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Alt 17.01.2008, 14:54
Fahrradklingel Fahrradklingel ist offline
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Standard AW: Glioblastom - ich hasse dich

Liebe Stella,

vieles was Du schreibst, hätte ich vor einem Jahr ganz ähnlich schreiben können.
Bei meinem Vater wurde im Dezember 2006 ein Glioblastom festgestellt, dieses wurde operiert, dann folgten Strahlentherapie - leider ein Rezidiv im März 2007 - und Chemo mit Temodal, die 9 Monaten bestens lief, bis im Dezember 2007 wieder ein Rezidiv auftrat. Gerade hat mein Vater vier Sitzungen Hypofraktionierte Bestrahlung hinter sich, und mal sehn, wies weiter geht.

Das Fiese am Glioblastom ist halt, dass man's nie komplett entfernen kann. Immer bleiben wenige Zellen übrig, die früher oder später weiterwachsen, und sehr mutagen sind, sodass früher oder später Resistenzen auf Chemotherapeutika auftreten. Ich hatte den Sommer und den Herbst gehofft, dass mein Vater das Temodal vielleicht noch jahrelang nehmen kann - dies meinten auch die Ärzte, zumal sich die Blutwerte trotz hoher Temodaldosis auf einem niedrigen aber noch gesunden Niveau eingependelt hatten - aber diese Hoffnung hat sich kurz vor Weihnachten zerschlagen. Einige Möglichkeiten für Chemotherapien bieten sich aber weiterhin, und ich hoffe dass man dem Glioblastom noch das eine oder andere Schnippchen schlagen kann.

Trotzdem gibt es - trotz der Ängste, der schlechten Prognosen, der Aussichtslosigkeit - eine faire Chance, dass man noch ein ganzes Stück beschwerdefreie Lebenszeit hat. Ich weiß, wie lakonisch das klingt, aber ich bin einfach froh, dass mein Vater dank der medizinischen Möglichkeiten das letzte Jahr nicht leiden musste, Urlaub machen konnte, Wandern und Voleeyballspielen konnte (ja autofahren auch, allerdings nicht "offiziell", daher fährt er nur kleine Strecken), Zeit mit meiner Mutter und mir haben konnte, und ich sehe das als großes Geschenk an für das ich dankbar bin.

Doch man verändert sich mit so einer Geschichte - nach dem Schock über die Diagnose, der nur langsam abebbt, sucht man sich Bewältigungsstrategien, lebt von Woche zu Woche, ist trotz einem guten MRT-Ergebnis nicht wirklich glücklich, macht halt einfach weiter weil es weitergehen muss, wird ernster, pragmatischer, grüblerischer, denkt über Begrenztheit des Lebens nach...Das ist oft der erste Gedanke mit dem ich aufwache und mit dem ich abends einschlafe. Für meinen Vater ist in diesem Jahr die Frage nach dem Tod und ob man sich wiedersieht sehr quälend geworden. Ich wünschte, ich könnte ihm über die Gepräche die wir führen hinaus, dabei helfen, aber das steht nicht in unsrer Macht, man kann vertrauen oder skeptisch sein, wissen wird man's in diesem Leben nicht.
Und auch wenn's gerade noch gut läuft habe ich Angst vor dem was kommt, vor der Zeit wo er pflegebedürftig sein wird, nicht mehr sprechen bzw. Sprache nicht mehr verstehen kann (sein Glioblastom sitzt im Sprachzentrum), vor den letzten Wochen, natürlich auch was das für das Leben meiner Mutter bzw. für mich mit sich bringt.

Ich habe mir im vergangenen Jahr viele Gedanken darüber gemacht, was meine Rolle, bzw. die meiner Mutter in diesem Kampf sein kann. Da mein Vater ein recht gelassener Mensch ist, sehe ich es als meine Aufgabe an, etwas zu tun, damit er diese Gelassenheit lange bewahren kann. Ich kümmere mich viel darum, welche Entscheidungen (zu Studien, Chemos, Medikamenten...) Sinn machen, damit er sich nicht allzusehr mit den ganzen Informationen auseinandersetzen muss, die ihn sicher mehr quälen würden, als mich. Es ist schließlich ätzend, all die Fachartikel mit ihren Studien zur Überlebensdauer zu lesen, aber man kommt nun mal nicht darum herum.

Was Deine Einschätzungen zu Tübingen angeht, kann ich Dich nur unterstützen. Wir haben da auch einen sehr guten Eindruck, die Profs sind nicht nur fachlich sondern auch menschlich sehr kompetent und lassen einen nicht alleine sitzen, selbst wenn ihre Zeit bestimmt auch sehr knapp ist. Wir haben jedenfalls immer ein offenes Ohr für Fragen gefunden.
Ärgerlich ist allerdings, dass einige Profs (z.B. Weller)mit ihren Mitarbeitern in den nächsten Wochen Tübingen verlassen werden, und an andere Unis gehn. Leute, die speziell zu Hirntumoren forschen, wird es dort dann nicht bzw. kaum geben. Ist euch das schon mitgeteilt worden?
OK, was jetzt Strahlentherapie angeht, dürfte es kein so großes Problem sein, jedenfalls was die Durchführung angeht wohl aber wenn es um die Therapieplanung und -bewertung sowie um die Teilnahme an Studien, z.B. zu Temodal und anderen Chemotherapeutika geht, oder um operative Verfahren. Uns wurde daher empfohlen, an die Uniklinik Frankfurt zu wechseln. Andere "Tübinger" gehen nach München und Zürich, je nach dem wo ihr wohnt, könnten das auch Alternativen sein.

Ich wünsche Dir (und Dir auch, Maruwi) viel Kraft und Zuversicht, und würde gern in Kontakt bleiben (wohne in Darmstadt, meine Eltern südlich von Stuttgart)

Fahrradklingel
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