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Alt 07.03.2010, 01:38
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Ariadne Ariadne ist offline
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Standard Ich kann ohne dich nicht leben

Euch, die Ihr Leo so liebevoll begleitet habt, danke ich für alles.
Dieses Forum und der Gedankenaustausch und Zusammenhalt ist für ihn sehr wichtig gewesen, streckenweise nahezu etwas Unverzichtbares. Einer der wenigen gebliebenen Kontakte nach außen.
Die Besuche bei Onkodoc waren die wöchentliche Kraftprobe, auf die er bis zum Schluss tapfer, und bis auf eine Ausnahme ohne Sauerstoff, bestanden hat. Und wenn ich schon von Kraftproben rede, denke ich daran, mit wie viel Energie er es jeden Morgen geschafft hat sich selber zu waschen, mit allem was dazugehört. Und Leo war reinlich wie ein Kater. Haare waschen, Bart stutzen, ein bisschen Gucci links und rechts gehörten zum täglichen Programm. Diese verflixte Luftnot wollte ihn so manches Mal daran hindern auszuführen, was ihm ein wichtiges Bedürfnis war, ein Wunsch, der nicht aufgegeben werden durfte, eine Messlatte des Täglichen: …was kann ich noch?
Natürlich stand ich über ein Babyphon ständig in akustischem Kontakt mit dem Badezimmer; Sauerstoff und Rollstuhl einsatzbereit, falls notwendig. Es war ein Leichtes jeden Atemzug gedanklich abzutasten. Aber wir hatten Glück. Bis auf ein einziges Mal war kein Einsatz von mir erforderlich. Er wollte sich beweisen, dass er auch mit dem bisschen Luft etwas schaffen konnte, so wie er es wollte.
Er hatte einen starken Willen, mein Leo. Sein Wille war wohl leise, aber er war stark.

Nun – und dann ging es zum Frühstück. Eine tägliche Zeremonie, mit der jeder Tag beginnen sollte.
Ich konnte meinen Einfallsreichtum steigern, und er hatte seine Freude daran….

Und dann kam der 7. Februar, ein Sonntag natürlich, Frühstückszeit und Leo konnte seit einem Tag nicht zur Toilette gehen. Krankenhaus Ambulanz angerufen: „Wir sind voll mit Knochenbrüchen, können sie nicht bis Montag……..?“ Glatteis in unserer Großstadt verursachte einen Notstand. Nein, ich konnte nicht bis Montag warten.
Onkodoc angerufen: „Was ist zu tun?“ „Nierenversagen, das ist ein Notfall.“
Und so umgingen wir die überfüllte Ambulanz und wurden auf der Station liebevoll aufgenommen.
Wir bekamen ein Zimmer für uns und ich ein zusätzliches Bett darin. So hatten wir wieder unser Zuhause. Dieses Zuhause, das ich versprochen hatte, vor vielen Monaten und welches nach Schwester Joanna in unseren Herzen liegt und nicht in der Örtlichkeit.

Wir hatten so noch viele Stunden mit uns und in uns, zwischen Sein und Nichtsein, zwischen Wirklichkeit und Unwirklichkeit. Ich habe ihn in dieser Zeit nur für einen kurzen Moment verlassen, um von der geliebten Pflaumenmarmelade zu holen, die er sich gewünscht hatte, für eine der uns noch verbleibenden Frühstückzeremonien - von der Marmelade, die ich von allen möglichen Früchten eingefroren habe, und die von einer Köstlichkeit ist, von der mein geliebter Gourmet nie genug bekommen konnte. Dieses eine Mal wurde das Brötchen in lauter kleine Stückchen geschnitten, einer bisher noch nicht gehabten Variante…..

Wir hatten dieses Miteinander vier Tage und Nächte, und heimlich begleitet von der Illusion doch bald wieder heim zu kommen.
Mein Bett, nahe an seines heran geschoben, ermöglichte es mir auch nachts seine Hand halten zu können, auf jedes Geräusch zu horchen, zu streicheln, ins Ohr zu summen, zu erzählen, zu versprechen, zu flüstern: „liebst du mich?“, zu horchen: „das weißt du doch, zweifle nie daran.“
Manchmal ein Schatten – die Nachtschwester; beruhigend sie um uns zu wissen. Kompetent mit unserer Situation umgehend und unendlich liebevoll.
Und ich hatte mein Laptop mitgenommen, um ein wenig zu arbeiten, ein Termin drängte und auch vielleicht um Alltägliches zu simulieren.
Das Zimmer abgedunkelt und ich starre auf den hellen Bildschirm. Hinter mir das vertraute Geräusch von Leo, bedingt durch die Luftnot und das Sauerstoffblubbern, lässt meine Gedanken abschweifen: ……..So könnte es doch ewig bleiben, Leo dort in dem Bett, und ich arbeite hier am Computer. Ich könnte aufstehen, ihn streicheln, anfassen, fühlen und wieder weiterarbeiten……., das ginge doch! Bitte – lass es doch so gehen – du dort oben!
Ich klappe den Schleppi zu, trete an Leos Bett, halte seine Hand, wieder summen, erzählen, streicheln, versprechen – aber keine Antwort. Die Schwester gibt mir zu verstehen, dass Leo in dieser Nacht sterben wird. Woran sieht sie das? Ich kann nichts erkennen.
So bleibe ich dort stehen, über Stunden. Er sieht so friedlich aus. Er bekommt schon den ganzen Tag eine geringe Dosis Morphium. Die Luftnot ist so, wie sie immer gewesen ist, nicht mehr und nicht weniger, hat nichts Beängstigendes. Ab und an lege ich mein Ohr auf seine Brust, das Herz schlägt schnell und stark. Es ist ein junges Herz, das ihm vor drei Jahren transplantiert wurde. Es wird nicht so schnell aufgeben, denke ich mir. Er nannte es immer stolz „el torro“ und el torro kämpft, aber Leo scheint dabei ganz ruhig.
Meine Tränen tropfen auf seine Wangen, aber er spürt es nicht mehr und irgendwann gibt el torro auf, der Herzschlag wird ruhiger, langsamer und verlöscht schließlich, und ich weiß, dass ich Leo verloren habe.

Mit der Nachtschwester, sie heißt Anna, erweisen wir ihm den letzten Liebesdienst, das heißt waschen, einölen, ankleiden und schmücken. Anna sagt, ich sei tapfer.
Ich bleibe lange in dem Zimmer, liebkose seine Wange, hauche letzte Bussis hier und dort hin – es ist nicht unangenehm, ein wenig kühl. Ich denke dabei an ein Lied aus meinen Schultagen „Die zwei Königskinder“, und dass sich diese Geschichte wiederholt hat, wie es meine Freundin vor vielen Monaten gesagt hatte: „Ihr seid wie die zwei Königskinder.“

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Geändert von Ariadne (09.12.2011 um 22:26 Uhr) Grund: Foto wieder hochgeholt.
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