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Alt 18.10.2002, 19:19
Gast
 
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Standard Dokumentarfilm über das Tabu Sterben

Liebe Anja,
erstmal finde ich es schön, dass Du wieder versuchst, jeden Augenblick bewußt wahrzunehmen. Das mache ich nämlich auch. Ich nehme jetzt wieder Dinge wahr, die mir vorher einfach entgangen sind. Oder ich mache Sachen, für die ich vorher *keine Zeit* hatte. Aber ich habe auch einen kleinen "Lehrmeister" an meiner Seite. ;-) Er macht mich auf Schmetterlinge oder Marienkäfer aufmerksam, oder wir haben im Sommer auf einer Wiese gelegen und diese tollen Wolkendrachen angesehen. :-) Ich verbringe viel mehr Zeit mit ihm, da muss der Haushalt schon mal hintenan stehen. Aber ich denke, dass ich ihm auf diese Weise ein lebendigeres Bild von mir gebe, als wenn er sich an eine 1a aufgeräumte Wohnung erinnert. ;-)
Natürlich ist meine Meinung hier subjektiv. Hatte ich aber auch so gesagt. Ich kann doch nur über mich schreiben. Ich kann mich aber noch sehr gut an den Schockzustand erinnern, als die Diagnose kam. Da fand ich schon die Frage: Und, was ist jetzt mit Eurem Urlaub nächstes Jahr? als absolut daneben. Ich habe Krebs und die denken an Urlaub??? Unverschämtheit und zutiefst verletzend. War ja aber gar nicht so gemeint "von denen". Die wollten einfach wissen, wie es jetzt weitergeht, ob es weitergeht. Habe ich aber damals nicht so verstanden. Auch aufmunternde Worte wie "Die Haare wachsen doch bald wieder." "Du solltest die Haare immer so kurz tragen. Das steht Dir wirklich gut." waren sicherlich gut gemeint, hatten aber Null Trost für mich. Ich hatte vorher Haare und ich wollte wieder Haare, und wenn's geht sofort. Ich war einfach superempfindlich. Ich denke, das können viele nachvollziehen. Wenn man nach einer Chemo völlig erledigt im Garten sitzt und es einem einfach nur noch sterbenselend ist, ist sogar Gelächter aus dem Nachbargarten schlichtweg Provokation. Das wollte ich nur ausdrücken. Ich wollte einfach sagen, nehmt Rücksicht auf diesen Ausnahmezustand. Ist sowieso schon alles schlimm genug, aber wenn man dann noch Vorwürfe hören muss, wie Du lässt Dich hängen oder Du willst Dir ja nicht helfen lassen, ist das vielleicht auch nicht immer angebracht? Gerade eben erst ist der Teppich unter den Füßen weggezogen worden, man muss sich doch selber erstmal wieder aufrappeln.
Und *nur mal ganz leise*: Du kennst weder meine Situation noch meine Prognose. Ich habe das aus meiner heutigen Sicht der Dinge geschrieben.
Liebe Grüße
Susan
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