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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Mutmachen durch Lügen?


19.05.2003, 22:40
Hallo,

leider weiss ich nicht mehr weiter, meine Mutter hat Lungenkrebs, zuerst ist der Tumor geschrumpft, danach aber wieder gewachsen. Jetzt habe ich hier gelesen das man den Krebs nicht mehr besiegen kann. Meine Frage, soll ich ihr mutmachen durch eine Lüge "das wird schon wieder"? Da sie nicht weiss wie die Krankheit weiterverläuft, weiss ich jetzt auch nicht mehr wie ich mich verhalten soll, ich kann ihr aber auch nicht die Wahrheit sagen.
Ich währe sehr froh wenn ihr mir eure Erfahrungen mitteilen könntet.

19.05.2003, 22:59
Hallo Marlene,

Deine Frage ist schwer zu beantworten.....

Du schreibst, Du hast HIER gelesen, dass man den Krebs nicht mehr besiegen kann. Was sagen denn die Ärzte, die Deine Mutter betreuen? Sind sie auch dieser Meinung?

Die Menschen sind ja nun mal alle unterschiedlich. Manche möchten wissen, wie es um sie steht - andere möchten lieber nichts wissen. Zu welchen Menschen gehört Deine Mutter? Ist es ihr lieber, wenn man sie belügt - oder sieht sie lieber den Tatsachen ins Auge? Wenn Du das jetzt nicht weisst, kannst Du das vielleicht durch vorsichtiges Nachfragen in Erfahrung bringen?

Wenn Deine Mutter es wissen möchte, dann musst DU ja auch nicht diejenige sein, die es ihr sagt. Das gehört doch eher zu den Aufgaben des Arztes, der dann ja auch evtl. Fragen Deiner Mutter viel besser beantworten kann, oder?

Bei meiner Mutter war es so, dass sie genau wusste, dass sie an ihrem Hirntumor sterben wird. SIE wollte alles wissen, um sich darauf einzustellen. Dieses Wissen haben wir dann auch genutzt, um rechtzeitig noch über alles reden zu können. Aber wie gesagt - jeder Mensch ist anders.

Dir und Deiner Mutter wünsche ich alles Gute. Liebe Grüsse von
Gabi

19.05.2003, 23:03
Hi liebe Marlene,

bitte nicht diesen Standardsatz "das wird schon wieder", denn diesen Satz hören wir Krebsbetroffene oft genug. Wir wissen, wann's gelogen ist, und wann's nur ein hilfloser Trost sein soll. Zudem bedeutet dieser Satz "das wird schon wieder" nicht nur eine mögliche Lüge über die aktuelle Situation der Krankheit, ... sondern auf jeden Fall auch eine Lüge Deinerseits, denn Du WEISST doch auch nicht mehr, als die Ärzte wissen, nicht wahr?
Wie wär's jedoch zum Beispiel mit dem Satz "Ich bin für Dich da." ?

Weisst Du zufällig gerade, wie weit die Ärzte Deine Mutter über die Krankheit informiert haben? Und wie schätzt Du Deine Mutter ein: Ist sie mehr ein Mensch, der immer die Wahrheit wissen wollte, oder hat sie die Dinge gerne mal schnell verdrängt?

Und ... wie hättest Du es gerne, wenn Du an ihrer Stelle wärst?

Entschuldige, meine direkten Fragen, liebe Marlene, aber ich denke, sie sind wichtig. Andererseits muss man auch sehen, dass jeder Mensch individuell verschieden ist, denn je nach dem gibt es Menschen, die können die Wahrheit wirklich nur sehr schwer verkraften. - Daher frage ich Dich lieber zuerst.
Doch Menschen mit Krebs kann man auch nicht so schnell täuschen, das ist dann wieder die andere Seite.
Was meinst Du also?

Ich grüssele Dich herzlich
die "krasse" Brigitte

19.05.2003, 23:29
Es handelt sich bei meiner Mutter um ein
kleinzelligen Bronchialkarzinom und das Gespräch mit dem Arzt findet erst am kommenden Freitag statt.
Die Diagnose das der Tumor explosinsartig gewachsen ist, haben wir heute erfahren. Mir gruselt es schon vor dem kommenden Freitag. Wie und was der Arzt sagen wird weiß ich noch nicht und wie es meine Mutter aufnimmt auch nicht. Das entäuschte Gesicht meiner Mutter, da wir dachten der Tumor wäre wieder geschrumpft oder sogar weg, ist mir echt an die Nieren gegangen. Der Arzt sagte wenn der Tumor schrumpft hat sie noch eine hohe Lebenserwartung,
und jetzt ist er gewachsen.
Ich habe einfach nur Angst was falsches zu sagen.

20.05.2003, 00:17
Hallo Marlene,

diese Diagnose muss Deine Mutter ja auch erst mal "verdauen". Lasse ihr die Zeit dafür. Sage ihr einfach nur, dass Du immer für sie da bist, wenn sie darüber reden möchte. Du kannst sie ja auch fragen, ob sie möchte, dass Du bei dem Gespräch mit dem Arzt dabei bist. Biete ihr einfach nur jede Hilfe an, die Du ihr geben kannst. Damit kannst Du sicher nichts falsch machen.

Liebe Grüsse
Gabi

28.05.2003, 14:51
Ich würde jedenfalls nicht an "Prognosen" glauben. Wer daran glaubt stirbt in genau dem vorausgesagten Zeitraum. Wer's nicht weiß-kann nicht dran glauben-hat meine ich, die besseren Chanche die vorausgesagte Zeit einfach zu überleben. Weils er's nicht weiß kann der Monat x auch nict näher rücken. Man muß nicht jeden Tag zählen...
Auch wenn jemand behauptet er glaubt nicht an Statistiken und von Ärzten ausgesprochene Prognosen/Lebenserwartung, der hat sie doch trotzdem gehört und registriert! Ich glaube der Verstand kann sagen ich glaube das einfach nicht und lebe länger. Ich schaffe das, ich will das! Ich bin ein Kämpfer, haben schon mehr Leute geschafft!! Aber die Seele......ob die sich selber belügen kann?? Die Seele hats doch auch gehört. Und es muß mehr als ein Schock sein wenn man sowas gesagt kriegt. Das steckt keiner weg. Nie mehr! Auch wenn viele Krebskranke,die wissen wie es um sie steht, behaupten sie seien stark und auch noch lachen dabei. Ich glaube ihnen nicht. Kein Arzt der Welt sollte die Frage: Wie lange habe ich noch? beantworten. Denn er weiss es nicht-fertig! Und von wegen: Es ist doch besser den Betroffenen die Wahrheit zu sagen. Vielleicht haben sie noch einen Wunsch oder was zu erledigen von dem wir nichts wissen. Das ist doch Quatsch! Entweder man erfüllt sich seine Wünsche oder nicht. Auch ein Gesunder kann morgen sterben. Entweder man erledigt seine Sachen anständig zu Lebzeiten, versucht sich Wünsche zu erfüllen oder nicht. Was hat das mit Krebs zu tun? Ausserdem müssen sich die Angehörigen auch nicht rausreden mit:Wir mussten es sagen, wir können doch nicht so lügen.....! Ja, woher wollen die denn Wissen wie lange einer noch lebt,hä? Und hinterher erzählen sie dann: Glaub doch nicht an Statistiken und wollen ihm Mut machen. Nein danke!

Ich hoffe dass meine Familie meinem Vater niemals ein Wort sagt. Angeblich hätten sie ein schlechtes Gewissen es ihm nicht zu sagen. Aber sorry, es geht nicht darum um ihr schlechtes Gewissen zu erleichtern. Der Kranke soll schön leben können, Sorgen hat er schon genug. Er hofft gesund zu werden oder wenigstens nicht sterben zu müssen. Was soll er da Monate zählen? Und ihm gehts doch gut, hat keine Schmerzen oder sonstwas. Also wozu?

Wie gesagt: Mutmachen durch Lügen?

Jein, denn Du weisst doch nicht wie lange jemand lebt. Mit Krebs oder ohne. Also verschon Dich mit einem schlechten Gewissen! Du lügst doch nicht....
Logisch braucht man die Krankheit nicht schön reden, und man sollte auch drüber reden.

Mach's gut

28.05.2003, 22:42
Hallo, Innah,
Du sprichst mir aus der Seele. Ich unterschreibe alles, was Du gesagt hast.

Marga

29.05.2003, 09:15
Hallöchen Ihr Lieben,

... richtig, und da ist eben der Unterschied zwischen Diagnose und Prognose.

Eine Diagnose muss der Arzt dem Patienten mitteilen, weil ... jeder Patient will und muss ja auch wissen, was mit ihm los ist und wie weit seine Krankheit steht, damit er sich für allfällige weitere Behandlungen ENTSCHEIDEN kann. Hat er diese Möglichkeit nicht, gewährt man ihm erstens nicht seine Rechte, und zweitens ist's Betrug. - Wir rennen alle zu den Ärzten, wenn wir irgend ein Leiden haben, wir wollen alle wissen, WAS es ist, nicht wahr? Sollten die Ärzte es WISSEN, uns dies jedoch VERSCHWEIGEN, ... (aus Rücksicht oder wie auch immer), ... wie soll man das anders nennen, als Betrug? Denn uns wird die Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeit genommen!

Was jedoch eine Prognose betrifft, liebe Innah, so gebe ich Dir hier recht. Eine Prognose-Antwort erfolgt immer auf die Frage "Wie lange noch?", und hier kann man sich schon fragen, OB das wirklich nötig ist.

Jetzt können Ärzte natürlich eine weitere Diagnose vielleicht verschweigen wollen, weil sie so schlimm ist, dass sie eigentlich direkt einer Prognose ähnelt.
Doch hier muss man aufpassen, dass man den Überblick über den Unterschied dieser beiden Dinge nicht verliert.

Dies wollte ich hier noch erwähnen, weil ich es ganz wichtig finde.

Ich grüssele Euch ganz lieb.
die "krasse" Brigitte

29.05.2003, 11:27
Hallo ihr Lieben
Hallöchen Brigitte,

ich möchte euch da etwas aus einem Buch erzählen, das ich gerade gelesen habe. "Dem Leben trauen" von Rachel Naomi Remen.
Geschichten, die guttun.
Eines Tages sollte sie als Mitglied einer Prüfungskommision die ungewöhnlichen Heilungsprozesse von Krebskranken bewerten.
Sie hatte eine Zeitungsanzeige aufgegeben, und unter den Leuten, die ihr auf ihre Frage geantwortet hatten, hatte sich auch ein Farmer befunden, der trotz einer katastrophalen Prognose gesund geblieben war. Eines Abends erzählte seine Frau ihr am Telefon davon. Sie glaubte, dass er dies seiner Einstellung zu verdanken hatte.
"Er nahm die Krankheit nicht an", sagte sie.
Verwirrt fragte die Ärztin, ob er den Krebs verleugnet habe. Neinein, sagte sie, das habe er nicht. Er habe auf die ärztliche Diagnose lediglich genauso reagiert wie auf die Behauptungen der Bodenexperten, die seine Felder analysiert hatten. Weil sie gebildete Menschen waren, habe er sie respektiert und ihnen aufmerksam zugehört, als sie ihm die Resultate ihrer Tests vorgelegt und erklärt hatten, dass auf seinen Feldern kein Getreide wachsen würde. Er habe ihre Meinunung geachtet, dann aber zu seinem Studenten gesagt: "Meistens wächst das Getreide doch!"
Meines Erachtens spiegelt eine Diagnose eine Auffassung wieder und ist keine Prophezeizung. Was würde geschehen, wenn noch mehr Menschen die Existenz von etwas Unbekanntem zulassen könnten und sich zu den Aussagen ihrer medizinischen Experten auf dieselbe Weise verhhielten wie dieser Farmer? Die Diagnose lautete: Krebs. Was das bedeutet, bleibt abzuwarten.
`Zitatende`

Unsere Lebenskraft wird weit häufiger durch bestimmte Urteile geschwächt als durch die Krankheit.Dazu gehören meines Erachtens auch Prognosen und Statistiken. Diese Geschichte hat mich jedenfalls sehr beeindruckt.Was meint ihr dazu?

Alles Liebe

von Hedi

29.05.2003, 16:30
Hallo Hedi,

Diese Geschichte spiegelt so vieles wieder.

Ich finde, es kommt auf die Einstellung, die Lebensumstände des Einzelnen an, wie man ansetzt. Wäre ich nicht selbst einige Male vor dieser großen Entscheidung gestanden, Mutmachen durch Lügen oder Mutmachen durch Wahrheit, hätte ich wahrscheinlich nie die Bandbreite dieser Möglichkeiten regelrecht seelisch und auch körperlich erleben können.
Wie hat der Mensch seither auf "Krisen" reagiert, wie ist er damit umgegangen, sind einige der Punkte die in den ganzen Überlegungen eine Rolle spielen. Und ich bin inzwischen der Überzeugung, daß jeder Mensch spürt, ob er es zuläßt oder nicht ist eine andere Sache, was in ihm vorgeht.

Die Facetten der Persönlichkeit bestimmen die Wirkung der Auffassungen.

liebe Grüße
Jutta