Einzelnen Beitrag anzeigen
  #11  
Alt 17.02.2010, 20:46
Antara-01 Antara-01 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 23.06.2008
Ort: Niederrhein
Beiträge: 56
Standard AW: Ein neuer Engel hat den Himmel ereicht. Meine Mama

Liebe Sasel,

habe keine Angst, dass du in einem Jahr in dich zusammenbrechen wirst, weil du es dann erst begreifst. Das wird nicht passieren! Es braucht halt Zeit, bis es zu einem durchsackt, dass die Mama wirklich nicht mehr wiederkommt, ganz viel Zeit. Auch ich war am Anfang wie gelähmt und von meinen Gefühlen teilweise richtig abgeschnitten. Ich versuchte zu weinen, aber es kam nichts oder nur wenig. Leute bekundeten mir ihr Beileid, und ich starrte sie nur an und wusste nicht, wie ich richtig reagieren sollte, weil ich einfach absolut nichts fühlte, mich also auch nicht in diese Situation einfühlen konnte. Dieser Zustand des Schocks hielt ein paar Wochen an. Danach kamen die Tränen dann und die Trauer. Der Körper hat gewisse Selbstschutzmechanismen, um die schlimmsten Schmerzen von uns abzuwenden, zumindest eine gewisse Zeit lang. Eine befreundete Psychiaterin, bei der ich Rat suchte, sagte mir damals: "Weißt du was, genieße das einfach. Du hast eine Auszeit bekommen. Das Aufwachen kommt noch früh genug." Und sie hatte Recht. Aber ich habe unter diesem Nicht-weinen-können auch sehr gelitten. Ich dachte immer, wieso, meine Ma kommt doch gleich um die Ecke. Sie ist nur im Urlaub. Anfangs fühlt es sich so an. Irgendwann denkt man dann, Mann, der Urlaub dauert jetzt aber wirklich lange, nun sollte sie mal zurückkommen. Und irgendwann begreift man dann ganz allmählich, dass es kein Urlaub ist. Aber dieses Begreifen dauert. Es ist wohl so schrecklich für uns, dass wir es nur häppchenweise verkraften, und deshalb kommt es auch nur häppchenweise. Du brauchst nichts erzwingen. Die Trauer wird dich finden. Stück für Stück wird sie zu dir kommen.

Erwarte von dir bitte auch nicht, dass deine Trauer der Trauer anderer Leute gleicht. Jeder trauert individuell. Es ist schön, dass du an die schönen Zeiten mit deiner Ma denkst. Weißt du, zu Anfang fühlte sich ein Teil von mir sogar erleichtert, und ich freute mich für meine Ma, weil jetzt endlich ihre Schmerzen und ihr Leiden ein Ende hatten. Ich dachte ständig daran, dass es ihr jetzt da, wo sie jetzt ist, bestimmt viel besser geht, dass alles Leid jetzt von ihr abgefallen ist. Ich träumte von ihr, und in meinen Träumen war sie immer wie vor dieser sch... Krankheit, fröhlich und quirlig. Sie war so ein positiver Mensch gewesen vor diesem furchtbaren Krebs, immer gut gelaunt, immer optimistisch. Der Krebs hat ihr das genommen. Als ich ein Foto für ihre Beerdigung aussuchen musste und ihr Lächeln auf dem Foto sah, wurde es mir erstmals so richtig bewusst, wie lange meine Ma schon nicht mehr gelächelt hatte, geschweige denn gelacht. Das Leben war am Ende nur noch Qual für sie. Jeden Abend ging sie zu Bett und hoffte, am nächsten Morgen nicht mehr aufwachen zu müssen. Am Anfang dachte ich viel daran und konnte mich ein wenig damit trösten, dass es ihr jetzt besser geht und wir uns eines Tages wiedersehen. Das Weiterleben fiel da noch nicht so schwer. Später erst kam die ganz tiefe Trauer, das stückweise Begreifen, dass ich dieses Leben jetzt ohne sie verbringen muss. Auch für dich wird dieses Begreifen kommen, Stück für Stück. Bedränge dich nicht damit. Es wird ganz von selbst kommen.

Das einzige, was ich dir raten kann, ist: Schau, dass du dir Zeit für dich selbst nimmst. Es müssen nicht zwei Wochen Urlaub am Stück sein. Damit wäre es auch nicht getan. Du wirst jetzt auf Dauer mehr Zeit für dich einplanen müssen, immer mal hier und da ein, zwei Stünden oder auch mehr. Schau, dass du Dinge unternimmst, die dir Freude machen. Taste dich an die Erinnerungen heran, wie du fühlst, dass du es verkraften kannst, und wie du es möchtest. Schau, dass du dir ein paar Freiräume schaffst, z. B. in Form von Spaziergängen, damit du etwas zur Ruhe kommst. Dann wird auch das Begreifen kommen. Stück für Stück.

Ich wünsche dir von Herzen viel Kraft für die kommende Zeit,

Yvonne
Mit Zitat antworten