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Alt 05.08.2003, 22:02
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Standard Erwachsene ehemalige krebskranke Kinder gesucht!

Hallo Monsterkind

Bei mir gibt es etliche Patrallelen zu Deinem Bericht.
Gut, an die erste Krebserkrankung kann ich mich gar nicht richtig erinnern, ich war da noch so klein. Allerdings nimmt man an, dass sich zu jener Zeit bei mir eine Verlustangst entwickelt hat, mit der ich heute noch, wenn auch langsam abgeschwächt zu kämpfen habe - so eine Angst, dass mich liebgewonnene Bezugspersonen verlassen könnten, bzw. dass Ihnen was Schlimmes zustossen könnte. Das ist schliesslich die Erfahrung, die ich als Kleinkind machen musste, weit weg von zu Hause und der Mama zu sein, bzw. schon sehr früh von der leiblichen Mama getrennt worden zu sein sie hatte auch Krebs, einen Gendefekt, wie man heute weiss, den nun auch ich habe - er ist aber sehr selten)
Als ich dann mit 8 Jahren wieder erkrankte, kam das so plötzlich, über wenige Tage ist mein Bauch zu dem Bauch einer Hochschwangeren angewachsen und hat fürchterlich weh getan und ich wurde von Kinderarzt zu Kinderarzt weitergereicht, weil keiner wusste, was ich haben könnte - das war zuhinterst im Bündnerland. Als ich in der Kantonshauptstadt Chur schliesslich in einem Spital landete und geröntgt worden war, sahen sie etwas klarer und schickten mich noch weiterfort in ein Universitätskrankenhaus.
Dort bekam ich dann Chemo und auch Bestrahlungen.
Ich wusste nicht, was ich habe, also dass das Krebs ist, man sprach zu mir von einem bösen Weh im Bauch, das man verjagen wollte und dass es ganz, ganz böse sei und dass es deshalb auch mit bösen Mitteln verjagt werden müsse: Auch ich war meistens allein einfach mit andern Kindern im Spital. Es gab ja damals gar keine Möglichkeiten im Spital zu übernachten für Eltern, ausserdem war es ein grosser finanzieller Aufwand seinerzeit, ein schwerkrankes Kind zu haben, auch wenn die Krankenkasse so einiges bezahlt hat. Die Fahrten ohne Auto aus dem Engadin nach Basel kamen einer "Weltreise" gleich - mit Zug, Bus und Taxi 10 Stunden. Dann gab es bei mir auch Geschwister, Halbgeschwister, die jünger waren und die Mama noch brauchten. Ich war die Grosse und sollte tapfer sein, aber ich hatte grosse Angst, vor allem vor der Bestrahlung und den Rückenpieksern.
Ich erinnere mich an Gefühle des Eingesperrtseins in Betten mit hohen Gittern, die wie Gefängnisse wirkten oder eben an den Bestrahlungsraum, der dunkel war und komisch roch und in dem ich ganz alleine bleiben sollte und mich nicht rühren und nicht weinen durfte, während alle andern durch eine schwere Tür forthasteten und mir sagten, das alles würde mir dann helfen mit dem bösen Weh.
Die `Chemo war auch nicht viel besser, das ^Schlimmste war für mich das Kotzen und die offenen Schleimhäute. Das Pieksen hat mir fast nichts ausgemacht, denn ich habe kaum Gefühl auf der Haut.
Ich war zuerst ein halbes Jahr fast immer von zu Hause weg, da ging es mir auch ähnlich wie Dir, als ich heimkam fühlte ich mich gar nicht mehr wie Zuhause und der kleine Bruder hatte Angst vor mir. Er kannte mich gar nicht mehr, auch mit der Perücke nicht. Ich hatte so Sehnsucht nach unseren Geissen gehabt und durfte ihnen nicht mal Hallo sagen und irgendwie waren alle so anders als vorher zu mir. Da hab ich gemerkt, dass ich wirklich sehr krank sein muss und bekam dann richtig Angst.

Mir geht es wie Dir, wenn ich mal anfange, das aufzuarbeiten bzw. aus der Erinnerung zu schreiben, da sprudelt es nur so und es springt wie ein Wildbach mal da und mal dort hin, grad wie es kommt. Dann wird es unübersichtlich und wirr.
Vielleicht wäre es in Zukunft leichter, wenn wir uns zu bestimmten Themen konkret austauschen würden, so z.B. Erfahrungen zu Beginn der Krankheit, zum ersten Mal in Behandlung, Erfahrungen mit andern kranken Kindern, wieder mal zu Hause, Ängste, Chemo, Erfahrungen mit Spielkameraden zuhause, mit Ärzten, wieder gesund,Erfahrungen in der Schule, was uns von Gleichaltrigen unterscheidet, was wir gewonnen und wo wir was eingebüsst haben durch die Krankheit und so weiter.

So gehen übrigens auch Psychologen vor, wenn Du dich zu Ihnen wagst mit der Bitte um Hilfe bei der Verarbeitung Deiner Kindheitserlebnisse.
Erst lassen sie Dich mal frei sprudeln, was Dir grad in den Sinn kommt, dann lenken sie Dich mehr oder weniger behutsam in Bahnen zu Themen, auf die Du dich konzentrieren sollst und von denen Du berichten sollst. Sie müssen das erstens zu ihrer eigenen Orientierung so machen, denn ihnen fehlt ja Dein komplexes Wissen um alle Details in deiner Krankheit, sie können sonst Deinen Erzählungen nicht folgen. Sie machen es aber auch um deinetwillen so. Erst fühlst Du dich gegängelt, wie ein Pferd im Zügel, das Galoppieren will und plötzlich in kleinen Schrittchen schleichen soll. Da kommst du nicht vom Fleck, denkst Du wütend und merkst irgendwann, das diese Konzentration auf kleine Fortschritte dich viel weiter bringt als der Schnelllauf.

Du merkst an Diesen Ausführungen, ich war bei Psychologen, bei mehreren sogar. Nicht alle waren ihr Geld wert. Wichtig ist, dass er oder sie Dir sympathisch sind, dass Du wirklich vertrauen kannst. Aber genauso wichtig ist es, dass der Psychologe sich auskennt im Bereich der kindlichen Gefühle im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung und eben, dass er eine Ahnung hat, wie es in unseren 70-er und frühen 80-er Jahre im KH noch zugegangen ist.
Vielleicht könnte Dir die örtliche Krebshilfe bei der Suche nach geeigneten Therapeuten behilflich sein oder evtl die deutsche kinderkrebshilfe unter www.kinderkrebsstiftung.de. Wende Dich an Elke Frackenpohl, sie ist als zuständig angegeben für die Anliegen ehemals an Krebs erkankter junger Erwachsener.

Gerne erwarte ich wieder eine Antwort von Dir.
Wenn Du dies heute noch liest, wünsche ich Dir eine gute Nacht mit einem angenehmen Traum.
Ansonsten für heute ganz liebe Grüsse

Ladina

Ich denk auch, dass Du mit den Gedichten einen guten Weg gefunden hast, Dich auszudrücken über die Gefühle in Dir
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