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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Mutti


15.12.2003, 10:06
Meine Mutti durfte nach Hause gehen.

Mit 61 Jahren. Viel zu jung.

Heute ist es genau eine Woche her.

Sie hat sich die letzten paar Jahre so sehr auf ihr Dasein als Rentnerin gefreut,
konnte ihren 60. Geburtstag kaum abwarten, hatte für diese Zeit so unglaublich viel vor.
Der Geburtstag kam und nur einen Monat später auch die Diagnose: Leberkrebs.
Sie wollte kämpfen, uns alle nicht belasten, wir sollten uns keine Sorgen um sie machen. Sie wollte tapfer sein und alles alleine durchstehen.
Wir versuchten, Sie zu verstehen, respektierten Ihren Wunsch und.......waren verzweifelt.
Wir wollten doch alle so gerne für sie da sein dürfen...
So, wie meine Mutti immer für unsere Familie da war. Immer.
Mutti wollte diesen Weg ganz alleine gehen.
Sie baute körperlich so schrecklich schnell ab.
Dann ging es letzten Montag plötzlich so schnell...
Morgens per Notarzt ins Krankenhaus, abends ist sie für immer eingeschlafen.
So schrecklich das alles für meinen Vati, meine Schwester und mich auch war, sind wir drei so unendlich dankbar, daß wir sie begleiten durften.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei Gott bedanken.
Dafür, daß sie keine Schmerzen hatte,
daß sie nicht unnötig lange Qualen erleiden mußte,
daß wir drei diese unglaublich wertvolle Chance bekamen, sie in ihren letzten Stunden zu begleiten, bei ihr zu sein, in diesem scheusslichen Raum auf der Intensivstation.
Wir konnten uns ausgiebig bei ihr bedanken, ihr noch alles sagen, was wir sagen wollten.
Auch sagte ich ihr, wie wütend ich in den letzten Monaten auf sie war, daß sie uns im Ungewissen ließ. Und ich verzeihte ihr es.
Wir verprachen ihr, auf einander aufzupassen und ließen sie los. Wir sagten ihr, daß sie ganz beruhigt ihre letzte Reise antreten kann. Daß wir sie gehen lassen.
Es war hart, aber als wir alle mit ihr "im Reinen" waren, spürten wir einen tiefen Frieden in uns.
Wir streichelten sie, küßten sie und wärmten ihre eiskalten Hände.
Wir erzählten ihr alte Geschichten, was sie alles so mit uns erlebt hat, machten Witze und verhielten uns so, wie sie uns im Alltag kannte.
Ich stand in diesen Stunden mehrmals kurz vor einem Kreislaufzusammenbruch, mir hat es ein paarmal beinahe die Füße weggezogen.
Diese Achterbahn der Gefühle in diesen Stunden kann man nicht mit Worten beschreiben.
Ich hatte so furchtbare Angst vor der "geraden Linie" auf dem Monitor, bei jedem Alarm traf es mich wie ein Blitz.
Man steht da, beobachtet den Herzschlag auf dem Monitor und man begreift es irgendwie nicht so richtig,
was für eine große Bedeutung diese Anzeige in diesem Moment hat.
Die Ärztin sagte: "man kann nun sagen, sie hat es geschafft".
Wir umarmten uns, drückten uns, weinten und trösteten uns damit, daß sie nicht mehr leiden muß.
Dann streichelten wir noch mehrmals ihre Hände, ihr Gesicht und plötzlich war alles so friedlich. So unendlich friedlich. Wir drei spürten eine innige Verbundenheit, wie sie noch nie zuvor da war.
Das gab uns, bei denen es ja nun hier auf dieser Welt irgendwie weitergehen muß, sehr viel Kraft.
Ein ganz besonderes Dankeschön möchte ich auch an meine kleine fast 5jährige Tochter und an meinen Mann aussprechen,
die mich ganz und gar aufgefangen haben. Sie haben beide eine Meisterleistung vollbracht.
Mein Mann entlastete mich total, hielt mir ganz und gar den Rücken frei, damit ich mich ganz auf meine Trauer,
Gedanken und Gefühle konzentrieren konnte und es so auch schneller schaffen konnte, mich wieder zu fangen.
Meine kleine Maus zeichnete hinreißende Bilder von Oma, wie sie nun im Grab liegt, als Engel zum lieben Gott aufsteigt und nun ein Stern für sie leuchtet.
Sie hielt meine Hand, als ich mal wieder weinte und sagte: aber Mami, sei nicht traurig, das ist doch kein Problem - dann besuchen wir sie einfach am Grab und bringen ihr Blumen mit.
Diese Selbstverständlichkeit, mit der diese kleine Maus an diese Situation rangeht, hat mich tief berührt und gab mir Kraft. Die brauche ich nun, um für meine Familie voll da zu sein.
Ich wünsche euch allen viel Kraft und viel Mut und Trost und bedanke mich nochmal von ganzem Herzen bei Gott für die Gelegenheit, die er Vati, meiner Schwester und mir gegeben hat, meine Mutti in ihren letzten Stunden begleiten zu dürfen. Sie war nicht allein.

Danke.

Liebe Mutti, ich habe Dich immer geliebt und werde Dich immer lieben! Ich drück Dich so oft in Gedanken und es ist so schön, wenn mir Dein Geruch in die Nase steigt. Dann ist es immer für einen Augenblick so, als ob Du noch immer hier bist und als ob nichts gewesen sei.

Deine Christel

15.12.2003, 12:44
liebe christel
ich habe meine mum vor 4 tagen verloren und auch meine 5 jährige war dabei.sie hinterlässt eine grosse lücke.ich habe angst vor mittwoch.
in gedanken bin ich bei dir.
elisabeth2

15.12.2003, 13:34
Liebe Elisabeth,

ich fühle so mit Dir, ich weiß nur zu gut, was Du mit der großen Lücke meinst, es geht mir ebenso. Zu Deiner Angst vor Mittwoch möchte ich Dir noch was sagen (ich vermute mal, daß sie dann beerdigt wird):

Als ich am Donnerstag auf dem Weg zur Aussegnungshalle war hatte ich Angst, sehr große Angst. Vor dem Anblick des Sarges, des Namensschildes, der Kränze und vor meiner Reaktion darauf.
Wenige Schritte vor dem Eingang sprach ich spontan ein Stoßgebet:
"ich bestelle Kraft und Schutz"
Ohne große Anrede, Amen oder sonstwas, nur die Essenz, die aber ganz von Herzen (ich bin kein großer Freund der Kirche oder gar bibelfest, aber trotzdem glaube ich an Gott, eine Kraft oder wie man es auch immer nennen mag)
Und nur Sekunden danach geschah sowas wie ein kleines Wunder:
ich hatte plötzlich Kraft, Stabilität und war sehr gefaßt.
Ganz plötzlich. Das Herzrasen hörte auf, ich war sehr ruhig und konnte dem bevorstehenden Ereignis relativ gelassen entgegensehen.
Ich ging an das Fenster, hinter dem der Sarg und die Kränze standen, konnte mir alles ansehen und hatte sogar soviel Kraft, daß ich meiner Tante und meiner Omi beistehen und sie stützen konnte.
Seltsam.
Nur beim "Ave Maria" hab ich geheult.
Die ganze Beerdigung verlief so friedlich, ich hab mir alles so dramatisch vorgestellt, dabei war alles ruhig, sonnig, voller Licht und Frieden.
Auch hab ich mir für meine Mutti als Kranz und Sargschmuck nur Blumen gewünscht, die sie sich selbst auch auf den Tisch gestellt hätte. Es waren orangefarbene Gerbera und gelb-orange Rosen mit einer umwerfenden Leuchtkraft im Sonnenschein.
Das hat mich auch getröstet und ich war mir so sicher, daß ihr das alles gefallen hätte, wenn sie es gesehen hätte.
Versuch doch mal, Dir von ganzem Herzen die Kraft zu wünschen, die Du brauchst.
Dann wird Dir dieses kleine Wunder ebenso begegnen.
Da "oben" ist jemand, der auf Dich aufpasst, das wird Dir in diesem Moment glasklar werden.
Du schaffst es.
Ich wünsche Dir jedenfalls alle Kraft der Welt.
Ich schicke Dir für Mittwoch viele gute Gedanken.

Liebe Grüße,
Christel