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Alt 09.10.2008, 12:36
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meliur meliur ist offline
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Standard AW: Übers Sterben sprechen

Hallo Ihr Lieben,

viele Eurer Worte hätten auch meine sein können, viele von Euch haben mir mit Euren Ängsten, Hoffnungen, Nöten im Blick aufs Sterben und auf den Tod aus der Seele gesprochen (bei mir wurde vor 2 Jahren Darmkrebs im fortgeschrittenen Stadium festgestellt, aber glücklicherweise sieht im Moment alles ganz gut aus). Und wie oft wurde schon die so verständliche Sorge angesprochen, was mit den Kindern wird, die man zurücklässt!
Leider werde ich selbst wohl nie Mutter werden dürfen, weil die Bestrahlung nicht nur den Tumor, sondern auch die Ovarien kaputtgemacht hat. Vielleicht sagen deshalb manche, ich könne diese Sorgen nie echt nachfühlen.
Aber ich erinnere mich in manchen Punkten noch sehr gut, wie ich als Kind empfunden habe. Je jünger ich war, desto selbstverständlicher gehörte der Tod für mich zum Leben. Ich kann das gar nicht richtig erklären. Aber ich fand den Tod als kleines Mädchen überhaupt nicht traurig, sondern irgendwie ganz normal. Nur blöd, dass ich denjenigen nicht mehr so besuchen konnte wie vorher. Aber ich wusste ganz genau, was Birgit und andere hier auch schon geschrieben haben: Dass die Verstorbenen noch da sind, besonders, wenn man sie sehr liebhat. Wenn ich von ihnen träumte, war ich der Überzeugung, dass sie mich besuchten (bin ich übrigens jetzt auch noch oft). Irgendwie stellte ich mir auch vor, dass es für die Verstorbenen schlimm ist, wenn die, die sie lieben, nicht mehr spüren, wenn sie zu ihnen kommen. Und dass es eben die nicht mehr spüren, die glauben, nach dem Tod ist einfach alles vorbei und der Verstorbene komplett weg - nach dem Motto, was ich nicht sehe und nicht anfassen kann, das gibt es nicht.
Ich fand es komisch, dass, als in der 2. Klasse ein Klassenkamerad durch einen Fahrradunfall ums Leben gekommen war, alle aus der Klasse am Grab weinten, unsere Lehrerin am lautesten, und die Mutter von dem Kind auch, nur ich nicht. Ich wäre so gerne hin zur Mutter damals und hätte ihr erklärt, warum ihr Michael doch gar nicht "richtig tot" ist.
Natürlich war mir mit meinen 8 Jahren noch überhaupt nicht klar, was das für eine Mutter bedeutet, wahrscheinlich wäre ich, wenn mir sowas jetzt passierte, auch fürs ganze restliche Leben gebrandmarkt. Aber aus meiner Kinderperspektive hab ichs nicht verstanden und hätte die anderen so gerne getröstet. Aber irgendwie ahnte ich auch, dass sie mich nicht verstehen würden und vielleicht auslachen würden.
Als mein Großvater starb, war ich 11, und wieder weinte ich nicht am Grab. Eine Tante fand daraufhin, dass ich nicht ganz vorne am Grab hätte stehen dürfen - ich habs überhaupt nicht kapiert. Aber meine Eltern haben mich verstanden. Mit ihnen kann ich auch jetzt über den Tod sprechen und merke, nachdem ich Eure Beiträge hier gelesen habe, was für ein großes Privileg das ist.
Ich habe mich nach der Beerdigung ans Klavier gesetzt und für meinen Großvater gespielt, weil ich wusste, dass er mir zuhört.

Was ich damit sagen will: Ich glaube, Kinder können mit dem Thema Tod oft sehr viel besser umgehen als wir Erwachsene, weil viele von ihnen noch ein Verständnis davon haben, was später verlorengeht.
Das bedeutet sicher nicht, dass es nicht ganz furchtbar ist, schon als Kind seine Mutter zu verlieren und ohne sie klarkommen zu müssen. Und dass wahrscheinlich auch ich, hätte ich Kinder, mich oft und voller Schmerzen fragen müsste, wie sie das schaffen, wenn ich zu früh sterben muss. Aber was das "Verstehen" eines solchen Abschieds (mit dem Herzen) angeht, sind Kinder vielleicht oft besser als Große.

Als vor einem dreiviertel Jahr meine liebe Freundin an Hautkrebs starb (die Lungenmetas drückten ihr die Luft ab), durften wir, ein paar enge Freunde, darunter auch mein Freund und ich, sie in ihren letzten Wochen und Tagen begleiten. Wir waren sooft es ging bei ihr. Komisch, da war ich diejenige, die sich zermarterte ob der Frage, ob Antonia sich Gedanken machte über den Tod, und welche, und ob sie mit jemandem darüber sprach. (Oft ist es ja wohl umgekehrt: dass der Betroffene sich mit diesen Gedanken alleine fühlt und die Angehörigen verdrängen wollen) Es war eine ganz schreckliche Vorstellung für mich, dass sie da innerlich völlig unvorbereitet hineinstolpert. Vielleicht kommt das aus meinem Kinderbewusstsein, dass ich glaube, dass diese Menschen es erstmal sehr schwer haben, weil sie sich nicht in der Situation zurechtfinden, dass sie nicht mehr leben: sie sehen ihre Angehörigen in Trauer, wollen zu ihnen sprechen und werden nicht gehört. Sie kapieren nicht, dass keiner sie wie früher wahrnimmt.
Wie dem auch sei: Ich wollte unbedingt wissen, wie Antonias innere Situation ist, und wollte ihr etwas von den Sachen sagen, die für mich seit meiner Kindheit Gewissheiten geblieben sind. Aber das ist wirklich ein fürchterlich schwieriges, sensibles Thema. Wann ist der richtige Moment? Wann ist sie bei all der Morphiumbenebelung wach und aufnahmefähig dafür? wann ist die richtige Stimmung? Wann können sie und ich sie allein sprechen, ohne dass andere dabei sind, vor denen man so etwas nicht ansprechen will?
Ich hatte das Riesenglück, dass ich so einen Moment geschenkt bekam, ausgerechnet an meinem Geburtstag. Ich saß an ihrem Bett, ihr Freund und noch zwei andere Freunde saßen dabei, aber ich wusste irgendwie: JETZT. Wir haben schön gesprochen. Sie hat mich verstanden!! Irgendwie sind meine Worte an einem guten Punkt in ihr drin gelandet. Sie hat so herzensklug geantwortet. Sie und ich, wir waren einander unendlich dankbar. Und die drei anderen, die dabeisaßen, auch. Dieses Gespräch hat uns allen sehr geholfen, auch an dem Abend, als sie starb und die Zeit unmittelbar danach.
Durch dieses Ereignis (Antonia starb an Heiligabend, und das war für mich so wunderschön symbolisch: Christi Geburt!) wusste mein sehr katholisch aufgewachsener Freund (ich bin ohne Konfession), wie ich über den Tod denke - nein, es ist kein "Denken", eher ein Empfinden oder so eine merkwürdige Kindergewissheit, die ich mir, warum auch immer, ins Erwachsenenleben herüberretten konnte. Wenn wir früher mal andeutungsweise darüber sprachen, spürte ich oft, wie wenig er damit anfangen konnte (und wie wenig ich seine Ansichten teilen konnte). Bei Antonias Tod hatte ich das Gefühl, dass er mich irgendwie anders verstanden hat. Überhaupt verstanden hat. Es war ein Moment ganz inniger Verbindung (nach dem schönen Geburtstagsgeschenk das berührendste Weihnachtsgeschenk).
Ob das genauso sein wird (bei ihm UND bei mir!), wenn mein Krebs sich zurückmelden, wenn das Thema im Zusammenhang mit mir bedeutend werden sollte, weiß ich nicht.

Es stimmt sicherlich: diesen letzten Weg gehen wir ganz alleine. Und das muss so sein, weil es nur unserer ist. Aber wir sind - hier wieder meine komische Kindergewissheit - nicht verlassen, auch auf diesem Weg nicht, solange wir liebhaben und liebgehabt werden.

ouf, schwierig, über das alles zu schreiben... Vielleicht war ich etwas wirr...wahrscheinlich gehts mir wie vielen von Euch: es ist eine Überwindung, über so zutiefst Persönliches zu schreiben.

Aber, Eleve, ich danke Dir sehr, dass Du diesen Thread eröffnet hast. Für so viele von uns ist das Bedürfnis groß, darüber zu sprechen!

meliur

Geändert von meliur (09.10.2008 um 13:36 Uhr)
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