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Alt 02.12.2007, 20:39
Gabriele M. Gabriele M. ist offline
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Standard AW: Die Hilflosigkeit ist so groß

Hallo,

heute schreibe ich am Rande eines Zusammenbruchs. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Grund ist mein Vater. Meiner Mutti geht es sehr schlecht - doch das wissen wir alle seit Wochen, auch dass sie sterben wird. Nur wie mein Vater damit umgeht raubt mir alles.
Am Freitag um 15.00 Uhr rief er an und fragte wo ich bleibe. Er würde seit morgens auf mich warten - ich hatte ihm aber gesagt, dass ich Frühschicht habe und daher frühestens nachmittags ins Krankenhaus kommen könne. Er sagte, ich soll schnell kommen, Mutti hat man in ein Einzelzimmer zum sterben gelegt. Sie habe auch ganz oft Atemaussetzer, es würde jetzt nicht mehr lange dauern. Ich mich sofort ins Auto gesetzt und bin losgedüst. Halbe Stunde geheult, gebetet, dass ich nicht zu spät komme und endlich angekommen. Muttis Schwester auch schon vorm Krankenhaus und mir bleibt das Herz stehen. Im Zimmer ist Mutti in einem Zustand wie immer - macht die Augen auf, grüßt mich leise und ihre Augen leuchten als sie mich sieht. Ich habe dann mit der Schwester gesprochen, sie sagte nur, dass man Mutti in ein Einzelzimmer gelegt habe, da dieses frei geworden sei und so könne mein Vater bei ihr übernachten.
Samstag bin ich schon morgens hin und wenn ich ihn ansehe zuckt er jedesmal mit den Schultern und schaut mich immer mit einer Trauermiene an. Ich bin dann gegen 14.00 Uhr wieder gefahren. Mutti hatte eine Schmerzspritze bekommen und schlief. Abends war Vati dann noch einmal bei uns und rang meinem Mann einen Besuch im Krankenhaus ab, es gehe ihr so schlecht, vielleicht überlebt sie die Nacht nicht. Also um 20.15 Uhr noch einmal 30 Kilometer fahren um meine schlafende Mutti zu sehen. Sie schlief ganz ruhig. Wir um 22.00 Uhr wieder nach Hause. Mein Bruder und mein Vater sind die ganze Nacht bei ihr geblieben. Ich sagte dann meinem Vater, dass ich gegen 10.00 Uhr am Sonntag da bin.
Ich also heute morgen hin. Vati und mein Bruder waren nach Hause gefahren. Ich habe der Schwester dann geholfen Mutti zu waschen und sie wieder anzukleiden. Obwohl es Mutti so schlecht geht habe ich gemerkt, dass sie froh war, dass ich da war. Wenn wir sie gedreht haben schaute sie mich ängstlich an als wenn sie fällt, aber wenn ich sagte, sie brauche keine Angst haben, ich halte sie ganz fest wurde sie ruhig und entkrampft. Dann bekam sie ein neues Schmerzpflaster und eine Spritze. Dies ist für meine Mutter alles eine Tortur gewesen und so hat es mich nicht gewundert, dass sie hinterher ganz erschöpft eingeschlafen ist. Dann kam Vati. Wie sieht Mutter denn aus? Guck dir mal die Augen an, sind ganz eingefallen. Jetzt ist es zu Ende. Sie atmet gar nicht mehr richtig, jetzt geht es zu Ende. Ich rufe die Jungs an, damit sie kommen. Guck dir Mutti an, das wird nichts mehr, jetzt ist Schluß. Ich bin dann aufgeregt zur Schwester. Nein, sagte die, die Atmung ist dem Krankheitsbild nach ok, sie ist nur erschöpft. Dann sackte Vati zusammen, schlug die Hände vor die Augen - ich rufe die Jungs, ich will mir nachher nichts vorwerfen ... so ging es eine ganze Zeit.
Um 13.00 Uhr kam ein Cousin von mir, der Mutti besuchte. Er hat eine enge Beziehung zu Mutti und hat seine Mutter letztes Jahr verloren. Mir hat es gut getan im Krankenzimmer mal über etwas anderes zu sprechen. Mutti habe ich gefragt, ob es sie stört wenn wir uns über Urlaub, Garten, etc. unterhalten. Sie antwortete sogar ganz ruhig, nein, nein, redet nur, ich höre zu. Also redeten wir was das Zeug hält. Nur mein Vater - ständig schlug er die Hände vor die Augen, schaute uns an als wolle er wieder sagen: sieh dir Mutti an, es geht zu Ende. Oder er wuselte an Mutti rum. Wenn sie eingeschlafen war fühlte er unter der Bettdecke, ob sie warm genug sei - Mutti war dann natürlich wieder wach. Oder er fragte sie ob sie trinken möchte, höher oder tiefer liegen möchte, sonst einen Wunsch habe, Eiswürfen zum lutschen möchte usw. usw. Irgendwann fauchte Mutti ihn dann an: lass mich doch in Ruhe. Da war er natürlich beleidigt und sass mit einer Leidensmiene im Sessel. Sogar mein Cousin sagte, es habe ihn nervös gemacht, wie Vati immer um Mutti herumwuselt.
Bei mir ist es so, dass Mutti einen Arm hebt und dann weiß ich, dass sie etwas möchte. Ich frage dann so, dass sie ja oder nein sagen kann. Wenn sie nichts antwortet ist es nicht die richtige Frage. Wenn sie auf keine Frage antwortet möchte sie nur meine Hand halten. Damit kommen wir super klar aber dieses System kann oder will mein Vater nicht verstehen.
Um 17.00 Uhr bin ich dann nach Hause. Heute Abend hat er bei uns angerufen. Mein Mann war am Telefon. Vati bat ihn, bei ihm zu Hause die Rolladen herunter zu lassen, er bleibt im Krankenhaus, Mutti würde wohl die Nacht nicht überstehen.

Nicht dass irgendwie die Meinung entsteht, ich verstehe meinen Vater nicht. Ich weiß, dass auch er Probleme mit dem Abschied nehmen hat. Auch müssen wir auf Mutti aufpassen, da die Magensonde sehr oft verstopft und Mutti dann bricht. Doch wie er es äussert ist für mich sehr belastend. Ich fahre gern zu Mutti, bin gern bei ihr, geniesse jede Minute mit ihr, aber Vati raubt mir die Freude daran. Ich kann den Satz: Es geht zu Ende, jetzt ist alles Aus, Mutti stirbt jetzt! nicht mehr hören. Heute hätte ich ihn am liebsten angeschrien und gesagt er solle endlich ruhig sein. Mutti hört alles mit und ich weiß auch, dass Mutti stirbt. Er braucht es mir nicht ständig unter die Nase reiben. Ausserdem habe ich immer das Gefühl von ihm unter Druck gesetzt zu werden. Ständig die Frage wann ich komme, wo ich bleibe, wie lange ich bleibe. Es ist ein Unterschied, ob ich etwas von mir aus gern mache oder ob ich das Gefühl habe, zu etwas verpflichtet zu werden. Und gerade jetzt, wo meine Mutti mich als ruhigen Gegenpol braucht schmerzt es mich, dass sich das Gefühl der Pflicht gegenüber meinem Vater einstellt. Ausserdem habe ich auch eine Familie die mich braucht.
Ich kann mit meinem Vater nicht darüber sprechen. Er wäre sofort beleidigt und ich habe die Befürchtung, dass es vielleicht sogar zum Streit kommt. Er lebt so in seiner Welt, Mutti zu helfen, dass er es zu 100 % übertreibt und ich weiß nicht, wie ich es ändern soll. Er lässt ja keinen an sich heran, will weder Medikamente noch Ratschläge. So ist er halt - die einzige die ihn knacken konnte war Mutti.
Diese Gefühle überschatten im Moment alles. Ich möchte gern meine Kraft für Mutti habe, möchte ihr beistehen auf ihrem schweren Weg aber mein Vater macht mich ganz fertig. Ich weiß schon langsam nicht mehr ob ich aus Schmerz um meine Mutter weine oder aus Wut über meinen Vater heule.

Hat jemand einen Rat, was ich machen kann? Habt ihr etwas ähnliches erlebt?

Gabi
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