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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Trauer - und kein Ende?!


16.08.2001, 17:11
Hallo!

Im Juli hat sich der Todestag meines Vaters nun schon zum 3. Mal gejährt. Er hatte einen Tumor in der Lunge, zum Schluß auch im Gehirn.

Erst jetzt habe ich die Kraft mich mit seinem Leiden, mit seinem Sterben auseinander zu setzen. Noch heute fällt es mir schwer, tut es so unsagbar weh.

Eigentlich hat er nie wirklich an eine Heilung geglaubt. Er hat alle Therapien mitgemacht und die Ratschläge seiner Ärzte befolgt aber ich glaube, im Herzen hat er nie angefangen zu kämpfen.

Unsere Familie, für die er mir schon ganz früh die Verantwortung übertragen hat, ist an der Trauer zerbrochen. Wir trauern alle auf eine andere Art und Weise, können keine Erinnerungen austauschen und schon gar nicht über die Krankheit miteinander reden.

Dennoch hat es auch sehr intensive Momente während seiner Krankheit gegeben. Momente, in denen wir zusammen gelacht und geweint haben oder uns auch einfach nur über einen schönen Sonnenaufgang gefreut haben. Mit "wie wenig" man doch plötzlich zufrieden sein kann!

Ich habe hier schon vieles gelesen, daß Mut gemacht hat und ich würde mich freuen, auf diesem Weg Kontakt zu Leuten zu bekommen, die ähnliches erlebt haben - nicht nur um traurige Erfahrungen auszutauschen, sondern auch um mal auf andere Gedanken zu kommen!

16.08.2001, 23:15
Hallo Sandra,

ich habe Deinen Bericht gelesen, du beschreibst alles sehr gut und verständlich.
Es kommt mir irgendwie bekannt vor, wir hatten schon mal jemanden hier, die auch sehr gelitten hat und keinen Weg mehr wusste, denn es ging alles schief, zu hause, im beruf, und die Person hat es auch noch abbekommen. Du kannst es gerne nachlesen unter Hilfe für Hinterbliebene s1 Andrea geschrieben von der Anja, 02.06.2001 um 23.2:08 h.

Diese junge Frau hat gerade mit beiden Händen zugegriffen, könnte man glauben.

Sie hat kürzlich die Mutter verloren, der Job ist auch weg, als Trost durfte sie sich an der Schilddrüse operieren lassen. Ich selbst habe den Verlauf geschrieben, unter Anja. Du kannst es auch mal schnell lesen, sie war am Ende, es ging nicht weiter, so glaubte sie. Mit sehr wenig Hoffnung hat sie alles überstanden. Aber vorbei sind die so genanten Treffer noch nicht, von wegen Erholung, heute durfte sie auch noch zum Zahnarzt gehen, der ihr zwei Zähne gebohrt hat. Als sie nach Hause kam, hat sie noch eine Überraschung erlebt, die Heizung ist defekt und das Wasser läuft raus, schöne Bescherung, aber sie fasste es mit Humor, und trocknete es auf.
Sie hat begriffen, man darf den Kopf nicht hängen lassen, so schwer es einem auch fällt. Liebe Sandra, wenn Du diese Berichte gelesen hast, versuch auch Du es, so wie die Anja es getan hat, es spukt um mich herum, aber ich mach weiter. Liebe Sandra auch Du musst weiter machen, das Leben ist lebenswert. Glaube mir, zudem sind wir auch für Dich immer da.

liebe grüsse paolo

18.08.2001, 14:22
Lieber Paolo,

vielen Dank für Deine liebe, aufmunternde Nachricht!

Es ist sehr schwer Gefühle in Worte zu fassen, gleich ob sie Liebe oder Hass, Leben oder Tod betreffen.

Durch den Tod meines Vaters bin ich zum ersten Mal damit konfrontiert worden, einen lieben Menschen zu verlieren. Zum ersten Mal habe ich auch die Erfahrung gemacht, daß eine "kranke Seele" den Körper und die Gesundheit beeinträchtigen kann. Wenn ich z.B. auf den Friedhof gegangen bin, hatte ich das Gefühl, mit jedem Schritt, der mich näher zu seinem Grab führte, eine größere Last tragen zu müssen. Vielleicht lag es auch daran, daß das der einzige Ort war, an dem ich mir "Schwäche" erlaubt habe. Ansonsten habe ich immer verzweifelt versucht unsere Familie zusammenzuhalten und die Traurigkeit der anderen aufzufangen. Selbst hatte ich schon lange keine Tränen mehr.

Klar, das Leben geht weiter und auch der anfängliche Schmerz verändert sich. Er zerrt jetzt nicht mehr so auf, kostet nicht mehr ganz so viel Kraft aber ich glaube nicht mehr daran, daß er jemals ganz gehen wird. Dazu waren die Erfahrungen einfach zu "intensiv".

Mein Leben hat sich durch die Krankheit meines Vaters sehr verändert. Ich setze z.B. ganz andere Schwerpunkte, genieße all die kleinen Dinge viel ausgiebiger. Was mir auch geblieben ist, ist eine absolute innerliche Unruhe. Mein Vater war gerade 50 als er gestorben ist, soviel hat er sich für "später" aufgehoben, soviel hat er sich noch vorgenommen für die Zeit "wenn die Kinder groß" sind. Ich habe Angst, daß es mir genauso geht - daß irgendwann der Tag kommt, an dem ich gehen muß und mir bewußt wird, daß ich Zeit nutzlos habe verstreichen lassen.

Sandra

18.08.2001, 18:34
liebe sandra,
ich sprech dich nicht frei von irgend was,
geniesse aber alles was du nur kannst, denn heute ist der erste tag vom rest deines lebens, genau so wie der meiniger ist.
du kannst aber auch kurz im gästebuch schauen, dann begreifst du sicher was ich meine.
liebe grüsse
paolo

26.08.2001, 07:46
Hmmm auch ich trauer nun.
Meine Mutter ist am Mittwoch eingeschlafen und der einzigste Trost fuer mich ist das sie nun nicht mehr leiden muss.
Irgendwie glaub ich nur noch nicht daran das sie nicht mehr Leben soll...in meinem Herzen wird sie ewig Leben.Am Dienstag ist ihre Beerdigung und ich habe Angst davor !
Sie hat immer das Sonnenlicht geliebt und nun muessen wir sie in der dunklen Erde begraben.....

26.08.2001, 14:57
Liebe Sonja,

es tut mir sehr leid, daß Deine Mama gestorben ist. Ich kann gut nachempfinden wie Du Dich fühlst und ich wünsche Dir für die nächsten Tage viel Kraft und vor allem viele liebe Freunde, die Dich auf Deinem Weg der Trauer begleiten und für Dich da sind.

Ich habe den Friedhof immer als Ort gesehen, zu dem ich meine Trauer bringen konnte. Den Ort, zu dem ich all die "bösen" Gedanken gebracht habe, an dem ich geweint habe und schrecklich traurig war. Meinen Vater, der ebenfalls an Krebs gestorben ist, habe ich nie versucht auf dem Friedhof zu "finden", sondern in meinen schönen Erinnerungen. Genau wie Deine Mutter bei Dir wird auch er immer einen Platz in meinem Herzen haben und gerade diese Liebe ist es, die sie unsterblich machen wird!

Meine Gedanken werden am Dienstag bei Dir sein. Wenn Du vorher Lust zum quatschen hast, bin ich gerne für Dich da!

Liebe Grüße
Sandra

18.12.2001, 14:02
Liebe Sandra,
ich kann Deine Angst Dein Leben nicht genutzt zu haben sehr gut verstehen.
Meine Familie gibt es nun nicht mehr, am 16.02.01 ist mein Vater an lymphatischer Leukämie innerhalb von 3 Wochen mit 59 Jahren gestorben und ich bin auch bis zum letzten Atemzug bei ihm geblieben. Es war mir wichtig, dass er nicht alleine von uns gehen muss (obwohl leider jeder doch allein stirbt, diesen Weg alleine geht, sobald er die Schwelle überschritten hat), die Geräusche und die gesamte Situation haben mich sehr lange verfolgt und manchmal habe ich gedacht, dass es vielleicht doch zuviel für mich gewesen ist, aber sein Wohl war mir wichtiger. (s. mein Beitrag unter. BRUSTKREBS---> TRAUERARBEIT)
Wir hatten eine ganz besondere Ausgangsbasis, da ich mein Leben lang (ich bin 37) auf der Suche nach seiner Liebe gewesen bin.Wenn ich an meinen Vater denke, dann steht das nun unweigerlich in direktem Zusammenhang mit seiner Erkrankung, da wir uns in den letzten 3 Wochen seines Lebens erst-und letztmalig so nah wie nie zuvor gekommen sind.Ich weiss mit dem Kopf, das es ein Geschenk war, dass wir doch zueinander gefunden haben, aber ich fühle mich vom Leben betrogen, weil dies "nur " 3 Wochen in unser beider Leben waren und mir bisher in meiner Familie alle Personen weggenommen wurden, die mir etwas bedeutet haben. Und immer war Krebs die Ursache...Ich habe lange versucht schwanger zu werden, aber ich denke meine unbewusste Angst , wie meine Mutter auch Brustkrebs zu bekommen (sie ist mit 50 Jahren gestorben und als es anfing war sie 35 Jahre) hat mich regelrecht "zu" gemacht.Ende letzten Jahres wollte ich es noch einmal mit intensiver medizinischer Unterstützung versuchen, denn viel Zeit bleibt mir ja nicht mehr, aber der Tod meines Vaters hat mich völlig aus der Bahn geworfen.
Ich fühle mich total entwurzelt!!!!
Es war mir wichtig, dass Papa bei mir in der Nähe auf dem Friedhof ist (wir wohnten in unterschiedlichen Bundesländern), aber ich erschrecke immer, weil ich mir einbilde, ich müsste mehr empfinden , wenn ich vor dem Grab stehe.Es ist mir sehr wichtig, dass dort alles in Ordnung ist und ich gehe auch jetzt noch 1x die Woche zum Friedhof, weil ich mich dazu auch irgendwie innerlich getrieben fühle, ich bin unruhig, wenn ich nicht dort gewesen bin. Aber wenn ich dann dort stehe, dann ist alles tot in mir.
Ich habe das ganz sichere Gefühl, dass Papa nicht dort unten ist, sondern mich umgibt und es gibt Momente, da fühle ich ganz intensiv, dass er um mich ist.Das tröstet aber nur kurzzeitig...
Noch immer stehen seine Sachen aus dem Krankenhaus in meinem Dachstudio und ich schaffe es einfach nicht, die Sachen auszuräumen...Ich habe das Gefühl, das ist eben das Letzte zu dem ich auch eine Verbindung herstellen kann, weil ich ihn in dem Bademantel dort gesehen habe, ihm in seine Hausschuhe geholfen habe...
Beim Tod meiner Mutter (1990) konnte ich 5 Jahre nicht darüber reden. Ich habe sehr viel von Elisabeth Kübler-Ross gelesen und das hat sehr geholfen, ich war auch in der Sterbebegleitung tätig, aber das habe ich dann doch aufgeben müssen, es war zuviel für mich.Das mein Vater so schnell und auch an Krebs sterben würde, hätte ich niemals gedacht und auch nicht, dass ich ihn in den letzten 3 Wochen mehr sehen würde , als in den letzten 9 Jahren... Und das erste Mal hat er Körperberührungen und meine Liebe zugelassen und hat auch mir gezeigt, dass auch er mich lieb hat. Hier liegt also das Schöne und das Schreckliche extrem dicht beieinander und das macht es mir so besonders schwer damit umzugehen, manchmal weiss ich nicht, ob ich das alleine schaffe, denn im Grunde ist man trotz Beistand von lieben Menschen mit der Trauer doch allein, man muss da seinen eigenen Weg finden, aber bis dahin ist bei mir noch ein langer Weg.
Besonders da sich so langsam (am 2. Feiertag) die Situation zum ersten Mal wieder jährt...
Ganz schlimm wird es ab 25.01. werden, da Papa da ins Krankenhaus eingeliefert wurde und ich dann von dort über seinen Gesundheitszustand informiert wurde und dann von null Kontakt auf 100 %Kontakt entstanden ist, weil ich dann sofort hingedüst bin...
Kannst Du Dir ein bisschen vorstellen, wie selig ich war, dass ich meinem Vater einen Wunsch erfüllen konnte, (er bat um kurzärmelige Schlafanzüge und ich bin voller Tatendrang losgedüst und habe ganz viele gekauft...)
Der Tod meines Vaters hat mich sehr verändert, die Entwicklung ist aber noch nicht abgeschlossen, ich bin irgendwie energischer geworden (vorher habe ich immer nach Führung gesucht, nun lasse ich mir nichts mehr sagen, ich bin nicht mehr bereit, andere für mich entscheiden zu lassen, auch wenn alles gutgemeint ist.Wer kann denn wissen, wie lange man auf dieser Welt sein wird ???
Das Leben kann so kurz sein...man muss das Schöne in den Vordergrund stellen, aber ich gebe zu, dass ich manchmal in ein sehr tiefes Loch falle, weil ich mich (voller Selbstmitleid ) frage, warum andere noch alle ihre Verwandten haben, mich frage, ob mein Leben anders gelaufen wäre, wenn wichtige Familienmitglieder noch leben würden, wenn man Antworten auf seine Fragen bekommen, etc...
Das wird natürlich auch durch entsprechende Artztermine verstärkt,weil seit diesem Jahr mein Gefährdungspotential einfach sehr gestiegen ist und die Ärzte sehr nachhaken. Zum Glück hat sich aber nach Hautentnahme nicht Böses herausgestellt (Hautkrebsbezogen).

03.02.2002, 16:55
Liebe Katja,

nach recht langer Zeit habe ich mal wieder hier im Forum vorbeigeschaut und hoffe, daß Dich meine Antwort auf Dein Schreiben, das mich sehr berührt hat, noch erreicht.

Nach dem Tod meines Vaters habe ich auch viele Bücher gelesen. Kürzlich kam eine Freundin zu mir und fragte mich, ob ich nicht ein gutes Buch für sie hätte. Als ich dann nachschaute, was ich gelesen hatte, erkannte ich erstaunt, daß ich ihr nichts davon anbieten konnte bzw. wollte. Alles waren sehr traurige, düstere Krankengeschichten, oft ohne "Happy-End". Durch diese Bücher habe ich den Schmerz immer aufrecht erhalten, gerade verheilende Wunden wieder aufgerissen. Heute denke ich, daß ich Angst hatte, daß nach der Zeit der Trauer das Vergessen einsetzt und ich habe mich verzweifelt versucht dagegen zu wehren.

In der Zeit als mein Vater krank war, bin ich ihm auch sehr nahe gekommen. Ich habe es auf eine Art auch genossen, von ihm gebraucht zu werden und für ihn da sein zu können. Das Leuchten in seinen Augen, wenn ich ins Krankenhaus gekommen bin werde ich wohl nie vergessen. Ein Zeichen des "Erkennens" zu einer Zeit, wo er schon lange aufgehört hatte zu sprechen.

Ich glaube, daß sind auch die Momente, die man sich im Herzen aufheben muß - diese Momente unendlicher Liebe und Nähe, ja auch des Glück inmitten von Schmerz und Kummer. Von den anderen müssen wir uns wohl versuchen zu lösen und uns freimachen für unser eigenes Leben, sonst wird man selbst zu einer "Schattengestalt".

Wenn ich zum Friedhof gehe, habe ich noch heute ein komisches Gefühl, daß ich kaum beschreiben kann. Manchmal habe ich so große Sehnsucht nach ihm, daß ich kaum aushalten kann zu seinem Grab zu gehen, um ihm nahe sein zu können. Manchmal gehe ich hingegen zum Friedhof und empfinde gar nichts, danach geht es mir dann schlechter als vorher, weil ich mir bittere Vorwürfe mache und mich schrecklich schäme ...

Oft wünschte ich mir, daß mir mein Glauben mehr Halt gegeben hätte aber leider habe ich dort überhaupt keinen Halt gefunden. Auch wenn es ungerecht erscheinen mag - ich war zu wütend, um zu beten und bin es oft auch heute noch.

Liebe Katja, ich wünsche Dir, daß auch Du einen Weg aus der Trauer findest und Menschen hast, die Dich auf diesem Weg begleiten. Laß nicht zu, daß Angst und Traurigkeit Dein Leben auffressen - es hält viel zu viele schöne Überraschungen bereit -auch für Dich! Es gibt immer wieder Höhen und Tiefen, daß wichtigste ist wohl, daß man lernt darüber zu reden, Gefühle auszudrücken und sie zuzulassen. Das ist nicht immer einfach und tut auch oft weh aber es ist wohl die einzige Möglichkeit damit fertig zu werden.

04.02.2002, 12:08
Liebe Sandra,
hab ganz lieben Dank für Deine Zeilen, die mich tief im Innersten berührt haben.
Deine Zeilen erreichen mich in einer Phase in der es mir gar nicht gut geht, weil ich jeden Tag im Krankenhaus noch einmal mit meinem Vater in einer Intensität und Detaillgenauigkeit durchlebe, wie ich es 1 Jahr "danach" nicht für möglich gehalten hätte.
Nun ist seine / unsere 2. letzte gemeinsame Woche angebrochen und am 16.02. wird es mir wahrscheinlich besonders schlimm gehen.
Ob das zu jedem Jahrestag so gehen wird, werde ich die gesamten 3 Wochen jedes Mal neu durchleben ???
Dieser Gedanke erschreckt mich, bringt mir aber andererseits aber auch sehr liebevolle Gefühle .

Du hast vom Augenleuchten Deines Vaters geschrieben, wenn Du das Zimmer betreten hast...
Mein Vater hatte ganz tollen Appetit auf ein Eis, seine Werte und die Infektiongefahr erlaubten es aber nicht, dass ich eines besorgte.
An 2 Tagen in diesen 3 Wochen, ging es ihm so gut, dass ich keinen Kittel mehr tragen musste usw. und ich erinnerte mich an seinen Wunsch und fragte ihn dann nochmals ob er denn noch Appetit auf ein Eis hätte.
Sandra, dieses Strahlen in den Augen....,mich durchströmt noch jetzt ein Glücksgefühl, wenn ich daran denke.Nach Rücksprache mit dem Arzt bin ich dann zum Eisstand gerannt und habe ihm ein schönes Eis gekauft, mir gleich eines dazu, und wir haben geschlemmt. Papa war so glücklich... bei der Einnerung daran, geht es mir wieder etwas besser , aber schon mischt sich wieder tiefe Traurigkeit in meine Freude...

Dieses ewige auf und ab...

Du hast so recht, ich darf mich von dieser Traurigkeit nicht vom normalen Leben selbst ausschliessen.
Ich weiss , es gibt Schönes, aber im Moment kann ich das einfach nicht sehen. Gestern ging es mir umso vieles besser,die Sonne, das Vögelgezwitscher, aber heute ist schon wieder alles vorbei. Im Gegenteil heute bin ich richtig aggressiv und wütend...

Alles Liebe, Katja

04.02.2002, 20:28
Liebe Katja,

es tut mir sehr leid, daß es Dir im Moment so schlecht geht und Du mit Deinen bösen Erinnerungen kämpfst.

Das besagte "Trauerjahr", man braucht es wohl wirklich, um von einem Menschen bewußt Abschied zu nehmen, muß wohl alle "normalen" und "besonderen" Tage in einem Jahr ohne ihn erlebt haben. Es wird danach nicht alles besser aber doch verändert sich der Schmerz in dieser Zeit.

Ganz intensiv kann ich mich noch an die letzten Tage von meinem Vater erinnern. Von der Diagnose bis zu seinem Tod waren es gerade mal ein Jahr, das rasend schnell vorbei gegangen ist. Bis zu diesen letzten Tagen habe ich den Tod nicht sehen wollen. Ja, es ging im schlecht, jeden Tag ein bißchen mehr aber sterben - nein, das konnte nicht sein. Er war doch noch so jung. Heute frage ich mich manchmal wie ich so naiv sein konnte. Meine Mutter hat mich nachts angerufen und mir gesagt, daß er gestorben ist, ganz friedlich eingeschlafen. Noch ein Jahr später hörte ich jede Nacht um diese Uhrzeit das Telefon schellen. Natürlich hat niemand angerufen aber ich wäre bald wahnsinnig geworden. Irgendwann hörte es dann auf.

Heute denke ich, daß es ganz ganz wichtig ist diese Gefühle zuzulassen, zu weinen, wütend und auch agressiv zu sein. Ich hätte mir viel Kummer ersparen können, wenn ich mit meinen Gefühlen offener umgegangen wäre. Ist Dein Mann Dir eine Stütze in dieser schweren Zeit? Ich habe meinen Mann über die Trauer "wiedergefunden" und bin unendlich froh, daß er für mich da war, auch wenn man viele Wege einfach alleine gehen und durchleben muß. Es ist schön jemanden in der Nähe zu wissen, der einen auffängt!

Erzähle mir doch mehr von Deinen schönen Erinnerungen an Deinen Papa - natürlich nur wenn Du magst und es Dich nicht allzu sehr quält - vielleicht zaubert es Dir ja ein Lächeln auf Dein Gesicht - dann hätte es sich doch schon gelohnt!

Laß den Kopf nicht hängen - ich denke an Dich!

06.02.2002, 12:49
Liebe Sandra,
ich kann eigentlich nicht sagen, das mein Mann mir die Stütze ist /war, die ich im letzten Jahr benötigt hätte.Er ist ein Mensch , der sich mit seinen Gefühlen sehr schwer tut (habe ich in ihm meinen Vater gesucht ?) und es gab in unseren gemeinsamen 12 Jahren einige Situationen, in denen ich mich sehr alleine gefühlt habe.
Die Ursache seiner Probleme liegt in seinen schlimmen Kindheitserlebnissen, aber ich kann es nicht immer als Entschuldigung vor mir selbst gelten lassen, (er selbst leidet ebenfalls unter seiner "Gefühlsarmut" )
Solche Extremsituationen wie der Tod meines Vaters decken "Schwachstellen" einer Beziehung sehr schnell auf... Im letzten Jahr gab es eine Phase, in der ich nicht wusste, ob wir unser Leben gemeinsam weiterführen werden (ich hatte Dir ja am Anfang geschrieben, dass ich in einem Veränderungsprozess bin), da habe ich mich sehr in mich zurückgezogen...

Dein Vorschlag Dir von den schönen Erlebnissen mit meinem Vater zu berichten, hat mich sehr ins Grübeln gebracht, es gibt so wenig davon, wenn ich das auf mein ganzes Leben beziehe:

Ich habe 19 Jahre bei meinen Eltern gewohnt (und wenn ich gekonnt hätte, wäre ich schon eher ausgezogen...)
Ich erinnere mich daran, dass mein Vater immer spät nach Hause gekommen ist. Einmal hat er mir einen blauen Puppenstuben-Sessel in Folie eingeschweisst mitgebracht und ich war selig, weil er mir so Aufmerksamkeit zeigte, das war selten, weil er dann meist mit mir nichts anzufangen wusste...

Meine Mutter musste samstags immer arbeiten und dann kochte mein Vater (war ein Superkoch !!) und wir hatten vor ein Suppenhuhn zu essen. Sandra, ich weiss nicht wieviele Stunden das gekocht hatte und einfach nicht weich wurde. Irgendwann habe ich dann gar nicht mehr die Fage gestellt, wann wir denn essen würden, sondern habe nur um die Ecke geschaut und wir haben losgelacht. Das war etwas sehr Seltenes. Wir haben eigentlich nie ein Gespräch führen können, der einzige Tag, wo "zwangsläufig" eine Unterhaltung zustande kam, war eben der Samstag und das war immer sehr schleppend, gegen Mittag wurde es dann irgendwie besser.
Dann kam aber meine Mitter gegen 14.00 Uhr von der Arbeit, und schon hat mein Vater "den Platz geräumt", hat sich total von mir zurückgezogen....
Als kleines Kind ist mein Vater mit mir samstags einkaufen gegangen. Ich habe dann seine Hand nehmen wollen (Gott, waren die Hände gross in meiner Erinnerung), aber er hat dann meine Hand nur kurz gehalten und sie dann losgelassen. Das versteht man als Kind natürlich als Zurückweisung und ihn nach dem Grund zu fragen , habe ich mich nie getraut, dazu hatte ich zuviel Angst vor ihm (Schläge, etc..)
Meine Mutter hat mir später mal erzählt, dass es ihm einfach peinlich war, weil er feuchte Hände hatte. Dabei hat das mich überhaupt nicht gestört
, aber das habe ich erst erfahren, als ich schon gar nicht mehr mit ihm samstags einkaufen gegangen bin ...
Lockere Stimmung war auch immer, wenn wir in den Urlaub gefahren sind...zumindest auf der Fahrt)

Mein Vater war sehr musikalisch (habe ich auch von ihm), er konnte Instrumente ohne Noten zu kennen spielen, "einfach" nach Gehör und ganz toll zeichnen. Aber das hat er ganz selten mal gemacht.

Ich denke heute, dass er seine Neigungen nicht ein bisschen ausleben konnte. Ich glaube, am besten ging es ihm in seinen letzten 9 Lebensjahren, als er nach dem Tod meiner Mutter (12 Jahre her) wegzog und dann eine Freundin hatte...
So "locker"war er vorher nie gewesen und ich muss ihr zugute halten, dass sie oft versucht hat, uns einander näher zu bringen, aber das war meist sehr einseitig.
Im März 2001 hatte sie sich von ihm getrennt und im November hat er dann eine Wohnung gefunden, die er nur einige Wochen bewohnt hatte , bevor alles zu Ende war. Ich hatte die Wohnung zum ersten Mal gesehen, als wir sie auflösten....(und hat mir so unendlich leid getan, wie wenig Möglichkeiten er nach einem harten Arbeitsleben hatte, sich schöne Dinge auszusuchen...)

Sandra es gibt nicht viel Schönes, es gibt sehr viel Trauriges, da könnte ich wohl ein Buch schreiben, umso mehr hänge ich eben in den 3 Wochen fest...
Ein grosser Schock entstand, als mir die Ex-Freundin ein Tag nach Papas Tod ein Testament auf den Tisch knallte (ich musste ja wegen der Beerdigungsunterlagen dorthin fahren und der Auszug von meinem Vater war durch die Krankheiten im Vorfeld noch gar nicht richtig abgeschlossen, es waren noch Papiere bei ihr, die ich brauchte ) ,in dem mein Vater seine damalige Lebensgefährtin zur Alleinerbin bestimmte. Das hat sehr ,sehr weh getan, ich hatte das Gefühl mir die Nähe und die Liebe zueinander in den 3 Wochen nur eingebildet zu haben. Es ging mir nicht um irgendwelches Geld, es tat einfach nur sehr, sehr weh.
Und noch heute finde ich es geschmacklos, dass mir die Ex-Freundin ein Testament aus `94 vorgelegt hat . Mir war damals richtig schlecht, als ich das so serviert bekam...Aber das ist ein anderes Thema, ich denke er hat es in dem Trubel einfach vergessen...

Tut mir leid, dass Du leider nicht erreicht hast, dass mir die Erinnerungen ein Lächeln ins Gesicht zaubern konnte.(der Ansatz war schon richtig...)
Aber ich bin ganz froh die Sache mit dem Testament mal losgeworden zu sein...

Ich danke Dir fürs "Zuhören".
Katja

07.02.2002, 16:46
Hallo Sandra,

auch mir geht jetzt im Nachhinein immer wieder durch den Kopf, ob ich mich nicht früher und intensiver mit dem Tod meiner Ma hätte beschäftigen sollen.
Uns blieben von der Diagnose bis sie eingeschlafen ist leider nur wenige Monate, die ich immer wieder vor mir "ablaufen" lasse. Obwohl wir alle wußten, dass dieser Krebs unheilbar ist und ich hier im Forum gelesen habe, wie schnell es gehen kann, haben wir immer wieder gehofft ! Bei Krebs soll man doch den sogenannten Kampf aufnehmen und sich nicht fallen lassen. Aber über all dieser Hoffnung ist uns die Zeit davongerannt...

Natürlich war ich noch mehr bei ihr in dieser Zeit, habe mir frei genommen, sie gepflegt, sie umsorgt, alles, was ich tun konnte, für sie getan.
Den Tod wollte ich auch nie wahr haben ! Das war immer die schrecklichste Vorstellung für mich, dass meine Mama eines Tages nicht mehr da sein soll...

Dass sich der Schmerz verändert, wie Du sagst, ist ein kleiner Trost, aber ich habe Angst vor dem kommenden Jahr, weil sich alles wiederholt ! Der Tag der Diagnose, sämtliche Eingriffe und Untersuchungen, ich habe noch so viele Daten im Kopf und ab Mitte Juli (als alles "anfing") werde ich wohl noch intensiver alles neu miterleben... Davor graut mir schon jetzt !

Liebe Grüße,
Sabine

09.02.2002, 14:28
Liebe Kajta,

es tut mir leid, daß ich soviele traurige Erinnerungen bei Dir wachgerufen habe. Die Sache mit dem Testament ist natürlich übel, vor allem in einer Zeit, in der es einem ohnehin schon schlecht geht. Ich glaube aber schon, daß Dein Papa die Zeit mit Dir auch genossen hat. Höre einfach auf Dein Herz und nicht auf ein Stück Papier, das er vor Jahren geschrieben hat.

Richtig reden konnte ich mit meinem Mann über meine Gefühle auch nicht. Ich habe allerdings auch nicht das Gespräch mit ihm gesucht wenn ich ehrlich bin. Vielleicht brauchte ich auch genau das - einen Menschen, der den Alltag wieder beginnt, der mir seine Schulter zum weinen anbietet, ohne viel Worte zu verlieren. Trotzdem fühlte ich mich auch sehr einsam aber das gehört wohl zum Abschied nehmen mit dazu.

Mein Vater hat mich auch nicht gerne an der Hand genommen und als Kind konnte ich das auch nicht verstehen. Es gab aber so viele andere Momente, in denen ich erkannte, wieviel ich ihm bedeutet habe. Als er dann krank wurde, hat er sich ohnehin sehr verändert. Auf der einen Seite war er unsagbar liebesbedürftig und hat sich die ganzen Streicheleinheiten geholt, die er zuvor ruppig abgewiesen hatte und auf der anderen Seite war er auch unglaublich wütend und aggressiv. Manchmal war es ganz schön schwierig mit ihm umzugehen, das eigene Gefühlschaos war ja auch noch da.

Wie geht es Dir jetzt eigentlich? Ich hoffe jedenfalls wieder etwas besser und wünsche Dir alles Gute.

Liebe Grüße
Sandra

11.02.2002, 07:31
Liebe Sandra,
es tut sehr gut Dich als "Gesprächspartnerin" zu haben, weil eben einerseits etwas Parallelen vorhanden zu sein scheinen, aber andererseits Deine Erfahrungen eben doch anders sind und Du mich meine Thematik mal von einer anderen Seite betrachten lässt.
Dafür möchte ich Dir auf diesem Wege sehr danken.

Das Wochenende war ehrlich gesagt sehr schlimm, am Freitag habe ich einen Blumenstrauss zum Todestag bestellt und bin dann noch am Grab gewesen und da hat mich die Traurigkeit wieder sehr übermannt und ich habe meine Tränen freien Lauf gelassen...

Samstag und Sonntag war es auch wieder sehr schwer, ein tiefes Loch nach dem anderen, Tränen über Tränen, Erinnerungen über Erinnerungen(und natürlich nur die aus dem Krankenhaus)...
Am Sonntag nachmittag ging es mir dann wieder besser. Aber meine Grundstimmug ist sehr gereizt und depressiv(Gefühlschaos) und ich habe Angst vor dem 16.02.

Du schreibst, dass sich Dein Vater während der Krankheit sehr verändert hatte....
Für mich war die Rolle sehr neu, dass mein Vater seine Entscheidung bezüglich seiner Behandlung von meiner Meinung abhängig machte, dass er nichts veranlassen wollte, ohne dass ich mit dem Arzt gesprochen hatte. Es war so gegensätzlich zu früher, wo ich immer das Gefühl vermittelt bekam, dass meine Meinung unwichtig sei...
Aber es hat mir natürlich auch gut getan, seinen Wünschen nachzukommen, ich hatte ja sonst nie das Gefühl gehabt, das ihm etwas an mir liegen würde.
Das Berühren war auch etwas ganz Wichtiges für mich, am Anfang habe ich mich natürlich ganz unbeholfen verhalten, Papa wollte ja nie Berührungen, aber nun drückte auch er meine Hand , machte sich Sorgen (und sprach sie auch aus), ob ich mich genug ausruhen würde.
Oder wollte unbedingt wach bleiben, wenn ich nach der Arbeit zu ihm kam, obwohl ihn die Krankheit so schwächte ( und ich habe dann versucht ihn zum Schlafen zu bewegen )

Ich hoffe, dass durch meine Schilderungen nun nicht auch alles in Dir wieder an die Oberfläche kommt und schmerzt.
Die Schmerzen mögen vielleicht anders werden im Laufe der Zeit, aber ich glaube, diese Wunde wird nie verheilen.

Allers Liebe, Katja

11.02.2002, 13:12
Liebe Katja,

Du hast schon recht - man hört nie auf traurig zu sein und noch heute gibt es ganz schlimme Tage, an denen ich meinen Vater unendlich vermisse und ihn um Rat fragen möchte, wenn ich vor einer wichtigen Entscheidung stehe. Verändert hat sich nur, daß ich heute darüber reden kann, meine Traurigkeit nicht mehr verdränge und auch zu den Veränderungen stehe, die sich durch seinen Tod in meinem Leben ergeben haben. Wenn ich Ruhe brauche, um mit meinen Gedanken mal allein zu sein, dann nehme ich sie mir und wenn ich Lust zum "Ausgelassen sein" habe, dann mache ich auch das - ganz ohne schlechtes Gewissen.

Mein Vater hat im Laufe seiner Krankheit auch viele Dinge von mir abhängig gemacht. Manchmal war das für meine Mutter sehr schwer, da er sie oft gar nicht gefragt oder sie ernst genommen hat. Er hat mir die Verantwortung für die Familie und für meine Mutter übertragen, für sie zu sorgen sollte nun meine Aufgabe sein. Vielleicht lag es auch daran, daß ich mich erst so spät mit meiner Trauer beschäftigt habe. Während der Zeit seiner Krankheit und seines Sterbens mußte ich stark sein für die anderen. Besonders weh getan hat mir, als mir jemand gesagt hat: "Du mußt doch auch mal weinen und traurig sein. Du wirkst so kalt, als würde Dich das gar nicht berühren." Ich hatte keine Kraft mehr zum weinen, keine Kraft mehr für eigene Tränen und die Blindheit dieses Menschen, der nicht sehen konnte, wie sehr ich am Ende bin, werde ich wohl nie verstehen.

Ich kann gut verstehen, daß Dir vor dem 16.02. graut und ich wünschte, ich könnte Dir ein bißchen Deiner Angst nehmen. Wenn Du "quatschen" möchtest bin ich gerne für Dich da!

Liebe Grüße
Sandra

12.02.2002, 12:19
Liebe Sandra,
hab vielen Dank für Deine Bereitschaft "ein Ohr " für mich zu haben!!!
Es kommt mir sehr bekannt vor, wenn Du schreibst, dass Du Dir heute Zeit für Dich nimmst, wenn Du fühlst , dass Du sie brauchst.(Nur das mit dem schlechten Gewissen bekomme ich noch nicht auf die Reihe)
Ich hatte vorher immer Probleme alleine zu sein, jetzt geniesse ich es und brauche es auch, mich allein mit einem schönen Buch ins Teeelädchen zu setzen, eine Tasse Tee zu geniessen und mit mir und meinen Gedanken und Gefühlen alleine zu sein.
Danach kehre ich eigentlich gestärkt "ins Leben" zurück.
Das konnte ich vorher nicht, ich fühle mich durch das Erlebte irgendwie gereifter, erwachsener, und man ist sicherlich durch die Erfahrungen wie Schmerz ,Leid ,Tod um einiges mehr gereift, als andere Menschen, die einfach unbeschwerter leben, aber ich bin eigentlich generell kein Mensch, der "oberflächlich" lebt,manchmal grüble ich aber auch zuviel über Dinge nach.

Mich würde interessieren wie alt Du beim Tod Deiners Vaters warst und als Du die Verantwortung für die Familie übernommen hast.

Wenn es nicht zu persönlich ist, würde ich auch gerne von Dir wissen, ob Du zum damaligen Zeitpunkt Kinder hattest oder eigentlich vorhattest eine Familie zu gründen und ob Dich die Tatsache so früh Verantwortung übernehmen zu müssen in Deiner Lebensplanung beeinflusst hat.(bist Du vielleicht von der Thematik Familienplanung dadurch abgekommen ?).

Trotzdem ich soviel Sterben in der Familie miterlebt habe habe (allerdings war ich nur bei meinem Vater bis zum letzten Atemzug dabei) fühle ich mich so ganz anders, als zum Beispiel beim Tod meiner Mutter...
Ich denke es liegt unter anderem daran, dass eben nun niemand mehr da ist und das fällt mir wahrscheinlich besonders deswegen auf, weil ich eben (ungewollt) keine Kinder habe und damit keine eigene kleine Familie(vielleicht habe ich aber auch eine Wunschvorstellung von einer eigenen Familie, weil es bei mir eben nie so war, wie ich es mir gewünscht habe...)

Liebe Sandra, lass die damaligen Demütigungen von unwissenden, dummen Menschen nicht zu sehr in Dein Herz eindringen. Du allein weisst, dass sie unrecht haben !!

Manchmal gibt einem Wut Kraft Dinge zu überstehen, aber im Moment wünschte ich mir, weniger aggressiv zu sein. Es ist wie ein Aufbäumen vor der Wahrheit, vor dem Anerkennen müssen, dass mein Vater wirklich nicht mehr da ist...

Der Mensch hat sich schon seltsame Methoden angeeignet, um vor Schmerz nicht ""verrückt" zu werden.

Alles Liebe, Katja

15.02.2002, 14:34
Liebe Katja,

es ist manchmal ganz schön schwierig Gefühle in Worte zu fassen und dennoch hilft es, weil sie plötzlich greifbar und ein wenig klarer werden ...

Als mein Vater gestorben ist war ich 22 Jahre alt. Auch ich bin schon mit 19 zu Hause ausgezogen und habe somit recht früh auf eigenen Füßen gestanden. Verantwortung zu übernehmen und für meine Familie da zu sein, war für mich selbstverständlich, bei uns war der Zusammenhalt immer sehr stark und man wußte die anderen immer als stärkende Kraft im Rücken. Das schlimme an der Situation war, daß mir dadurch klar wurde, daß mein Vater schon in einem sehr frühen Stadium seiner Krankheit keine Hoffnung mehr für sich hatte. Vor seinem ersten Krankenhausaufenthalt hat er uns alle so vorbereitet, als würde er nicht mehr wiederkommen. Das tat unglaublich weh! Später kämpfte ich dann ständig gegen mein schlechtes Gewissen. Wenn meine Mutter weinte, was natürlich sehr oft vorkam, fühlte ich mich dafür verantwortlich und irgendwie schuldig. Hätte ich vielleicht mehr für sie da sein müssen?

Ob der Tod meines Vaters meine Familienplanung beeinflußt hat? Hhm, das ist schwierig zu sagen. Mit 22 habe ich sicher noch nicht an Kinder gedacht. Diese Erfahrung hat mein Leben und meine Persönlichkeit aber dennoch sehr geprägt, bestimmt wäre ich mit ihm einen anderen Weg gegangen und wer weiß, vielleicht würde er heute mit seinen Enkelkindern spielen .... Dieser Gedanke versetzt mir schon einen Stich, da ich noch so viele Dinge vorhabe, bei denen ich ihn gerne dabei hätte und von seinen Erfahrungen profitieren könnte. Er war ein wunderbarer Mensch!

Wie geht es Dir jetzt eigentlich? Ich wünsche Dir für den morgigen Tag ganz viel Kraft und alles, alles Gute. Laß den Kopf nicht hängen!

Ich denke an Dich und freue mich schon auf Nachricht von Dir.
Sandra

15.02.2002, 14:58
Hallo Sabine,

entschuldige bitte, wenn ich mich erst jetzt auf Deine Nachricht vom 07.02.melde - ich hoffe, Du nimmst mir das nicht übel!

Ich glaube das erste Jahr nach dem Tod eines lieben Menschen ist wohl immer das schwierigste, die Erinnerungen sind noch frisch und viele Gefühle kommen auch erst im nachhinein heraus, da man vorher schlicht und ergreifend "keine Zeit" dafür hatte oder sie auch nicht zugelassen hat. Trotzdem finde ich es wichtig sich damit auseinanderzusetzen, man muß halt nur aufpassen, daß man sich nicht in der Traurigkeit verliert und nur noch in seinen Erinnerungen lebt.

Ich wünsche Dir dennoch einen schönen Tag - vielleicht hast Du ja Lust mir mehr von Dir zu erzählen?!

Liebe Grüße
Sandra

19.02.2002, 07:15
Liebe Sandra,
hab Dank für Deine Antwort.
Der Jahrestag war grauenhaft.
Ich melde mich in Kürze wieder, wollte nur nicht, dass Du denkst ich hätte Dich vergessen...

Liebe Grüsse,Katja

19.02.2002, 13:23
Liebe Katja,

schön von Dir zu hören, ich dachte mir schon, daß es Dir nicht so gut geht. Kann ich Dir irgendwie helfen?

Ich wünsche Dir dennoch einen schönen Tag!

Liebe Grüße
Sandra

21.02.2002, 07:12
Liebe Sandra,
Du hilfst mir schon sehr, weil ich mich mit Dir austauschen kann !!!!
Papas Todestag ist ja eigentlich der 16.02. (Samstag) gewesen, aber da ich ja die 3 Wochen aus dem Krankenhaus Tag für Tag "nacherlebt" habe und Papa letztes Jahr an einem Freitag gestorben ist, war wieder ein Freitag mein Bezugspunkt, obwohl dies der 15.02. war.
Ich hatte einen wunderschönen Blumenstrauss bestellt, den ich dann Freitag nachmittag abholte (ich hatte die Grabvase gleich mit abgegeben).
Das Ablegen der Blumen war sehr schmerzhaft und die Tränen liefen wieder... (aber das brauche ich Dir sicher nicht näher zu beschreiben...)
Als ich am Sonntag nachschauen wollte, da waren alle Blumen bis auf 2 gelbe Rosen vom Frost dahingerafft. Das sah so fürchterlich aus, schlimmer, als wenn ich es nur bei dem Grabgesteck belassen hätte...
Ich bin dann noch mal los und habe eine Schale mit Stiefmütterchen gegen den "Strauss" ausgetauscht, richtig bepflanzen kann ich ja bei dem Wetter noch nichts...
Am Todestag selbst ging es mir erstaunlicher Weise total gut, ich war voller Lebenslust und das Leben war wieder voller Sonne...

Seit dieser Woche träume ich erstmalig häufiger von meinem Vater.
Erinnern kann ich mich am Morgen leider nicht mehr so ganz genau, aber es bleibt ein Gefühl der Liebe und der Geborgenheit aus diesen Träumen zurück und ich fühle mich den ganzen Tag über richtig wohl und glücklich...

Ich denke , das ich langsam auch Abstand vom Krebs-Forum und vom Krebs-Chat (war ich immer freitags gegen 21.45 Uhr drin) nehmen muss, um mich wieder mehr dem Leben zu öffnen und zu erkennen, dass das Leben lebendige und schöne Seiten hat.
Was meinst Du dazu ?

Liebe Sandra, ich würde mich freuen wieder von Dir zu "lesen".

Alles Liebe,
Katja

21.02.2002, 14:03
Hallo Sandra,

gerade lese ich nochmal Deine Gedanken über Lebens- und Familienplanung. Ähnliche Gedanken mache ich mir nach Mamas Tod auch. Ich bin jetzt 30 und da tickt ja eh die berühmte biologische Uhr...
Wie alt bist Du jetzt ? Mitte 20, oder ? Mir ist auch erst einmal die Lust auf Kinder vergangen, da ich immer davon geträumt habe, dass meine Mutter mir so sehr hätte helfen können, mir so viele wertvolle Tips hätte geben können, ach, eben einfach ihr die Freude auf Enkelkinder zu erfüllen ! Mir tut es manchmal so leid, dass sie das nicht mehr erleben durfte - aber ich dachte immer, wir haben noch so viel Zeit zusammen, schließlich war sie nicht einmal 60 !
Mein Vater hatte auch noch so viele Pläne, die Zeit der Rente etc. zusammen zu genießen usw.

Ging es Dir denn irgendwann besser ? Heute ist es 3 Monate her, dass meine Ma eingeschlafen ist und ich erlebe ihn immer wieder, den letzten Tag, die letzten Stunden und Minuten, und dann diese schrecklichen Gedanken, was hätte ich anders oder besser machen sollen, hätte ich an dem Tag noch früher zu ihr fahren sollen, aber an dem Tag hatte ich noch nicht mit dem Schlimmsten gerechnet.......

Je mehr ich an die letzten Tage denke, die mir wie gestern erscheinen, desto weniger kann und will ich das glauben, meine liebe Ma nie wieder zu sehen ! Dieses "nie wieder" hämmert manchmal richtig im Kopf, ich kann es einfach nicht fassen, dass das, wovor ich immer die größte Angst hatte, eingetreten ist !!!

Das reicht schon wieder.
Draußen scheint die Sonne so schön und statt mich darüber zu freuen, nervt es mich, Regen und Wolken passen nunmal besser zur Trauer.....

Lieben Gruß,
Sabine

22.02.2002, 18:48
Hallo liebe Katja, genau diesen letzten Absatz " Du möchtest Dich aus dem Chat zurückziehen" wollte ich Dir schon vor Wochen als wier uns hier kennen lernten sagen, nur ich fand die Worte nicht,um Dich auch nicht zu verletzen.Denke immer mal an meine " Gedanken" ich würde mich sehr freuen Dich mal wieder hier,nach einer Zeit Deiner Ruhe, begrüßen zu können. Deine Briefe die Du im Chat geschrieben hast haben vielen geholfen. Ciao,Ciao, liebe Katja

23.02.2002, 08:40
Lieber Franz,
ich hoffe, Dein Krankenhausaufenthalt war positiv !!!!
Ich danke Dir an dieser Stelle für alles und werde versuchen meinen Weg "draussen" zu finden.
Bitte richte den Chat-Mitgliedern nächsten Freitag ganz liebe Grüsse und ein dickes Dankeschön von mir aus!!!!
(War doch gut, dass ich heute morgen noch mal reingeschaut habe (hi,hi).


Alles Liebe, Katja

23.02.2002, 15:11
Liebe Katja,

ich hoffe, daß Dich meine Zeilen noch erreichen! Es freut mich wirklich sehr, daß Du wieder auf dem Weg der "Besserung" bist und wieder optimistischer in die Zukunft blicken kannst. Nach dieser ganzen traurigen Zeit hast Du Dir das auch wirklich verdient.

Ich wünsche Dir für Deinen weiteren Lebensweg alles Gute und vor allem viele glückliche Stunden!

Liebe Grüße
Sandra

25.02.2002, 13:46
Liebe Sabine,

Deine Gefühle kann ich gut verstehen!

Ich bin schon sehr traurig, daß ich meinen Vater nicht mehr als Opa erleben kann. Direkt hat der Tod meines Vaters meine Familienplanung aber nicht beeinflußt. Die Veränderung in anderen Bereichen waren sehr viel gravierender.

Meine Eltern standen kurz vor ihrer Silberhochzeit als er gestorben ist und auch sie haben sich so unsagbar viel für "später" aufgehoben. Wenn die Kinder groß sind, wenn wir in Rente sind ...... Tja und dann ist doch alles ganz anders gekommen. Ich glaube gerade das war sehr schwer für meine Mutter. Auch ihre Zukunft war ja von einem Moment auf den nächsten wie eine Seifenblase zerplatzt und sie mußte sich völlig neu orientieren und auch neue Ziele setzen.

Mir ist in manchen Situationen eine schreckliche Unruhe geblieben. Ich möchte mir halt nicht alles für später aufheben sondern jetzt und hier LEBEN! Später habe ich dann gemerkt, daß es auch nicht besser ist, wenn man versucht alles auf einmal zu machen .... Heute versuche ich einfach jeden Tag bewußt zu leben und zu erleben und versuche, das Beste daraus zu machen.

Ich habe auch oft darüber nachgedacht, was ich hätte anders oder besser machen können, während mein Vater krank war. Das ist wohl ganz normal, denn man ist ja auch nur ein Mensch. Ich glaube aber ganz fest daran, daß meinem Vater die Zeit, die ich mit ihm verbracht habe - in der ich für ihn da war - genauso wichtig war wie mir und ihm auch geholfen hat. Wir waren uns manchmal sehr viel näher als in der ganzen Zeit vorher. Deiner Ma wird es sicher ebenso gegangen sein und bestimmt gibt es doch Momente, an die Du Dich trotz der Krankheit gerne erinnerst oder?!

Ich wünsche Dir noch einen schönen Tag - laß auch der Sonne eine Chance den Weg in Dein Herz zu finden!

Liebe Grüße
Sandra