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Alt 08.09.2010, 23:21
JeanineK JeanineK ist offline
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Standard AW: Ich fühle mich so Rastlos

Liebe Ina,

sorry, ich habe lange nicht geschrieben.
Ich habe gerade Deinen Brief gelesen und konnte das erstmal heute weinen. Ich habe meinem Freund eben noch erzählt, dass ich heute noch gar nicht weinen konnte. Er meintem, das wäre dann halt so, dafür müsste ich morgen vielleicht zweimal weinen. Ich war aber erstaunt. Ich habe bis jetzt jeden Tag mindestens einen Weinkrampf gehabt.Und danach ging es mir auch besser..... und gerade kam er.

Als ich Dir das erstemal geantwortet habe, wusste ich nicht, wie jung du bist. Nach Deinen Texten hätte ich eher vermutet, dass wir in einem Alter sind. Ich bin aber schon 42.

Ina, fühl Dich ganz lieb gedrückt von mir. Ich bin richtig erschrocken, als ich las, dass Du und Deine 2 Geschwister Eure Mutter lange alleine pflegen musstet. Du bist sehr stark für Dein Alter.

Meine Mama war nicht ganz 3 Monate krank (nach Diagnose), als sie starb. Sie sagte schon länger, dass mit ihr nichts los ist...., aber ich dachte, das wäre wegen meiner Schwester, die MS hat und vor Weihnachten ins Heim musste. Meine Mama ist mit 79 Jahren gestorben. Und im Februar an ihrem Geburtstag haben wir noch nicht gewusst, dass sie krank ist.

Ich habe sehr viele Jahre angst davor gehabt, wenn sie mal gehen müsste.... und immer dachte ich, vielleicht schaffe ich es ja dann einigermaßen, irgendwie, weil ich ja dann älter bin...... aber das Alter hat mir auch nicht geholfen. Ich weiß noch genau..... ich war 18, als meine geliebte Oma starb. Für mich brach das erstemal eine Welt zusammen. Ich war damals noch Schülerin und bin nach einer Woche wieder in die Schule gegangen. Aber meine Mama war ja da, die mich tröstete. Dann habe ich immer wieder angst bekommen, wenn ich nur daran dachte, wenn sie mal gehen würde...... dann wäre niemand da, der mich trösten kann. Ich dachte wirklich, ich schaffe es nicht. Und doch. Irgendwie.
Aber, ich habe in den fast 3 Monaten gekämpft mit ihr, ich dachte, wir werden es schon schaffen.... und doch hatte ich solche angst. Meine Oma kam ins Krankenhaus und noch nichtmal eine Woche später war sie gestorben. Für uns war das ein Schock. Aber irgendwann konnte ich mir sagen, dass sie nicht lange leiden musste. DAmals schrieb mir eine Freundin, dass die Zeit alle Wunden heilt. Ich dachte damals, die spinnt doch, wie kann die so was schreiben? Und doch, es ist so. Natürlich bin ich noch traurig, wenn ich an meine Oma denke, aber nicht mehr so, wie damals.
Und dann sagten alle, sie wäre doch über 80 und hätte ihr Leben gelebt. Das war doch keinTrost. Ich hing doch genauso an ihr, ob sie nun 30 oder über 80 wäre. Und so ist es auch mit Mama. An ihrem 70. Geburtstag und ihrem 75. Geburtstag haben wir Spielchen mit ihr gemacht. Unter anderem einen TÜV (ein Spiel), der in 10 Jahren wiederholt werden müsste. Ich darf nicht dran denken, dass es nicht mehr geht. Sie wollte von mir immer dieTexte von der Feier haben, ich habe es irgendwie nicht gemacht.
Beim Räumen ihrer Wohnung habe ich einen Geschenkegutschein von mir gefunden, für ein Essen... ich hatte es vergessen. ich war fix und fertig. Dabei habe ich alles für sie gemacht. ich war jeden Tag bei ihr und wir haben mehrmals am Tag telefoniert. DAs fehlt mir alles so. SIE fehlt mir.
Sie spürte immer, wenn ich komme oder anrufe... und ich fühlte es bei ihr.

Ich war schon in den 3 Monaten oft mit meinen Nerven am Ende, obwohl ich sagen kann, dass ich eine sehr starke und belastbare Person bin. Aber die Angst hat mich zugeschnürt. Nach der Diagnose hatte ich einen Kreislaufkollaps. Auch fühlte ich mich von meiner Schwester in meinen ängsten und BEmühungen im Stich gelassen. Ich bekam schwitzige Hände und Herzrasen.

Mir tut es leid, dass ich den kampf um sie verloren habe, wo sie doch alle Kämpfe für mich gewonnen hat (sie war alleinerziehend und hat alles für uns getan)

Mir tut es leid, dass ich manchmal so stressig war, und sie gehetzt habe. (Selbst beim Sterben hatte ich das GEfühl, dass sie sich gehetzt fühlte, weil ich mich an ihr Bett setzte und fragte, ob ich denn dann fahren darf, obwohl ich wusste, sie kann mir keine Antwort mehr geben, es war nach der dritten Nacht an ihrem Krankenbett im Krankenhaus. Uns sie konnte stöhnen und ich wusste, ich musste bleiben. Sie starb dann. Ich habe angst, dass sie sich gehetzt fühlte, weil ich fahren wollte).

Es tut mir leid, dass ich ihren Wunsch nciht erfüllen konnte, sie aus dem Bett zu holen.

Es tut mir leid, dass ich sie immer wieder unter Druck gesetzt habe, sie möchte doch was essen.

Es tut mir leid, ....

Ich glaube, man hört nie auf mit dem hätte, wenn und aber. immer wieder kommen mir neue Gedanken.
Wäre sie noch am Leben, wenn sie die Therapie nicht gemacht hätte?
Hätten wir... so geht es immer weiter.

Ina, ich glaube,Deine Träume sind Verarbeitungsträume. Weil Du Dir vielleicht selber im Unterbewußtsein Vorwürfe machst, nicht öfter an ihr Grab zu gehen, darum dieser Traum.

Ich habe auch oft schlimme Träume. Einmal ist sie nochmal gestorben.

Aber ich glaube auch an ein Leben nach dem Tod. Darum hat mich auch Dein Brief so berührt.

Und ich habe meine Mama am Sterbebett darum gebeten, dass sie mir doch, wie damals Opa, ein Zeichen geben möchte, wenn es was gibt und ich auch keine angst hätte.
Ich habe sehr viele Zeichen bekommen. Und auch mein Freund hat sie gesehen und bemerkt. Selbst ihr Parfüm war im Raum. Mein Freund hat es auch gerochen. Und mein Glockenspiel ging ohne Wind los. MeinFreund meinte, das hätte es nie getan. Und dann habe ich sie mal um einen Schmetterling gebeten, wenn es ihr gut geht. Ich habe direkt an dem Ort einen erhalten, wo ich ihn sehen wollte. In einer Tiefgarage. DA hatte ich schonmal einen.... in ihren Lieblingsfarben.

Als ich Montag letzter Woche zur Fortbildung musste, weinte ich auf der Autobahn. Weil mir klar war, dass mich gleich alle fragen, wie es mir geht...mitten auf der Fahrbahn kam ein Regenbogen.

Ina, sie sieht Dich und sie ist stolz auf Dich.

An dem Morgen, als meine Mama gestorben ist, hatte ich auch einen realen Traum. Sie saß etwas erhöht und hat mir erzählt, dass sie sich auf den Umzug in ihre neue Wohnung freut. Sie sah so gut und gesund aus. Später habe ich dann gelesen, dass das Jenseits etwa einen Meter über unserem Boden anfängt. Nur in einer anderen Schwingung.

Angie, danke für Deine tröstenden Worte. Auch wenn ich nicht mehr jung bin, haben sie mir geholfen.
Wenn man seine Mama verliert, ist es egal, wie alt man ist oder wie alt sie war. Es tut immer weh.

Aber Ina mit Dir fühle ich noch mehr mit, weil ich weiß, was es heißt, jemanden zu pflegen. Meine Schwester ist jahrelang zu Hause von ihrem Mann gepflegt worden und ich habe meine Mama nicht pflegen müssen. Ich war nur jeden Tag bei ihr..... und das war gut so. Aber ich hatte schon angst vor der nächsten Diagnose, den nächsten harten Worte der Ärzte, den nächsten ängstlichen Blick von ihr. Sie tat mir so leid. Sie hat wie ein verängstigendes Kind geschaut, als sie die Diagnose hörte.
Ich werde den Blick nie vergessen.
Und ich habe im Auto geweint und geschrien, als im Ultraschall neue Tumore gesichtet wurden. Sie hatte angst, ich würde einen Unfall bauen. ich solle rechts ran fahren und ich müsse auch an mich denken und ich müsse weiter leben. Ich sagte, wie denn ohne dich? Und jetzt? Jetzt lebe ich weiter.

Und wisst ihr was das Komischste war? Ich hatte angst nach ihrem tod morgens wach zu werden und mich zu erinnern, dass es kein böser Traum war. Aber im Gegenteil. Ich bin wachgeworden und dachte, jetzt kann kein Telefon mehr klingeln, dass mit Mama was ist (hatte 3 Telefone am Bett). Es kann ja nichts passiert sein. Dabei ist doch das Schlimmste schon passiert. Ich habe mich nicht verstanden. Bin ich so kalt? Warum habe ich so gedacht? Ich hätte mir den Arm für sie abgeschnitten, ich wollte für sie sterben. Ich habe meinem Freund mal gesagt, dass sie zu mir als Kind sagte, wenn ich angst vorm Zahnarzt hatte, dass sie mir das gerne abnehmen würde. Ich konnte das damals nicht verstehen. Und jetzt? Jetzt wäre ich gerne an ihrer Stelle gewesen und wollte für sie sterben.

Ina, ich bin stolz auf Dich und Deine Mama ist es auch. Sie ist immer bei Dir.
Fühl Dich ganz lieb gedrückt. Wirklich, das ist allerhand, was Du in Deinem jungen Leben schon gemeistert hast und es immer noch machst.

SChlaf schön (ich kann es auch nicht mehr) und fühl Dich in den Arm genommen

Liebe Grüße
Jeanine
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