schlafen; soll ich diese Kindes wegen meine ewigen Gesetze ändern?" "Deine Allmacht, o Herr, ist größer als dein Gesetz, deine Güte reicher als dein Wille!" Da lächelte der Herr, dass die Wolken erstrahlten und ein Klingen durch die Sterne ging. "Komm", sagte er zum Engel, und sie traten schweigend in den Garten des Paradieses.
Dort blühen die Blumen, die achtlose Hände auf Erden fortgeworfen und achtlose Füße zertreten haben. Schöner blühen sie hier im himmlischen Licht als in der irdischen Sonne; und als der Schöpfer zu ihnen trat, reckten sich Ranken und Gräser ihm entgegen, und die Kelche strömten über von Duft und Glanz.
Gott aber trat zu einer weißen Lilie, nahm die zitternde aus dem Schoße des Himmels, küsste sie und gab sie dem Engel. "Dem Erdenkinde zur Freude und meinem Sohne zum Angedenken blühe diese Botin des Himmels künftig auf Erden in Eis und Schnee. Die Winde sollen ihren Samen durch die Länder des Nordens tragen; die Wärme meines Willens ströme durch ihre Wurzeln und bleibe ihr für die Dauer der irdischen Zeit!"
"Du aber lege das Zeichen des Todes ab und schütze den Knaben mit dem warmen Herzen. Breite deine Flügel um ihn aus, dass der Same, der in seiner Seele keimt, auch in Frost und Dürre nicht ersterbe, und die Blume der Menschenliebe daraus erblühe; sie ist holder als alle Blumen des Paradieses."
Dankbar neigte sich der Engel, küsste des Herrn Gewand und ging seinen Befehlen zu folgen.
So ist die Christblume auf die Erde gekommen, und fromme Menschen fühlen ihren heiligen Ursprung.


14097



Paula Dehmel, 1862 - 1918

struwwelpeter
16.12.2008, 22:40
Das Wintersonnenmärchen
Otto Ernst

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. . . Gestern in der Dämmerung vernahm ich hinter den winterlichen Nebelhüllen ein Licht und ein Klingen. Es war wie ein blinzelnder Stern, ein verirrter Klang . . .
Denn nun beginnt ja schon die große, heilige Dichtung, die die Leute "Weihnachten" nennen.
So schöne Dichtungen gibt es nur noch wenige. Eine heißt: "Entschwundene Kindheit"; eine andere: "Der nächste Frühling". Weiß jemand noch eine? Es ist ganz unbestimmt, wie lang die schöne Dichtung ist, die "Weihnachten" heißt. Es ist schon eine hübsche Zeit her, dass ich in erster Frühe aus dem Schlafe geweckt wurde durch ein eifriges und andauerndes Geplapper. Das Geplapper kam aus der Schlafstube der Kinder. Es war noch ganz dunkel. Ich horchte.
"Sechsundsechzigmal!"
"Nein, siebenundsechzig! Sieh mal: heut ist der achtzehnte, nicht? Bleiben also noch dreizehn Tage."
"Zwölf!"
"Ach Junge! Oktober hat doch einunddreißig!"
"Na ja: dreizehn."
"Und November hat dreißig, macht dreiundvierzig und dann noch vierundzwanzig vom Dezember, macht siebenundsechzig. noch siebenundsechzigmal schlafen, dann ist Weihnachten."
"Hm . . . "
So früh schon vernehmen die Kinder aus dem Winterdunkel das ferne Schimmern und Singen . . .
Und dann ziehen sie jeden Morgen eins ab: jetzt noch sechsundsechzigmal schlafen . . . jetzt noch fünfundsechzigmal
Ganz so früh fängt für mich das Weihnachtslied nicht an. Aber doch schon früh. Der erste hergewehte Hauch eines nahenden Gesanges ist so schön in seiner geheimen Ahnungsfülle!
Man entfesselt bei Tisch oder Dämmerung oder nachmittags, wenn man sich zu kurzer Ruhe aufs Faulbett gestreckt hat, ein Weihnachtsgespräch unter den Kindern. Mein Neunjähriger erzählt aus der Schule. Der Lehrer hat gesagt: "Wenn ihr nicht fleißig seid, kriegt ihr nichts vom Weihnachtsmann." Da haben die Jungen gelacht und gerufen: "Es gibt ja gar keinen Weihnachtsmann!" Da hat der Lehrer gesagt: "Soo? - Wer glaubt, dass es einen Weihnachtsmann gibt?" Da hat ein einziger Junge den Finger gezeigt: meiner. Und da haben die anderen ihn ausgelacht.
Diese Schande! Gerade mein Sohn, der Sohn eines Menschen, der mit hartnäckiger Bosheit für "unbeschränkte Aufklärung" eintritt - gerade der muss der einzige Gläubige sein in einer christlichen Schulklasse! Komm, Junge, ich muss dir die frommen Augen küssen; ich habe dich grenzenlos lieb in deiner einsamen Schande! So lange ihr lebt ,Kinder, soll es in eurer Seele blühen, und aus jedem verwelkten Glauben soll euch ein neuer keimen! Das ist mein Segen. Nur wenn man euch zwingen will zum Glauben, durch Kerkerstrafen oder Höllenpein, dann sollt ihr lachen, lachen aus voller Brust und beide Fäuste schütteln, zum Zeichen, dass ihr nötigenfalls bereit seid, sie zu brauchen! Auch ihr Mädels! Dass ihr mir nicht feige duckt, wenn euch einer sagt: "Ihr müsst an den Weihnachtsmann glauben, sonst leuchtet euch kein Tannenbaum!"
Wir haben immer unsere stille Freude an einem Experiment, meine Frau und ich. so um den September und Oktober herum sind die älteren unter den Kindern auch noch fest überzeugt, dass der Weihnachtsmann nirgends anders existiert als im Portemonnaie des liebenswürdigen Vaters. Natürlich genießen sie voll Glaubensfreiheit. Nur gelegentlich fällt ein Wort, dass man den Knecht Ruprecht auf der Straße getroffen, sich längere Zeit mit ihm über die diesjährige Tannen - und Puppenernte unterhalten habe, dass gestern Abend sein rauhaariger Kopf hinter den Eisblumen des Fensters aufgetaucht sei . . .
Im November etwa werden die rationalistischen Überzeugungen schwankend; die Nachrichten vom Weihnachtsmann werden mit einem merkwürdigen Schweigen aufgenommen. Wenn man ganz heimlich um den Lampenschirm herumschaut, dann sieht man große, stille Augen mit nachdenklichem Blick in die Ferne gerichtet. In einem Augenblick der Stille hört man ein tiefes Atmen. Im Dezember erfolgt dann die Kapitulation. Man nimmt den Glauben an den allein selig machenden Weihnachtsmann an und entsagt dem heidnischen Glauben an das Portemonnaie. Wer jetzt noch Zweifel äußert, wird von den anderen schon entrüstet zurechtgewiesen. Tout comme chez nous. Wenn dann der heilige Abend da ist und man hinter der Tür mit grässlich verstellter Stimme fragt: "Seid ihr denn auch artig gewesen?" - dann kann es allerdings geschehen, dass gerade das Jüngste mit pietätloser Unschuld antwortet: "Ja, Papa!" Den anderen sagt ein sicherer Instinkt, dass zu viel Gehör in diesem Augenblick inopportun wäre, dass ein stillschweigendes sacrifizio dell' intelletto genau so aussieht wie Frömmigkeit usw. Nachher freilich, wenn sie ihre Geschenke weg haben und der dunkle Tannenbaum seine goldenen Augen aufgeschlagen hat, dann schreien sie. "Ätsch, ich hab wohl gehört, dass du es warst, Papa, du hast so tief gesprochen: Wuwuwuwu . . . " Dann sind sie frech, dann ist die ganze Bande wieder ungläubig.
Die Kleinen erinnern einen halt so oft an die Großen. Wozu sollte man ihnen auch durchaus den Weihnachtsmann aufnötigen; es gibt ja so viel andere schöne Götter!
Bis ins heiratsfähige Alter erhält man ihnen den Glauben an den Weihnachtsmann doch nicht! Dann haben sie längst eine Menge anderer Glauben gehabt. Und später, wenn sie längst eingesehen haben, dass nur Liebe der Eltern es war, was ihnen einst die strahlenden Stunden der Weihnacht bescherte, dann werden sie finden, dass Liebe in dieser greuelvollen Welt viel wunderbarer, seltsamer und heiliger ist als ein Weihnachtsmann. Oh, wohl vermag er zu wachsen mit zunehmenden alter, der Glaube an die Wunderkräfte der Welt! Die Wunder, welche der naive Sinn schaut, sind ja nur Nürnberger Tand gegen die Wunder, welche die weltbewanderte Seele ahnt!
Wie gesagt, man entfesselt ein Weihnachtsgespräch unter den Kleinen. Das ist nicht schwer. "Was wünscht du dir?" frag ich die Kleinste.
"Ich wünsch mit `ne Puppe, die schlafen und schreien und trinken kann - aber richtig trinken! - und denn `ne kleine Babyflasche mit `m klein niedlichen Lutscher auf, und `ne ganz, ganz kleine, süße Klingelbüchse. Ist das ungeschämt?"
"Nein, das ist nicht unverschämt. Was schenkst du mir denn?"
"Ja, was wünscht du dir?"
"Ja, wie viel Geld hast du denn in deinem Spartopf?"
"Mama, wie viel hab ich?"
"Fünfundachzig Pfennige."
"Fünf'nachßig Fennig."
"Na, dann wünsch ich mir ein großes, schönes Haus mit einem großen, schönen Garten."
"Mm. Und was noch mehr?"
"Und dann einen schönen Wagen mit zwei wunderschönen Pferden davor!"
"O ja!! Un was noch?"
"Und ein großes Bauerngut mit lebendigen Pferden und Kühen und Schweinen und Ferkeln - aber richtige Ferkel, mein' ich, nicht solche, wie ihr seid!"
"Nein! Un was denn noch?"
"Ja - wenn du mir dann noch einen Original-Böcklin schenken willst - "
"Was?"
"Na lass nur, dazu reicht's doch nicht."
Dem Jungen brennt so ein Haupt- und Herzenswunsch auf der Seele, das sieht man. In seinen Augen glüht ein traumfernes Entzücken.
"Was möchtest du denn haben?"
"Vater - sag erst `mal, ob das Buch von Robinson teuer ist."
"Furchtbar teuer."
Sein kopf sinkt auf die Brust.
"Aber es geht vielleicht - `mal sehen."
Da entbrennen seine Augen.
"Vater - ich will auch gar nichts anderes haben, wenn ich nur das Buch von Robinson kriege!"
Solch ein Verlangen stillen: das nenn ich eine Weihnachtsfreude!
Es ist merkwürdig, dass sie die finanzielle Seite der Frage erwägen, obgleich sie doch an den Knecht Ruprecht glauben. Aber man betet ja auch vertrauensvoll zum heiligen Florian und versichert sich dann gegen Feuerschaden.
Und merkwürdig ist es auch, dass sie sich gar nichts "Praktisches" und "Nützliches" wünschen, wie wollene Unterjacken und dergleichen. Mein Nachbar, ein gewisser Herr Schraffelhuber, hat einen Jungen von acht und einen von sechs Jahren. "Ich schenke meinen Jungen grundsätzlich nur nützliche Sachen zu Weihnachten", sagte er zu mir, "wie Stiefel, Strümpfe, Mützen, Schulränzel und dergleichen. All der andere Tand und Spielkram verleitet sie nur zur Torheit, Faulheit und Unaufmerksamkeit und bringt sie dahin, den Wert des Geldes gering zu achten. Die Großmutter schenkt ihnen ein Stück Spielzeug, und das genügt. In ein paar Tagen ist es doch wieder kaputt."
"Herr Schraffelhuber", sagte ich darauf, "Herr Schraffelhuber, wissen Sie, was ich Ihnen gönne, Herr Schraffelhuber? Ich gönne Ihnen, wenn Sie mal in den Himmel kommen, dass der Herrgott Ihnen einen großen und dauerhaften Regenschirm schenkt und sagt: "Hier, mein lieber Schraffelhuber, hast du einen großen und dauerhaften Regenschirm als Krone des Lebens. Dein Platz ist nämlich draußen in meiner dicksten Regenwolke. Da wirst du diesen praktischen, nützlichen und zweckmäßigen Regenschirm zu schätzen wissen. Ich wünsch dir eine nutzbringende ewige Seligkeit, mein lieber Schraffelhuber!" (sagte ich!) "Das gönne ich Ihnen."
Seitdem hasst er mich; aber wenn solche Leute mich hassen, das wärmt mich so recht innerlich, als wär's der herrlichste Weihnachtspunsch!
An solchen Festen soll ja der Beschenkte kosten "von dem goldnen Überfluss der Welt", und man soll ihm spenden, was ihm unter gewöhnlichen Umständen nicht erreichbar wäre! Wenn der arme Teufel barfuss läuft, so schenkt ihm Stiefel und Strümpfe; wenn er aber des Leibes Notdurft hat, so schenkt ihm eine Trüffelwurst oder Henry Clays oder eine Radierung von Klinger oder - warum nicht, wenn er sich's wünscht?! - eine kleine Drehorgel, gerade weil es Verschwendung ist, weil es Luxus ist, weil es ein Spiel ist! Ach mein Gott, wir haben ja alle das Spiel so nötig! Dazu sind uns ja Tage des Festes gegeben, dass wir einmal herauskommen aus der verdammten Trivialität der Regelmäßigkeit! Darum verzehrt man ja am Weihnachtsfeste so viele Hasen, Gänse, Enten, Karpfen, Kuchen, Äpfel, Nüsse, Mandeln, Rosinen, Datteln, Feigen, Mandarinen und Apfelsinen mit den zugehörigen Getränken, weil selbst die geregelte Verdauung etwas ist, was unterbrochen werden muss, wenn es nicht langweilig werden soll!
Ich kann euch sagen: Ich hab die Nützlichkeit geschmeckt. Die guten Eltern waren keine Prosaiker, wenn's nicht nötig war. Aber als ich vierzehn Jahre alt war, da hieß es: "Der große Junge braucht wohl kein Spielzeug mehr; der kriegt diesmal was Nützliches." Natürlich stimmte ich stolzen Herzens zu; es war ja noch vierzehn Tage vor Weihnachten. Ich, ein junger Mann von vierzehn Jahren, soll mit Spielsachen schenken lassen - lächerlich! Als dann aber die Bescherung kam, da waren wirklich keine da! Die jüngeren Geschwister hatten niedliche Windmühlen und Baukästen und Hühnerhöfe; aber ich hatte nicht ein einziges Stück, sag ich euch! Nur Kragen, Strümpfe, Halstücher und so etwas. Geweint hab ich sehr, aber nur nach innen! Zwei oder drei bitterheiße Tropfen. Nach außen hab ich den jungen Mann aufrechterhalten. Ein paar Mal hab ich mich wohl vergessen und heimlich mit den Sachen der anderen gespielt; aber - du lieber Himmel - mit vierzehn Jahren ist man auch noch ein recht junger Mann. Als ein jüngerer Bruder mich verspottete, weil ich mit seiner Windmühle spielte, vermochte ich ihm mit Hoheit und einem großen Jungensbaß zu erwidern: "Du Dummbart, ich wollte nur mal sehen, wie sie eingerichtet ist."
Wenn eure Kinder mit vierzehn, sechzehn, achtzehn Jahren und später noch spielen mögen, so stört sie nicht. Denn das sind gewöhnlich die Menschen, die draußen in der ernsten Welt ihr Werk angreifen mit froher Kinderkraft und die mit naivem Lächeln bewältigen, was dem Pedanten unmöglich schien.
Ja, wenn ich nicht fürchten müsste, mich grenzenlos zu blamieren, so würde ich irgendeinem verschwiegenen Freunde in aller Heimlichkeit gestehen, dass mir bei den Weihnachtseinkäufen in den Spielzeugläden oft ganz weich und kindisch ums Herz wird. Meine Frau behauptet auch, dass ich immer teuere Dinge kaufte, als ich mir zu Hause vorgenommen hätte. Sie verschweigt dabei allerdings, dass sie die geringere Ware so lange mitleidig betrachtet und die bessere so lange reizend findet, bis ich mich für das Reizende entscheide. Das muss ich ja zugeben: die letzte Entscheidung überlässt sie mir. Wenn ich also nicht Manns genug bin, so trifft ja mich die Verantwortung. Aber wenn ich Raubtiere sehe, die wirklich wie Tiere aussehen, mit wirklichem Fell überzogen sind, und darunter einen Bären, der wirklich diesen charakteristischen Bärenblick hat, diesen bonhommistischen Raubtierblick, diesen blutdürstigen Honigblick, diesen politischen Pastorenblick, einen Bären, der noch dazu nicht größer ist als der Elefant in derselben Schachtel, vielleicht sogar etwas kleiner -: dann wird ich eben schwach, dann kann ich nicht widerstehen.
Und nun die Heimlichkeiten, wenn man nach Hause kommt. Welch ein Glanz umflimmert solch ein graupapiernes Paket! Fragende Wünsche, zweifelnde Hoffnungen umflattern es wie Falter mit farbenwechselnden Flügeln! Und wie muss man sich zusammennehmen, um die Kinder zu überzeugen, dass man keine Ahnung habe, womit sie einen überraschen wollen.
Und näher rückt die Zeit - "jetzt noch zehnmal schlafen". . . "jetzt noch neunmal". . . Da kommen sie überall her auf weichen, weißen Schwingen, die schöne Weihnachtslieder. Sind sie wirklich alle so schön, oder ist es nur, weil bei jedem Ton eine ganze vergangene Weihnacht heraufsteigt? Und dann tönt wieder die liebliche Geschichte von dem Kindlein in der Krippe, von der Herrlichkeit, die sich auftat über den nächtlichen Hirten, und von dem Stern, der über der Hütte von Bethlehem stand. Es war ein großer, reiner, sanfter Stern. Seine Schönheit leuchtet allen Landen; aber vor allem herrlich schaute er herab auf Germaniens weißstarrende Winterwälder, auf Deutschlands nebelrauchende Wiesen! Die Kinder Germaniens lieben aus innerster Seele das Licht, das durch schweigende Nebel dringt: das feuchte Silber der Wintermorgensonne, der Elfen nächtlich wogende Schleier, durch die das stille Auge des Mondes blickt. Wenn die Äste krachen unter der Last des Eises und schweigender Schnee seine Schwelle längst schon begrub, dann steht der Deutsche am dunklen Fenster und spricht mit dem letzten roten Schimmer der sinkenden Wintersonne.
Dies ist ihm das rechte Neujahrsfest; es ist Wintersonnenwende. Heute denkt er zurück, wen er zu sehr gehasst, wen er zu wenig geliebt. Er sieht im müden, warmen Lichte der letzten Röte den Nachbarn Fuhrmann nach Hause kommen, den Tannenbaum unter dem Arm, dass die Spitze durch den Schnee schleift. Ein Hündchen springt über den Weg und kehrt wieder ins Haus zurück. Wer wollte denn heut nicht daheim sein? Weihnacht feiert wohl selbst der Stein am Wege. Über allem ist ein lächelnder, unerschütterlicher Wille zum Frieden ausgebreitet. Und ganz am äußersten Rande des weiten Schneefelds sieht nun der Deutsche ein niedriges Dach, und über der schneeverwehten Hütte entzündet sich mehr und mehr ein Stern. Und ganz - ganz leise und ganz fein - aber doch so klar - und so ruhevoll kommt es daher gezogen, ein Lied, ach ein feines, wunderbares Lied:

"Es ist ein Reis entsprungen
Aus einer Wurzel zart.
Wie uns die Alten sungen,
von Jesse kam die Art.
Und hat ein Blümlein bracht
mitten im kalten Winter,
wohl zu der halben Nacht."

Das ist ein deutscher Sang. Denn das erquickt den Deutschen am innigsten, wenn aus dem verschneiten Winterdunkel ein Schimmer dringt, wenn aus totenstillen Winternebel langsam die Sonne des kommenden Frühlings blüht.
Und wenn nun hinter ihm im Dunkel der geschmückt schon harrende Baum mit leisem Geräusch die Zweige dehnt - und wenn die Kinder vor der Tür stehen und die schwellenden Wünsche in ihren Herzen aufbrechen zu heißblühendem Verlangen - dann ist das Wintersonnenmärchen auf seinem Gipfel, dann wirkt sie ihren höchsten Zauber, die heilige Dichtung, die die Menschen "Weihnacht" nennen.
Es gibt nur noch wenige Dichtungen, die so schön sind. Eine heißt "Entschwundene Kindheit", eine andere "Der nächste Frühling". Weiß jemand noch eine?

struwwelpeter
21.12.2008, 20:58
Die Weihnachtskatze

Verfasser James Herriot(1916 - 1995)


Wenn ich an Weihnachten denke, fällt mir immer eine ganz bestimmte kleine Katze ein. Zum erstenmal begegnete ich ihr an einem Herbsttag, als Mrs. Ainsworth mich gebeten hatte, nach einem ihrer Hunde zu sehen. Überrascht schaute ich mir das kleine struppige Geschöpf an, das da vor dem Kamin saß.
"Ich wußte gar nicht, daß Sie eine Katze haben", sagte ich.
Mrs. Ainsworth lächelte. "Wir haben auch keine. Das ist Debbie. Sie ist eine Streunerin. Sie kommt zwei- oder dreimal in der Woche, und wir geben ihr etwas zu fressen."
"Haben Sie den Eindruck, daß sie bei Ihnen bleiben möchte?"
"Nein." Mrs. Ainsworth schüttelte den Kopf. "Sie ist ein scheues kleines Ding. Kommt hereingeschlichen, frißt ein bischen, und schon ist sie wieder weg. Sie hat etwas Rührendes, aber sie will offenbar weder mit mir noch mit irgend jemand sonst etwas zu tun haben."
Ich sah mir die Katze wieder an. "Aber heute will sie nicht einfach nur gefüttert werden."
"Das stimmt. Es ist komisch, aber ab und zu kommt sie hereingehuscht und sitzt ein paar Minuten am Kamin. Als ob sie sich einmal etwas Gutes gönnen möchte."
"Ja, ich verstehe." Es war etwas Außergewöhnliches in Debbies Haltung. Sie saß kerzengerade auf dem dicken Teppich vor dem Kamin und machte keine Anstalten, sich zusammenzurollen oder zu putzen, sondern blickte nur still vor sich hin. Und irgend etwas an dem staubigen Schwarz ihres Fells, ihrem halbwilden, mageren Äußeren sagte mir, daß das hier ein besonderes Ereignis in ihrem Leben war, eine seltene und wunderbare Sache. Sie genoß voll Wonne eine Behaglichkeit, von der sie sonst nicht einmal träumen konnte.
Während ich sie noch beobachtete, drehte sie sich um, schlich lautlos aus dem Zimmer und war fort. "So ist das immer mit Debbie", lachte Mrs. Ainsworth. "Sie bleibt nie länger als zehn Minuten."
Mrs. Ainsworth war eine mollige Frau mit freundlichem Gesicht, etwas über vierzig und genau so, wie ein Tierarzt sich seine Kunden wünscht - wohlhabend, großzügig und Besitzerin von drei verhätschelten Bassets. Der für diese rasse typische leidende Gesichtsausdruck brauchte sich nur ein wenig zu verstärken, und schon geriet Mrs. Ainsworth in größte Aufregung und eilte ans Telefon.
Meine Besuche bei Mrs. Ainsworth waren deshalb häufig, aber ohne ernsten Hintergrund, und ich hatte reichlich Gelegenheit, die Katze zu beobachten, die mich brennend interessierte. Einmal lagen die drei Bassets malerisch auf dem Kaminteppich und schnarchten, während Debbie in ihrer üblichen Haltung mitten unter ihnen saß - aufrecht, angespannt, den Blick traumverloren auf die glühenden Kohlen gerichtet.
Diesmal versuchte ich mich mit ihr anzufreunden. Mit geduldigem Schmeicheln und sanftem Zureden gelang es mir, mit einem Finger ihren Hals zu streicheln. Sie antwortete darauf, indem sie sich an meiner Hand rieb, wandte sich aber gleich danach zum Aufbruch. Sobald sie aus dem Haus war, schoß sie durch eine Lücke in der Hecke, und das letzte, was ich sah, war eine kleine schwarze Gestalt, die über das nasse Feld flitzte.
"Ich möchte nur wissen, wohin sie geht", sagte ich leise vor mich hin.
Mrs. Ainsworth stand plötzlich neben mir. "Wir sind bis heute nicht dahintergekommen.

Erst am Weihnachtsmorgen hörte ich wieder von Mrs. Ainsworth. Sie entschuldigte sich gleich: "Es tut mir so leid, Mr. Herriot, daß ich Sie ausgerechnet heute belästige." Aber bei aller Höflichkeit konnte sie die Sorge in ihrer Stimme nicht verbergen. "Es ist wegen Debbie. Irgend etwas stimmt nicht mit ihr. Bitte kommen Sie schnell."
Als ich über den Marktplatz fuhr, dachte ich wieder einmal, daß Darrowby an Weihnachten aussah wie zur Zeit von Charles Dickens: der menschenleere Platz mit dem hohen Schnee auf dem Kopfsteinpflaster, der auch von den Traufen längs der gitterbekrönten Dachkanten herabhing, die bunten Lichter der Christbäume, die durch die Fenster der dicht zusammengedrängten Häuser funkelten, freundlich und einladend vor dem kalten Weiß der dahinterliegenden Hügel.
Mrs. Ainsworths Haus war über und über mit Lametta und Stechpalme geschmückt; aus der Küche drang ein verführerischer Duft von Truthahn mit Salbei- und Zwiebelfüllung. Aber ihre Augen blickten sorgenvoll, als sie mich durch die Diele führte. Debbie lag regungslos auf der Seite, und dicht neben ihr, an sie geschmiegt, ein winziges schwarzes Kätzchen. "Ich habe sie einige Wochen nicht gesehen", sagte Mrs. Ainsworth. "Dann kam sie vor etwa zwei Stunden hierher - stolperte irgendwie herein und trug das Junge im Maul. Sie legte es auf den Teppich, und ich habe mich zuerst darüber amüsiert. Aber dann sah ich, daß etwas nicht stimmte."
Ich kniete nieder und fühlte mit der Hand über Debbies Hals und Rippen. Sie war magerer als je zuvor, ihr Fell war schmutzig und schlammverkrustet. Als ich ihr Augenlid herunterzog und die glanzlose weiße Bindehaut sah, wußte ich Bescheid. Während ich den Unterleib abtastete, schlossen sich meine Finger um einen harten Knoten tief in den Eingeweiden. Fortgeschrittenes Lymphosarkom. Endstadium und hoffnungslos.
Ich sagte es Mrs Ainsworth. "Sie liegt im Sterben - im Koma; sie leidet nicht mehr."
"Oh, das arme Ding!" Sie schluchzte und streichelte immer wieder den Kopf der Katze, während ihre Tränen auf das verfilzte Fell tropften. "Was muß sie durchgemacht haben! Ich hätte mehr für sie tun sollen."
Ein paar Augenblicke schwieg ich, denn ich verstand ihren Kummer. Dann sagte ich beruhigend: "Niemand hätte mehr tun können, als Sie getan haben."
"Aber ich hätte sie hierbehalten sollen - sie hätte es gut gehabt. Es muß schrecklich gewesen sein da draußen in der Kälte, als sie so krank war. Und dann hatte sie auch noch Junge! Wie viele mögen es wohl gewesen sein?"
Ich zuckte die Achseln. "Das werden wir wohl nie erfahren. Vielleicht nur dieses eine. Manchmal kommt das vor. Und ausgerechnet zu Ihnen hat sie es gebracht, überlegen Sie mal."
"Ja, das schon." Als Mrs. Ainsworth das schmutzige schwarze Bündel aufhob, öffnete sich das winzige Mäulchen zu einem tonlosen Miau. "Ist das nicht seltsam? Sie war schon halb tot und brachte ihr Junges hierher. Und gerade zu Weihnachten."
Ich beugte mich nieder und legte die Hand auf Debbies Herz. Es schlug nicht mehr. Ich hüllte den kleinen Körper in ein Tuch und trug ihn in den Wagen. Als ich zurückkam, streichelte Mrs. Ainsworth noch immer das Kätzchen, und ihre Tränen waren versiegt. "Ich hatte noch nie in meinem Leben eine Katze."
Ich lächelte. "Nun, es sieht ganz so aus, als hätten Sie jetzt eine."

Das Kätzchen wuchs rasch zu einem schönen Kater heran, dem sein ungestümes Wesen den Namen Frechdachs einbrachte. Er war in jeder Hinsicht das Gegenteil seiner scheuen Mutter. Wie ein König stolzierte er über die prächtigen Teppiche im Hause Ainsworth.
Bei meinen Besuchen beobachtete ich mit Vergnügen, wie er sich entwickelte, und ganz besonders gern erinnere ich mich an das Weihnachtsfest ein Jahr nach seinem Einzug.
Ich war wie üblich unterwegs gewesen - die Tiere haben bis heute nicht gelernt, Weihnachten als einen Feiertag anzusehen. Das viele Anstoßen mit gastfreundlichen Bauern hatte mich in eine rosige Stimmung versetzt, und auf dem Heimweg hörte ich Mrs. Ainsworth rufen: "Frohe Weihnachten, Mr. Herriot! Kommen Sie herein, und trinken Sie etwas zum Aufwärmen!" Das Aufwärmen hatte ich nicht nötig, aber ich fuhr ohne zu zögern in die Auffahrt. Im Haus war alles froh und festlich wie ein Jahr zuvor. Und diesmal gab es keinerlei Grund zu irgendeinem Kummer - Frechdachs war ja da.
Mrs. Ainsworth lachte. "Wissen Sie, für die Hunde ist er ein rechter Quälgeist." Für die Bassets war das Auftauchen des Katers so etwas wie das Eindringen eines Flegels in einen exklusiven Klub.
"Ich möchte Ihnen etwas zeigen." Mrs. Ainsworth nahm einen harten Gummiball von einem Schränkchen und ging hinaus. Frechdachs folgte ihr. Sie warf den Ball über den Rasen, und der Kater sprang ihm nach; dabei konnte man seine Muskeln unter dem schwarzglänzenden Fell spielen sehen. Er packte den Ball mit den Zähnen, trug ihn zu seiner Herrin, ließ ihn fallen und wartete gespannt. Ich traute meinen Augen nicht. Eine Katze, die apportierte!
Die Bassets schauten voller Verachtung zu. Nichts hätte sie jemals dazu bringen können, hinter einem Ball herzujagen.
Mrs. Ainsworth wandte sich zu mir: "Haben Sie so etwas schon einmal gesehen?"
"Nein", erwiderte ich, "noch nie. Das ist ja wirklich ein ganz besonderer Kater."
Sie nahm Frechdachs auf, hielt ihn dicht ans Gesicht und lachte, als er schnurrte und sich verzückt an ihre Wange schmiegte.
Als ich ihn ansah, ein Bild des Glücks und der Zufriedenheit, mußte ich an seine Mutter denken. Ging ich zu weit, wenn ich mir vorstellte, daß diese todkranke Kreatur mit letzter Kraft ihr Junges zu dem einzigen behaglich warmen Plätzchen brachte, das sie je kennengelernt hatte, in der Hoffnung, daß es ihm dort gut gehen werde? Vielleicht.
Aber ich war offenbar nicht der einzige, der so dachte. Mrs. Ainsworth lächelte mir zu. "Debbie würde sich freuen", sagte sie.
Ich nickte. "Ja, ganz sicher. Es war genau heute vor einem Jahr, als sie ihn herbrachte, nicht wahr?"
"Ja." Sie drückte Frechdachs an sich. "Das schönste Weihnachtsgeschenk, das ich je bekommen habe."


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