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Alt 21.12.2005, 16:56
Barbara 64 Barbara 64 ist offline
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Standard AW: Zwei Jahre danach...

Nachdem die Infusion durchgelaufen war und ich die Kanüle wieder zu hatte, wolltest Du unbedingt aufstehen... Wir hatten zu dritt alle Mühe, Dich im Bett zu halten, abwechselnd waren wir bei Dir, Lippen feucht halten, aufdecken, zudecken... viel konnten wir nicht tun... schlucken konntest Du nicht so gut, also haben wir ein Infusionsset umgebaut, das ging recht gut, und immer wieder Deine Versuche, die Beine aus dem Bett zu kriegen... Ach, Mama... Du hast mir so leid getan, und ich habe das Sanitätshaus verflucht. Wenn wir das Pflegebett schon gehabt hätten, hättest Du wenigstens unten liegen können, mit Blick in Deinen Garten...

Mittags dann Dein letzter energischer Moment... völlig unvermittelt hast Du auf die Frage, ob Du nicht doch mal was trinken willst, gesagt 'ich will jetzt Capuccino'... wir haben alle sehr gelacht, für einen kleinen Moment war die Anspannung ein bißchen gelöst... und natürlich hast Du Deinen Capuccino bekommen, leider konntest Du ihn kaum trinken, nur ein paar Tropfen...

Nachmittags kam Dein Arzt nochmal, mittlerweile hattest Du 'aufgegeben', unbedingt aufzustehen... Er fragte mich, wie das jetzt weitergehen solle. Er hatte mit Deinem Onkologen gesprochen, Du könntest in ein Krankenhaus, rein palliativ, keine Lebensverlängerung, nur Erleichterung, und ich könnte auch die ganze Zeit dableiben... Du wolltest in kein Krankenhaus mehr, also würde ich Dich auch in keines bringen. Er hat mir trotzdem eine Einweisung geschrieben, für alle Fälle, und meinte, ich solle nochmal in seine Praxis kommen. Als ich dann später ging, hast Du die anderen ziemlich genervt... wo ich sei, wann ich denn endlich komme...

In der Praxis hat er mir dann ein Päckchen Morphiumpflaster in die Hand gedrückt, falls Du Schmerzen bekommen würdest, sollte ich die aufkleben, es spiele keine Rolle mehr, wie viele, Hauptsache schmerzfrei. Er würde bis zum nächsten Tag abends erreichbar sein, dann nicht mehr. Er meinte, spätestens am Wochenende würdest Du gehen... Als ich schon auf dem Weg raus war, fragte er mich, ob ich schon einmal beim Tod eines Menschen dabei war. Nein, war ich nie... wollte ich auch nie... wollte ich auch damals nicht... wer will das schon. Er hat mir gesagt, wie das sein kann...

Ich bin dann wieder zu Dir gegangen, Du warst sehr müde und sehr unzufrieden... wo war ich denn die ganze Zeit... zum Glück konnte ich eine Apothekentüte vorweisen, Betteinlagen... was hätte ich Dir denn sagen sollen...

Abends habe ich dann Dein Patenkind angerufen, sie wollte am nächsten Tag vorbeikommen... ich hatte das Gefühl, daß das zu spät sein würde, um mit Dir zu reden... Sie kam sofort vorbei, ihr habt ein bißchen geredet, sie hat ein bißchen geweint...

Ich lag mit Dir in Deinem Bett, und urplötzlich sagtest Du 'jetzt muß ich sterben'... Totenstille im Raum... und ich höre mich noch heute sagen 'ja, Mama, das ist wohl so... willst Du hier bleiben, in Deinem Bett ? wenn Du das willst, dann schaffe ich das auch' und Du sagtest 'ja'...
Du warst sehr unruhig, und irgendwann in der Nacht habe ich Dich wieder mal gefragt, ob Du Schmerzen hast... Du sagtest 'Barbara, Du mußte nicht mehr mit mir sprechen, ich bin doch tot'... Nein, das warst Du nicht, Du warst zwischen den Welten, nicht mehr ganz hier und noch nicht dort. Und das habe ich Dir auch gesagt... und Dich gefragt, ob Du Dich darauf freust, Deine Eltern wiederzusehen...
Nach einer Zeit hast Du mich weggeschickt, ich solle schlafen gehen, ich sei müde und müsse schlafen... Und so bin ich auf mein Lager, Con lag in einem Sessel am Fußende, und meine Freundin auf dem Boden vor Deinem Bett, damit Du nicht rausfallen könntest. Sie würden mich wecken, wenn nötig...


Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
Auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wolken schweben
Und schwinden wir.
Und messen unsre trägen Tritte
Nach Raum und Zeit;
Und sind (und wissen's nicht) in Mitte
Der Ewigkeit...

Johann Gottfried Herder

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