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Alt 31.12.2009, 22:28
Stefans Stefans ist offline
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Standard AW: Mama will nicht kämpfen...

Hallo Mona,

Zitat:
Zitat von Mona1976 Beitrag anzeigen
Das Problem ist, sie will auf keinen Fall eine Chemo machen!!! Sie weigert sich. Sie will die restliche Zeit leben und dann sterben.
(...)
Ich bin als Tochter so verzweifelt, sie möchte dass ich sie verstehe und ich kann es nicht. Ich möchte so gern dass sie kämpft. Ich weiß nicht , wie ich mit der Situation umgehen soll und kann.
Ich finde, Anja hat das sehr schön und moderat zusammengefasst: Du musst es akzeptieren. Nämlich das, was deine Mutter will.

Ich sage es mal deutlich provokanter: du musst dir m.E. überlegen, worum es dir geht - was deine Motivation ist. Geht es um dich oder um deine Mutter? (Ich verstehe, dass du im Moment verzweifelt bist. Meine Frau ist auch elendig an Krebs gestorben, nachdem wir über 20 Jahre zusammen waren. Das ist nicht schön mitanzusehen.) Wenn du schreibst "das Problem ist, sie will nicht", "sie weigert sich", "ich kann sie nicht verstehen", ich möchte, dass sie kämpft", "ich weiss nicht, wie damit umgehen"... Dann ist das völlig verständlich, das ist deine Perspektive, und die eigene Sicht der Dinge ist immer die wichtigste, weil wir nunmal nur die wirklich nachfühlen können. Aber: in all diesen statements geht es nur um dich, oder genauer: um deine Probleme mit der Krankheit deiner Mutter.

Wenn du versuchst, von deiner Betroffenheit etwas Abstand zu nehmen, ändert sich die Perspektive: deine Mutter lebt mit dieser Krankheit und den Behandlungen seit fast 5 Jahren. Sie wird Mitpatientinnen kennengerlernt haben. Sie wird die Mortalitätsrate kennen. Gut, bei Eierstockkrebs liegt die nach 5 Jahren bei unter 50%. Aber wenn die Metastasierung da und so weit fortgeschritten ist, sinken die Chancen auf Heilung rapide. Vielleicht weiss deine Mutter das? Oder sie weiss es nicht, aber bei ihr schrillen bei der Vorstellung 1. Chemo, OP, nochmal Chemo schon alle Alarmglocken. Und das m.E. völlig zu recht. Denn: SIE muss das über sich ergehen lassen, nicht du.

Und was der Arzt sagt... Ärzte sagen gerne das, von dem sie denken, das der Patient (oder Angehörige) es hören wollen. Oder das, was sie (als Nichtbetroffene) für "richtig" halten. Und eine selbstbewußte Patientenmeinung, nach der ein Restleben mit Lebensqualität (so wie deine Mutter sie sich vorstellt) wichtiger ist als ein Restleben plus x Jahre in ständiger Quälerei und Verschiebung von Klinik zu Ambulanz zu Klinik zu Ambulanz zu Klinik zu Ambulanz... die halten viele Ärzte für "falsch". Und viele Angehörige auch. Wieso trägt dein thread den Titel "Mama will nicht kämpfen..." - und nicht "Mama will ihre restliche Zeit lebenswert leben"?

Du kannst deine Mutter nicht verstehen. Völlig normal. Aber wenn dir etwas an ihr liegt, dann versuche es. Weil ihr m.E. nur so (ohne deine Besorgnisse und Befürchtungen) einen Draht zueinander finden könnt. Deine Mutter ist schwer krank, nicht du. Ihr wird es schwer genug fallen, darüber überhaupt zu reden - v.a. über eine Ablehnung der Chemo. Wenn du diese Gesprächsbereitschaft mit deinem Unverständnis und deiner Enttäuschung über ihren "mangelnden Kampfeswillen" erstickst, dann wird sie halt nicht mehr mit dir reden. Sondern das tun, was sie für richtig hält. Und nicht nur todkrank, sondern dabei auch noch einsam sein und mit den sie-will-ja-nicht Vorwürfen leben müssen.

Hat sie das verdient? Denn, bei allem Verständnis für Angehörige, darf man als Angehöriger m.E. eines wirklich _niemals_ vergessen: der andere hat Krebs, nicht ich. Der andere leidet, nicht ich. Der andere muss Chemos, OPs, Diagnostik, Klinikaufenthalte usw. aushalten, nicht ich. Kurzum: es geht nicht um mich, sondern um den Krebskranken. Der stirbt, nicht ich. Das schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass ich sein Sterben mitansehen muss, wenn er eine Behandlung verweigert (und sehr wahrscheinlich auch, wenn er der Behandlung zustimmt).

Und dieser andere, der den Krebs hat und um den es geht; der ist erwachsen, und ausschließlich er selbst bestimmt über sein Leben, sein Sterben und seinen Tod. Darüber kann ich mit ihm sprechen, ihn zu überzeugen versuchen usw., solange ich ihm keine Vorwürfe mache. Aber seine Selbstbestimmung muss ich akzeptieren, auch wenn ich seine Einstellung nicht gut heisse (aber Gott sei Dank stecke ich nicht in seiner Haut, ich darf ja gesund weiterleben!).

Als Angehöriger ist die Situation sehr schwierig - aber andererseits fallen Urteile über Dinge, die man selbst nicht durchmachen muss und nicht nachvollziehen kann, naturgemäß immer leicht. Insofern maße sich bitte kein Mensch an, einem Vogel zu erklären, wie er richtig fliegen soll. Und wann er damit aufhört. Wahre Größe kannst du m.E. ganz einfach zeigen. Indem du deiner Mutter deinen Respekt zu verstehen gibst: egal, wie du dich entscheidest - ich unterstütze dich dabei. Das geht natürlich nur, wenn der Respekt auch da ist. Und dass das nicht leicht ist, weiss ich nur zu genau.

Habe ich dir ein schlechtes Gewissen gemacht? Na, hoffentlich. Denn genau das ist es, was Petra als "Strategie" gegen deine Mutter empfohlen hat und was du übernommen hast: "Ich rede jeden Tag mit ihr, sage ihr, wie sehr ich sie brauche und ihre Enkelkinder. Sie sieht das Schöne im Leben nicht mehr." Na Klasse. Jetzt ist deine Mutter nicht nur todkrank, sondern auch noch unter Druck, weil sie ja gebraucht wird. Und darf ein schlechtes Gewissen haben, weil sie "das Schöne" (das du siehst, nicht nur, weil du nicht in ihrer Haut steckst, sondern v.a., weil du es dir wünschst) nicht mehr sehen will.

Du meinst es sicher nur gut. Aber wenn ich deine Mutter wäre, würde ich den Kontakt zu dir abbrechen mit der Erklärung, dass es nicht um dich geht, sondern um mich. Und dir sagen, dass du mich wieder besuchen kommen kannst, wenn du kapiert hast, dass es nicht um dich geht. Und dass emotionale Erpressungsversuche ala "aber ich brauche dich doch so sehr" das letzte sind, was ein schwer kranker Mensch vertragen kann.

Viele Grüße,
Stefan
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