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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Karzinoid, Psyche und das Umfeld.....


Hope66
11.07.2007, 07:54
Hallo zusammen,

jetzt habe ich dieses Forum gefunden und weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.
Kurz: ich bin recht verzweifelt. Auch unsere Tochter, 11 Jahre alt, hat Krebs. Sie wurde vor einem Jahr erfolgreich operiert und wir hoffen wie alle Eltern, dass wir das ganze irgendwie schaffen.
Die Krankheit als solche ist schon ein harter Schlag gewesen; viel schwerer fällt uns aber der Umgang mit den Reaktionen in unserem Umfeld.

Wir sind mit der Diagnose nicht hausieren gegangen. Nur im allerengsten Kreis haben wir berichtet, was los ist. Und nun sind wir entsetzt, dass es offenbar niemanden interessiert, wie es unserer Tochter und uns geht. Ein Schnupfenpatient erfährt hier mehr Mitgefühl und Nachfrage.
Offenbar ist es ein Riesentabu? Ich erwarte kein Mitleid, aber ein gewisses Maß an Einfühlsamkeit gegenüber einem Krebspatienten doch schon.

Ist es wirklich schwer zu verstehen, dass das krankes Kind, Geschwister und Eltern alle 3 Monate für 2 Wochen unter enormen Druck stehen, weil wieder Untersuchungen anstehen?

Wie sollte man reagieren, wenn Familienmitglieder und Freunde einem stundenlang das eigene Leid über eine Erkältung klagen, aber sich überhaupt nicht dafür interessieren wie es dem Gesprächspartner geht? Muss ich hinnehmen, dass man mich erst gar nicht anruft, damit man nicht konfrontiert wird?

Kennt das hier jemand auch so? Gibt es sinnvolle Reaktionen? Oder bin ich vielleicht nur zu sensibel?

Ich hoffe, dass ich rüberbringen konnte, worum es mir geht und wäre dankbar, wenn mir jemand Ratschläge geben könnte.
Dass das soziale Umfeld komplett wegbricht, damit komme ich überhaupt nicht klar.

Nette Grüße,
Hope

schnaeggele
11.07.2007, 08:31
Hallo Hope,

tut mir shr leid, dass du zu allem übel auhc noch solche erfahrungen machen musst. ich denke viele wissen auch nicht umzugehen damit und man selbst ist auch sehr empfindlich. zumindest war es bei mir so. mich durfte nicht mal jemand fragen wies mir geht, da bin ich schon explodiert und habe geantwortet: "wie solls mir gehen wenn meine tochter sterbenskrank ist, bestimmt nicht gut!" also ich war auch sehr ekelhaft. nun fragt keiner mehr und ich bin zufrieden. muss sagen das ich dann aber soweit glück habe mit meinem freundeskreis und verwandten. da redet niemand über seinen schnupfen und falls dies doch mal geschieht,..die erde dreht sich um uns weiter ob wir wollen oder nicht, niemand ist so nah damit konfrontiert wie die eltern besonders die mütter, denke ich, vielleicht können viele auch den Ernst des themas nicht ganz nachvollziehen (krebs ist doch heute bereits heilbar usw.). vermeide den kontakt zu den leuten die dich mit sowas ärgern, du brauchst deine kraft nun woanders.bei mir haben z.B. auch viele angerufen um sozusagen ne sensation zu erfahren und weiter tratschen zu können,...ein baby mit krebs,...wow,....die arme frau,...diese tratschtanten habe ich dann gar nicht mehr angerufen bzw. bin nicht mehr ans telefon,... .mir helfen sowieso am meisten meine familie,auch wenn wir nur telefonischen kontakt haben können weil sie 350 km weit weg wohnt.
LG

Petra+Sarah
11.07.2007, 09:53
Hallo Hope,
ich kann dich wirklich sehr gut verstehen!!!! Mir ging es ähnlich und es geht mir auch heute noch oft so!
Ich habe mich während der Krebserkrankung meiner Tochter sehr verändert, bin wirklich ein anderer Mensch geworden. Damit konnte meine "beste" Freundin überhaupt nicht umgehen. Ich kann mit Oberflächlichkeiten nichts mehr anfangen, gehe nicht mehr Party machen und habe das erstemal in meinem Leben eine Beziehung in der ich dauerhaft glücklich bin (hab meinen Freund erst während der Behandlung meiner Tochter kennengelernt) all das waren Dinge, die man von mir nicht kannte. Letzten November hat mir meine Freundin dann nach 20 Jahren die Freundschaft gekündigt, ich hätte mich zu sehr verändert... Ich bin immer noch sehr traurig darüber.

Auch fragen Bekannte, selbst die Familie (Tanten, Onkel, Omas, Opas) kaum noch wie es uns geht. Sie sehen das es Sarah gut geht und das reicht ihnen, das man immer in der Angst lebt der Krebs könne zurückkommen das sieht keiner, bzw. es will keiner sehen...
Neulich hat sich ein Bekannter bei mir "entschuldigt" das er mich nie gefragt hat wie es Sarah geht und wie ich mit allem klar komme. Er meinte er hatte einfach Angst vor der Antwort und hätte evt. nicht gewusst wie er damit umgehen solle, wie er sich mir gegenüber verhalten solle.
Einerseits kann ich es verstehen, denn es ist schon recht schwierig die richtigen Worte zu finden, andererseits "erwarte" ich von Freunden und Familie einfach ein gewisses Interesse an uns.

Hmm, raten kann ich dir eigentlich nichts, ich habe mir aber angewöhnt, wenn ich das Bedürfnis habe darüber zu reden, dann tu ich das. Ich bin dann diejenige die es anspricht und bisher bin ich damit ganz gut gefahren.

Ich wünsche Euch alles, alles Gute.
Liebe Grüsse
Petra

Jimbo
11.07.2007, 10:26
Ich denke beide Seiten (Betroffener+Angehörige sowie Freunde+Bekannte) sind oftmals mit der Situation überfordert. Allerdings hängt das auch davon ab wie gut man sich kennt.

Als Freund/Bekannter muss man ja erstmal spüren, ob der Betroffene bzw. seine Angehörigen überhaupt über das Thema sprechen wollen. Man befürchtet ja immer, dass man auf der Gegenseite vielleicht Wunden aufreissen könnte und das der andere nicht immer an die Krankheit erinnert werden möchte.

Persönlich würde ich als Bekannter/Freund da schon nachfragen, man muss dann halt nur spüren, ob der Betroffene überhaupt darüber reden mag.

Es ist ein schwieriger Balanceakt. Man muss auch über Alltägliches und Banales reden können, ansonsten wird das gesamte Denken nur noch vom Krebs bestimmt. Ich habe zwei gute Bekannte/Freundinnen - eine mit einem ab Geburt behinderten Kind (fehlendes Kleinhirn), eine mit einem HIV-infizierten Vater (der mit dieser Krankheit nun schon 15 oder mehr Jahre lebt).
Beide frage ich öfters, aber nicht bei jedem Telefonat, wie es denn der Tochter bzw. Vater geht. Und bei der einen ist die Mutter Anfang des Jahres binnen 3 Monate nach Diagnose an einem nicht mehr näher identifizierten Primärtumor gestorben. Auch dort habe ich nachgefragt, es ging allerdings so schnell, dass ich nur 1-2x darüber gesprochen habe.

Bei guten Freunden und Bekannten interessiert mich immer "wie es geht", andererseits müssen diese aber auch signalisieren, dass sie darüber sprechen wollen.

Hope66
12.07.2007, 04:03
Lieben Dank für Eure Antworten - das tat jetzt sehr gut.

In jeder Antwort fand ich mich irgendwie auch wieder.

Ich ahnte ja irgendwie schon, dass vermutlich für die anderen Menschen der Umgang mit so etwas schwierig ist. Klar, dass nicht jeder so reagiert, wie ich es tun würde.

Vielleicht hätten wir direkt mehr wehklagen und jammern müssen....*lächelt schief.

Wir hatten uns nicht besonders verändert, schon allein um unseren Kindern keine zusätzlichen Sorgen zu machen, aber ich merke, dass jetzt langsam die Wut überkocht (also kommt die Veränderung doch;) ).
Jeder beansprucht einen für die eigenen Sorgen (und wir helfen ja auch gern), aber manchmal ist das einfach zu viel und viel zu banal.

Bei genauerer Betrachtung stellen wir vielleicht jetzt einfach nur enttäuscht fest, dass das "Höher-Schneller-Weiter-Syndrom" schon immer da war und wir noch nie dazu gepasst haben. Sozusagen das Sahnehäubchen jetzt.

Ich finde es sehr schwierig. Wenn man sich zurückzieht, dann kommen wieder andere Familienangehörige, die einem erklären, "dass man das nicht machen könne, weil es ja schließlich Familie sei". Familie nur um des lieben Friedens willen also? Oberflächlichkeiten und Egoismus habe ich schon immer verabscheut.

Wie fühlt sich denn bitte das kranke Kind, dass alt genug ist zu bemerken, dass auf Grund seiner Krankheit die Familie gänzlich zerbricht?

Jedenfalls tut es mir gut, dass ich mich hier mal ausk****** durfte und man das einfach so annimmt.

Euch allen wünsche ich weiterhin viel Kraft im Kampf gegen den Krebs und seine Begleiterscheinungen.

Liebe Grüße,
Hope

simi
12.07.2007, 09:57
Hallo,

ich kann deine Wut sehr sehr gut nachvollziehen. Während dieser schwierigen Zeit habe ich viel gelernt, auch wer wirklich zu mir hält und wer sich abwendet.

Mir ging und geht es auch heute noch so ähnlich wie dir.
Es gab Leute, mit denen konnte ich darüber reden, wiederum andere haben nur mal kurz gefragt wie es denn im Moment aussieht. Wenn die Antwort dann positiv war, Erleichterung und kein Wort mehr darüber verloren. Dann passt ja alles und man braucht auch nicht darüber zu sprechen, wozu auch ist doch alles in Ordnung. Das hat mich rasend gemacht. Andererseits verstehe ich auch diejenigen, weil sich kein Mensch in solch eine Situation reinversetzen kann.

Dann gab es noch die ganz krassen Fälle, die wirklich gar nicht nachgefragt haben, und als sie uns dann Monate später getroffen haben, war es ihnen anzusehen, dass sie uns lieber nicht sehen wollten. Da kamen dann nur banale Sachen wie "Mensch bist du groß geworden" usw., kein Wort von der Krankheit.

Ich habe mit meinen besten Freunden darüber diskutiert, warum das so ist.
Und wir haben festgestellt, die Leute wollen diese "Situation" nicht ansprechen, um bei mir keine Wunden aufzureißen. Was völlig unsinnig ist, der Krebs meiner Tochter gehört doch zu meinem Leben dazu, ich lebe jeden Tag damit und muss damit umgehen. Also ist das für mich nichts neues und wenn man mich darauf anspricht, dann erschrecke ich doch nicht und denke ach ja hoppla, da war ja mal was ganz Schlimmes...
Die Einstellung hab ich nie verstanden.

Erst letzte Woche hat eine Tante zu mir gesagt, weil wiedermal eine Untersuchung anstand: Mach dich nicht verrückt, jeder hat so seine Sorgen, denk bloß an die Menschen, die behinderte Kinder haben, die haben es noch viel schwerer.
Ohne Worte...vielleicht bin ich auch zu sensibel, ich weiß nicht. Ich fand das einfach nicht schön.

Ich hab zu diversen Leuten den Kontakt gänzlich abgebrochen, weil sie mir nicht gut getan haben. Ich habe nichts davon, wenn ich mich nur ärgern muss. Und so handhabe ich es auch heute noch. Ich bin da richtig egoistisch geworden, ich umgebe mich nur noch mit Leuten, die ich mag. Aus Pflichtgefühl oder aus Anstand mache ich gar nichts mehr. Es raubt mir die Energie.

Sorry, ist auch ganz schön lang geworden jetzt. Musst ich aber jetzt auch mal niederschreiben.

LG
Simi

daju
12.07.2007, 10:29
Hallo Hope

Auch ich habe damals nur den engsten Freunden erzählt was bei uns los ist und habe auch bei meiner besten Freundin gemerkt dass sie nicht wusste ob sie anrufen und fragen soll oder nicht. Das war nicht böse gemeint, aber sie war unsicher, wusste nicht wie damit umgehen.

Und ich kann es verstehen. Bis zur Erkrankung meines Sohnes hatte ich auch selbst keine Berührung zu Krebspatienten da wir bis dahin gottseidank keinen Fall direkt um uns hatten.

Ich dachte bis dahin auch, das wird operiert, man bekommt Chemo und dann geht das Leben wieder normal weiter. Erst als ich selbst mit dieser Diagnose bei meinem Sohn konfrontiert war habe ich erfahren was es bedeutet "eine Welt bricht zusammen", ja, ich dachte die Erde hört auch sich zu drehen und das ist das Ende. Es war wie ein böser Traum, etwas was ich bis dahin so erlebt hatte und mir nicht so hätte vorstellen können.

Ich konnte auch nicht darüber reden, wollte nach außen nicht die Angst, die Tränen zeigen.
Ich war für Freunde immer erreichbar, das wussten sie und sie durften immer anrufen und sich erkundigen, ich wusste aber auch dass sie manchmal Angst hatten nachzufragen, uns nicht "stören" wollten im Krankenhaus.

Geblieben sind wirklich gute Freunschaften und einige (unwichtige ) Kontakte sind kaputt gegangen bzw, habe ich dann abgebrochen.

Wir haben jetzt 5 Jahre hinter uns gehabt, nächsten Monat sind es 6 Jahre seit Diagnosestellung, eine ganz schön lange Zeit. Viele um uns herum, auch meine Eltern, sagen immer, das ist vorbei, da kommt nichts mehr. Das ist auch so ein bsichen der Optimismus und die Art wie sie damit umgehen und das ist okay. Ich habe diese Angst auch weiterhin und weiß dass um die Kontrolltermine alle mitzittern und auf das Ergebnis warten, auch wenn sie nicht dauernd anrufen, sie warten dann immer bis ich Entwarnung gebe.

Jeder geht anders damit um und wer diese Hölle nicht erlebt hat kann sich schwer vorstellen wie es uns oder den Kindern geht, und das akzeptiere ich.

Alles Gute weiterhin für euch
Dani