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07.02.2003, 10:17
Hallo,
ich muss mich mal an Euch wenden, weil wir uns eigentlich keine Rat mehr wissen. Meine (noch nicht ganz) Schwiegermutter leidet seit fast 8 Jahren an Krebs. Das Problem ist, sie ist nicht ehrlich zum Rest der Familie. Nur durch Gespräche mit den Ärzten wissen wir, dass sie an Harnröhrenkrebs leidet. Zu uns sagt sie, es ist "untenrum". Ob nur Harnröhre oder auch Geschlechtsorgane bzw. das weitere Gewebe im Bauchraum befallen ist, wissen wir nicht. Sie hat schon viele Operationen hinter sich und zwei mal eine (für mich) hohe Anzahl an Bestrahlungen bekommen (jew. 25x). Manchmal klagt sie über Schmerzen am Rücken, mal im Bein, meistens aber beim Wasserlassen. Ich muss dazu sagen, sie hat (wahrscheinlich durch die vielen OP's) jetzt noch Diabetes (4x spritzen am Tag), Herzprobleme und letztes Jahr eine Trombose bekommen. Wenn wir ihr sagen, dass die Rückenschmerzen vielleicht gar nichts mit dem Krebs zu tun haben, sonder ein (auch schon mal aufgetretenes) Ischias-Problem ist, was behandelt werden kann, sagt sie, Es ist doch eh alles zu spät, das ist der Krebs. Sie lebt ihr Leben, wie sie es seit Jahrzehnten lebt, ernährt sich auch nicht diabetisch, sonder "normal", mit viel von allem, besonders Fleisch und normale Süßigkeiten, wie es die "Kriegsgeneration" eben so macht. Wie können wir ihr helfen? Wie können wir sie davon überzeugen, dass man die Lebensqualität wesentlich verbessern kann? Noch hat sie der Arzt nicht aufgegeben. Am Montag fahren wir (die ganze Familie) zum Professer nach Leipzig in die Uni-Klinik. Da wird entschieden, wie es weitergehen soll. Egal, ob sie noch was machen können oder nicht. Das Leben sollte doch lebenswert sein und, so lange es noch geht, auch bleiben. Man muss doch was dafür tun!!!!!!
Danke für Euren Rat.

Martina

07.02.2003, 23:36
Hallöchen Martina,
tja, wann und wie ... ist das Leben lebenswert? Wenn man seit acht Jahren mit Krebs leben muss, wenn man Schmerzen hat, hier und da, wenn diese Krankheit noch hinzu kommt und jene ..., und dann kommt hinzu, dass man sich hier einschränken muss und dort, hier nur dies und jenes essen darf, man nur noch dies tun kann oder jenes, ... es ist nicht so einfach, Martina, in so einer Situation ein lebenswertes Leben zu führen.
Vermutlich ist für Deine "Fast"-Schwiegermutter der Krebs das Schlimmste überhaupt, wobei sie die nachfolgenden Krankheiten und Schmerzen alle dem Krebs zuschreibt.
Der Gedanke scheint bizarr, und trotzdem kann ich ihn verstehen: Nichts ist auch nur annähernd so schlimm wie der Krebs, aber der Krebs belastet nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche. Und alles was die Psyche belastet, kann wiederum zu weiteren Krankheiten führen.

Bei mir war es nach der Krebsdiagnose ähnlich. Ich bekam Tinnitus (andauerndes und lästiges Ohrgeklingel), eine Erkältung nach der anderen, meine Skoliose hat sich extrem verschlechtert, was zu ungemeinen Schmerzen führt, Darmgrippen wie seit Jahren nicht mehr, Unterleibsbeschwerden, ... ah, dies und jenes. Die reinste Kettenreaktion.
Noch nie in meinem Leben habe ich an einem Stück so viele Leiden auf einen Knatsch erleben müssen!
Erst seit ich ein wenig mehr zur Ruhe gekommen bin, geht es mir wieder etwas besser. Seit der Krebs in meiner Seele "verarbeitet" worden ist. So einigermassen jedenfalls.
Naja, es hat schon was, hm-hm!

Natürlich ist jeder Mensch verschieden, aber man sollte vielleicht die psychische Belastung eines Krebspatienten nicht einfach so bei Seite schieben. Sie KANN ungeheure Auswirkungen haben, eben auch auf den Körper, selbst wenn dieser vom Krebs soweit "geheilt" ist.
Sie KANN, doch es muss nicht so sein.
Aber vielleicht kann ich Dir ein bisschen mit diesem Gedanken helfen? Vielleicht kämpft Deine Fast-Schwiegermutter immer noch heftig mit dem Krebs, versucht ihn zu verarbeiten, hat aber grosse Mühe damit?
Krebs macht ungeheure Angst. Man kann versuchen, ihn durch Therapien zu verarbeiten, durch Gespräche oder in Selbsthilfegruppen. Vielleicht auch durch Bücher. Oder durch die lieben Angehörigen, welche für einen da sind.

Und: Gute Ratschläge (z.B. wegen der Ernährung) helfen oft nicht viel, ... wenn die Angst so überwiegt. - Aber man will als Patient natürlich auch selber entscheiden können. Man weiss, dass es alle nur gut meinen, aber die Entscheidung liegt schlussendlich immer bei einem selbst.

Was meinst Du, Martina?

Alles Liebe
von der "krassen" Brigitte

08.02.2003, 08:13
Hallo Martina

mh, ich muss ehrlich sagen, das mich so ein "Verhalten" schon ein bißchen ärgert. Nicht das Deiner Fast-Schwiegermutter, sondern eher Deines. Aber es ist wohl so, das Du und der Rest der Familie es gut mir ihr meint... sollte man dabei wohl auch nicht vergessen. Und das Umegehen mit einer Krebserkrankung ist wohl nicht so einfach - nur, das ist es wohl mit kaum einer Krankheit, wenn sie sosehr das Leben beeinflußt. Auch die Angst der Angehörigen vergesse ich nicht dabei ... Ich kann es aus beiden Sichten sehen.Ich bin betroffen, sowie auch Angehörige... und dann noch aus der Sicht als "Hinterbleibende". Ich habe beide Eltern und eine Schwester ( damals 38 Jahre alt) an dieser Krankheit verloren.
Nur, wer sein Leben - wie Lebenswert empfindet, oder wer, was dafür tun will oder nicht, sollte doch jeder selber entscheiden können, oder?
Sie lebt schon 8 Jahre mit dem Krebs? Das ist ne lange Zeit. Eine lange Zeit, auch mit vielen Ängsten. So ganz falsch kann ihre Lebenseinstellung dann ja auch gar nicht sein. Du sagst, sie ist aus der Kriegsgeneration. Also hat Deine Fast-Schwiergermutter schon ein ziemlich hohes Alter erreicht. Natürlich könnte es ohne weiteres auch noch ein paar Jahrchen weitergehen. Nur, darf sie das nicht selber entscheiden, was für sie gut ist. Was sie gerne isst oder eben nicht?

Ich werde meiner Schwester (45 Jahre - und damit 1 Jahr jünger als ich) ganz bestimmt nicht sagen, du musst aufhören zu rauchen. Denk an Dein Leben, Deine Lebensqualität wird sich wahrscheinlich dadurch erhöhen. Ich selber bin absolute Nichtraucherin, bin aber genauso an Krebs erkrankt. Wenn meine Schwester oder einer meiner anderen Geschwister auf die Idee kämen, mir zu sagen, wie oder was ich essen sollte ( Hab durch die chemo u.a eine Herzrythmusstörung behalten. Und bin noch andersweitig krank - schon weit vor dem Krebs), oder wie ich zu leben habe - würde ich sie einfach fragen: " Ob sie dann auch Lust haben, mein Leben zu übernehmen. Sie können es dann ja für mich ändern, und ich lebe dann eben ihr leben weiter - so wie ich es für mich als richtig empfinde.
Bitte sei nicht sauer über diese deutliche Mail... ich will da nur mit sagen:

Sie lebt ihr Leben. Ihr lebt euer Leben. Sie hat ein gewissen Alter erreicht - und sie bestimmt, wie sie Leben leben will. Ich kann eure Ängste verstehen, denn ich kenne sie sehr genau.

Begleitet sie in ihrem leben, das ist meines Erachtens, das einzige was ihr machen könnt. Gut gemeinte Ratschläge könnten eher das Gegenteil bewirken.

viele Grüße
elisabeth

08.02.2003, 20:11
Liebe Martina,
wenn Du diese Beiträge liest, wird es Dir bestimmt überhaupt nicht gefallen, denn Du möchtest ja helfen.
Du kannst es nicht ertragen, daß Deine Fast-Schwiegermutter so krank ist, Du willst, daß es ihr besser geht, ja vielleicht sogar, daß sie diesen schlimmen Krebs los wird.
Ich kann mich Brigitte und Elisabeth nur anschließen!
Akzeptiere Deine Fast-Schwiegermutter so wie sie ist. Sie selbst wird am besten wissen, was ihr gut tut. Glaube mir, ich verstehe Deine Ängste sehr gut. Erst vor einigen Wochen habe ich meinen Lebenspartner an dieser schlimmenen Krankheit verloren. Sicher habe auch ich versucht, ihn von einigen Dingen, die er gerne mochte, ihm aber nicht guttaten (wegen der Krankheit), abzubringen. Ich wollte ihn doch noch so lange wie möglich bei mir haben. Er hat dann nur gelächelt und gesagt: "Laß mich doch. Wer weiß wie lange ich das noch kann".
Und ich habe das Leuchten in seinen Augen gesehen, wenn er z.B. einen Teller mit Eisbein, Sauerkraut und Kartoffelbrei vor sich stehen hatte. Ich konnte nicht anders, ich freute mich mit ihm, wenn es ihm so gut schmeckte.
Nur ein kleines Beispiel von vielen. Wenn ich heute darüber nachdenke, bin ich froh, daß es noch Dinge gab, an denen er sich erfreuen konnte. Was hatte er denn sonst noch? Wie Brigitte schreibt, der Krebs zieht so viel anderes nach sich, warum soll man dann nicht das tun dürfen, was einem Freude bereitet. Es ist doch so schon alles schlimm genug.
Also Martina, laß sie das tun, was sie für richtig hält. Es wird schon das RICHTIGE sein. Bevormunde sie nicht, denn das bringt ihr nur noch mehr Streß. Sei für sie da, wenn sie möchte und freue Dich mir ihr, wenn sie sich freut, sind die Dinge auch noch so klein. Gönne es ihr, sie leidet schon genug.

Liebe Grüße
Mucki

08.02.2003, 21:04
Liebe Martina,

auch ich möchte mich den anderen anschließen. Eins möchte ich aber noch hinzufügen. Deine Fast-Schwiegermutter ist euch gegenüber bestimmt nicht unehrlich. Vielleicht ist sie sich selbst gegenüber etwas unehrlich und will das alles gar nicht so genau wissen, weil es ihr Angst macht. Oder sie kann darüber nicht sprechen, vielleicht ist es ihr unangenehm. Biete ihr doch an sie bei Arzt-Gesprächen zu begleiten. Sprich danach alles mit ihr durch. Zeig ihr verschiedene Wege auf. Entscheiden muß sie selbst, es ist ihr Leben.

Es ist schwer zu ertragen und ich wünsche dir und deiner Familie ganz viel Kraft.

Gruß Tanja