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Alt 28.01.2013, 02:15
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HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: So schnell vorbei..

Hallo Flower,

ein Bekannter fragte mich, als ich ihn zufällig im Supermarkt traf "Wie geht es dir?" und ich habe im ehrlich und brutal gesagt: "Absolut sch.....". Er fragte mich nie mehr wieder. Er war geschockt und wusste keine Antwort mehr.

Ich hatte mich genau so wir ihr über solche und ähnliche Fragen geärgert und dachte, sag einfach die Wahrheit. Ich will nicht sagen, das speziell seine Frage damals oberflächlich gemeint war, doch meine Reaktion war einfach zu brutal. Nach diesem Ereignis habe ich mal darüber nachgedacht.

Viele Menschen haben Angst nicht vor der ehrlichen Antwort, sondern davor, wie die Antwort ausfällt. Natürlich gibt es auch viele, die diese Frage tatsächlich nicht ernst meinen. Doch das ist nicht der Punkt. Denn wirklich sofort verstehen, wie und was wir fühlen, können zunächst nur die, die selbst eine zumindest ähnlich Situation erlebt haben. Und selbst da hapert es schon. Jede Trauer ist anders.

Wenn ich z.B. mich mit euch über eure Trauer unterhalte, muss ich sehr genau überlegen, was ich sage. Ich muss dann versuchen, an meine Töchter zu denken und wie sie mit ihrer persönlichen Trauer um ihre Mutter umgehen. Meine Töchter und ich trauern zwar um den gleichen Menschen, doch aus ganz anderer Perspektive. Ich bin oft verblüfft, wenn sie mir erzählen und umgekehrt schauen sie mich oft an wie ein Weltwunder. Selbst unter Trauernden braucht man unter Umständen eine ganze Menge Empathie, um sich in die Lage des anderen zu versetzen. Verstehen und verstehen, das sind manchmal sehr verschiedene Dinge. Zum Verstehen reicht nicht immer, ähnliches erlebt zu haben. Wie schwer ist es dann erst für andere, die gleiches noch nie erlebt haben?

Als frisch Trauernde/r versteht man die Welt nicht mehr. Wieso dreht die sich weiter? Wieso versteht mich niemand? Ich trauere doch, das muss doch jeder sehen, wissen und verstehen? Ich trauere doch, hab das Liebste verloren? Wieso hilft mir niemand?

Hm ... ich weiß jetzt nicht recht, wie ich das ausdrücken soll. OK, ich versuchs. Die Trauer ist für uns der absolute Mittelpunkt. Sie beherrscht alle Bereiche unseres Lebens. Sie trifft uns morgens beim Aufwachen, bei fast jeder Verrichtung am Tag, beim Einschlafen und sogar in unseren Träumen. Alles dreht sich um unsere Trauer ... für uns ... nicht für die Anderen. Um es beim Namen zu nennen: wir fühlen uns als Nabel der Welt. Daß dem nicht so ist, das müssen wir erst mühsam verstehen lernen. Jeder für sich und auf seine eigene Weise. Ich möchte damit niemand auf die Füße treten, nur, so ist meine Erfahrung nach fast 5 Jahren.

Was soll man also tun? Zum ersten, sich mal selbst hinterfragen: wie habe ich das früher gemacht als ich selbst noch keine Ahnung von Trauer hatte? Zum zweiten, meine Gefühle (speziell der Trauer), wie kann ich sie nach außen kommunizieren, daß mich andere auch verstehen? Das muss jeder für sich selbst herausfinden. Nicht leicht, ich weiß. Das dauert. Die eigenen Gefühle zu einem anderen Menschen zu transportieren, daß dieser sie auch versteht, ist sehr schwer. Zumal so ein starkes Gefühl wie die Trauer und oft läuft man damit gegen eine Mauer.

Eines weiß ich ganz genau. Hätte ich nach der Geschichte von oben, nach anfänglich gleicher Reaktion wie hier gelesen, alle Menschen, die mir diese oder ähnliche Fragen gestellt hatten, über einen Kamm geschert und sie für oberflächlich oder schlimmeres erklärt: ich hätte so manche Chance verpasst. Die Chance nämlich, unter den 100 Oberflächlichen den/die Eine/n zu finden, der oder die tatsächlich den Mut hatte, sich auf meine Trauer einzulassen und es auch getan hat. Und ich wurde fündig. Worüber ich sehr glücklich und sehr dankbar bin. Erstaunlicherweise waren es viele. Viele davon waren sogar mir vorher Fremde und das kam oft unvermittelt.

Ich sage nicht, daß das alles leicht ist. Auch nicht, daß du das sofort verstehen musst. Mir reicht es, wenn du darüber nachdenkst. Die Entscheidung musst du selber treffen. Das sind nur meine Erfahrungen und Gedanken.

Zu deinen Zweifeln an dir selbst. Wer weiß schon, was Trauer heißt. Mich eingeschlossen. Ich hatte vorher nicht mal eine Ahnung. Lass dich nicht in ein Korsett zwängen. Weder von anderen, noch von dir selbst. Vor allem nicht von dir selbst. Das Grab deiner Mutter muss dir kein Anlaufpunkt sein. Deine Mutter ist überall, wo auch du bist. Du musst sie nicht suchen. Auch ich gehe nicht oft auf den Friedhof. Ich muss nicht da hin, um zu trauern. Das kann ich überall, denn ich hab Myriam im Herzen. Genau da findest auch du deine Mutter. Schau hin. Konventionen sind was für die, die nicht nachdenken sondern nur auf andere schauen, was die so machen. Habe Vertrauen in dich. Du findest deinen Weg. In dir selbst. Da bin ich mir sicher.


Ich drück dich,

Helmut
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