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Alt 17.10.2007, 00:14
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Linnea Linnea ist offline
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Standard AW: Hodgkin - mein neuestes Sammlerstück

Liebe Beate, liebe Ina, liebe Flautine, liebe Leena,

eigentlich gibt es von meiner Seite nichts Neues zu berichten: Die tauben Tage sind lang.

Ein Trost ist, daß unser Große sich trotzdem gerne von mir vorlesen läßt, auch wenn meine Stimme vermutlich anders klingt, da ich mich ja selbst nicht höre. Nun ist er natürlich schon Zweitklässler und könnte vieles alleine lesen. Aber er liebt unsere Vorlesestündchen ebenso wie ich. Oft überschwemmt mich dann so ein Dankbarkeitsgefühl, wenn ich mit meinem bald achtjährigen Sohn auf dem Sofa sitze, er seinen Kopf auf meinen Schoß legt, sich streicheln läßt und gleichzeitig gebannt den Abenteuern der "Fünf Freunde" lauscht.

Er ist gerade für Spannung zu haben, was mich zunächst überrascht hat angesichts der jetzigen Situation. Aber ich glaube, ihm imponiert daran vor allem auch, wie diese Kinder in den bedrohlichsten Situationen durch logisches Denken Problemlösungsstrategien entwickeln. Kein Gangster kann sie in einem alten Burgverlies dauerhaft einsperren: sie halten immer zusammen, übermitteln sich geheime Botschaften und geben nie auf, auch wenn die Situation noch so ausweglos erscheint. Unser Großer scheint genau das im Moment zu brauchen (erst gestern hat er mir auf einen Zettel geschrieben, daß wir ja erst 12 der 52 Fünf-Freunde-Bände gelesen haben).

Liebe Beate, Du treue Schreiberin, ich werde Dich sehr vermissen, wenn Du zur Kur fährst, wobei ich Dir die Erholung natürlich von Herzen gönne. Irgendwo habe ich gelesen, daß Du dort an Qi Gong-Kursen teilnehmen möchtest? Das hat mein Vater während einer Reha für sich entdeckt und ist nach wie vor begeistert.

Was Du über die gesundheitlichen Probleme in verschiedenen Lebensabschnitten schreibst, kommt mir sehr bekannt vor: zwar hatte ich nie dieselben Beschwerden wie Du, aber allein die beiden Schwangerschaften haben klare Einschnitte gesetzt, was die vormals gewohnten Reaktionen des Körpers betrifft. Ich mußte meinen Körper jedes Mal wieder neu kennenlernen. Und jetzt nach der Total-OP natürlich erst recht.

Im Eierstock-Forum hatte MM-Tiga mal einen Thread eröffnet zu "Positiven Nebenwirkungen" der Chemo. Er ist leider nicht sehr lang geworden, aber Du scheinst sie ja auch erlebt zu haben. Das freut mich sehr für Dich!

Liebe Ina, erst einmal herzlichen Dank für dieses wundervoll "herbstkräftige" Bild! Zur Zeit merke ich, wie gut mir solche Anblicke tun. Ich habe schon im "Club" bei den EK-lerinnen erzählt, daß ich in letzter Zeit etliche Postkarten gekauft habe, deren Abbildungen mir Kraft geben. Ich bin dabei, diese Karten in ein kleines, handliches Album zu kleben, denn ich möchte dieses "Kraftbuch" gerne zu meiner nächsten Chemo mitnehmen. Bisher habe ich jedes Bild auf einer neuen Doppelseite plaziert - vielleicht kommen noch mal passende Worte, Gedichte dazu - ich weiß es noch nicht.

Du hast so recht: Die Kinder wollen doch verstanden werden, und deshalb fällt es mir besonders schwer, tagelang taub zu sein. Diese Grundsituation hatte ich ja schon öfter, aber bevor ich Kinder hatte, konnte ich mich anders aus dem Verkehr ziehen und nach einer Woche wieder auf der Bildfläche erscheinen. Inzwischen geht es eigentlich auch wieder, weil der Große schon schreiben kann, während die Kleine noch nicht über Worte ausdrückt, wie es ihr geht oder was sie möchte. Als unser Sohn im Kindergartenalter war, war es oft hart - da lief vieles nur über meinen Mann als "Schriftdolmetscher".

Ich habe mir immer mal überlegt, ob ich nicht Gebärdensprache lernen sollte. Aber so dumm das klingt, ich hatte da lange Zeit Berührungsängste, weshalb ich es immer wieder verschoben habe. Dabei ist das Gebärden eigentlich eine wunderbare Form der Kommunikation mit sehr differenzierten Ausdrucksmöglichkeiten. Immerhin beherrsche ich inzwischen das Fingeralphabet, ebenso wie mein Sohn, der es auch einsetzt, wenn es gerade an Zettel und Stift fehlt.

Liebe Flautine, das ist schön, daß Ihr auch so liebe Freunde um Euch habt. Und Du hast recht: Man braucht neben all den zwangsläufig sich ergebenden Unregelmäßigkeiten im Alltag auch diese Normalitäten als Grundstützen. Ich bin sehr froh, daß wir in unserem Freundekreis zwar über meine Krankheit sprechen, aber auch "vollkommen normale" Gespräche führen können. Man besteht ja schließlich nicht nur aus Krankheit, auch wenn es sich manchmal so anfühlt.

Liebe Leena, Dein Ohr hat also auch schon gelitten, das tut mir leid... Langsam werde ich sehr neugierig, welche Gemeinsamkeiten wir sonst noch aufzuweisen haben. Du weißt ja vielleicht, daß ich genau genommen Lena-Linnea heiße? Und auch wenn Du Dich mit einem "e" mehr schreibst, so werden unsere Namen doch vermutlich gleich ausgesprochen?

Ich danke Euch sehr für Eure lieben Worte! Ich bin mir manchmal nicht sicher, wieviel herzliche Anteilnahme mir wirklich möglich ist, ohne mich auf der einen Seite "auszupowern" oder auf der anderen Seite emotional zu verflachen. Eine Lehrerin von mir sagte manchmal zu Schülern, wenn sie gegenüber anderen verletzend wurden: "Mach lieber den Mund zu, das Herz wird kalt." Vor so etwas habe ich gelegentlich Angst, wenn ich an manchen Tagen sehr viel, vielleicht zuviel schreibe. Allerdings weiß ich auch, daß keiner besser als Ihr nachvollziehen kann, wie es mir gerade geht und auf welchen Ebenen sich dieses langandauernde schlechte Befinden Ausdruck verschaffen kann. Daß ich so in Euer Verständnis vertrauen darf, macht mir sehr viel Mut! Vielen Dank dafür!

Nun ist inzwischen ein neuer Tag angebrochen - wie üblich mitten in der Nacht

Daher abschließend noch der Wunsch: Süße Träume und einen erholsamen Schlummer!

Eure Linnea
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Einen Menschen zu lieben heißt:
Ihn zu sehen wie Gott ihn gemeint hat.
Liebe ist das Geheimnis der Brotvermehrung.
- Christine Busta -
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