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Alt 01.02.2011, 17:35
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Kaffeetante Kaffeetante ist offline
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Standard AW: Mutmach-Geschichten - Erfahrungsberichte Nierenzellkarzinom

Erkrankung:
05 / 2007 - klarzelliges Nierenzellkarzinom: pT2 pN0 (0/11) MX G3 R0
06 / 2007 - 1. komplex fokaler Anfall
11 / 2007 - Verdacht auf eine kleine Läsionen in der Lunge
08 / 2008 – bestätigte Lungenmetastasen – Erstlinientherapie: Sunitinib
12 / 2008 - 2. komplex fokaler Anfall, Absetzung Sunitinib
01-03 / 2009 - Temsirolimus
03 / 2009 Thorakotomie rechts - Entfernung mehrerer Metastasen am rechten Lungenlappen
08 / 2009 – Metastasen: suspekte Lymphknoten am Aortabogen, Metastasen in der 8. und 7. Rippe rechts, 3 cm großes Rezidiv an der anderen Niere
09 / 2009 - Everolimus
01 / 2010 - Sorafenib und immer noch stabil



ICH bin der Steuermann!!!




Seit einiger Zeit schon ging es mir schlecht. Dauernde Müdigkeit und Trägheit waren meine ständigen Begleiter. Als ich dann auch noch Fieber bekam, ging ich zum Arzt. Er verordnete mir Antibiotika. Die Blutwerte waren bis auf den CRP (Entzündungswert) normal. Der CRP lag bei 15, in der Berechnung hätte er 0,5 sein dürfen. „Na ja, vielleicht eine versteckte

Erkältung“, dachte ich…

Einen Monat und eine Antibiotikabehandlung später erfolgte eine erneute Blutentnahme: Der CRP war noch höher, er lag bei 21. Viele Besuche bei anderen Ärzten folgten - HNO, Orthopäde, Gynäkologe; aber keiner konnte den Grund für den hohen CRP finden. Dann eine erneute Blutentnahme beim Hausarzt. Die Ergebnisse waren noch schlechter - CRP 25.

Aus irgendeinem Grund ließ ich mir die Ergebnisse ausdrucken und nahm sie mit nach Hause. Genau an diesem Tag besuchte mich meine Tochter, die gelernte Krankenschwester ist. Sie warf einen Blick auf diese Ergebnisse und wurde fuchsteufelswild. Die Leberwerte waren wohl für Ihren Geschmack nicht gut. Sie packte mich wieder ein und fuhr mit mir zum Hausarzt.

In der Praxis bestand sie auf eine Sonographie meiner Leber und beider Nieren. Mein verdutzter Doc folgte. „Oh“, meinte er, „da ist eine Raumforderung auf der rechten Seite, aber es könnte auch der Darm sein“. CT musste her – also erfolgte zwei Tage später ein CT des Abdomens und Röntgen der Lunge.

Als ich dem Radiologen gegenüber saß, räusperte er sich kurz und meinte: „Sie haben einen bösartigen Tumor an der rechten Niere. Muss operiert werden und dann ist alles wieder gut.“ Betäubt und ängstlich ging ich nach Hause. Auf einmal war dieses Leben - MEIN Leben - zeitlich begrenzt. Diese Möglichkeit hatte ich nie in Betracht gezogen.

Danach die Behandlung in der Klinik:

28. Mai 2007 Vorstellung in der Nephrologie

29. Mai 2007 Bestätigung der vorherigen Befunde, Überweisung in die Urologie der Klinik

31. Mai 2007 Radikale Tumor-Nephrektomie und Adrenalektomie rechts mit retoperitomealer

Lymphknotendesektion.

Bis dato hatte ich keine Zeit, über die Geschehnisse nachzudenken. Dort in der Klinik hatte ich Zeit, viel Zeit. „O.K., heute ist der erste Tag vom Rest DEINES Lebens“, dachte ich und diese Chance wollte ich nutzen.

Am darauf folgenden Tag bekam ich das Tumor-Staging mitgeteilt: pT2 pN0 (0/11) MX G3 R0.

Am Donnertag darauf ging es mir - bescheiden gesagt - mies. Ständig musste ich mich übergeben, mir war schwindelig. Die Übelkeitstabletten kamen postwendend wieder raus. Auch ein verabreichtes Zäpfchen nahm schnellstmöglich den für es bestimmten Ausgang.

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag erlitt ich einen Zusammenbruch in der Toilette. Trotzdem wurde ich am Tag darauf entlassen. Mir ging es schlecht und ich quälte mich durch den Tag. Das Ende vom Lied war der 1. komplex fokale Anfall. Mit dem Rettungswagen wurde ich in die naheliegende Klinik gebracht. Morgens gegen 8.45 Uhr der 2. Anfall mit Atemstillstand, jedoch konnten die Schwestern (dank meines Mannes) schnell reagieren und helfen.
Verlegung auf die Intensivstation. Die Klinikärzte beschlossen die sofortige Verlegung, da sie über keine Neurologie verfügten. Meine Tochter wich nicht von meiner Seite. Ich hatte einen 3. Anfall, der gleichzeitig auch als schlimmster aller drei Anfälle seitens der Ärzte betitelt wurde.

Wie man mir im Nachhinein mitteilte, fiel ich wohl von einem Anfall in den nächsten. Ich habe daran keinerlei Erinnerung. Erst drei Tage später kam ich wieder zu mir. Verwundert nahm ich zur Kenntnis, dass ich mich wieder in der Klinik befand. Am Wochenende bekam ich Medikamente, um weitere Anfälle zu verhindern, der Zustand besserte sich stündlich. Womit ich am meisten zu kämpfen hatte, war das Kurzzeitgedächtnis. Nur langsam besserte sich dieses. Noch heute muss ich mir wichtige Termine aufschreiben. Aber es gibt Schlimmeres…

Im November 2007 dann der Verdacht auf eine kleine Verdickung in der Lunge, Februar 2008 neue Verdickungen. Der Radiologe meinte, es wäre zu früh, um diese als Metastasen des NZK zu betiteln. Wir sollten im August wieder kommen. Dann der Hammer… August 2008 Erstdiagnose multiple pulmonale Metastasen in der rechten Lunge.

In unserer Verzweiflung rief mein Mann in der Ambulanten Onkologie in der Uni-Klinik an.

Man nahm meinen Vorgang mit in das so genannte Tumorboard. Ohne mich vorher kennen gelernt zu haben, brüteten verschiedene Ärzte über meinen Befunden und versuchten, die bestmögliche Therapie für mich zu finden. Und ich saß zu Hause und schwitzte Blut und Wasser. Es wurde beschlossen Sunitinib zu verabreichen. Die Nebenwirkungen waren beträchtlich. Meine Haare sind abgebrochen und wurden schneeweiß, meine Haut dagegen hell gelb. Hand-/Fußsyndrom und Übelkeit waren meine ständigen Begleiter. Eine starke Abneigung gegen Fleischgerüche und Wurst stellten sich ein. In den zwei Wochen

Pause nahmen die Nebenwirkungen doch schnell wieder ab.

Im Dezember wieder ein komplex fokaler Anfall mit Blutdruck von 150 zu 210. Dieser Anfall hatte einen kurzzeitigen Sehverlust sowie teilweise Artikulationsstörungen zur Folge. Mein Gedächtnis hatte riesige Lücken. Vergleichbar mit einem Datenverlust: Einfaches löschen von einigen Erinnerungen aus der Vergangenheit, die sich nur an bestimmten Gesprächen fest machen ließen. Akute Lichtempfindlichkeit der Augen und Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses. Das hatte zur Folge, dass Sunitinib sofort abgesetzt werden musste, denn eine Nebenwirkung des Medikamentes ist eine Erhöhung des Blutdruckes.

Um weiteren Krämpfen entgegen zu wirken, wurde ich medikamentös behandelt. Das schlimmste daran war, dass Sunitinib bei mir hervorragende Erfolge erzielt hatte. Alle Metastasen sind geschrumpft und einige waren sogar verschwunden. Da hatte ich ein Medikament was wirkt und dann so was.

Meine Angst war greifbar und nahm mir die Luft zum Atmen. Also musste eine andere Lösung her. Von Januar bis März 2009 erhielt ich Temsirolimus, 25mg. Allerdings brachte dieses Mittel in meinem Fall nicht die nötigen Erfolge. All meine Hoffnungen waren dahin. Ich hatte Angst, dass mir die Zeit davon lief, also kamen wir mit den ansässigen Gefäßchirurgen überein, eine Operation musste her.

März 2009 Thorakotomie rechts - Entfernung mehrerer Metastasen am rechten Lungenlappen. Ich war den Krebs erst einmal los.

Leider nicht lange. Noch bevor neue Bilder gemacht wurden begann meine rechte Seite weh zutun, immer wieder an der Stelle, an der einmal meine Niere war.

Neues CT. August 2009, Metastasen, suspekte Lymphknoten 21 x 17 mm am Aortabogen, Metastasen im lateralen Anteil der 8. und 7. Rippe rechts mit einem Weichteiltumor. Geringer Pleuraerguss rechts.

Ab September 2009 bekam ich Everolimus. Da die Schmerzen immer schlimmer wurden beschlossen wir im Oktober 2009 eine Strahlentherapie der 8. Rippe zu beginnen.

Zusätzlich gab es eine Schmerztherapie. Die Strahlentherapie machte mich müde und träge. Am Anfang wurden meine Schmerzen noch schlimmer. Auf mein Nachfragen meinte man: „Klar der Tumor reagiert, ist immer ein gutes Zeichen“ Ich hätte gerne darauf verzichtet…

Danach wurde es langsam besser, ich durfte nach Hause und bis auf einen erneuten Krankenhausaufenthalt Ende Dezember 2009 ging es mir eigentlich auch ganz gut.

Im Januar 2010 begann dann alles wieder von vorne: Zwischenzeitlich wurde meine Medikation auf Sorafinib umgestellt und die Ärzte überlegten die Dosis zu erhöhen. Volle Dröhnung - im Stillen betete ich, dass alles gut geht. Was ist wenn ich es nicht vertrage? Was, wenn wieder ein Krampf folgt? Was, wenn es wider Erwarten nicht hilft? Mitten in meinen Gedanken kam der Stationsarzt. Ich kannte ihn von der Ambulanz und war immer gut mit ihm ausgekommen.

„Tja“, meinte er, „einige Untersuchungen stehen noch an. Gleich machen wir ein CT und noch einen Ultraschall. Und morgen früh folgt noch die Blutabnahme.“

Dann ging er wieder…

Am nächsten Morgen erwachte ich nach einer schlaflosen Nacht. Heute war also der große Tag. Volle Dosis, all meine Hoffnung hingen an diesen 4 Tabletten.

Der Tablettendosierer wurde mit dem Frühstück rein gebracht. Erwartungsvoll starrte ich auf diese Leiste.

Aber was war das? Keine erhöhte Dosis. Was soll das?

War etwas nicht in Ordnung? Mach dir keine Gedanken, redete ich mir ein, vielleicht ein Fehler der Schwestern. Wer weiß schon.

Das Frühstück wurde gerade abgeholt als mein Mann das Zimmer betrat. Gleich erzählte ich ihm von den fehlenden Tabletten. Er war auch erschrocken. Beide saßen wir stumm nebeneinander jeder in seinen Gedanken versunken. Die Türe f log auf und der Stationsarzt stand da: „Gut, dass Sie beide da sind. Wir haben etwas an der verbleibenden Niere gefunden.

Wir werden die Untersuchungsergebnisse dem Urologen vorlegen und dann entscheiden, was wir machen. Aber richten Sie sich darauf ein, dass wir Sie in die Urologie verlegen und den Tumor operieren. Danach können wir die Dosis erhöhen.“ Was ?? Das kann doch nicht wahr sein. Ich war im freien Fall. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Leise verlies der Arzt den Raum. Mein Mann umarmte mich und wiegte mich wie ein kleines Kind, auch

ihm liefen die Tränen übers Gesicht. Warten ist nicht mein Fall. Durch die Tabletten war ich ständig müde, so dass die Zeit schnell verging. Gerade war es noch Mittag und im nächsten Moment wurde es dunkel nur eins änderte sich nicht. Mein Mann saß immer auf seinem Stuhl und hielt meine Hand. Endlich am 11. Januar Auftritt Der erste Akt.

Draußen wurde es schon wieder dunkel der Doc rückte seinen Stuhl umständlich in meine Richtung. Wir müssen reden.

Ja, ich war die ganze Zeit da - aber er?!

Aber mein Mund war staubtrocken, kein Laut drang nach draußen. Angst - ja ich hatte eine wahnsinnige Angst und ich wusste, dass es meinem Mann genauso ging. Fest hielten wir uns an den Händen. Der Arzt räusperte sich: „Also der Tumor an der Niere sitzt so unglücklich,

dass dieser nicht operabel ist. Eine OP würde den Verlust der Niere bedeuten. Das hat zur Folge, dass die Dialyse droht und die halten sie höchstens ein halbes Jahr aus. Das Ende wäre schnell da. Also muss ich ihnen mitteilen, dass egal was wir jetzt auch machen würden das Ergebnis das gleiche wäre“. Er räusperte sich nochmals. „Also was ich ihnen eigentlich zu sagen versuche. Dieses Jahr wird ihr letztes sein. Tut mir leid.“

Damit erhob er sich und marschierte zur Tür. Wie angewurzelt saß ich im Bett starrte aus dem Fenster. Erst als die Türe sich wieder öffnete wurde ich wieder wach. Mit hängenden Schultern kam mein Mann rein, ich hatte gar nicht gemerkt, dass er dem Arzt hinterher ist. Unter Tränen und meinem Drängen meinte er, der Doc hat ihm nahegelegt alles in die Wege zuleiten. Was er damit genau meinte wollte ich nicht hören. Beide weinten wir bis ich einfach alleine sein wollte. Ich wollte seinen Schmerz nicht auch noch tragen und am wenigsten wollte ich dafür verantwortlich sein. Ich blieb alleine mit meiner Angst und meinem Schmerz der ausnahmsweise nicht nur körperlich war.

Genau in diesem Moment kam die Schwester ins Zimmer. Uns verband ein enges Band. Sie betreute mich ambulant und Ihre Mutter ist zur gleichen Zeit an NZK erkrankt wie ich. „Was ist hier los?“ Mit großen Schritten war sie an meinem Bett. In meiner Verzweifelung erzählte ich ihr was der Doc gesagt hat. Wütend sprang sie auf: „Du willst es ihm doch nicht so leicht machen, du spinnst wohl. Reiß dich zusammen, zeig ihm, dass seine Statistik nicht stimmt. Ich fasse es nicht, jetzt bist du so weit gekommen, jetzt willst du aufgeben. Niemals hörst Du, niemals. Komm zu dir. Mensch, die Tabletten helfen bestimmt. Du musst nur glauben.“

Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Ja, sie hatte recht. Vor nicht einmal zwei Stunden wollte ich nach Hause gehen, um mich von meinen Lieben zu verabschieden. Jetzt wollte ich nach Hause gehen, um gemeinsam mit meiner Familie zu kämpfen. „Danke“, flüsterte ich ihr zu. Sie streckte sich, nickte mir zu und meinte leise „Ich weiß, dass du das schaffst.“

Am nächsten Morgen stand ein Seelsorger vor meinem Bett, geschickt von diesem Doc. Er sah mich an und meinte mit leiser Stimme „Haben sie Angst vor dem Tod?“
Das war der Punkt wo ich wusste - ich muss hier raus.

Ein kurzes Telefonat mit meinem Mann und drei Stunden später war ich zu Hause. Es war eine große Anstrengung das Krankenhaus zu verlassen. Aber zu Hause ging es mir bestimmt bald besser. Mein Mann hatte Geburtstag und dieses Mal wollte ich bei ihm sein.

Die Dinge standen gut: volle Dosis des Medikamentes und der Zusammenhalt und die Liebe meiner Familie, mehr brauchte ich nicht.

Am Rosenmontag den 16. Februar neue Bilder, ich hatte so eine große Angst. Mit zitternden Knien, meinem Schutzengel und Kreuzkette in der Hand ließ ich es über mich ergehen.

Am Aschermittwoch den 18. Februar, das Telefon klingelte. An der Nummer erkannte ich gleich es war die Klinik. Langsam nahm ich den Hörer ab. Dieser
Aschermittwoch hatte plötzlich eine ganz neue Bedeutung für mich. Meine Gebete, besser gesagt unsere Gebete wurden erhört.

Es wirkt. Alles ist kleiner. Es wirkt, rief mein Arzt in den Hörer. Wieder musste ich weinen, aber diesmal vor Glück.

Bis zum heutigen Tage sind meine Befunde immer gut.

Ich danke meiner Krankenschwester, die mir das Leben gerettet hat. Denn ohne ihre Worte und ihren Willen hätte ich aufgegeben. Mir geht’s wirklich richtig gut.

Ich lebe meinen Traum und träume nicht mein Leben.

Jeder, der anderen das Ruder überlässt, kann die Richtung nicht mehr bestimmen. Jeder hat seinen eigenen Weg, meinen habe ich gefunden.

Wir schreiben das Jahr 2013 und Ich bin immer noch da. Am 5 jan. bin Ich drei Jahre auf Nexavar stabil und Ich bin so dankbar. Auch soll dieses jahr einer meiner größten Wünsche in Erfüllung gehen. Ich werde (so Gott will) Oma.
Jeden Tag sehe ich als Geschenk und das ist es Wert diesen MEINEN Weg weiter zugehen.

Geändert von Kaffeetante (04.01.2013 um 23:22 Uhr) Grund: Verlauf aktualisiert