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Alt 15.04.2014, 09:19
Olli-Minden Olli-Minden ist offline
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Standard Still so far to go...

Hallo liebe Forumsgemeinde,

nun bin ich also auch hier gelandet. Hier, wo ich nie sein wollte.
Seit über drei Jahren bin ich nun in diesem Forum angemeldet. Anfangs habe ich aktiv geschrieben, zuletzt jedoch nur noch hier und dort mitgelesen.

Gestern morgen um 11.20 Uhr ist meine Mutter nun nach drei Jahren Kampf gegen den Krebs verstorben. An dieser Stelle schreibe ich bewußt nicht das sie den Kampf verloren hat, denn das wäre das Eingeständnis einer Niederlage. Nein, sie hat nicht verloren. Trotz der Schwere ihrer Erkrankung, trotz Brustkrebs mit Leber- Lungen- und Hirnmetastasen hat sie dem Tod noch mehr als drei Jahre abgerungen. Bis zum Schluss bin ich an ihrer Seite gewesen und habe auch im letzten Moment noch ihre Hand gehalten. Das hatte ich ihr immer versprochen und ich bin froh mein gegebenes Wort gehalten zu haben. Meine Mutter ist so gestorben wie sie auch gelebt hat. Ohne zu klagen, ohne zu jammern und ohne dabei an sich selbst zu denken. Sie ist nun an einem besseren Ort und so wie ich sie kenne wird sie jetzt gerade aus dem Himmel auf uns, die wir zurückbleiben mussten, herabschauen und sich fragen was der ganze Trubel, der nun hier auf Erden noch um sie gemacht wird, eigentlich soll. Sie wird nicht wollen das wir um sie weinen und doch können wir nicht anders. Aber warum weinen und trauern wir eigentlich? Ist Trauer nicht im Grunde genommen ein höchst egoistisches Gefühl? Wir bemitleiden uns selbst, weil wir etwas verloren haben und eine Lücke in unser Leben gerissen wurde. Sollten wir statt dessen nicht lieber dankbar sein für die Zeit, die wir mit ihr verbringen durften und Erleichterung empfinden, dass unsere Mutter nun nicht mehr leiden muss? Ich denke sie hätte genau das gewollt. Und außerdem haben wir ja auch gar nichts verloren. Niemand kann es treffender beschreiben als Antoine de Saint-Exupéry:

"Wenn ihr mich sucht, sucht mich in eurem Herzen.
Habe ich dort eine Bleibe gefunden,
dann bin ich immer bei Euch."

In den letzten Monaten, als bereits absehbar war das meine Mutter nicht mehr lange zu leben haben würde, habe ich mich oft an meine ersten Schritte im KKF zurückerinnert. Damals habe ich hier im Forum hin und wieder auch Geschichten von Menschen gelesen, deren Angehörige schon am Ende ihres irdischen Lebens angelangt waren. Oft fanden sich in diesen Niederschriften Sätze, die sinngemäß folgendes aussagten: "Der Tod ist eine Erlösung und eine Erleichterung." Damals habe ich diese Aussagen nicht verstanden, mich gegen den Gedanken meine Mutter eines Tages gehen lassen zu müssen gesträubt und stets für mich ausgeschlossen irgendwann einmal einen solchen Satz aus eigener Überzeugung heraus zu schreiben. Inzwischen weiß ich jedoch das diese Menschen recht hatten und das es einen Punkt gibt, an dem das Loslassen leichter fällt. Es gibt nicht viele Situationen im Leben in denen man sich selbst dabei zusehen kann wie man an menschlicher Reife gewinnt. Wenn das Sterben eines geliebten Menschen auch nur im geringsten Maß einen Sinn hat, dann ist es vielleicht diese Lehre, die man daraus ziehen kann.

Von zwei Begebenheiten, die sich mir während der letzten drei Jahre besonders eingeprägt haben, möchte ich an dieser Stelle ebenfalls noch erzählen:

Dienstag, 01.02.2011

Neben meiner Mutter sitze ich im Wartezimmer der Praxis ihrer Frauenärztin. Sie hat heute einen Termin zur Entnahme von Gewebeproben. Während meine Mutter die Ruhe in Person zu sein scheint, werde ich immer nervöser. Unruhig spiele ich mit dem Schal in meinen Händen – falte ihn zusammen und wieder auseinander. Kuriose Gedanken gehen mir durch den Kopf. Wie nahe Glück und Leid in einer solchen Praxis doch beieinander liegen. Eine hochschwangere Frau und ihr Partner betreten den Raum. Auf ihren Gesichtern liegt ein glückliches Lächeln. Wenn wir in Erwartung einer guten Nachricht doch jetzt auch nur so lächeln könnten. Erneut sehe ich auf die Uhr. Schon eine halbe Stunde über die Zeit. Ich frage mich ob ich diese dreißig Minuten als Zeit der geschenkten Hoffnung oder als quälende Verlängerung bis zum Augenblick der endgültigen und brutalen Gewissheit werten soll. ... Am Abend setzt ein seltsamer Prozess bei mir ein. Trotz der Bestätigung aller bösen Vorahnungen spüre ich das ich ruhiger werde und habe das Gefühl noch nie so klar gedacht haben zu können. Die Angst und die Verzweiflung in mir weicht einer wohltuenden Ruhe. Außerdem ist da plötzlich ein tiefes inneres Gefühl von Hoffnung und Trost. Ich spüre das Gott bei mir ist, meine Seele streichelt und mir Kraft gibt. Auch das Krebsforum im Internet, in dem ich seit Sonntag viele Stunden verbracht habe, trägt seinen Teil dazu bei. Ich habe dort viele tröstende, mitfühlende und kraftspendende Rückmeldungen auf meinen Beitrag bekommen. Scheinbar kann das www mehr als nur Daten übertragen. Einige ebenfalls betroffene Angehörige haben mir angeboten ihnen jederzeit schreiben zu können, wenn mir etwas auf dem Herzen liegt. Ich bin dankbar für diese Angebote und nutze sie auch sehr rege. Das Schreiben und Lesen lenkt mich ab und die Zeit vergeht wie im Flug. Mit einigen dieser Menschen fühle ich mich bereits nach kurzer Zeit sehr eng verbunden. Und das alles ohne sie persönlich zu kennen. Wie ein ähnliches Schicksal wildfremde Menschen doch zusammenschweißen kann. Später am Abend erlebe ich dann noch einen sehr seltsamen Moment. Während ich im Badezimmer vor dem Spiegel stehe fällt mir auf das meine Nase der meiner Mutter sehr ähnlich ist. Auf was man plötzlich alles achtet...

Weihnachten 2010

Während der Vorweihnachtszeit des Jahres 2010 hatte ich auf der Internetseite eines Versandhandels nach einer bestimmten CD des britischen Musikers Chris Rea gesucht. Leider war der gewünschte Artikel zu jener Zeit nicht verfügbar. Allerdings erhielt ich die Option mich auf Wunsch per E-Mail über eine erneute Lieferbarkeit informieren zu lassen. Kurz darauf stieß ich dann auf einen Text über Chris Rea. Im Jahr 2000 war bei ihm Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert worden. Trotz schlechter Prognosen unterzog er sich einer risikoreichen und komplizierten Operation, sowie einer Vielzahl von Anschlussbehandlungen. Wider allen Erwartens hat er den Kampf gegen den Krebs schließlich gewonnen und gilt heute als geheilt.
Am 01.02.2011, einen Tag nachdem ich von der Erkrankung meiner Mutter erfahren hatte, erhielt ich eine E-Mail des Internetversandhauses mit der Nachricht das die von mir gesuchte CD wieder lieferbar sei. Sie trägt folgenden Titel:
„Still so far to go“ (Immer noch so weit zu gehen)

Diese Nachricht habe ich damals als Antwort auf mein Gebet zu Gott verstanden. Die Erinnerungsoption, die ich gewählt hatte, hatte ich schon längst wieder vergessen und so kam diese E-Mail für mich wie aus dem Nichts. In meinen Augen trug sie die Botschaft das auch meine Mutter noch einen weiten Weg im Leben zu gehen hat und das alles gut werden würde. Inzwischen weiß ich das der Weg meiner Mutter noch etwas länger als drei Jahre gedauert hat, aber in Anbetracht der bereits bei der Erstdiagnose sehr weit fortgeschrittenen Erkrankung war das mehr, als wir hätten erwarten können. Auch wenn sie am Ende nicht wieder gesund geworden ist hat mir diese Botschaft bis zum Schluss immer wieder Mut und Zuversicht gegeben.

Du bist nicht mehr hier und bleibst doch auf ewig bei mir. Du wohnst nun in meinem Herzen und in meiner Erinnerung. Ich werde Dich nie vergessen und eines Tages werden wir uns wiedersehen. Ich habe Dich lieb.


Olli-Minden

Geändert von Olli-Minden (16.04.2014 um 16:29 Uhr)
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