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Alt 16.11.2006, 21:54
*gerhard* *gerhard* ist offline
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Lieber Urs,

vielen Dank für Deinen Beitrag! Ich denke, ich muss da etwas richtig stellen, was hier wohl falsch rüber gekommen ist, was ich jedenfalls so weder gesagt noch gemeint habe.

Zunächst einmal möchte ich Dir sagen, dass ich Deinen Beitrag (Leben nach Nexavar) und Deine Ansichten mit Bewunderung gelesen habe. Ich habe mich dabei selbst öfters gefragt: Wie hätte ich wohl an seiner Stelle gehandelt? Wie würde ich mich wohl an seiner Stelle fühlen? - Insofern glaube ich auch, wie Peti schreibt, dass Du mit Deiner Einstellung für Dich auf dem richtigen Weg bist. Ich gehe sogar weiter und sage: Deine Einstellung verdient meine uneingeschränkte Bewunderung und meinen tiefen Respekt. Auch sehe ich darin keineswegs eine Resignation oder einen mangelnden Lebenswillen, wenn Du jeden Tag als Geschenk betrachtest und in Ruhe und Gelassenheit der Zukunft entgegensiehst, ohne den erklärten Anspruch, jederzeit selbst Herr über Leben und Tod zu sein.

Deshalb bist Du kein Nexavar-"Versager", nur weil dieses Medikament bei Dir nicht anspricht! Wie ich mir umgekehrt auch nichts darauf einbilde, ja es auch nicht meinem persönlichen Einsatz anrechne, dass das Medikament bei mir bisher positive Wirkungen zeigte. Dieses Denken ist mir völlig fremd.

Ich stehe ganz überwiegend auf dem Boden der Naturwissenschaft. Wir wissen täglich etwas mehr, aber wir wissen auch, dass wir von vielem überhaupt nichts wissen, geschweige denn tief verstehen. Wir wissen z.B., dass uns Krankheiten befallen, dass Keime, Bakterien und Viren uns angreifen und dass sich deshalb unser Immunsystem entwickelt hat, um uns gegen die Angreifer zur Wehr zu setzen. Das ist auf beiden Seiten ein ständiges Gemetzel und ein gegenseitiges Wettrüsten der Evolution. Wer unterliegt, hatte doch wohl nicht einen schwachen Glauben, sondern wohl eher die schlechteren Gene oder eine mangelhafte Disposition.

Was wir nun aber auch wissen ist, dass die persönliche Einstellung etwa ein wichtiger Faktor ist, der - auf dem Umweg über unser Immunsystem - unseren Überlebenskampf stärkt oder schwächt. Das ist wohl gesichertes Wissen. Insofern darf man schon die Forderung stellen, nicht gleich bei der ersten schlechten Nachricht schon die Flinte ins Korn zu werfen, sondern uns erst einmal zu orientieren und zu wehren. Optimist zu sein, schadet nicht.

Nebenbei: Ist es nicht eigenartig, alle die ganzen Worte aus der Militärsprache?!
Was mir also geholfen hat, war ganz überwiegend das Medikament. Zweitens war es offensichtlich das Glück, zu der Gruppe zu gehören, bei der das Medikament anspricht. Nun ja, vielleicht war es irgendwann in der langen Kette, vielleicht ein ganz klein wenig, auch meine positive Einstellung. Aber - wenn Du meinen Beitrag an einer Stelle sehr genau liest, dann wirst Du (sehr deutlich und nicht nur zwischen den Zeilen) herauslesen, wie ich selbst mich innerlich bereits aufgegeben hatte, während ich nach außen vielleicht vorgab, mein Schicksal stark und mit einer gewissen Demut zu tragen! Soweit war das also gar nicht her mit meiner positiven Lebenseinstellung. Du siehst, ich sitze nicht auf dem hohen Ross. - Und eben weil ich selbst diese Erfahrung gemacht habe, nämlich mein Leben ohne Not schon gleichsam als abgeschlossen und meinen baldigen Tod als besiegelt zu betrachten, wollte ich die anderen Teilnehmer des Forums vor diesem Fehler warnen und ein wenig aufrütteln.

( Vielleicht wollte ich dabei auch mich selbst motivieren, nicht mehr in dieselbe Falle zu gehen, wenn es bei mir nicht mehr so positiv weitergehen sollte! Denn machen wir uns nichts vor - es ist ja immer nur eine Momentaufnahme. Ich nehme 6 Monate Nexavar, Du hast es kürzlich abgesetzt, weil es bei Dir nicht wirkte. - Was wird in 6, 9 oder 12 Monaten sein? - Heißt es dann vielleicht: "Wer zuletzt lacht...."? ).

Sagen wir mal: Es ist also okay, wenn man den Imperativ ausgibt: "Kämpfe, gib nicht einfach kampflos auf!" Nun kann man vielleicht darüber streiten, wie weit man sich Hoffnungen, Kampfeswillen und Optimismus bewahren sollte. Ich bezweifle, dass es da eine allgemein verbindliche Grenze gibt. Jedenfalls habe ich selbst die Erfahrung gemacht, dass man nach einiger Zeit, wenn man den eigenen Tod erst einmal angenommen hat, zu einer Phase tiefer Ruhe und Gelassenheit gelangen kann. Das wäre doch eine wünschenswerte Sache, denn sterben müssen wir ja sowieso. - Also was? - Wie lange weiterkämpfen? Außerdem: Der Tumor und die Metastasen sind in mir, sind vielmehr ein Teil von mir. Also kämpfen gegen mich selbst?!

Hier im Forum hat jemand einen Beitrag geschrieben, welcher sehr gut zu diesem Thema passt und den ich jedem Einzelnen einmal zur Lektüre empfehle. Er stammt von Stoebie, lautet "Mal ein ´Mut-Mach-Eintrag´" und findet sich hier:
http://www.krebs-kompass.org/Forum/s...ad.php?t=18208
Würde man Stoebie fragen: "Wie lange soll ich denn glauben und hoffen?", so wird er wohl antworten: "Solange Leben ist, ist da auch Hoffnung". Kein schlechter Grundsatz.

Nun aber zum Ende und zum Wichtigsten: Wenn ich sage, buchstäblich bis zuletzt die Hoffnung nicht zu verlieren, so folgt doch nicht im Umkehrschluss, dass man ein Versager ist und/oder nicht genug Glauben hatte und/oder damit gleichsam selbst schuld ist, wenn man letztlich den (Über-)Lebenskampf nicht siegreich besteht!!!

Ich denke, Zweifel zu haben und die Begrenztheit des eigenen Ichs zu empfinden, gehört unlösbar zum Menschsein. Und der Tod ist ein Vorgang, der uns zweifelsfrei und ausnahmslos allen bevorsteht. Nun müssen wir uns aber sicherlich nicht auch noch die Schuld dafür geben, dass wir sterblich sind. Das halte ich doch für sehr radikal und sehr weit hergeholt, lieber Urs.

Ich weiß aber, dass es tatsächlich Menschen gibt, die so radikal denken und argumentieren; die uns Glauben machen wollen, dass wir immer unser Schicksal in der Hand haben bzw. es sogar sind; dass wir z.B. auch einen "zufälligen" Unfall "herbeiführen". - Vor etwa zwanzig Jahren habe ich Bücher gelesen wie Schicksal als Chance von Thorwald Dethlefsen oder Krankheit als Weg ebenfalls von Thorwald Dethlefsen mit Rüdiger Dahlke. Ich fand das seinerzeit äußerst interessant und beeindruckend, und es gab auch eine Zeit, da habe ich solche Schlagworte nachgeplappert und mich damit wichtig gemacht.

Inzwischen bin ich etwas pragmatischer geworden, vielleicht auch etwas weiser. Jedenfalls sehr viel liberaler. Ich kann heute gut damit leben, viele Dinge nicht zu verstehen. Ich halte vielmehr das ganze Leben selbst für ein einziges Mysterium. Und Menschen, die meinen oder vorgeben, alles erklären zu können und alles zu verstehen, sind mir zutiefst suspekt geworden (aber dennoch sind das oben keine dummen Bücher!).

Es würde mich interessieren, wie andere Teilnehmer den von Dir aufgeworfenen Aspekt sehen.

Ich wünsche auch Dir, lieber Urs, beste Gesundheit, viel Freude und einen ganz, ganz langen Atem!

Gerhard

Geändert von *gerhard* (16.11.2006 um 22:17 Uhr)