Thema: Ignoranz
Einzelnen Beitrag anzeigen
  #3  
Alt 06.12.2008, 10:21
Rebellin Rebellin ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 06.12.2008
Beiträge: 13
Standard AW: Ignoranz

Hallo Cora
vielen Dank für Deine Worte. - Ich bin einfach sooooo wütend!

Sicherlich ist es fraglich, ob meine Freunde von jetzt auch wirkliche Freunde sind. Aber was bleibt mir anderes übrig, als mich an diese Leute zu wenden? Im Alltag meine ich. Wenn ich die nicht mehr habe, habe ich gar niemanden mehr. Dann brauche ich auch gar nicht mehr aus dem Haus zu gehen.

Beim ersten Krebs vor sieben Jahren war es genau so. Alle hauten ab. Sobald meine "Krisenzeit" dann einigermassen vorbei war, kamen wieder andere Leute, klar. So meinte ich eben auch - damals - naja, es ist ja schön, dass da wieder neue Leute sind.
Aber nun ist's eben wieder so, dass jene neuen Leute, ... genau gleich ignorant sind.
Im "Normalzustand" von Gesundheit, die man hat wenn es einem wieder besser geht, sieht man den Leuten da draussen halt nicht an, ob sie in Kriesenzeiten einem beistehen würden. Ich meine, sie schwingen doch immer so grosse Worte, jaja, dass sie jederzeit helfen würden, ich müsse sie nur anrufen! - Komischerweise hat dann aber nie einer Zeit! Und so zeigt sich dann ihr wahres Gesicht.

Weisst Du, es ist ja nicht so, dass ich dauernd und unablässig mit den Leuten über meine Krankheit reden will. Aber wenn der Moment da ist, und sie fragen, wie es mir geht, ... dann ist das doch MEIN Moment, und dann will ich doch reden können, nicht wahr?
Rede ich hingegen lange Zeit NICHT über meine Krankheit, dann ist eben alles völlig normal, und meine Krankheit wird zum Tabu. Dann hilft mir erst recht niemand. Denn dann gibt es den Krebs bei mir ja nicht. Und schon gar keine Behandlungen, bei welchen ich ein bisschen Aufmunterung und Verständnis brauche. - Ich habe es so satt, diese vergesslichen Worte hören zu müssen: "Ach ja, ... stimmt ja, du hattest vorletzte Woche Chemo!"

Im Ergebnis ist es einfach so, dass mich die dauernde Ignoranz krank macht, und weniger der Krebs! Und da bin ich rebellisch, weil ich mir das nicht gefallen lassen will. Ich will mich nicht dazu gezwungen sehen, Ignoranz zu unterstützen! Das ist für mich das falscheste vom Falschen.

Ich bin auch so eine Helfende. Dauernd. (Weil es für mich selbstverständlich ist. - Sofern ich die Kraft dazu habe, versteht sich.) Die Leute sind es gewohnt, dass ich dauernd da bin und helfe und Verständnis habe. - Vielleicht bin ich ja zu stark für sie? Unvorstellbar für sie, dass ich schwach sein könnte? - Mein Dilemma wahrscheinlich.

Wie soll ich positiver damit umgehen können, Cora? Über Verletzungen kann ich nicht lachen, die kann ich nicht positiv sehen. Keiner von meinen Leuten da draussen gibt sich etwas Mühe, sich mit der Thematik zu beschäftigen. Oder um mir mal eine Freude zu machen. Mich zu besuchen. Sie stellen nur Erwartungen an mich. Und sie sagen mir voll ins Gesicht, dass ICH keine Erwartungen haben darf.

Das ist mir einfach zu viel. Nach über einem Jahr.

Im Grunde bleibt mir nichts anderes übrig, als bei dem Tabu-Spielchen mitzuspielen. Niemandem mehr anrufen zu können (weil ja eh keiner da ist oder Zeit hat), keine Telefone erwarten zu DÜRFEN (weil es ja eh niemanden interessiert), meine Chemos im Alleingang zu machen bis zum Ende, und somit als Krebspatientin ein Trauma von Ignoranz in meiner Seele bis an mein Lebensende mitzutragen. Mir ist es somit auch verleidet, jenen Menschen noch helfen zu wollen. Insbesondere wenn sie selber mal Krebs kriegen. Dann knalle ich ihnen das selbe ins Gesicht: "Naja, damit musst du selber klarkommen. Alleine. Du darfst keine Erwartungen haben. Ich habe schliesslich meine eigenen Sörgelchen ...!"

Tut mir leid, Cora, ich bin momentan total im Frust. Und ich bin so müde, um überhaupt noch etwas unternehmen zu können. Ich mag nicht mehr raus gehen, weil ich weiss, dass meine Situation ein Tabu bleiben muss, um mich selber vor der kommenden Ignoranz zu schützen. Ich habe schon so vieles versucht. Mir so viel Mühe mit den Leuten gegeben. Freundlich. Lieb. Wütend. Weinend. Es nützt alles nichts. Ich denke ja auch immer, wenn ich es den Leuten erklären kann, damit sie es verstehen können, dann können sie besser helfen, können besser damit umgehen. Ich sage ihnen das sogar noch so: "Ich versuch es dir zu erklären, damit du besser verstehen kannst und auch besser damit umgehen kannst." - Aber je mehr ich es versuche, um so mehr ... wollen sie nicht.

Vielleicht bin ich zu direkt? Zu deutlich? Zu intensiv? Ich weiss es nicht, weil es mir ja keiner sagt. Man macht ja nur Sprüche. Und keiner gibt zu, dass er Mühe mit dem Thema hat. Nein, sie tun alle so, als wüssten sie über alles bestens Bescheid. Sie wissen sogar so gut Bescheid, dass sie mir sagen können "Hör doch auf mit dem Mist!", womit meine Behandlungen gemeint sind. Aber sie haben null Ahnung über die Behandlung. Sind nicht mit mir zusammen gesessen, um darüber zu recherchieren. Um die Vor- und Nachteile abzuwägen. Um das Beste - mit mir gemeinsam - raus zu finden.
Im Gegenteil, sie kritisieren sogar mein Urteilsvermögen.
Beim ersten Krebs habe ich keine Behandlungen gemacht. Der Krebs war zu klein, die Situation soweit zu gut. Da kriegte ich von meinen Leuten die heftigste Kritik von allen Seiten. Und weg waren sie.
Diesmal, beim zweiten Krebs, sieben Jahre später, MACHE ich Behandlungen, aber diesmal nun, kritisieren die neuen Leute diese Behandlungen, und meinen alle, ich solle sie NICHT tun (dieser "Mist"!).

Siehst Du, wie ich hier hin und hergeschoben werde? Ich kann tun und lassen, was ich will, es ist nie für jemanden recht. Und so stehe ich unter dauernder Kritik! - Für mich ist's schon recht, ich weiss genau, was ich tue, und bin mir meiner Sache sicher. Im Grunde ist es ja auch das einzige Richtige, dass es für MICH stimmen muss. - Aber verflixt, ich lebe doch nicht alleine auf dieser Welt, ich lebe in einem Kollektiv von Menschen! Ansonsten kann ich ja GLEICH auf eine einsame Insel verschwinden und dort alleine leben! (Dann würde ich es wenigstens noch verstehen, DASS ich alleine damit bin!)

Seufz. - Entschuldige, ich muss hier einfach mal alles rauslassen können. Es ist lieb, dass Du mir "zuhörst". Danke.

Rebellin

PS. Ich bin 48.
Mit Zitat antworten