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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Traurigkeit und viele Unsicherheiten


Yunah
28.03.2008, 00:55
Hallo, ich habe mich gerade hier angemeldet, weil ich auf der Suche nach Ratschlägen nicht wirklich viel brauchbares im Netz gefunden habe - hier scheint mir ein Ort zu sein, an dem ich meine persönlichen Fragen und Gedanken loswerden kann.
Meine beste Freundin ist an Krebs erkrankt und ich weiß manchmal nicht, wie ich damit umgehen kann. Alles ist furchtbar kompliziert - das ob und wie des Kontaktes ist bestimmt von körperlichem Befinden und seelischer Verfassung.
Ich mache mir sehr viele Gedanken und würde gern mehr für sie tun, weiß aber nicht, wieviel ihr gut tut. Hier wird viel geschrieben, daß jemand, der das nicht erlebt hat, nicht nachfühlen kann, wie es ist. Aber man kann das Gefühl haben, so nah bei jemandem zu sein daß man seine Gedanken, Ängste und die Traurigkeit (fast körperlich) miterlebt.
Gleichzeitig ist sie mir so fern, vielleicht weil ich so unsicher bin. Ich weiß nicht, was ich für sie tun kann, will sie nicht nerven aber da sein, bin ganz schlecht im Zuspruch geben und will "es wird schon"-Banalitäten nicht sagen, ich schreibe Briefe, weiß aber nicht, wie ehrlich sie sein dürfen, um sie nicht weiter runter zu ziehen. Allein schon ein Telefongespräch ist so schwer - ich fühle den Schmerz aber wir reden über den Alltag - lenkt sie das ab oder findet sie es lästig und unwichtig... Wir reden auch über die Krankheit, aber mir fehlen so oft die Worte. Besuchen kann ich sie nicht ohne weiteres: 600km liegen dazwischen und als ich es anbot, wollte sie es aufgrund der aktuellen Situation nicht. Es ist auch so, daß fast jeder Kontakt von mir ausgeht und ich manchmal nicht weiß, ob ich weitermachen soll. Wenn kein Kontakt gewünscht ist, läßt sie mich das wissen und es ist okay, aber auch sonst, meldet sie sich nicht, gibt mir aber das Gefühl, daß sie sich freut wenn ich mich melde.
Ich kann all ihre Reaktionen akzeptieren, aber es tut trotzdem sehr weh, wenn man so nah dabei ist und alles weiß, aber fast eine Wand aus Panzerglas einen zu trennen scheint.
Ich bin so furchtbar traurig und habe Angst um sie, nicht nur vor dem was sie körperlich erlebt sondern besonders um die Schmerzen in ihrer Seele.

Vielleicht kann jemand schreiben, was ihm gut getan hat und was nicht, ob man solche Gedanken mitteilen sollte oder das einen Betroffenen noch mehr belastet (ich denke immer, ich habe kein Recht, sie in der Situation auch noch "damit" zu belasten, auf der anderen Seite - wünscht man sich die Offenheit vielleicht?).

Bin heute sehr durcheinander und hoffe es ist okay, daß es so lang wurde.
LG!

Mona66
28.03.2008, 10:23
Hallo Yunah
ich glaube, dass die Bewältigung einer schweren Krankheit so unterschiedlich läuft wie Menschen eben auch unterschiedlich sind. Es gibt sicher ein paar Gedanken, die für viele richtig sind und helfen. Es gibt aber auch vieles, was eben ganz unterschiedlich ist.

Ich kann also hauptsächlich von eigenen Erfahrungen schreiben... Vielleicht als Hintergrund: Mein Krankheitsverlauf ist ziemlich schlecht gelaufen, schulmedizinisch bin ich sehr früh unheilbar gewesen. Dennoch fühl ich mich seelisch relativ stabil und fahre gefühlsmässig eher wenig "Achterbahn".

Ich gehöre z.B. zu den Leuten, die daran glauben, dass man durchaus kommunizieren kann, wie man sich fühlt, so dass andere einen verstehen können. So richtig nachempfinden kann man ja nie was, was ein anderer erlebt. Man steckt halt nicht in seiner Haut. Aber man kann doch drüber reden.

Zum Telefonieren: Wesentlich für meine seelische Stabilität ist ein guter Austausch und viel Kontakt mit ganz unterschiedlichen Menschen, mit denen ich auch offen reden kann. Aber selbst bei mir ist es so, dass ich etwas weniger von mir selbst aus anrufe und dennoch sehr gerne angerufen werde. Es gab einzelne Tage, an denen ging es mir körperlich so schlecht, dass ich nicht die Kraft hatte, lange zu sprechen. Da konnte man sich natürlich auch die Telefonate sparen. Aber das konnte ich dann auch rüberbringen. Daher meine Einschätzung: Wenn deine Freundin dir das Gefühl gibt, dass sie sich freut, dann ruf weiter an. Es ist schon so, dass man durch die Krankheit erstmal mehr mit sich selbst beschäftigt ist. Wenn etwas Zeit vergangen ist und ihr Zustand stabil ist, wird sie sich wohl auch wieder eher von sich selbst aus melden. Ich würde Telefonate auch Briefen vorziehen. Warum? Weil du da mehr von den Stimmungen mitbekommst und weil einen die Krankheit mindestens zeitweise dünnhäutiger macht. Wenn in einem Brief was steht, was missverständlich ist, kann man es schlecht wieder einfangen. In einem Telefonat merkst du es schneller. Soviel vielleicht auch dazu, "wie ehrlich man in so einem Brief sein soll". Ehrlichkeit ist okay, aber wenn sie missverständlich sein könnte, auch schwierig. Daher würde ich die schwierigen Themen eher im direkteren Dialog suchen.

Dann zu der Frage "wie ehrlich kannst du sein"? Was verstehst du unter Ehrlichkeit?
Hier hängt m.E. auch ganz viel von der konkreten Krankheit ab. Krebs ist ein Sammelsurium von Krankheitszuständen. Es kann ein grausames Sterben sein. Es kann aber auch heilbar sein und ist es auch häufig. Viele Kranke kommen in einen Zustand wo sie noch eine lange gute Zeit haben mit erträglichen Einschränkungen. Viele sind lange kraftlos. Je nachdem, was die Krankheit konkret bedeutet, je nachdem sollte man auch mit ihr umgehen. Da du zu der Krankheit nichts geschrieben hast, ist es auch schwierig jetzt da genaue Tipps zu geben. Aber manche Menschen verstehen unter Ehrlichkeit den Kranken damit zuzuschwätzen, dass er ja sterben wird und es keine Hoffnung gibt... das hilft selten finde ich. Hoffnung ist auch Leben. Vielleicht sollte sie in gewissem Rahmen bleiben... und man sollte auch die Möglichkeit des Sterbens nicht völlig verdrängen, okay.

Was ich aber hin und wieder gelesen habe, ist von Angehörigen / Nahestehenden, die anfangen um die Kranken zu trauern. Das finde ich daneben. Denn die Kranken leben und sind lebendig. Trauern kann man, wenn die Menschen tot sind, keinen Tag früher. Zumindest von Erwachsenen erwarte ich das. Und ich glaube, dass auch nur das den Kranken hilft. Die Kranken leben weiter und ich finde, sie sollten auch so behandelt werden und unterstützt werden.
Dann gibt es noch die Nahestehenden, die plötzlich das erste Mal mit dem Tod und dem Sterben konfrontiert sind und das alles ganz schlimm finden. Ich denke, damit sollte jeder Mensch ein Stück weit selbst klarkommen und sich auch eine Meinung dazu machen. Zu den Ängsten, die er damit hat. Zu den Fragen, die er hat. Das hat erstmal nichts mit dem konkreten Kranken zu tun, sondern das hat was mit jedem Menschen selbst zu tun. Wenn man dann hinreichend gefasst mit dem Thema umgehen kann, dann bietet sich sicher auch die Möglichkeit mit dem Kranken darüber zu reden, der sich ja auch einige Gedanken dazu macht und sicher auch die Möglichkeit von dem Kranken zu lernen...

Nicht um einen Menschen zu trauern, so lange er lebt, heisst nicht, dass man nicht Traurigkeit empfindet, darüber dass er krank geworden ist, darüber dass er Schmerzen hat oder haben wird. Man kann über diese Traurigkeit schon am Telefon reden. Aber sie wirklich miteinander leben, kann ich mir telekommunikativ leider nur schwer vorstellen. Sowas ergibt sich am ehesten wenn man sich gegenüber sitzt und auch mal die Hand des anderen ergreifen kann. Dann können gemeinsam geweinte Tränen durchaus erleichtern und sogar zu schönen Momenten werden. Aber sowas muss sich ergeben. Biete deiner Freundin von Zeit zu Zeit einen Besuch an. Auch wenn sie dein erstes Angebot ausgeschlagen hat. Es muss nicht so bleiben, aber sie wird möglicherweise ängstlich sein, dich danach zu fragen, weil sie es schon mal abgelehnt hat. Mir haben Besuche immer sehr gut getan und ich freue mich darüber, dass mir Menschen zeigen, dass ich ihnen wertvoll bin. Ich weiss nicht, ob es Kleinigkeiten gibt, die Deiner Freundin eine Freude machen können. Wenn ja, kannst du ihr ja mal ein Überraschungspäckchen schicken. Oder auch mal einen kleinen Blumenstrauß. Ich hab mich über sowas immer sehr gefreut. Das sind für mich Streicheleinheiten für meine Seele. Oder auch mal ein schönes Foto, das ich per mail bekomme. Aber da sind vermutlich nicht alle Menschen gleich. Probier es aber ruhig aus und schau dir die Reaktion an. Wenn die Freude nicht groß ist, dann lass es wieder. Ich denke aber nicht, dass du damit etwas kaputtmachen kannst.

LG Mona

Yunah
29.03.2008, 01:45
Hallo Mona, vielen Dank für deine Lange Antwort - dein Abwägen verschiedener Möglichkeiten und das Verständnis, wie etwas ankommen könnte (auch wenn es natürlich keine Pauschallösung gibt) hat mir schon geholfen.
Wie gut, daß du mein Thema "Ehrlichkeit" noch nachgefragt hast: ich meinte nicht das in Worte fassen der Krankheit oder jemanden noch kränker reden sondern das thematisieren von MEINEM Umgang und meinem Problem damit (wie du schon sagst hat das wohl mehr mit mir als dem Kranken zu tun). Ich frage mich, "darf" ich sagen, was mich bedrückt und was ich wahrnehme oder ist das egoistisch und deplaziert...?

Du hast vieles erfaßt, was mich beschäftigt: die Endgültigkeit und Mißverständlichkeit von Briefen und die Distanz in Gesprächen. Das ist genau das, was ich vermisse: das nah sein und in den Arm nehmen können.
Der Vorteil von Briefen für mich ist, daß ich Stimmungen besser rüberbringen kann, ehrlicher und sensibler sein kann. Das gelingt mir im Gespräch nicht gut und ich fühle mich immer wie ein Holzklotz. Ich empfange, aber ich kann so schlecht senden.
Das mit den Aufmerksamkeiten als Karte, Buch oder Foto-Brief mache ich schon, aber auch da gibt es Unsicherheiten.
Meine Freundin wollte mich wohl auch gerne sehen, aber all das was ein Besuch mit sich bringt, war auf die Entfernung schwieriger umsetzbar (und einschätzbar), als wenn man nur kurz vorbeikommt, weil man in der Nähe wohnt und auch schnell wieder gehen kann, wenn es zuviel wird. Ich weiß nicht, ob sie vielleicht nicht vielleicht auch "in meinem Sinne" nein gesagt hat.
Dir vielen Dank erstmal, alles Liebe!

Ilse Racek
30.03.2008, 12:37
@ Yunah :winke:

Für einige meiner Mitmenschen war ich nach der BK Diagnose und anschließender recht heftiger Therapie möglicherweise in mancher Beziehung ein Problem :(
Obwohl nie klagend (was hilfts auch...) und stets optimistisch eingestellt, war ich wohl "zwischenmenschlich" nicht immer ganz pflegeleicht, weil ich - außer meinen Kindern, meiner Schwester und natürlich meinem liebevollen Mann - in den ersten Monaten nach der OP niemanden "um mich herum" haben wollte ;) Ich habe mich intensiv mit außerhalb lebenden Verwandten und Freunden - ganz besonders einer ebenfalls betroffenen Cousine meines Mannes - schriftlich ausgetauscht; das war für mich wie eine Art "entschlackender" Therapie :pftroest:
Freundinnen/Kolleginnen "vor Ort" haben versucht, mich regelmäßig zu besuchen, was ich - sicher ungerechterweise - als absolut belastend empfand.........
Mein Mann hat mir - auf mein Bitten hin - geholfen, solche Besuche diplomatisch abzuwenden. Trotzdem hat die Eine oder Andere mich sozusagen spontan überfallen, was mich direkt wütend machte....... Eine Kollegin "prophezeite" mir per E-Mail, dass ich mit meinem Verhalten alle Freunde verlieren würde. Ist nicht eingetreten. Im Gegenteil - es kamen per Post "SammelGuteBesserungsWünsche" der liebevollsten Art - schon ein Vorteil, wenn man in einer größeren Firma arbeitet....... :D
Ich ging dann in die SchwerbehindertenAltersRente und habe seither - noch nach 5 Jahren - nette Kontakte zu Vielen :)

Deiner besten Freundin und Dir wünsche ich alles erdenklich Gute :knuddel:

LG :winke: :winke:

Yunah
15.04.2008, 00:33
Hallo Ilse, ich wollte mich noch für deine Antwort bedanken. Ich halte auch nichts davon, jemandem etwas aufzuzwingen - dennoch ist es einfach schwer daneben zu stehen und trotzdem aussen vor zu sein, denn auch wenn man es im Kopf noch so gut akzeptieren kann, in der Seele tut es trotzdem weh.
Dir auch alles gute!

LG!