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Alt 03.04.2003, 18:05
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Standard schlimme gedanken

Hi Anke,
uh ja, das kenn ich!
Ich kenne das noch von früher, als ich noch keinen Krebs hatte. Ich hatte auch schon immer ein offenes Ohr für andere Menschen (was ja auch total okay ist), aber manchmal gab es da auch schon mal Grenzen, wo ich selber sagen musste: "Jetzt wird's mir zuviel, das geht mir zu Nahe!"
Das geschah nicht mal unbedingt nur bei Menschen mit einer schweren Krankheit, sondern auch bei "gesunden" Menschen, die halt vielleicht gerade ein ziemlich intensives Problem hatten.

Wie's halt so ist, wenn sich jemand in einem intensiven Problem wälzt, (das kann jetzt z.B. eine Trennung vom Partner sein, Scheidung, oder solche Dinge) dann wälzt er sich meistens gleich zünftig, und dann "steckt" er momentan und manchmal halt auch für eine längere Zeit in diesem Problem feste drinnen! In seiner "kleinen Welt" wo das Ich zum einzig Wichtigen wird. Und er wälzt sich und wälzt sich und möchte die ganze Zeit nur darüber quatschen, weil ... er sucht Verständnis, er sucht Lösungen, usw. Und DAS eigentlich so lange, BIS das Problem sich irgendwie endlich gelöst HAT.
Gell?

Jetzt musst Du Dir vorstellen, wie das aber sein muss, wenn da jemand nicht NUR ein übliches kompliziertes Problem hat, sondern ... Krebs!
Das ist MEHR als nur ein Problem, das ist ein ANDAUERNDES Problem!
Aus der Sicht des Krebsbetroffenen wird aus seiner "kleinen Welt" eine "kleine grosse Welt", und aus dem üblichen "darüber Reden wollen" wird oftmals ein "dauerndes darüber Reden wollen". Aus dem früheren "Verständnis suchen" wird plötzlich ein "verzweifelndes Suchen", und aus dem "Lösungen suchen" wird sehr oft ein ... "Es gibt hier keine Lösung!"!
Das ist hier eben der (krasse) Unterschied. Den habe ich nun mit meinem Krebs kennen gelernt. Wenn man mal Krebs hatte, erscheint einem alles andere als "harmloses Problem". Manchmal kann man da als Krebsbetroffener gar nicht richtig verstehen, DASS da jemand nicht zuhören will! Weil ... man hat doch schliesslich Krebs, oder?

Aber wir Krebsbetroffene erwarten vielleicht manchmal eben auch zuviel von unseren Lieben, doch weil wir so in unserer "kleinen grossen Welt des Ich's" drinnen stecken und uns dauernd herum wälzen, können wir manchmal eben gar nicht anders.
Weisst Du, wenn es mir z.B. psychisch sehr schlecht geht, und meine Lieben wissen das, dann krieg ich manchmal halbe Zustände, wenn ich mir IHR Gejammer anhören muss, weil sie so eine "stressige" Woche hinter sich hatten und soooo müde sind!
Das ist ja auch verständlich, früher habe ich da auch so gejammert. Aber heute ist's umgekehrt, denn dauernd liegt die Frage auf meinen Lippen:
"Okay, Du armer gestresster Mensch, wie wär's, wenn Du mit mir tauschen würdest?"
Nun, manchmal SAG ich das dann auch! Und weisst Du, was ich dann zur Antwort bekomme?
"Du bist doch nicht alleine auf der Welt!"
Da verschlägt's mir dann die Sprache. Weil ... einerseits hat derjenige ja recht und er hat ja auch sein Recht zu jammern, ... aber ich als Krebsbetroffene empfinde SEIN Problem halt als völlig HARMLOS!

Hm, manchmal wär mir lieber, weisst Du, wenn mir jene Leute ehrlich sagen würden: "Hey, im Moment wird mir Deine Krankheit ein bisschen zu viel, es geht mir zu nahe. Ist's Dir recht, wenn ich ein oder zwei Tage mit Freunden weg gehe, einfach, um mal abzuschalten und Pause zu machen? - Am Samstag bin ich dann wieder für Dich da, frisch und gestärkt, und dann machen wir was zusammen!"

Doch ... das sagt mir nie jemand! Warum eigentlich nicht? Ich würd's verstehen. Es wäre ehrlich. - Und ich müsste mir dann auch nicht anhören müssen: "Du bist doch nicht alleine auf der Welt!", wobei ich mir dann ziemlich mies und egoistisch und klein vorkomme. Wo ICH mich aufrege, wo der ANDERE sich aufregt ..., wäre doch alles gar nicht nötig.

Versuche vielleicht deshalb zwischendurch Pausen zu machen, Anke, denn dann muss Dir nicht dauernd der Kragen platzen, Du kannst ein bisschen Deinen eigenen Bedürfnissen nachgehen, Du brauchst Dich auch nicht schlecht und gemein zu fühlen, Du hast dann weniger "schlimme Gedanken", ... weisst Du, wie ich meine?

Ich sende Dir jedenfalls eine dicke Umärmelung und hoffe, ich habe Dich nicht auch noch an die Grenzen Deiner Nerven gebracht ...? ;-)
Ganz liebe Grüsse
von der "krassen" Brigitte
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