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Alt 05.06.2013, 15:47
PeterBoe PeterBoe ist offline
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Standard AW: Ernüchternde Diagnose und große Angst

Hallo, Birgit,
zuallererst schicke ich Dir mal ein ganz dickes "Daumendrück" und wünsche Dir, dass Du genausoviel Glück hast wie ich es hatte.

Mich hat ja vor ziemlich genau 11 Monaten der Darmkrebs erwischt, also ganz anders als bei Dir. Trotzdem meine ich, dass ich nun etwas Erfahrung damit habe, wie ein "einigermaßen lebenswertes Weiterleben" geht und wie ein "neues Leben" ausssieht.

Zuallererst mal: ja genau: es gibt ein "Weiterleben" und ja: es ist ein "neues" Leben. Es ist in vielerlei Hinsicht anders als vorher, aber nicht unbedingt schlechter. Und da Du ja auch schon nach dem „neuen Leben“ fragst, bist Du mit dieser Einstellung schon mal 100%ig auf dem richtigen Weg.

Ich habe das Glück, ein ganz und gar positiv eingestellter Mensch zu sein; bei mir ist ein Glas Wasser nicht nur halb, sondern sogar zu einem Viertel voll und ich glaube fest an die Macht des positiven Denkens. Das hat sich im Laufe meines Lebens so ergeben und es ist eine Art Überlebensstrategie geworden: als meine Frau in 2000 an Lungenkrebs erkrankte, da musste ich irgendetwas tun, damit ich die Kraft schöpfen konnte, die ich damals für uns beide brauchte. Als sie dann schliesslich 2004 verstarb, da hatten wir noch eine ganze Menge neue Inhalte in unser Leben gebracht: ihren 50. Geburtstag ein halbes Jahr nach der "unheilbar"-Diagnose, den wir mit über 50 Freunden und Familie gefeiert haben. Einen zwar nur einwöchigen, aber dafür umso intensiveren Kurzurlaub in Österreich, wo wir (zwar ganz langsam und mit vielen Pausen) auf einen ca. 2000 m hohen Berg gestiegen sind. Lange Spaziergänge wenn ich sie so oft wie möglich in der Reha besucht habe. Total liebe und nette Menschen kennengelernt während der Rehas. Im Freundeskreis die Spreu vom Weizen getrennt. Auch, dass sich die Beziehung zwischen mir und den Kindern aus ihrer ersten Wehe sehr, sehr vertieft hat, war ein Gewinn.

Eines der Geheimnisse ist heute, dass ich mir einfach kleinere Ziele vornehme. Nach meiner OP mit Schnitt quer über den Bauch und endgültigem Stoma habe ich mich schon darüber gefreut, den Korridor im Krankenhaus entlang gehen zu können, dann die Treppe ein, zwei, und dann drei Etagen hoch und runter und schliesslich dass ich meine Socken endlich wieder alleine anziehen konnte. Und ich war ganz stolz, als ich meine Versorgung mit dem Stoma-Beutel alleine machen konnte.

Wieder zuhause habe ich wie ein Marathon-Goldmedaillen-Gewinner gefühlt, als ich die erste (300 m lange!!) Runde um den Block, dann zwei, dann drei usw. geschafft habe und irgendwann selber zu Fuss bis zur Apotheke gegangen bin. Heute marschiere/walke ich meine alte Rundstrecke im Wald mit einer Geschwindigkeit von ca. 8 km/h

Mir wurde ja ein ganzes Stück vom Enddarm rausgeschnitten und ich habe nun für den Rest meines Lebens einen künstlichen Darmausgang "mit Beutel dran". Der Beutelwechsel ist natürlich ein bischen speziell, aber das funktioniert zuhause innerhalb von 3-4 Minuten, weil ich da Platz habe, die ganzen Utensilien griffbereit vorzubereiten. Aber erst vorige Woche (also 7 Monate nach der OP) habe ich den Beutelwechsel zum erstenmal unterwegs, in einer Restauranttoilette, also „unter erschwerten Bedingungen“ gemacht und festgestellt, auch das geht, ich musste mich bloss mal darantrauen!

Das Einzige, was ich noch nicht so genau kenne, ist wie es wohl sein wird wenn die Nachsorge-Untersuchungen mit Blutwerte und Tumormarkern usw. anstehen. Im Juli ist es das erstemal soweit. Aber ich denke mir, es kann eigentlich nicht schlimmer sein als die erste Diagnose, die einen ja immer ganz und gar unvorbereitet trifft. Diesmal weiss ich was auf mich zukommen könnte und ich weiss, dass ich das auch schon einmal geschafft habe.
Ich sage mir immer: bange machen gilt nicht! Und: Kopf hoch, denn mit erhobenem Kopf kann man viel weiter sehen!

In diesem Sinne: Alles Gute auch für Dich und alle unsere „Kollegen/innen“ im Forum

Peter
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