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Alt 29.08.2012, 09:36
AnneMelanie AnneMelanie ist offline
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Standard AW: Oligodendrogliom WHO II-WHO III

TEIL 2 unserer Oligodendrogliombekanntschaft!

Die 2.OP fand also Ende Oktober 2011 statt, wir waren ein wenig entspannter, aber diesmal fielen alle guten Vorsätze auch bei mir über Bord und ich weinte bitterlich als er in dem Intensivzimmer seine Augen aufschlug und mich anschaute, sicher auch weil die Last von mir fiel, ich warf meinen Kopf auf seine Brust und er streichelte ihn mir.

Er durfte wieder nach einer Woche nach Hause, er hatte ausser einer Gesichtsfeldeinschränkung keine Ausfälle, so konnte ich zeitnah wieder fahren und meinem Alltag nachgehen.

Ein paar Wochen später rief meine Mama mich an und weinte wieder sehr, sie erzählte mir, dass der OA sie anrief und ihr mitteilen musste, dass der Pathologiebefund schlechter ausgefallen ist und wir es nun mit einem Grad III zu tun haben, der eine Weiterbehandlung unumgänglich werden lässt.
Wir sollten uns also in Familie beraten was wir möchten.
Ja was möchten wir denn? Am liebsten möchte man an die Hand genommen werden, dass einer einem als Betroffenen und Angehörigen sagt, wir machen das so und so, das ist das aller beste und bringt Erfolg.
Ich weiss das es kein Patenrezept gibt, aber wir fühlten uns so hilflos, ich wusste durch eigene Recherche das es Bestrahlung oder Chemo in Frage kommen könnten, aber selbst hier kann über Prognose keine Aussage gegeben werden.
Was ist also stressfreier aber erfolgversprechend?

Ich fand eine Klinik (Cyberknife) mit der ich mich in Verbingung setzte und leider teilten sie mir mit, das mein Papa mit seiner Diagnose und dem derzeitigen Stand nicht für dieses Verfahren in Frage kommt.
Wieder eine Hoffnung dahin.
Also sprachen wir mit meinem Vater, der wie gelähmt da saß und nicht wusste was mit ihm passiert.
Von Krankheitsakzeptanz noch immer keine Spur, wie ein Schutzmechanismus wird es ganz weit von sich geschoben, ausgeblendet, verdrängt.

So fuhr ich also kurz vor Weihnachten 2011 nach Hause, sprach lange mit meinen Eltern, teils waren es keine schönen Gespräche, viele Tränen und auch böse Worte.
Mein Vater sagte IMMER auf Nachfrage, dass es ihm gut geht und er nichts hat.
Ich telefonierte also einen Abend vor Weihnachten mit dem OA der Uni und erkundigte mich wie denn der aktuelle Verfahrensplan sei und welche Ergebnisse die zwischenzeitlich gemachte Augenarztuntersuchung gebracht hat.
Er sagte das meine Vater auf keinen Fall mit dem Auto fahren darf, da das Gesichtsfeld stark eingeschränkt sei und jeder Zeit mit einem epileptischen Anfall gerechnet werden müsste.
Wir sollten uns nach Weihnachten mal mit einem Onkologen unterhalten und weiteres besprechen, wegen der Feiertage kann ja dann eh erst im Neuen Jahr begonnen werden, egal mit was.

Also zurück ins Wohnzimmer und den belehrenden Zeigefinger raus: Papa der OA sagt du darfst kein Auto fahren! Also ist ja doch nicht alles gut!
Ich muss dazu sagen, dass mein Vater aufgrund seines Geschäftes und der Örtlichkeiten auf sein Auto angewiesen ist.
Also gab es einen riesen Streit und er schrie mich das erste mal in meinen 31 Lebensjahren an, wenn ich nicht Ruhe gebe, solle ich verschwinden.

Ich rief meinen Freund an, der leider arbeiten musste und schilderte ihm die Geschichte.
Mein Freund ist für mich und meine Familie ein absolut unentbehrlicher Part, da er leider schon seinen Vater (vor 29 Jahren) und seine frühere Lebenspartnerin aufgrund von Krebs zu Grabe tragen musste.
Durch diese Erfahrungen ist er uns im Denken und Fühlen mindestens einen Schritt voraus und durch seine klare, teils rationale Art ein ruhender Beratungspol-ohne ihn wären wir noch immer gelähmt und oft handlungsunfähig.

Ich kann mich an das Telefonat noch genau erinnern, ich weinte und sagte, er versteht mich nicht, er merkt nicht wie ernst es ist, ich will doch nur helfen... mein Freund schwieg und sagte dann: Anne...hast du dich mal in seine Lage versetzt, wie würdest du reagieren, wenn man dir das aller liebste bzw.aller wichtigste nehmen würde? meinst du nicht er hat genug Ängste im Kopf und Zukunftsdruck, hol ihn dort ab, wo er jetzt steht und begleite ihn, er hat Angst und braucht keine Vorwürfe.
Ich stockte und sagte: und was ist mit mir? Ich hab auch Angst, wer nimmt mich an die Hand?
Antwort von meinem Freund: DU BIST JETZT NICHT AN DER REIHE!

Auch wenn die Worte hart waren, aber sie haben mich wachgerüttelt, ich bin sofort zu meinen Eltern, setzte mich zwischen ihnen und sagte meinem Vater das ich wahnsinnige Angst habe, wahrscheinlich wie er auch, das ich ihn verstehe und das wir gemeinsam alles versuchen werden, damit wir noch lange eine gemeinsame Zeit haben, wir müssen beginnen zu reden und gemeinsam beraten.
Schon zu dieser Zeit bat ich meine Eltern eine Versorgungsvollmacht zu unterschreiben, leider hörten sie nicht auf mich, was sich später als grosses Problem darstellten wird.
Es wurde durch dieses Gespräch aber ein entspanntes Weihnachten in Familie.

Meine Eltern bekamen leider erst im Januar 2012 einen Termin beim Onkologen und ich konnte mit anwesend sein, es war ein gutes Gespräch mit dennoch fadem Beigeschmack.

Er schaute meinen Vater an und sagte ganz ruhig: wir unterhalten uns hier nicht über einen eingewachsenen Zehnagel, sie können an dieser Krankheit sehr schnell versterben.

Meine Mama brach in Tränen aus und verließ den Raum, mein Vater hatte glasige Augen und schluckte mehrmals und als der Arzt mich anschaute, schloss ich kurz die Augen und nickte, ging dann aber zu meiner Mama raus, um sie aufzufangen.

Ich weiss es klingt vielleicht blöd und man kann es schwer nachempfinden, aber ich war froh, dass ein Arzt diese Worte aussprach, ich konnte nicht länger als Prophet in eigener Mission unterwegs sein und meine Eltern immer und immer wieder in die Realität schubsen, ich hatte keine Kraft mehr und wollte einfach auch nur mal Betroffene sein.
Schon jetzt keine Kraft mehr, mein Freund würde mich wachrütteln und mir sagen, dass noch gar nichts los sei, es wird noch schlimmer, abwarten...aber als Betroffener leidet man irgendwie mehr?! anders auf jeden Fall!

Am Ende saßen Oberarzt und Professor der Onkologie und wir an einem Tisch und besprachen das Vorgehen, sie wägten ab, was für meinen Vater besser sei und rieten ihm eine Bestrahlung zu machen, das wäre für den Körper erstmal angenehmer und würde ihn nicht so aus der Bahn werfen. Chemo kann dann immernoch folgen, wenn überhaupt nötig.

Der OA bat uns auch an, uns jeder Zeit beratend zur Seite zu stehen wenn irgendwas ist und das wir uns nicht scheuen sollen ihn anzurufen.

Also würde im zeitnah eine Bestrahlung begonnen, welche mein Vater ohne Probleme verkraftete, auch der berüchtigte Strahlenkater blieb aus.
Vier Wochen nach der Bestrahlung wurde ein Kontroll-MRT gemacht.
Was waren wir positiv gestimmt und wir spürten alles kann gut werden, jetzt ist Ruhe, ein wenig befriedeter...

NEIN! ein niederschmetterndes Ergebnis: um das dreifache gewachsen, verteilt habe er sich, nicht mehr nur im rechten Seitenlappen.

Ein Tumorboard wurde veranlasst, sie besprachen sich und wir wurden informiert, dass eine neue OP stattfinden muss, zeitnah.

Ich kann mich noch erinnern, als wir meinen Vater das 1.Mal in die Klinik brachten zur 1.OP, da saß ein Mann in seinem Zimmer und meinte, er wäre schon das 4.mal am Kopf operiert worden, da staunten wir uns sagten, na wir haben das nicht vor...und nun stand schon innerhalb von 1 1/2 Jahren die 3.OP an.

So wurde er also am 25.Juli von meiner Mama ins Krankenhaus gebracht.
Ich fuhr sofort nach Hause und besuchte ihn noch am selben Abend vor der OP, wir verbrachten 2 schöne Stunden, hatte sogar ein Stück Schokoladenkuchen organiesiert, 2 Plastikgabeln und Kaffee und wir machten es uns trotz aller Umstände auf seinem Bett bequem.

Am 26.07. war die OP...ab jetzt beginnt der Wahnsinn...
schreibe später darüber...

Geändert von AnneMelanie (29.08.2012 um 10:00 Uhr)
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