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Alt 11.03.2015, 09:00
Wind Wind ist offline
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Standard AW: CUP - Neuroendokrines Karzinom

Ihr Lieben,

mal wieder ein Bericht von unserer Kampffront.
Nachdem mein Papa am Donnerstag ja diese merkwürdigen Blutungen hatte, wollte er abends noch duschen. Das war keine gute Idee. Duschen klappte ganz gut … dank Duschlift. Dann wollte er sich alleine rasieren und dabei ist er dann zusammen gebrochen. Zum Glück stand mein Bruder hinter ihm und konnte den Fall der 115kg halbwegs abfedern, bevor er auf den Fliesen aufschlug. Ein Schreck für alle. Nach ein paar Minuten kam er dann wieder zu sich und Mama und Bruder haben ihn dann unter größten Anstrengungen wieder ins Bett gebracht. Zum Glück war mein Bruder da noch da. Seitdem steht er auch nicht mehr auf. Mama macht ihn morgens fertig … kurz aus dem Bett, auf den Klostuhl, dort dann auch gleich waschen und wieder zurück ins Bett. Danach ist Papa fix und fertig und benötigt gleich einen Bonus aus der Schmerzpumpe. Und er schläft immer mehr. Vormittags eigentlich nur, zum Mittag weckt die Mama ihn, dann isst er eine Kleinigkeit und trinkt was, dann schläft er, gegen vier weckt sie ihn wieder, dann gibt es Kaffee, dann schläft er, wird zum Abendbrot geweckt und ab dann hat Papa eigentlich eine wache Zeit. Aber Mama sagt, er redet nicht mehr. Sie sabbelt ihn voll und er sagt nichts. Auf ihre Nachfrage meint er nur: “Was soll ich denn sagen?“ Es ist gerade eine schlimme Zeit für die Mama. Sie hat das Gefühl, dass die Zeit verrinnt und sie beide diese verbleibende Zeit gar nicht mehr nutzen. Sie ist so traurig und verzweifelt. Aber Papa hat ja auch irgendwie recht … was soll er denn sagen ? Mama fragt sich andauernd, ob sie alles richtig macht und sie will doch, dass es ihm gut geht. Aber er spricht nicht mehr wirklich mit ihr. Wir führen ewig lange Telefonate und ich versuche sie aufzubauen. Aber meine Worte rauschen an ihr vorbei und am nächsten Tag reden wir wieder über das Gleiche … und ich antworte das Gleiche … und am nächsten Tag wieder. Am Sonntag lag ich richtig flach mit einem fetten grippalen Infekt, hatte keine Stimme und habe den ganzen Tag so vor mich hingedämmert und auch nicht angerufen. Ich hatte an dem Tag einfach keine Kraft, wieder so ein Gespräch zu führen. Am Montag bekam ich dann gleich die Quittung … Vorwürfe, ich würde mich nicht für sie interessieren und schließlich müsste sie die ganze Zeit beim Papa sein und wir wüssten ja gar nicht, wie das ist und wären weit weg. Das reibt so an den Nerven … ich kann damit auch nur noch bedingt umgehen, weil ich auch kurz davor bin am Rad zu drehen. Ich übertrage das dann alles auf meine kleine Familie und bin einfach nur noch unausstehlich. Das Schlimme ist, dass ich selbst merke, wenn ich so ungerecht bin und werde. Aber ich kann nichts dagegen tun. Es tut mir selbst weh, wenn ich so bin, aber ich kann nicht aufhören. Es ist wie ein Ventil, welches sich öffnet. Was für eine beschissene Zeit! Und wenn ich dann beim Bernsteinketterl lese und sehe, wie schlecht es da geht und wie schrecklich sich der Papa verändert hat, dann denke ich mir, dass ich doch eigentlich noch ganz gut dran bin. Mein Papa spricht halt nur einfach nicht mehr, aber er ist friedlich und freundlich zu uns. Und dafür sollte ich dankbar sein, aber nein … was wird aus mir … ein ungerechter Stinkstiefel.
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