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Alt 10.12.2016, 12:17
Nina_L Nina_L ist offline
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Standard Mit der Angst leben

Hallo ihr Lieben,

mein Vater hat im Februar 2016 die Diagnose Lungenkrebs bekommen, unheilbar, und anscheinend sind auch seine Lymphknoten betroffen. Er hatte vor 3 Jahren schon mal Darmkrebs, aber damals konnte ein Teil operativ entfernt werden und die Chemo hat eigentlich gut angeschlagen, also die Ärzte meinten danach eigentlich, es sieht sehr gut aus.
Jetzt im Februar haben sie gesagt, dass der Verlauf der Krankheit sehr schwer einzuschätzen sei. Er könnte noch 10 Jahre mit dieser Art des Krebses leben, aber auch nur 6 Monate seien möglich. Mein Vater hat sich dann dazu entschlossen, eine lebensverlängernde Chemo anzufangen, die er mittlerweile aber schon ein paar Mal aussetzen musste, weil er so unter den "Nebeneffekten" leidet.
Mir fällt es sehr schwer damit umzugehen, dass mein Vater sterben wird. Die Vorstellung, die nächsten Jahre daneben zu stehen und nichts tun als meinem Vater dabei zusehen zu können, wie er langsam immer schwächer wird, nimmt mir beinahe die Luft zum Atmen. Ich habe große Angst, dieser Belastung nicht gewachsen zu sein. Ich will nicht sehen, wie mein Vater krank ist und stirbt. Um irgendeine Form der Kontrolle in dieses Gefühl der Haltlosigkeit, das an manchen Tagen so übermächtig zu werden scheint, zu kriegen, sage ich mir: was ist realistisch? Vielleicht 4 Jahre? Und versuche mich damit zu trösten, dass ich das 4 Jahre schon mitmachen kann, dass ich 4 Jahre schon durchhalten kann. Dann wäre ich 28.
In meiner Familie wird leider nicht sehr viel über den Krebs meines Vaters gesprochen. Mein Vater selbst konnte oder wollte noch nie wirklich über seine Gefühle reden. Ich weiß aber, dass er psychisch sehr unter der Situation leidet und versuche ihn zu ermutigen, sich professionelle Hilfe zu holen. Meiner Mutter geht es sehr schlecht. Sie hat Tage, an denen sie nicht zur Arbeit gehen kann und nur weint. Wenn sie mir das erzählt, frage ich sie immer, ob sie Menschen hat, mit denen sie reden kann, aber darauf gibt sie mir keine Antwort. Meiner Mutter fällt es sehr schwer, mit Freunden oder ihren Schwestern darüber zu sprechen, wie es ihr wirklich geht. Als ich jünger war, hat sie sich immer wegen allem bei mir ausgeweint. Deshalb bin ich heute vorsichtig, direkt mit ihr darüber zu sprechen, wie es ihr oder mir geht. Auch, weil ich jahrelang die Erfahrung gemacht habe, dass meine Gefühle keinen Platz bei ihr haben. Sie möchte sich aber auch keine Selbsthilfegruppe suchen, weil sie für sich keinen Sinn darin sieht. Mein jüngerer Bruder geht mit der ganzen Thematik sehr verschlossen um. Ich versuche immer wieder, ihn zu fragen, wie es ihm mit der Situation geht, aber er möchte nicht darüber reden. Ich versuche das zu respektieren, auch wenn ich glaube, es würde uns beiden gut tun. Ich hoffe einfach, er findet irgendwo anders Leute, mit denen er sprechen kann.
Ich selbst bin im Moment im Auslandssemester und werde meine Familie erst an Weihnachten wieder sehen. In den vergangenen 4 Monaten habe ich viele "schelchte Nachrichten" per Mail bekommen: dass mein Vater nicht essen kann, dass er Gewicht verliert, dass er Wasser in der Lunge hat, dass er nicht schläft, dass er operiert werden soll, dass er die Chemo aussetzt, dass er aufgehört hat zu arbeiten, dass er im Krankenhaus ist. Und dazwischen dass meine Mama viel weint.
Wenn ich merke, wie sehr mir diese kleinen Nachrichten zu schaffen machen, bekomme ich Angst, wie es erst werden soll, wenn die Nachrichten schlimmer werden. Ich mache mir auch große Sorgen um das Wohlbefinden meiner Mutter und auch um ihre finanzielle Situation. Ich habe auch Angst davor, dass mein Vater bald für lange Zeit ans Bett gefesselt sein wird oder im Krankenhaus bleiben muss. Wer kümmert sich dann um ihn? Wie soll meine Mutter weiterleben, wenn mein Vater stirbt?
Meine Freunde wissen oft nicht so genau, wie sie mit meinen Gedanken und Ängsten umgehen sollen, was ich ihnen auch nicht vorwerfe, aber ich habe deshalb weitesgehend aufgehört, mit ihnen darüber zu sprechen. Wenn ich im Februar wieder fest in Deutschland bin, werde ich mir deshalb auf jeden Fall eine Selbsthilfegruppe suchen. Aber diese Woche ging es mir gar nicht so gut, deshalb wollte ich hier mal ein paar Gedanken loswerden.
Was mich am meisten beschäftigt, ist wie man mit dem "konstanten Schrecken" umgehen kann... Gewöhnt man sich mit der Zeit daran? Oder bleibt einfach jede Nachricht, die man bekommt immer gleich schlimm? Ich habe schon das Gefühl, dass ich besser damit umgehen kann, wenn ich regelmäßig Sport mache und mich nicht so einkugele, sondern auch raus gehe und was mit Freunden unternehme, schöne Sachen erlebe und so.
Was mir am meisten Angst macht ist glaube ich der Gedanke, dass jeder allein ist und man keinem anderen Menschen wirklich helfen kann. Mein Vater stirbt jetzt einfach, sein Leben ist vorbei, das war es jetzt, daran kann keiner mehr was ändern. Ich kann ihm nicht helfen.

Soweit mal von mir. Liebe Grüße! Nina
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