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Alt 08.06.2011, 23:45
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HeikesFreundin HeikesFreundin ist offline
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Standard AW: Glioblastom - alles furchtbar

Liebe Sabrina,

Du fragst, wie lange Heike "richtig" leiden musste.
Psychisch hatte sie unterschiedliche Phasen. Als die Ärzte ihr sagten dass sie für sie nichts mehr tun können ist natürlich klar, dass wir geschockt waren, denn uns beiden war klar dass mit dieser Aussage die letzte Phase ihres Lebens beginnen würde ...

Die wollten wir so optimal und gut verbringen für alle Beteiligten, wie nur irgend möglich - bzw ICH wollte das - für Heike und für ihre Kinder, weil ich wußte, was da auf sie zukommen würde.
Heike wollte auch erst nach Hause und die Kinder wollten das um jeden Preis auch. Ich konnte das mehr als verstehen, aber mir war bewußt, dass es für sie individuell nicht die Entscheidung war, die richtig gewesen wäre.

Heike wohnte damals in einer kleinen Wohnung im 2. Stock ohne Fahrstuhl und schon das Begleiten zur Toilette wurde schwierig, als sie noch etwas laufen konnte. Und mir war klar, dass Heike, wenn sie vom Krankentransport in ihre Wohnung gebracht würde, diese niemals mehr würde verlassen können - keinen Spaziergang mehr, kein Einkaufen mehr .... nur noch da liegen und warten auf das Lebensende.

Mir war auch klar, dass, wenn Heike dann sterben würde irgendwann die Geschwister untereinander sich wahrscheinlich Vorwürfe machen würden, dass Heike noch leben könnte, wenn nicht dieser oder jener etwas zu früh oder zu spät oder zu viel oder zu wenig gemacht hätte. Das passiert oft, wenn man den Schmerz nicht verkraftet.
Also sprach ich mit Heike ganz offen - noch im Krankenhaus - darüber, dass ich es als besser empfinde, wenn sie in ein Hospiz ginge, weil ich mir dabei gedacht habe:
- die Kinder sind keinen "Notfällen" ausgesetzt
- die Kinder können die Zeit mit Heike intensiver verbringen - und sie mit ihnen, wenn die Zeit nicht durch Pflege belastet ist, die ja nicht ohne ist
- und ich wußte (da ich selbst in dem Hospiz gearbeitet hatte), dass sowohl Heike als auch ihre Kinder die Möglichkeit des "Rückzugs" haben müssen, damit sie die Situation und die damit verbundenen Eindrücke irgendwie für sich verarbeiten können.

Nachdem ich ihr all das offen gesagt habe und ihr beschrieben habe, wie es im Hospiz aussieht und wie es dort ist, verlor sie ihre Bedenken, in - wie sie es nannte - ein "Sterbehaus" zu gehen. Sie entschied sich dafür und war in ihrer Entscheidung frei, denn ich hatte ihr versichert: wie sie sich auch entscheide - ich würde auch zuhause für sie da sein.
Also teilte sie ihren Kindern ihre Entscheidung mit und bat sie darum, sie zu respektieren. Auch Heike konnte zu dem Zeitpunkt kaum noch sprechen und hat immer wieder geweint. Sie hatte ja auch allen Grund dazu.

Das war eine Phase in der es ihr psychisch wirklich nicht gut ging, aber wer kann ihr das verdenken ...
Das war Freitags.

Am Samstag bekam ich einen Anruf vom Hospiz, dass Heike am Sonntag kommen könne. Ich fuhr nachts um halb 5 los, um den Transport um 9 Uhr begleiten zu können, das hatte ich ihr versprochen.
Auf der Fahrt wirkte sie sehr nachdenklich und ich merkte ihre Aufregung.
Wir sprachen kein Wort.

Im Hospiz angekommen, wurde sie sehr lieb begrüßt - wirklich laufen ging da nur noch mit Hilfe über 3-5- Meter und so schob die Schwester sie mit ihrem Rollstuhl durch das Zimmer, direkt auf die Terrasse. Die SOnne schien, die Mandelbäumchen blühten und wir bekamen einen Cappuccino und einen Ascher gebracht ;-)

Nach gefühlt endlos langer Zeit (es waren in echt vielleicht 5 Minuten) , in der Heike nachdenklich erschien und ich total angespannt war, sagte sie dann "ich fühle mich sauwohl hier".
Das war am 18. April letzten Jahres.

Von da an, war ich von morgens bis abends bei ihr - jeden Tag - und ihre Kinder besuchten sie. Es gab viel zu klären untereinander, zwischendurch immer wieder Tränen, denn jeder musste für und in sich einen Abschied finden.
Die traurigen Momente aber waren meist nicht so lang - es überwog eine Ausgeglichenheit. Oft gab es sogar Phasen, in der jeder zu vergessen schien, wo sie da war und auch warum. Ich weiß dass es unmöglich erscheint, aber wir hatten auch Zeiten da haben wir soooo sehr miteinander gelacht!

Am 8.5. hatten wir "hohen" Besuch von Heikes Jugendfreundin, die ich überall in Deutschland gesucht hatte - denn wir wußten nicht wie sie genau hieß. Aber Menschen mit Hirn und Seele bei verschiedenen Meldeämtern halfen wo sie konnten - und so konnte ein Treffen stattfinden. Es war einer von Heikes Herzenswünschen ihre Tina noch einmal zu sehen. Und Heike hat einen Bruder in Amerika, mit dem sie noch nie gesprochen hatte ... auch den haben wir gefunden und er sprach am Telefon mit ihr, auch wenn sie nichts mehr sagen konnte - sie freute sich.

Das war am 21. Mai.

Zwischendurch hatte Heike immer mal Kopfweh, aber das konnten sie gut behandeln mit Medikamenten.
Sie merkte dass sie schwächer wurde, nicht mehr rauchen mochte, keinen Appetit mehr hatte ... sie mochte nicht mehr aus dem Bett
und schlief viel.
Der Palliativarzt hatte bei unserer Ankunft gesagt:
"Frau M. - wenn Sie ihren Zustand oder Grübelei oder irgendetwas nicht mehr aushalten können, dann geben Sie mir ein Zeichen - dann lege ich Sie schlafen", was bedeutete, dass sie Medikamente bekam, damit sie überwiegend in einer Art Dämmerzustand war - aber auch immer wieder aufwachte. Diese Medikation bekam sie 3 Tage, genauer gesagt 2 1/2 Tage, dann machte sie sich ganz entschlossen und ich glaube bis heute, auch ganz bewußt "auf den Weg".

Also kann ich Dir alles in allem sagen:
psychisch ging es ihr öfter mal nicht so gut, wobei sie die Sorge um ihre Kinder mehr belastete als die Tatsache dass sie bald sterben wird.
Als sie merkte, dass sie das Wasser nicht mehr wirklich halten kann und eine Einlage brauchte, darunter hat sie sehr gelitten.
Die Sorge um die Kinder konnten wir in gemeinsamen "Gesprächen" weitestgehend ausräumen und so war viel Raum für Ruhe und Zeit mit ihren Kindern.

Und körperlich hatte sie wie gesagt ab und zu mal Kopfschmerzen, wobei wir dann immer schnell geklingelt haben und sie was dagegen bekam.

Das Ganze begann bei ihr mit einem Krampfanfall am 5. April letzten Jahres
und genau einen Monat später - am 5. Mai, bekam sie einen weiteren Krampfanfall. Und auch wenn ich von Beruf Altenpflegerin bin und so einiges weiß und sehe aus meiner Arbeit im Hospiz - ich war froh, dass ich den Notalarm drücken konnte und nicht allein damit gewesen bin.

Heike hat in der Zeit im Hospiz mal zum Ausdruck gebracht:
noch niemals in ihrem Leben habe sie sich so sicher gefühlt, so würdevoll behandelt und trotz aller Wut und Verbittertseins soviel Glück und Freude in sich gespürt.

Wir waren so oft mit dem Rolli unterwegs, haben uns beim E*eka um ie Ecke Eis gekauft, Sonnenstrahlen genossen, Wald und Wiesen geschnuppert, uns nassregnen lassen, am Teich gesessen und die Fische und Frösche beobachtet, auf der Terrasse gefrühstückt usw usw usw ........... das alles hätte sie in ihrer Wohnung nicht mehr erlebt.
Von den 36 Tagen im Hospiz hat Heike 31 Tage noch wirklich "gelebt" und sie selbst sagte: mehr und intensiver als jemals zuvor.

Es ist unsere Geschichte, aber ich hoffe,
dass Dir all das zu wissen ein wenig hilft.

Alles Liebe und vielleicht bis bald

Angie
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... meine Freundin Heike ist am 24. Mai 2010 mit 48 J ganz friedlich für immer eingeschlafen ...

... meine liebe Freundin Lilli44 - auch Du hast für immer Deinen Platz in meinem Herzen ...


... I`ll see you when the sun sets!!!

Geändert von HeikesFreundin (08.06.2011 um 23:50 Uhr)
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