Thema: Stammtisch
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Alt 15.03.2007, 20:53
AndreaM AndreaM ist offline
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Standard AW: Stammtisch

Hallo Ihr Lieben ,

ich glaube, ich sehe hier gerade die Schwierigkeiten eines virtuellen Stammtischs. Den Witz habe ich zwar verpasst, aber ich denke, das ist nicht wirklich wichtig. An einem realen Stammtisch hätte vielleicht auch jemand einen Witz gemacht, ein paar hätten gelacht, ein paar die Augen verdreht und das Gespräch wäre einfach weitergegangen. Wäre die Stimmung in diesem Moment gedrückt gewesen, es hätte keinen Witz gegeben. Ganz einfach. Wenn einem jedoch beim Lesen etwas unangenehm aufstößt, kann man seinen Ärger erst so richtig aufbauen.

Wegen ein paar Misstönen gleich den ganzen Stammtischgedanken in die Tonne treten? Nein, ich denke, das möchte niemand. Auch hier wird es - wie im realen Leben - nicht möglich sein, immer nur Harmonie und Sonnenschein zu haben. Und - auch ich habe sofort hier geschrieben, als ich selbst ein echtes Lachen nach Monaten der Dunkelheit erlebt habe. Auch ich wollte es teilen, wollte vielleicht ein Wenig Hoffnung geben, dass das Lachen nicht ganz verloren ist.

Es ist nicht leicht immer den richtigen Ton zu treffen. Andrea, Du kannst das irgendwie - aber ich selbst bin mir da auch oft nicht sicher. Ich sehe, welche dahingesagten Sätze verletzen. Ich sehe doch an mir selbst wie ich einmal auf einen Spruch negativ reagiere, in einer anderen Situation lache ich mit. Wie kann ich von meinem Umfeld erwarten, dass dieses wirklich so sensibel ist, das zu wissen? Wenn ich es selbst im Voraus nicht sagen könnte? Und - mal ganz ehrlich - die unglückliche Single-Frau ist auch tief getroffen über Sprüche à la "gehen sie mit ihrem Mann auch so um" - und kann kein "Recht" für sich in Anspruch nehmen, man möge in ihrer Gegenwart so etwas nicht sagen.

Ich hatte kürzlich ein Aha-Erlebnis, als ein Kollege mir erzählte, dass seine Frau nach dem Tod ihres Vaters plötzlich für ihn so unverständlich reagiert. Sie stellt ihr ganzes bisheriges Leben in Frage, einmal will sie über ihren Vater sprechen, am nächsten Tag weist sie ihn ab wenn er das Gespräch sucht. Sie reagiert sehr empfindlich auf für ihn (und für sie vermutlich auch) bisher belanglose Dinge. Heute möchte sie trauern, seine Aufmunterungsversuche sind unwillkommen, morgen möchte sie abgelenkt werden und empfindet seine Anteilnahme als Belastung. Ja, ich konnte ihm sagen, all das habe ich auch durchlebt, mein Partner hat dasselbe durchlitten. Und - nein - mehr als aufmerksam und für sie da zu sein und Verständnis zu haben, mehr kann er nicht für sie tun, denn es ist ihr Verlust. Es sind ihre "hätte ich bloß" und "wäre ich damals.." Kämpfe. Und, nein, er wird es nicht schaffen in jeder Situation alles richtig zu machen. Und, ja, ihre Wut wird sich vielleicht auch einmal gegen ihn richten und vielleicht wird sie ihm auch vorwerfen, dass er garnichts verstehen kann - da wird er durchmüssen.

Ich habe bei diesem Gespräch zum ersten Mal wirklich ehrlich über mich selbst nachgedacht, und - ich habe mich genau so verhalten. Und ich bin sicher, hier hat jeder Verständnis dafür. Ist es dann nicht ein Zeichen der Hoffnung, wenn andere es schaffen, ein kleines Stück vom Glück wiederzufinden? Dass es wirklich irgendwie weitergeht, auch wenn es sich jetzt im Moment einfach nicht so anfühlt und man den berühmten Silberstreif am Horizont selbst nicht sehen kann?

Sicher ist es besonders schwer, wenn man selbst gerade in einem Loch sitzt, und garnicht glücklich sein will. Wenn man gerade Angst hat, der Schmerz könnte wirklich nachlassen und der geliebte Mensch könnte womöglich vergessen werden? Ja, ich kenne auch das, ich bin morgens aufgewacht und in Tränen ausgebrochen, weil ich nicht sicher wusste, ob ich am Vortag an meine Mami gedacht habe - es wäre das erste Mal gewesen - und, nein, ich wollte nicht glücklich sein, ich hatte ein schlechtes Gewissen, ich wollte trauern, so, wie ich meine dass sie es verdient hat. Und gleichzeitig weiss ich doch ganz sicher, sie würde wollen, dass ich mich mit einem Lächeln an die schönen Zeiten erinnere.

Mir selbst fällt es nicht leicht, über meine eigene Trauer zu sprechen, ich bin ein echter Verdränger. Es hilft mir aber, hier zu lesen, zu sehen, wie andere es schaffen und auch, dass vieles von dem was ich empfinde irgendwie "normal" ist. Und - um wieder die Kurve zum Grund meines Beitrags zu kriegen - ich bin froh, dass es diesen Stammtisch gibt.

In diesem Sinne wünsche ich Euch allen einen schönen Abend.
AndreaM
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