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Alt 11.06.2005, 00:19
Gast
 
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Standard Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Liebe Alina,

ich will Dein Wochenende einläuten mit einem Brief zu später Stunde. Danke für Deine Zeilen.

Oft vergesse ich etwas zu schreiben, zu fragen, also beginne ich jetzt mit einer Frage. Du hast einmal von den vielen Schwestern Deiner Mutter geschrieben. Leben die alle und sind sie Dir liebe Tanten?

Ich hatte leider nur wenige Tanten, die liebste war mir Tante I. Mamas Cousine. Das Verhältnis der beiden war eng, sie stand Mama näher als ihre eigene Schwester. Unvergeßlich bis zum heutigen Tag ist mir ein Erlebnis. Ich war vielleicht Ende zwanzig, Tante I. war bei uns, sprach von ihrer Mama, meiner Großtante, die vielleicht zehn Jahre tot war, brach plötzlich in Tränen aus, ich sehe heute noch ihr traurig verzweifeltes Gesicht und höre sie sagen, ich vermisse sie so schrecklich,meine Mutti! Und ich erinnere auch sehr gut wie mich das erschrecken ließ. Alles. Daß, die für mich alte Tante I. ihre alte Mutti, die schon lange tot ist so vermißt, es sie so schmerzt. Es ist in mein Innerstes vorgedrungen und ich habe eine Ahnung bekommen wie das einmal sein wird,sein kann.

Diese Tante war fast zehn Jahre jünger als Mama. Weil wir sie beide so gern hatten, Mama und ich, und sie uns, war das eine nicht direkt besprochene Sache, aber irgendwie ein gutes Gefühl, daß sozusagen sie noch da ist, wenn Mama einmal nicht mehr ist. Es kam ganz anders. Tante I. starb plötzlich. Das war ein Jahr vor Mamas Krebsdiagnose. Ich hab Dir sicher schon einmal geschrieben, daß ich leider nur wenige Fotos von meinen Eltern habe. Es gibt aber eines von den beiden, nur drei Monate vor ihrem Tod. Mama sieht auf diesem Foto angegriffen und gezeichnet aus, eigentlich hat sie während den Jahren ihrer Erkrankung nie so schlecht ausgesehen.

Und mit Tante I.hatte ich ein eigenartiges Erlebnis. Das war bei ihrem letzten Besuch bei uns, einige Monate vor ihrem Tod. Sie war drei Wochen bei uns und wir waren täglich viele Stunden beisammen. Wir standen nebeneinander, wandten einander zu und ich empfand es, empfinde es noch heute wie ein Eintauchen in den anderen. Ob dieses regungslose, wortlose Verharren Sekunden dauerte oder viele Minuten, ich weiß es nicht. Ihre Augen waren wie immer vergißmeinnichtblau, aber ich dachte, was ist mit ihren Augen, warum wirken sie plötzlich tot? Wo ist sie? Dann war es wieder vorbei. Wir umarmten uns wie wir es oft taten, redeten, lachten.

Im vergangenen Sommer sah ich eine Frau und innerhalb von nicht einmal einer Sekunde spielte sich in mir folgendes ab: ich wollte mich auf sie stürzen mit einem Schrei, Tante I., Tante I. die Mama ist tot! Und schon flossen die Tränen.
Als ich die Frau genauer ansah war die Ähnlichkeit mit meiner Tante gar nicht groß. Es war eher die Körperhaltung.

Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht warum ich das jetzt alles schreibe. Ich wollte Dich nur mit einem kleinen Anflug von Neid fragen ob Du viele, liebe Tanten hast.

In den letzten Tagen habe ich über den Gedanken über das erwachsen werden und dem bemuttern und bevatern nach gedacht. Da ist was dran. Jemand muß es ja tun.
Ich bin noch nicht fertig mit dem Denken. Wenn was rauskommt, dann sag ich es Dir!

Vielleicht mußt Du noch eine Katze zu Dir nehmen, oder noch einen Hund?

Heute einmal eine mütterliche Umarmung von mir.
Gute Nacht
Briele