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Alt 18.05.2016, 18:23
pulizwei pulizwei ist offline
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Standard AW: Undifferenziertes Sarkom "high grade"... wir sind etwas verzweifelt!!!

Hallo Aylin,

Ich hatte ein myxoides Liposarkom in der Schulter und bin heute in der Nachsorge ohne Rezidiv oder Metastase, und hoffe, das bleibt auch so.

Meine Geschichte kannst Du hier:

http://www.krebs-kompass.org/showthread.php?t=62238

nachlesen.

Ich kann Deine Sorgen gut verstehen und finde es gut, dass Du Dir hier bei Betroffenen Rat holen willst.

Es ist manchmal hilfreich, Erfahrungen auszutauschen und man merkt auch, dass man nicht allein mit seinen Problemen ist.

Bevor ich Dir ein paar Anmerkungen zur Krankheit Deiner Mutter mache,
eine grundlegende Sache aus meiner Sicht.

JEDER PATIENT IST ANDERS UND DIE SELBE KRANKHEIT KANN BEI 5 PATIENTEN 5 MAL ANDERS VERLAUFEN.

Ich bin kein Arzt, sondern nur ein Patient und ich habe mich immer sehr für die Zusammenhänge interessiert und meine Ärzte haben mir immer bereitwillig Auskunft gegeben.

Mein Sarkom wurde zuerst R0 reseziert, also komplett entfernt.
Danach erfolgte adjuvante Chemotherapie mit Doxorubicin und Ifosfamid,
übergehend in Radiotherapie, also Bestrahlung mit leichter Begleitchemo mit Ifosfamid.

Ich glaube also, ich weiss wovon ich rede.

Während der Chemo wurde ein anderer Patient parallel ebenfalls mit dieser Chemo
behandelt. Er hatte ein Sarkom unter dem Knie.
Seine erstbegutachtende UNI-Klinik hatte ihm die Wahl gelassen über oder unter dem Knie zu amputieren.
Als er sich in ""meiner"" Klinik vorstellte landete er beim selben Chirurgen wie ich und er
setzte eine Verkleinerungschemo mit Doxo und Ifos in Gang, damit der Tumor, der faustgroß direkt auf dem Schienbein und direkt unter dem Knie saß
kleiner wird und danach operiert werden konnte.
Je kleiner der Tumor, um so mehr Platz für den Sicherheitsabstand im gesunden Gewebe.
Inzwischen ist er operiert, der teilresezierte Knochen mit einer Titanplastik aufgefüllt
und er konnte, als ich ihn zuletzt während er mich in der REHA besuchte, mit Krücken laufen.

Damit will ich sagen,
eine Klinik vertritt diese, die andere Klinik eine andere Meinung.
Jeder wird seine Gründe haben und den Ausgang kann der voraussagen, der auch die Lottozahlen von nächster Woche weiss.

Es kann im Behandlungsverlauf immer etwas passieren, das das Pendel in die andere Richtung ausschlagen läßt.

Statistiken haben den großen Nachteil, dass man nie weiss zu welchem Anteil man gehört.
Den 90 % mit positiver, oder den 10 % mit negativer Prognose.
Umgekehrt gilt das natürlich entsprechend.

Ich kann Adlumia nur 200 % zustimmen.
Am wichtigsten ist, dass sich Deine Mutter mit der getroffenen Entscheidung
wohl fühlt und sie selbst davon überzeugt ist, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Gepaart mit ihrem Kampfeswillen ist das schon die halbe Miete, denn ich bin fest
davon überzeugt, dass die Psyche des Patienten eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung einer Krankheit spielt.

Hätte ich anstelle Deiner Mutter entscheiden müssen, wäre ich in jedem Fall ins Sarkomzentrum gegangen.
Sarkome sind eine seltene medizinische Erscheinung und Allgemeinärzte sind regelmäßig im Umgang damit überfordert.

Was es zu der Chemo zu wissen gibt kannst Du in meiner Geschichte nachlesen.
Ich weiss von meiner onkologischen Station, dass jeder Patient andere Nebenwirkungen hat.
"" Die Weisheit "" in der Sache gibt es also nicht.

Ich für meinen Teil habe mir gesagt, es muss sein und ich habe eine Heilungschance.
Dadurch habe ich mir das Hadern um das warum und warum ich und so weiter
gespart und nur nach vorn in Richtung Erfolg geschaut.
Damit kam ich am besten zurecht und heute geht es mir den Umständen entsprechend gut.

Was im Rahmen der Chemo wichtig ist, sind die Tage 10-14 nach Beginn des Zyklus.
Da ist eine erhöhte Empfänglichkeit für Bakterien und Keime gegeben, und
bedingt durch die Chemo, die alle schnell teilenden Zellen ruiniert und damit
den Tumor angreift, der sich aber nicht so schnell erholen kann wie gesundes Gewebe, sind die Abwehrmechanismen stark geschwächt.
Man muss sich das wie bei einem HIV-Patienten vorstellen.
In dieser sensiblen Zeit sollte peinlich genau auf Hygiene achten und auch Besucher etc zur ständigen Desinfektion etc anhalten, am besten keine Menschenmengen aufsuchen und vor allen Dingen nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren.

Patienten in der Chemo haben daher auch Anspruch auf Taxi-Transport.
Die Kassen und privaten Krankenversicherungen bezahlen das.

Wenn Dich das interessiert und Du die Antwort nicht in meiner Zusammenfassung findest, frage, und ich werde so gut ich kann antworten.

Ich denke, Du hast nichts falsch gemacht.
Ich freue mich für Deine Mutter, dass sie Dich hat, und Du Dich kümmerst.
Aber nochmal, und das in völliger Übereinstimmung mit Adlumia.

Deine Mutter ist volljährig.
Sie kann selbst entscheiden.
Wenn sie Dich nach Deiner Meinung fragt, sag sie ihr.
Und wenn Dir zum Heulen ist, dann heule mit ihr.
Sie wird das verstehen, sie ist Deine Mutter, und sie hat das schon verstanden,
als Du ein Kind warst.
Sprüche wie ""Wir schaffen das"" bringen nix.
Deine Mutter denkt dann womöglich, " Ihr könnt das nicht für mich schaffen,
ich muss das für mich schaffen."" auch wenn sie das nicht sagt.

Und wenn Du stolz auf sie bist, weil sie so tapfer ist, sags ihr.

Das ist Balsam für die Seele.

Sei Dir bewußt, dass viele Patienten auch den Angehörigen nicht auf die Füsse treten wollen, und dann auch nicht sagen wenn sie eigentlich lieber ihre Ruhe haben wollen.

Sei einfach wie Du bist, sprich offen mit Deiner Mutter,
unterstütze sie mental im Kampf gegen die Krankheit und sei da, wenn sie Halt braucht, aber lass ihr auch den Raum sich mit sich selbst zu beschäftigen, dann kannst Du gar nichts falsch machen.

Und ob sie geheilt werden kann oder nicht kann Dir nur die Frau mit der Kristallkugel sagen,
allein die geringste Chance ist es wert es zu versuchen.

Ich bin kein Hellseher, kein Arzt, kein Psychologe und kein Pfarrer.

Aber ich war 53, als ich meine erste Prognose bekam und heute geht es mir wieder/noch gut.

Solange der Tumor nicht gestreut hat gibt es gute Hoffnung.

Lass Dich nicht verrückt machen.

Viele Grüße
und ein dickes Powerpack für alle, die es brauchen können.

Pulizwei
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