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Alt 19.09.2004, 23:58
Gast
 
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Standard Wer kann mir mehr sagen?

Liebe Karin

Wir wissen nur zu gut, dass es leichter ist zu sagen man solle die Biopsie abwarten. Und trotzdem man kommt nicht drumherum. Zur Zeit der Diagnose mussten wir 4 Wochen und 3 Biopsien abwarten bis wir endlich wussten, dass ein Tumor (leider einen bösartigen) vorliegt, wie er heisst, wo er liegt und ob er gestreut hat oder nicht. Es war eine Zeit des totalen ausgeliefert seins und der absoluten Passivität da man in dieser Zeit noch nichts dagegen tun und keine Therapie beginnen konnte etc.

Wie du siehst es kann wirklich länger dauern und mehrere Anläufe (Biopsien etc.) benötigen bis man genau weiss wo man steht.

Diese Zeit im luftleeren Raum und in der Passivität in der man nicht aktiv gegen die Krankheit angehen kann, weil man nicht weiss was für einen Knubbel es ist und wie dieser Mr. Nobody (wie wir ihn nannten) genau heisst, diese Zeit ist eine Zeit des strampelns gegen, ja gegen was? Genau das ist das Problem, man weiss nicht gegen was und deshalb kann man den Kampf noch gar nicht in Angriff nehmen, obwohl es genau das ist was man will. Aktiv gegen den Knubbel ankämpfen, ihm zeigen wer die Macht in der Hand hat.

Diese Zeit war die Hölle, die Gedanken und Fragen aber auch Selbstvorwürfe die wie ein Gewitter unaufhaltsam einem ständig die Gedanken beherrschen und die du nun auch hast, hatten wir auch, nein sie tauchen sogar heute immer wieder mal auf. Sie sind heute fast 2 Jahre nach der Erstdiagnose aber nicht mehr so zerstörend wie damals. Vielleicht weil wir nicht mehr bereit sind, dass sie uns zerstören.

Nicht nur der Alptraum der Gedanken fing an, sondern auch der Therapie und die Umstellung des ganzen Lebens auf "Klinikbetrieb" musste stattfinden. Man muss sich neu finden, neu orientieren und zwar als Betroffene und als Angehörige, jeder auf seine eigene Art.

Auch tauchten Gedanken auf was danach sein wird, man will ja nicht ohne seinen Partner oder Vater alt /älter werden (vielleicht waren diese Gedanken ausgeprägter, weil die Diagnose uns an unserem Hochzeitstag und nur 10 Tage vor Willy's 50. Geburtstag eröffnet wurde), man will doch gemeinsam noch die Enkel erleben (auch wenn die Boys sich noch Zeit lassen sollten). Oft kamen Gedanken wie es sein wird in einem Jahr wenn er nicht mehr da ist, und ich geriet in Panik vom Alleinsein obwohl er noch bei mir war/ist. Ich habe mir auch ausgemalt wie es sein wird eine neue Beziehung einzugehen, schämte mich zugleich und hatte Schuldgefühle - hatte aber auch das Glück mit Willy darüber sprechen zu können, nicht zu Beginn der Krankheit aber mit der Zeit. Willy hingegen hat Gedanken gehabt wie - was ist in einem Jahr, was muss ich noch durchstehen bis es endlich mal aufhört? Wird ich meinen Lieben zur Last fallen, muss ich dahin siechen oder unkontrollierte Schmerzen haben oder gar Atemnot? Wie packen es die Boy`? Warum habe ich nicht auf Liz gehört - ist sie mir doch seit 24 jahren in den ohren gelegen ich solle doch aufhören zu rauchen, und ich trotzkopf habe es nicht getan? Was habe ich meinen Lieben angetan in dem ich geraucht habe, es wäre vielleicht zu vermeiden gewesen? Warum war ich so blöd, ist dieser hohe Preis es wirklich Wrt gewesen zu rauchen und diesen "Genuss" in mich hinein zu ziehen? Schuldgefühle kamen ihm hoch, die er heute noch immer wieder mit sich trägt, vor allem bezüglich dem Rauchen. Heute sagt er, er habe gelernt damit und mit den Symptomen zu leben, so zu leben dass sie ein Teil des Lebens sind aber nicht das Leben.

Und trotzdem, trotz allem, trotz allen Gedanken, Klinikerlebnisse wie ChemO/Bestrahlung/ Operation/REHA/Schmerzen etc. und bis heute andauernden Therapien, können wir sagen, durch die Krankheit haben wir auch ein positives neue Leben entdeckt, welches wir sicher nicht so erlebt hätten, gäbe es diese Lebenssituation nicht - schon komisch gell?.

Wie du siehst, auch wir hatten diese unkontrollierten Gedanken die uns zu zerstören versuchten resp. drohten.

Was aber noch wichtiger war, ist die Erkrenntnis, dass trotz der damaligen schlechten Prognosen (erhalten am Heiligabend 2002) Willy sämtliche statistische Werte ein Schnäppchen geschlagen hat und die Prognose von 2 - 3 Monaten Lebenserwartung mit guten 18 Monaten übertroffen hat. Er ist noch hier und wir haben in diesen fast 2 jahrne viele schöne Momente gehabt.

Mit dem wollen wir dir aufzeigen, dass auch bei einem negativen (schlechten) Bescheid, heisst das noch lange nicht die Flinte ins Korn werfen und nicht an das Morgen zu glauben. Wer nicht mehr ans Morgen glaubt - der hat seine Ziele vertan, denn Ziele zu verwirklichen fangen mit dem Glauebn an ein Morgen an.

Unser Vorbild ist ein Bekannter mit Lungenkrebs seit 1997. Aber auch viele hier im KK wie Uwe (Peggy's Mann - siehe Peggy's Thread zum Thema Studien).

Also liebe Karin, lass diese wirren, schmerzenden und beängstigenden Gedanken zwar zu um das ganze, auch deine Ängste zu verarbeiten, aber lass nicht zu, dass sie dich beherrschen, sei die Stärke in Person, und das bist du glaub es uns. Und noch eine bitte, belaste dich nicht mit Schuldgefühlen oder Scham weil du diese Gedanken hast. Diese Art der Gedanken sind zerstörerisch.

Denk daran, Vermutungen schwächen euch, sachliche Information stärkt euch, weil ihr dann erst sicher wisst gegen was ihr angehen müsst.

Du hast gefragt ob es jemand gibt der mit dieser Krankheit ein langes und schönes Leben gehabt hat. Gegenfrage - was heisst langes Leben? Ist es nur abhängig von der effektiven Zeit oder was man aus der Zeit macht. Zweite Gegenfrage - was heisst schönes Leben? Ist es ein "schönes", weil man keine Probleme, Krankheiten oder anderen Sorgen zu tragen hat oder ist es schön weil man die Welt mit anderen offenen Augen sehen darf, das Unentdeckte plötzlich entdecken kann und darf. Oder weil man trotz Sorgen, Schicksalsschläge in Liebe miteinander die Zeit intensiver Erleben darf und kann und gemeinsam die Sorgen tragen kann und muss und weil man anders gestärkt da durch geht oder "raus" kommt? Es hört sich so paradox an, aber das ist der Gewinn vieler Schicksalsschläge, nicht nur der einer Krebserkrankung.

Dass dich die Antwort "na warte mal ab was nun ist" deines Mannes sehr sachlich und pregmatisch wirkt - und auch nervt, du dich nicht verstanden füllst oder gar eine Wut auf ihn ab dieser Reaktion von ihm hast, weil du es nicht von ihm erwartet hättest, ist verständlich. Es ist aber auch für ihn eine Möglichkeit sich vor zu vielen wirren Gedanken zu schützen wenn er so reagiert. Trotzdem ein Tipp, versucht beide miteinander darüber zu sprechen, und versucht mit deiner Mam und Dad im Gespräch zu sein und bleiben. Und versuch, je nach dem wie es aus geht, deine Mam, da sie, wie du sagtest, psychisch angeschlagen ist, sie zu einer psychologischen Begleitung zu motivieren. Es ist keine Schande in dieser Situation professionelle Hilfe zu suchen und anzunehemn. Hierzu sind spezialisierte Onko-Psychologen da. Auch für dich als Tochter....

Nun erzähl mal etwas von dir, wie alt bist du und dein Dad?

Lass deinen Gedanken und Ängste hier freien Lauf, es wird immer jemand ein offenes Ohr (hmm Augen) für dich haben. falls du willst kannst du auch uns so schreiben liz.isler@gmx.ch

Liebe Grüsse Liz und Willy
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