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Alt 25.01.2008, 16:06
esperanza esperanza ist offline
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Standard AW: Tagebuch; Ein Leben mit Krebs...

Hallo, Carsten
........ich bin restlos ergriffen, aber auch "erschlagen", denn ich habe gerade die Lektüre zum Tagebuch deiner verstorbenen Claudia gelesen. Ich habe die ganzen 180 Seiten gelesen, einige Stunden lang..........

Dazu muss ich dir sagen, dass ich schon einmal (das war Anfang Dezember 07) einen "Anlauf" genommen hatte zur Lektüre....du hast die Geschehnisse und Eindrücke - untermauert immer wieder von vielen Bildern deiner Claudia - so emotional und rührend festgehalten. Damals - eben Anfang Dezember 07 - fing ich an, mich mit dem absehbaren Lebensende meiner Mama zu beschäftigen. Ihr Krebs war so vorangeschritten, dass ich wusste, ihre Zeit hier auf Erden ist nur noch kurz bemessen......damals weigerte sich mein Inneres aber noch, dieser Tatsache ins Auge zu schauen und somit ging es mir auch zu nahe, Claudias Geschichte zu Ende zu lesen. Dann, am 23.12.07 bekam Mama Komplikationen und wurde ins Krankenhaus verlegt............ab dann erkenne ich zwischen "meiner" und "deiner" Geschichte viele Parallelen.
Auch ich habe im Krankenhaus mein Matratzenlager aufgeschlagen, auch ich hatte Angst, einzuschlafen (...hätte ja sein können, dass Mama klammheimlich geht, während ich schlafe).....die ganzen Sequenzen mit Schmerzen, Morphium..........am 24.12.07 nahm ich meine 5jährige Tochter mit ins Krankenhaus, damit sie Omi ihr Weihnachtsgeschenk geben kann (eine selbstgebastelte Schatulle, die dann später mit Omis Körper zur Kremation ging. Meine kleine Tochter spürte sehr wohl, dass Omi nicht mehr ist, wie sie mal war und schaute sie lange ganz still an, während sie sich an ihrem Kopfende an sie rankuschelte... Es sollte auch das letzte Mal sein, wo sich die beiden gesehen haben: in der Nacht vom 30.12. auf den 31.12.07 - morgens um 3.30 Uhr sagte Mama "dies sind meine letzten Stunden" und schaute mich an mit einem entrückten Blick, der (.....du beschreibst das so treffend) durch mich durch ging---bereits in die Engelwelt gerichtet. Am Morgen des 31.12.07 versagten gleichzeitig ihre Sprache, ihr Körper...schwere Atmung....Sauerstoff...Ich sass pausenlos neben ihr, getraute mich nicht, das Zimmer zu verlassen und bat sämtliche Schwestern und Aerzte, das Zimmer nicht zu betreten, damit sie keine Angst haben muss (auch sie war am Ende sehr ängstlich und enorm geräuschempfindlich, und manche Schwestern betreten ja richtig "polternd" das Zimmer. Dieser Wunsch wurde respektiert und so hatte ich noch ein paar Stunden ganz allein mit ihr. Natürlich streichelte und berührte ich sie unablässig, Sequenzen von Schweigen, dann wieder Phasen, in welchen ich ihr dankte, ihr sagte, dass ich sie für immer und ewig liebe. Ich würde mir wünschen, dass meine Anwesenheit ihr die "Heimreise" erleichtert hat, hatte aber in den letzten Stunden den Eindruck, dass sie mich nicht mehr so braucht wie bisher....denn sie machte einen sehr entspannten, gelösten Eindruck, der einzige Fremdkörper in unserer Zweisamkeit war die Sauerstoffmaske auf ihrer Nase, dieser Anblick störte die Ruhe und Harmonie ihrer sich immer mehr entspannenden Gesichtszüge.

Es ist nicht so, dass ich Trauer nicht schon kennen würde, denn vor 28 Jahren (ich war damals 12 Jahre alt) verunglückte mein Vater tödlich bei einem Fahrradunfall..........aber dennoch: als Mama um 14.15 Uhr am Silversternachmittag ihren letzten Atemzug tat, wurde mir schlagartig bewusst, dass ich nun ein elternloses Kind (ja, Kind...) bin....

Ich sass dann noch einige Stunden bei ihr, streichelte sie, öffnete die Fenster weit, damit die Seele ungehindert das Zimmer verlassen kann, packte um 21.00 Uhr ihre Siebensachen aus dem Zimmer und legte mich erschöpft von den letzten Tagen ins Bett. Ich fühlte mich nur noch ausgehöhlt und selbst gestorben.........während die Welt "da draussen" Raketen zündete, um das neue Jahr willkommen zu heissen, lag ich im Bett........traurig, aber auch dankbar, dass Mama letztendlich in grosser Gelassenheit und Ruhe heimgehen durfte - jetzt, 3 Wochen später habe ich mich wieder an Claudia erinnert und ich hatte nun den Mut, die ganze Geschichte zu lesen. Sie hat mich darin bestärkt, genau wie du - lieber Carsten - meine Gedanken und Erlebnisse bald niederzuschreiben, damit sie nie verblassen und ich sie nie vergesse.....ich werde das für mich intern tun, ohne dies zu veröffentlichen (...diesen Mut hätte ich nie und so, wie ich meine Mama kenne, wäre ihr der öffentliche Weg auch nicht recht), aber ich danke dir von ganzem Herzen, denn du hast mir für diesen Entscheid die "Initialzündung" gegeben.

Ich wünsche dir und deinen beiden Söhnen ein gutes Wochende und grüsse dich herzlich


Esperanza
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