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Alt 01.02.2011, 15:29
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Livia Livia ist offline
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Standard AW: Mutmach-Geschichten - Erfahrungsberichte Nierenzellkarzinom

Krankengeschichte:
T2, G2, M0, N0,

Chromophobes Nierenzellkarzinom

Nov. 2003 Tumor in der linken Niere
Feb. 2004 Entfernen der linken Niere und Nebenniere
Nov. 2007 Lokalrezidiv und mehrere Bauchwandmetastasen
Jan. 2008 Beginn mit Sutent 50mg
Juli 2010 Entfernen der Bauchwandmetastasen
März 2011 Lebermetastasen - Op nicht möglich
April 2011 Umstellung auf Afinitor z.Zt. "stabile Erkrankung"

Von Livia


Es könnte schlimmer sein

Es war ein ganz normaler Tag im November 2003. Ich saß am Frühstückstisch und überlegte, ob ich den Termin beim Hausarzt wahrnehmen sollte oder nicht, denn eigentlich hatte ich noch einige Erledigungen in der Stadt vor und es ging mir sehr gut. Wieder stand nur meine jährliche Vorsorgeuntersuchung mit Ultraschall vor der Tür, doch da der Termin schon morgens um Neun stattfand, hoffte ich, schnell wieder aus der Praxis und in das Kaufhaus zu kommen.
Mir wurde Blut abgenommen, meine Lunge abgehört und zum Abschluss ein Ultraschall meines Bauches gemacht. Wie immer, alles Routine. Bis mein Arzt bemerkte, dass sich meine Linke Niere „merkwürdig“ darstellt und ich dies durch einen Urologen abklären lassen solle. Da schon ein Jahr zuvor an gleicher Stelle eine zwei Zentimeter kleine „Narbe“ von einer auskurierten Blasenentzündung zu sehen war, machte ich mir deshalb keine Sorgen und dachte nur leidvoll daran, mir einen Urologen suchen zu müssen, wieder einen Termin zu vereinbaren und Wartezeiten einzuplanen.
Zwei Wochen später überwies mich der Urologe dann zu einem Röntgen und nach wieder einer Woche stellte sich alles als ganz harmlose Zyste heraus. Ich war sehr erleichtert und konnte gar nicht glauben, als mir nochmals ein Überweisungsschein, diesmal zu einem CT, in die Hand gedrückt wurde, dass es immer noch nicht vorbei war. Wieder wurde ich beruhigt, alles sei nur reine Routine. Nach dem CT wurde ich dann von der Helferin gebeten, einen Augenblick liegen zu bleiben, denn der Dr. wolle sich die Bilder noch einen Moment lang anschauen. Als ich panisch aufblickte, sagte mir die Arzthelferin, dass ich noch viel zu jung sei um einen Nierentumor zu haben. Außerdem hätte ich das falsche Geschlecht. Nierenkrebs sei eine „Alte Männererkrankheit“. Wenn überhaupt von einem Tumor die Rede sei, dann mit Sicherheit von einem gutartigen. Schnell beruhigt, klammerte ich mich an diesen Worten fest.
Wieder beim Urologen riet mir dieser, dass ich mich doch im Krankenhaus zur urologischen Sprechstunde vorstellen solle, denn ob gut oder bös‘, es wächst und verdrängt und deshalb muss es heraus. Aber da im Ct sonst alles sehr gut aussah, d.h., keine weiteren Metastasen zu sehen waren und der „Tumor“ auch noch nicht in die Vene gewachsen war, machte der Arzt mir Hoffnung, dass wenn die Niere erst einmal draußen war, damit auch alles vorbei sei. Mit einer Niere kann man uralt werden und die Op sei reine Routine.
Gesagt, getan. Drei Wochen später lag ich im Krankenhausbett mit einer Niere samt Nebenniere weniger und mit der großen Hoffnung, dass nun alles vorbei sei und ich mein altes Leben wieder aufnehmen kann.
Es war, als würden nicht endende Glockenschläge durch meinen Körper dröhnen, als mir der Stationsarzt meinen OP Befund vorlas. Zwischen dem Geläut vernahm ich nur einzelne Vokabeln, wie „Chromophobes Nierenzellenkarzinom“, „Keine Sorgen“, „Im guten Entfernt“, „Keine weiteren Metastasen“. Wie erstarrt lag ich im Bett und hatte furchtbare Angst zu sterben.
Am Entlassungstag kamen noch einmal alle Ärzte zu mir und sagten, dass ich aufhören solle mir Sorgen zu machen. Einmal im Jahr ein Ct zur Vorsorge und ansonsten viel trinken und meinen Bauch warm halten, reichen aus. „Es ist vorbei! Seien Sie froh, dass es so früh entdeckt wurde.“ Das waren meine Abschiedsworte von Seiten der Ärzte. Noch immer total schockiert und zerbrechlich fuhren mein Mann und ich nach Haus.
Meine Genesung verlief sehr gut und ganz langsam fasste ich wieder Hoffnung. Ich suchte im Internet nach Informationen und stieß dann auf den „Krebs-Kompass“, doch dort schrieben die Betroffenen immer wieder von Neuerkrankungen und wie sie damit umgingen, als der Krebs wiederkam. Dies machte mir so große Angst, dass ich das Forum sofort wieder schloss, denn da ja, laut Ärzte, bei mir nichts mehr nachkam, fand ich, ich sei dort völlig fehl am Platz. Ich ärgerte mich noch, weil ich mir hab Angst machen lassen und nahm mir vor, nur noch zu meinem jährlichen Ct zu gehen und ansonsten die Finger von solchen Foren zu lassen. Ganz nach dem Motto, „Wenn Aufklärung zur Verunsicherung führt, hat es seine Aufgabe verwirkt.“ Langsam kehrte mein altes Leben wieder zurück und meine Ängste verschwanden hinter einer nebligen Wand. Meine Familie atmete wieder auf und alle waren froh, diesen Alptraum überwunden zu haben
Drei Jahre waren meine Cts ohne Befund und mein damaliger Hausarzt fand, dass nun ein jährlicher Ultraschall ausreichen würde, denn nun sei ja wirklich nicht mehr anzunehmen, dass noch etwas nachkommen würde. Außerdem seien die Strahlungen sehr schädlich. „Wir wollen ja nicht, dass sie in ein paar Jahren einen neuen Krebs aufgrund der vielen Strahlenbelastung haben“, waren seine Worte, denen wir nur zu gern glaubten.
Im vierten Jahr war nach einer Blutentnahme meine Blutsenkung erhöht, doch nicht so, dass es besorgniserregend war. Wahrscheinlich ein kleiner Infekt. In regelmäßigen Abständen wurden nun Blutentnahmen gemacht und als nach einem Jahr immer noch keine Besserung eingetreten war und sich zu dem noch merkwürdige Walnuss große Knoten auf meiner linken Unterbauchseite dazugesellten, kam meine alte Angst hinter ihrer Wand hervorgekrochen. Mein Arzt fand nun, dass ich überreagieren würde und war etwas ungehalten, als ich ihn nun doch um ein Ct bat. Er machte einen Ultraschall und befand, dass diese „Knoten“ ganz harmlose Fibrome sein. Außerdem kenne er sehr viele Menschen, die ein Leben lang eine erhöhte Blutsenkung hätten. Er verstehe meine ganze Aufregung nicht. Ich solle ihm nun endlich vertrauen, er würde schon auf mich aufpassen. Als ich dann kleinlaut sagte, dass meine Blutsenkung aber immer normal war und ich nicht begreifen würde, warum diese nun auf einmal mein Leben lang erhöht sein solle, da schlug er die Augen zum Himmel und gab mir den Überweisungsschein.
Es war ein sehr schöner, sonniger Tag im November 2008 als ich in die Röntgenpraxis fuhr um meinen Ct Bericht plus Bilder abzuholen. Gutgelaunt wünschte ich allen einen schönen Tag und sprang die Stufen in zweier Schritten hinunter. Vor dem Fahrstuhl machte ich Halt, um einen kurzen Blick in den Befund zu werfen. Und da waren wieder die Glocken. Nur diesmal noch lauter und drohender. Ich konnte kaum atmen, als ich die Worte, 3x4cm großes Lokalrezidiv mit mehreren Bauchwandmetastasen in der linken Unterbauchseite, las. Alle Ängste und schlimmsten Vermutungen waren wieder da und ich weiß wirklich nicht mehr, wie ich nach Hause kam. Wie konnte mein Körper mich nur dermaßen verraten? Ich konnte es einfach nicht glauben und betete inständig, dass Alles nur ein Albtraum sei, doch als mein Mann mich stumm in seine Arme nahm, brach aus mir reine Todesangst aus. Sofort ging ich zu meinem Hausarzt und legte ihm den Befund vor, doch dieser meinte nur, dass er nun doch froh sei, dass WIR das Ct gemacht hätten und dass der Befund reine Vermutung sei. Man müsse erst einmal einen „Knoten“ entnehmen und untersuchen und erst dann könne man einen genauen Befund haben. Krampfhaft klammerten wir uns alle an diese Hoffnung und beteten wieder, dass mein Doc Recht hätte.
Er hatte nicht Recht.
Ich war wieder an Nierenkrebs erkrankt. Nur diesmal noch schlimmer, denn weil ich die letzten zwei Jahre keine Cts mehr hab machen lassen, konnten sich zu dem Tumor auch noch Metastasen in meiner Bauchwand bilden. Doch das Schlimmste stand mir noch bevor. Ich musste es meinen beiden Töchter, 18 und 21 Jahre, sagen. Und ab da wusste ich, dass es immer noch schlimmer sein kann. Als ich ihre Tränen sah, brach es mir mein Herz. Ich habe ihr Leben lang darauf geachtet, dass sie ohne Sorgen und Kummer heranwachsen und immer versucht, alles Schreckliche von ihnen fern zu halten und nun war ich es, die ihnen den größten Kummer bereitete. Ich sah ihre Angst und meine Angst schwand. Es war alles so unwirklich. Ich saß da und war voller Kraft und Energie und gleichzeitig sagte ich meinen Kindern, dass ich an Krebs erkrankt sei. Ich war noch nie so voll von Leben und der Tod schien so weit weg. Ich habe diesen verdammten Krebs nie gespürt. Nie eine Schwäche oder Unwohlsein bemerkt. Ich habe jahrelang Blut und Thrombozyten gespendet, denn ich wollte andere Menschen an meiner Gesundheit teilhaben lassen. Es waren immer Ärzte, die mir sagten, ich sei krank und einer meinte sogar, dass eine Therapie wahrscheinlich keinen Sinn mehr machen würde. Sollte ich jetzt nur noch auf den Tod warten?
Ich wurde dann in die Charite in Berlin Mitte zu Dr. Johannsen, einem Spezialisten für Nierenkrebs, in die urologische Poliklinik zur medikamentösen Tumortherapie, überwiesen. Der klang schon ganz anders. Es wurde noch einmal ein Ct und ein MRT meines Körpers und meiner Knochen gemacht. Leider war das Rezidiv zu dem Zeitpunkt inoperabel, da es in sehr wichtige Darmgefäße eingewachsen war und so bekam ich ein Medikament verschrieben, welches ich vier Wochen einnehmen und danach zwei Wochen pausieren sollte. Als dies drei Mal geschah, wurde wieder ein Ct gemacht und siehe da. Das Rezidiv und die Bauchwandmetastasen waren sehr geschrumpft und es waren keine neuen Metastasen dazugekommen.
Ich habe auch wieder Kontakt zum Krebs-Kompass aufgenommen und dort viele liebe, erfahrende Freunde kennengelernt. Wir tauschen uns regelmäßig aus und trösten und unterstützen uns gegenseitig. Oft hilft es auch nur, dass man zuhört. Wenn die Nebenwirkungen manchmal zu heftig sind, dann hilft es sehr, mit Gleichgesinnten darüber zu sprechen. Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Ich nehme nun dieses Medikament seit drei Jahren und im Sommer 2010 wurden mir meine Bauchmetastasen entfern, da sie nun klein genug waren und wieder anfingen zu wachsen. Bis Januar 2011 war ich Metastasen frei und mein Rezidiv dümpelte klein und beleidigt in seiner Nische herum. Dann kam wieder ein nicht so guter Befund und zwar hatte Sutent bei mir aufgehört zu wirken und ich bekam Lebermetastasen. Da es sehr viele sind, kann man sie nicht operieren, denn alle auf einmal bekäme man eh nicht heraus. Seit dem bekomme ich Afinitor und darunter war alles bis Juli 2014 stabil. Anfang Juli 2014 habe ich ein sehr großes Erisepil ( Infektion des Bindegewebes im ganzen Unterschenkel, auch Wundrose genannt ) bekommen. Ich lag drei Wochen im Krankenhaus und bekam starkes Antibiotikum gespritzt. Leider durfte ich in der Zeit kein Afinitor nehmen und nach vier Wochen stellte sich leider ein Progress in der Leber dar. Nun nehme ich seit August 2014 Inlyta und hoffe sehr, dass sich in drei Monaten ein positives Ergebnis zeigt.

Mein Leben ist jetzt anders. Nicht schlechter, aber anders und ich habe aufgehört zu fragen, warum ich? Oder, warum ich nicht? Auch habe ich mein Vertrauen in meinen Körper und meine Zuversicht wiedergefunden. Wenn ich ein Problem habe, dann überlege ich zuerst, ob ich es ändern kann, wenn ja, dann ist es kein Problem. Meine Sichtweise hat sich geändert. Ich versuche zuzuhören, wenn geschwiegen wird und ich arbeite stark an mir, mich nicht mehr sofort zu ängstigen, wenn ich meine, etwas nicht komplett unter Kontrolle zu haben. Ich besuche gern historische Orte und halte mir die Vergänglichkeit vor Augen. Ich stell mir vor, wie die Menschen vor vielen Jahren gelebt, geliebt und gestorben sind und die Einsicht, dass der Tod nun mal zum Leben gehört, lässt mich meine Angst vergessen. Nicht die Vergangenheit ist wichtig, denn sie ist nur Erinnerung. Auch die Zukunft ist nur Hoffnung und Vorstellung. Einzig die Gegenwart ist wichtig, dieses kleine bisschen Zeit, dass jedem Menschen zugeteilt wird und in der es keine Sicherheit gibt. Jetzt leben, jetzt lieben, jetzt freuen. Jedes Jahr freue ich mich und denke, „Wie schön, schon wieder Frühling!“ und ich bin neugierig, wie oft ich den Jahreszeitenwechsel erleben darf. Manchmal träume ich nachts, dass ich überhaupt nie krank gewesen bin. Ich sitze mit meiner Mutter im Zug und die Toskana zieht an uns vorüber. Wir halten uns an den Händen und lachen.Ich bin keine Ehefrau und keine Mutter, nur Tochter und wir sind fröhlich, weil die ganze Krebsgeschichte nie stattgefunden hat. Wir sind glücklich. Wenn ich dann aufwache, dann schmerzt meine Narbe und mein Gesicht ist nass vor Tränen. Da weiß ich, dass ich noch einiges zu verarbeiten habe.
Ich habe auch angefangen viel über das Thema zu lesen und in der Esoterik nach Wahrheiten gesucht, doch ich habe noch nicht den gesuchten Sinn gefunden, außer, dass Krankheiten keinen Sinn machen und dass das Leben, ob mit mir oder ohne mich, immer weitergeht.
Oft wird mir gesagt, ich solle kämpfen, doch ich frage mich dann immer, wie? Außer dass ich nicht rauche, kaum Alkohol trinke, mich einigermaßen gesund ernähre, meine Vorsorgen regelmäßig mache und auf meine Gesundheit achte, kann ich nicht viel tun. Kämpfen, das tun für uns die Forscher, die Radiologen und Chirurgen. Sie schauen dem Krebs in die Augen, durchleuchten ihn und schneiden ihn gekonnt aus unseren Körpern heraus. Sie sind unsere besten Ritter auf dem Schlachtfeld und ich bin so froh, dass es gibt. Wenn sie den Kampf nicht aufgeben, warum sollte ich es dann?
Dank der Menschen, die mich nicht aufgegeben haben, habe ich die Zuversicht, dass noch eine Menge Leben vor meinem Tod steht und mit Freuden beobachte ich jeden Tag die Entwicklungen, die meine Lieben machen.
Der Krebs hat mich getroffen, so wie es jeden Anderen hätte treffen können und ich bin froh, dass dies noch recht früh erkannt wurde. Meine Krankheit hat mich gestärkt und ich bin viel gelassener geworden. Es war gut, dass ich meiner Familie sofort von meiner Krankheit erzählt habe. So konnten wir uns von Anfang an gegenseitig trösten und uns Mut zusprechen. Auch meine Freunde nehmen sehr großen Anteil und sind sehr an meiner Therapie interessiert.
Mein Name ist Livia . Ich bin 46 Jahre alt, verheiratet und Mutter zweier toller Töchter. Ich bin nie sehr mutig gewesen und war eher die, die einen Schritt vorwärts geht und zwei Schritte zurück. In meinem Leben gab es keine großen Abenteuer und ich habe mich auch immer mehr Drinnen als Draußen aufgehalten. 2003 bin ich zum Ersten Mal an Nierenkrebs erkrankt und ich lebe heute noch. Es geht mir gut.

Nein, keine mutige Kämpferin. Nur verdammt zäh. Und in diesem Sinne:
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Es könnte schlimmer sein.

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Geändert von Livia (02.09.2014 um 19:52 Uhr)