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Alt 24.07.2014, 17:01
Edeka Edeka ist offline
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Standard AW: Königinnenweg beim 2. Rezidiv

Liebe Birgit,
liebes Alpenveilchen,

jetzt klopft mir mächtig das Herz. Ich hab eigentlich gerade keine Zeit, keine Kraft, keine Muße, aber jetzt MUSS ich schreiben.

Also - meine Mutter ist früh durch Krebs gestorben. Sie war gerade 44 geworden, ich war 10. Meine Oma mütterlicherseits ist im Jahr vor meiner Mutter gestorben, ich war also mit dem Thema Tod und Verlust einer engen Bezugsperson bereits vertraut.

Ich habe keine Schatzkiste von meiner Mutter.
Das hat aber zur Folge, dass ich im Grunde immer und überall nach meiner Mutter suche. Ich kann nichts oder nur mit größtem schlechtem Gewissen und Leid etwas wegwerfen oder weggeben, das meine Mutter besessen hat, was sie mal in der Hand hatte. Ich sammle überall Beweise, dass sie da war, dass sie tatsächlich existiert hat.
Ich hatte ein enges Verhältnis zu meiner Mutter und habe sie sehr geliebt. Ich erinnere mich noch an ihren Geruch, an den Geschmack ihrer Spucke, wenn ich ihren Lolli weitergelutscht habe, an viele kleine Situationen, die man mit Fotos nicht einfangen kann. Meine Mutter ist jeden Tag präsent in meinem Leben. Und nein - es geht an einigen Stellen eben NICHT weiter, einiges ist damals stehen geblieben, ich bin in einer Starre, ohne meine Mutter. Sie fehlt, jeden Tag.

Weil ich als Kind mit dem Tod nicht so umgehen konnte, wie vielleicht ein Erwachsener, der von einem toten Menschen Abschied nimmt und bewusst Trauerarbeit leisten kann, auch mit der Wut über das Verlassenwerden usw. habe ich etwas anderes gemacht. Eine Psychotherapeutin meinte zu mir, dass das wohl relativ häufig bei Kindern passiert, wenn ein naher Mensch stirbt: ich habe aus meiner Mutter etwas gemacht, was sie definitiv NICHT war: etwas magisches. Weil ich nicht wusste, wohin mit dem Verlust, mit der fehlenden Nähe, habe ich meine Mutter sozusagen nicht sterben lassen.
Sie ist immer noch so präsent, weil ich sie nicht habe gehen lassen.
Und das ist gruselig.
Und außerordentlich belastend für mich.
Von dem Grusel mal abgesehen, tue ich meiner Mutter ja auch Unrecht. Ich habe also damit verbunden ein schlechtes Gewissen. Was ist das für eine schreckliche Sache? Ich habe meine Mutter geliebt, sie war meine Mutter, ein ganz normaler Mensch! Ganz ehrlich? Die Kiste hätte soo viel gerettet! Aber vor allem DAS! Natürliczh ist es traurig, die Kiste aufzumachen. Aber - es ist noch viel trauriger, keine Kiste zu haben. Und die Mutter aus lauter Unfähigkeit unfreiwillig zu einem Grusel zu machen.

So paradox es erscheinen mag, aber hätte ich so eine Kiste von meiner Mutter, dann könnte ich mir mit Hilfe der Kiste jederzeit bestätigen, dass meine Mtter ein ganz normaler mich liebender Mensch war, und kein - Grusel.

Mit diesem abrupten Verlust können Kinder eben NICHT umgehen.
Und diese Kiste hätte für mich viel weniger Grusel, als der, den ich in meinem Kopf habe. Die Kiste wäre DA, es sind ganz gewöhnliche Dinge darin, die meine Mutter mochte oder die sie mit mir verbunden hat oder was auch immer. Aber dieses - etwas - das nachts durch mein Fenster guckt, in mein Leben guckt, das ist NICHT meine Mutter, das ist der Rest meiner Unfähigkeit, mit dem frühen Tod meiner Mutter gut umzugehen.

Liebe liebe liebe Birgit, ich habe einfach drauflosgeschrieben. Das könnte für Dich schlimm sein, das ist mir völlig klar. Aber: ich WEISS (!) dass man das verhindern kann. Ich bin absolut sicher, dass ein Kind mit Hilfe Abschlied nehmen kann, so dass es nicht mehr gruselig ist. Gar nicht mehr.

(Vor 10 Jahren sind meine beiden heiß und innig geliebten Katzen in die Jahre gekommen. Das mag etwas herzlos erscheinen angesichts des Themas Tod bei einem Menschen, genauer: der Mama, aber die beiden waren lebensrettend! Sie waren meine kleine Familie. Klug und weich und höchst sensibel (und jetzt heule ich ein bißchen...) und einfach wunderbar. Ich hatte die Möglichkeit, mich ganz anders zu verabschieden und dem Tod an der Stelle seinen Grusel zu nehmen. Also - es geht auch ganz anders. Aber dafür musste ich erst groß werden. Und woanders Abschied nehmen.)

Tut mir leid, liebes Alpenveichen, dass ich Dir wiederspreche!

Meine Mutter war lange krank, bevor sie starb. Ich habe das auch mitbekommen, wir waren oft im Krankenhaus und haben sie besucht, ich habe ihr sterben miterlebt.
Ich habe mich so oft gefragt, warum sie denn nicht vorgesorgt hat. Für mich. Ich glaube, dass meine Mutter einfach nicht wusste, WIE. Und dass sie deshalb eben das gemacht hat, was ihr sinnvoll erschien.. Eine Kiste hat sie nicht gepackt. Und Briefe geschrieben auch nicht.
Es gab Gespräche über uns (ich habe noch einen älteren Bruder) mit Familienangehörigen. Ich habe davon erst mit Mitte dreißig erfahren. Und das auch nur durch sehr viel nachfragen und Recherche. Das auszuführen würde jetzt zu weit führen, aber ich bin da für Fragen.

Liebe Birgit, ich bin jetzt wegen des - es brennt - nicht auf Deine Fragen eingegangen, aber das mit dem Grusel, das ist enorm wichtig, ich wollte es ohnehoin schreiben.
Natürlich bin ich nicht ALLE KINDER, die ihre Mama verlieren, aber ich vermute ganz stark, dass das, was mir passiert ist, häufig passiert. Es gibt bei Kindern so etwas wie das "magische Alter". Kinder durchlaufen Entwicklungsstufen. Und solange die Entwicklung läuft, sind Kinder (im Idealfall) in der Obhut der Eltern. Wenn das aber eben durch so schlimme Dinge wie unsere Krankheit nicht mögloich ist, dann kann man durchaus den Kindern für die - später nachgeholte - Entwicklung etwas dalassen.

Liebes Alpenveilchen, Du sorgst Dich um Birgit. Das ist lieb von Dir! Ich sorge mich auch. Auch um Birgit. Aber auch um die Kinder. So gross, ja fast unueberschaubar, die Belastung, dem eventuellen Sterben und Kinder yuruecklassen ins Auge yu blicken auch ist, und das ist es ohne Frage, die Kinder haben ihr Leben vor sich und brauchen Hilfe.

Oje.

Das war ein schwerer Anfang.
Mit viel fliessender Liebe, auch wenn es sich vielleicht nicht so anhoeren mag.

Edeka

Geändert von Edeka (24.07.2014 um 17:03 Uhr) Grund: leider spinnt mein Rechner und schreibt statt y / da ist es wieder. Ich korrigiere spaeter.. heissgelaufen.. der Rechner.