Einzelnen Beitrag anzeigen
  #381  
Alt 04.02.2008, 21:35
Benutzerbild von Linnea
Linnea Linnea ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 18.07.2007
Beiträge: 1.337
Standard AW: Hodgkin - mein neuestes Sammlerstück

Liebe Ulli, liebe Leena, liebe Beba, liebe Elke, liebe Nicole, liebe Anja und Ihr anderen Lieben,

auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: es ist einfach wunderbar, daß es Euch gibt, daß ich Euch hier finden durfte, daß Ihr immer wieder so lieb schreibt und Eure Erfahrungen mit mir teilt! Habt vielen, vielen Dank dafür!

Gerade jetzt wieder denke ich: jeder drückt es ein bißchen anders aus, findet andere Bilder und Worte für seine Erfahrungen, jeder erlebt es natürlich auch anders, aber trotzdem ist so viel ähnliches in unseren individuellen Geschichten. Allein daß Ihr mir sagt, wie bekannt Euch manches vorkommt, tut mir so gut. Natürlich will jedes Leben mit allem, was es mit sich bringt, individuell bewältigt werden. Aber daß man sich dabei nicht wie ein exotisches Tierchen vorkommen muß, nur weil man sich selbst kaum noch wiedererkennt, macht es doch irgendwie leichter.

Ja, Du hattest mir von Deinen zwei Welten geschrieben, liebe Leena, und von Deiner verletzten, fliehenden Seele. Mir geht es auch so, daß ich die Notwendigkeit eines festen Zusammenhalts beider gerade im Fehlen dieser festen Verbindung spüre. Es ist merkwürdig, sich so auseinandergefallen zu erleben! Wie es bei mir ist, wenn Seele und Körper dagegen revoltieren, habe ich ja schon geschrieben. Tagsüber ist dann mehr diese depressive Lähmung im Vordergrund: Für die meisten Dinge, die einen Impuls verlangen, habe ich keine Energie. Ich habe hier eine kleine Azalee auf dem Fensterbrett stehen, und ich weiß, daß sie wieder gegossen werden müßte. Aber ich sitze da und schaffe es einfach nicht, mich dazu aufzuraffen. Die Zeit vergeht und dann ist wieder ein Therapie-Termin. Zu dem gehe ich, soweit funktioniere ich. Aber die Blume habe ich nicht gegossen und ich finde es furchtbar, aber dieses Gefühl reicht nicht, um mir den Antrieb zu geben. Vielleicht muß ich mit der Pfanze einen Termin vereinbaren, damit sie zu ihrem Wasser kommt?

Liebe Ina, verzeih bitte, daß ich es hier schreibe, weil es sich hier direkt anschließt: als ich vorhin bei Dir über Deine aktuelle Farbpalette las, mußte ich auch an meine Azalee denken: sie hat diese dunkelgrünen, glänzend-glatten Blätter und blüht zur Zeit in einem ganz kräftigen Pink. Einerseits ist sie so, daran gibt es nichts zu rütteln, diese Farben sind so in der Welt. Punkt. Andererseits aber wirkt sie jeden Tag anders auf mich, je nachdem, wieviel Raum für ihre Farben ich in mir schaffen kann. Auch das ist so. Punkt. Gerade weil sie so kräftige Farben trägt, kann ich sie gut als Gradmesser für mein seelisches Befinden nehmen: Manchmal schaue ich sie an und denke: Was ist das alles matt! Kraft? Woher soll ich sie nehmen? Aber es gibt auch Zeiten, wo ich merke, daß ich doch ein Plätzchen frei machen kann für ihr Leuchten, auch wenn ich es noch nicht in voller Intensität in mich aufnehmen kann. Ich wünsche Dir so sehr, daß auch Deine Farben bald wieder kräftiger werden und für Dich aus dem Grau heraustreten, weil Du wieder Raum für sie hast!

Mein Grundlebensgefühl war immer eines aus einem warmen Goldgelb, das aus ganz viel Liebe und Geborgenheit enstanden ist, die mir in meiner Kindheit geschenkt wurden. Zur Zeit ist mein Goldgelb irgendwie verschüttet, d.h. ich glaube, daß es noch da ist, nur daß die Gänge dorthin eingebrochen sind. Dort, wo die Trümmerhaufen liegen, ist die Grenze meines Fühlens. Viele Gefühle empfinde ich nur ansatzweise, weil die Gänge, die sie normalerweise durchfluten würden, kurz hinter dem Eingang blockiert sind. Aber ich bin ja dabei, Trümmer wegzutragen, denn ich möchte wieder zu meinem Goldgelb durchdringen können (klingt vermutlich alles ein bißchen gaga )

Daß ich trotz dieser Antriebslosigkeit noch schreiben kann - ja, sogar viel schreibe - erstaunt mich selbst, liebe Elke. Mir scheint, ich brauche das, um den Stand der Dinge zu fixieren. Es ist, als würde ich immer einen Schritt in die Luft machen und mir nachträglich aus den vorgefundenen Gefühlen, die ich in Worten verfestige, einen Boden schaffen, von dem aus ich mich wieder abdrücken und den nächsten Schritt in die Luft wagen kann. Manche Dinge kann ich nicht sagen, nur schreiben. Wenn ich sie einmal geschrieben habe, werden sie dann auch sagbar.

Ihr Lieben, jetzt habe ich wieder von all diesen merkwürdigen Empfindungen und Nicht-Empfindungen geschrieben, die mich zur Zeit so beschäftigen. Dabei wollte ich Euch eigentlich vor allem erzählen, daß ich jetzt eine "Schleichpartnerin" für meine Bänkelgänge gefunden habe. Es tut sehr gut, gemeinsam schleichen zu können, mit diesem Schneckentempo nicht allein zu sein. Plötzlich ist es nicht mehr so frustig, ständig von sehr viel älteren Menschen, die große Herz-Operationen hinter sich haben, überholt zu werden. Gemeinsam sind wir zwar nicht schneller, aber fröhlicher im Langsamsein!

In diesem Sinne wünsche ich allen hier einen guten Abend!
Alles Liebe, Eure Linnea
__________________
Einen Menschen zu lieben heißt:
Ihn zu sehen wie Gott ihn gemeint hat.
Liebe ist das Geheimnis der Brotvermehrung.
- Christine Busta -
Mit Zitat antworten