Thema: Wie weiter?
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Alt 28.04.2006, 18:22
DTFE DTFE ist offline
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Standard AW: Wie weiter?

Liebe maipril,
ich kann dich gut verstehen, dass diese Ungewissheit dich so sehr belastet. Wenn man mit dieser Krankheit konfrontiert wird, denkt man immer gleich an Tod und die damit verbundenen Ängste sind fast nicht zu kontrollieren. Ich möchte dir aber auch anderen einen Zeitungsartikel hier reinstellen (ich hoffe ich darf das so, sonst bitte löschen liebe Forumsbetreiber), der Mut machen kann und aufzeigt, dass es nicht immer gleich das Ende bedeutet - sondern ganz im Gegenteil:

Badische Zeitung vom Montag, 24. April 2006

Nicht Tod, Leben ist das Thema
als Facharzt für Krebserkrankungen zu erfahren, dass man selbst Krebs hat?


Gerd Nagel (70), Onkologe:
Krebs war schon immer ein Thema für mich, beruflich gesehen. Als Onkologe, langjähriger Leiter der Tumorbiologie in Freiburg und Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft habe ich die Krebsmedizin in Deutschland mit aufgebaut. 1983 war ich Leiter der Onkologie an der Uniklinik Göttingen, als mir auffiel, dass ich an den Beinen Blutpunkte hatte — ein Alarmsignal dafür, dass die Blutgerinnung gestört ist. Ich habe mir den Blutausstrich unter dem Mikroskop angesehen und selbst die Diagnose gestellt: akute Leukämie. Da war zunächst ein Moment des Schreckens, des Schocks, auch bei einem Profi wie mir. Mir wurde schwarz vor Augen. Nach einigen Minuten hatte ich mich wieder gefasst. Ich schaltete zwei weitere Spezialisten ein, die meine Diagnose bestätigten. Die Konsequenzen waren mir vollkommen klar. Damals überlebten nur etwa 20 Prozent der Patienten.
Ich fragte mich: “Was machst du jetzt?” Ich war an einer sehr kompetitiven Uni, hatte eine exponierte Stellung. Falls das mit der Leukämie rausgekommen wäre, wäre ich abgeschrieben gewesen. Ich beschloss, keinen einzigen Tag zu fehlen, die Therapie nur extern und am Wochenende zu machen. Ich weihte nur meine Familie, einige Kollegen sowie ein, zwei Freunde ein. Meine damalige Frau und die beiden Kinder hatten natürlich massiv Angst vor dieser tödlichen Bedrohung. Ich habe das total verdrängt. Tod ist kein Thema, sagte ich mir, Leben ist das Thema.
Man stirbt ja nicht an Leukämie, sondern an Toxität, Blutungen, Infekten oder weil man aufgibt. Zum Überleben gehört ein innerer Arzt, gehören Motivation, Wille, Glaube. Das habe ich genau gespürt. Gleichzeitig merkte ich, dass ich schon vor der Krankheit erschöpft war, physisch und mental abgewirtschaftet hatte. Ich wusste: In diesem Zustand schaffe ich das nie. Deshalb bin ich vor einer Therapie trotz aller Warnungen — “Du könntest verbluten, du spielst mit deinem Leben” — nochmal weggefahren, in den Reinhardswald bei Göttingen, wo uralte Bäume wie Kathedralen stehen.
Dort habe ich zehn Tage lang intensiv an mir gearbeitet. Damals wusste ich tatsächlich nicht mehr, wo und welches meine Kräfte sind. Ich fragte mich: Wer bin ich? Und fand keine Antwort. Ich suchte meinen Glauben und fand ihn nicht. Ich war schon immer ein sinnesbewusster Mensch gewesen, aber nun merkte ich: Ich bin völlig abgestumpft. Ich musste erst wieder lernen zu fühlen, zu schmecken, zu riechen. Und ich habe mir meinen Gott aus Trümmern ausgegraben. Es gibt ein Hölderlin-Gedicht, das ist mir in dieser Zeit zur Stütze geworden: “Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.” Das heißt, halte durch in Zeiten der Krise, verlasse dich auf deine inneren Kräfte. Du bist begleitet. So habe ich mich innerlich gestärkt.
Ich fand einen Experten in London, bei dem ich an den Wochenenden eine hochdosierte Stoßtherapie mit Infusionen bekam und in der Zwischenzeit Tabletten. Nach drei Monaten kam es zur Vollremission, das heißt, es waren keine Krebszellen mehr nachweisbar.
Damals habe ich auch gemerkt: Ich mache die richtige, aber eine einseitige Medizin. Der Mensch in der Krankheit bleibt auf der Strecke. Wir Mediziner machen häufig Druck — ich halte das für einen absoluten Fehler. Ich bin der festen Überzeugung, der Patient muss seine inneren Kräfte finden, sich auf die Krankheit einstellen können, eine positive Grundhaltung finden. Nur dann wird er den Kopf oben behalten.
Diese Erkenntnisse sind dann in meine Arbeit eingeflossen, als ich in Freiburg die Tumorbiologie aufgebaut und bis 2003 geleitet habe. Die Medizin braucht den Druck der Öffentlichkeit, um sich zu ändern, und Patienten brauchen Kompetenz. Deshalb habe ich jetzt die Stiftung Patientenkompetenz gegründet und das Buch “Was kann ich selbst für mich tun?” geschrieben. Die ganzen Jahre über wusste nur eine Hand voll Leute von meinem Krebs. Als wir das Buch schrieben, meinten meine Mitautoren, ich müsse mich outen. Das habe ich nun getan.
— Aufgezeichnet von Simone Lutz


liebe maipril,
hier noch ein Spruch, der mir schon sehr viel Zuversicht gegeben hat:
Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht. (Vaclav Havel).

Ich wünsche dir liebe mailpril ganz viel Zuversicht und ein hoffentlich sonniges Wochenende
liebe Grüße Doro
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