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Alt 21.11.2005, 09:51
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Kerstin63 Kerstin63 ist offline
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Standard AW: Ich bin neu hier!

Hallo Marius,

ich glaube nicht, dass Du etwas versäumt hast. Ich vermute eher, dass man fast immer wenn man einen lieben Menschen verloren hat, mit dem Gefühl zurück bleibt, es hätte noch viel mehr gesagt und geklärt werden müssen, man hätte dies oder jenes versäumt...

Ich bin 42 und habe meinen Vater letztes Jahr verloren (er hatte Darmkrebs). Ich habe noch monatelang danach so viele dieser Gedanken mit mir herum getragen: was wir alles nicht ausgesprochen haben.... aber zumindest was das Thema Tod und Sterben angeht (bei uns auch Tabuthema), habe ich damit inzwischen meinen Frieden gefunden. mein Vater wollte nun mal nicht darüber sprechen. Dein Opa vielleicht auch nicht. und wenn, dann nehme ich mal an, hätte er nicht ausgerechnet mit Dir darüber gesprochen, denn Du bist noch so jung, sein Enkel, er hätte Dich damit sicher nicht belasten wollen. Obwohl ich erwachsen bin, bin ich sicher mein Vater hätte (wenn überhaupt mit jemandem) sicher auch nicht mit mir darüber gesprochen, ich habe selbst 2 Kinder und denke als Eltern (und Grosseltern) wird man seine Kinder und Nachkommen sicher immer beschützen wollen, vor Schuldgefühlen und den ganz schweren Themen, ich kann mir nicht vorstellen dass ich z.B. meinen Kindern meine Ängste vor dem Tod anvertauen würde. Na gut ich bin nicht in der Situation, kann es also nicht wissen...... - ich versuche Dir nur zu schildern dass ich denke, es war OK so wie es war. Mach Dir keine Gedanken ob Du Angst davor hattest ihn darauf anzusprechen: ich bin wie gesagt viel älter als Du und habe mich auch nie getraut. Lange hab ich mir vorgeworfen ich sei feige gewesen, aber letzten Endes denke ich jetzt, ich habe doch auch den Wunsch meines Vaters respektiert nicht darüber reden zu wollen. Ich denke unabhängig vom Alter, liegt es doch immer beim Betroffenen das Thema anzusprechen oder zu signalisieren dass da ein Bedürfnis besteht. Ich glaube nicht, dass das Deine Aufgabe gewesen wäre.

Du hast Deinen Opa sehr weit begleitet. Da hast Du schon eine Menge auszuhalten gehabt, und die Bilder werden sicher noch eine Weile bei Dir bleiben. Bei uns in der Familie war das ganz anders. Meine Kinder sind noch klein, aber 2 Kinder meines Bruders sind so alt wie Du bzw. älter und waren nicht einmal im KH... mein Bruder dann allerdings auch nicht mehr, er sagte er könne es nicht aushalten, und mein Vater lag bis zu seinem Tod über 9 Wochen auf der Intensivstation....

Also, es gibt Erwachsene die da "kneifen" (ich will das garnicht bewerten) und Du hast Dich dem gestellt. Das finde ich beachtlich und mutig von Dir, und dass dein Opa Dich noch mal hat sehen und anfassen können, war bestimmt ganz wichtig für Euren Abschied, für ihn und für Dich.

Wenn es noch etwas gibt was Du deinem Opa sagen möchtest: schreib ihm doch einen Brief und gib ihm den mit (kann der Bestatter mit in den Sarg legen), vielleicht tust Du noch ein Foto mit rein oder ein kleines Abschiedgeschenk was er dabei haben soll. Habe ich bei meinem Vater gemacht, einen Brief mit Fotos von uns darin. Ich habe meinen Vater nicht mal mehr gesehen als er gestorben war (ich hatte zu grosse Angst davor), aber ich hatte die Bestatterin gebeten ihn noch zu fotographieren und jetzt kucke ich mir die Fotos oft an, sie hat es sehr schön gemacht mit Blumen und allem, und man sieht den Umschlag von mir unter seinen gefalteten Händen. Jetzt wünscht ich, ich hätte ihn noch mal gesehen, aber so habe ich wenigstens die Fotos. Er sieht darauf ganz friedlich aus, udn es ist schön zu wissen dass ich ihm noch was mitgeben (und sagen) konnte.

Alles Gute und viel Kraft für die nächste Zeit.

Kerstin

Geändert von Kerstin63 (21.11.2005 um 10:53 Uhr)
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