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Alt 28.03.2002, 12:53
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Standard Postoperative Ernährungssituation nach Speiseröhrenkrebs

Hallo Gabi,
herzlichen Dank für den Kontakt zu Prof. Wust von der Berliner Charite´ ich werde dort mein Glück versuchen.
Gerne schildere ich meine Erfahrung bzgl. der Ernährungssituation nach Magenhochzug.

Nach meiner Operation ging es mir auch so, das ich viele Nahrungsmittel entweder sehr schwer schlucken konnte, wenig Appetit hatte und unter ständigem Brechreiz und Durchfall litt.

Zum Schlucken:
Mit der Zeit entwickelte ich eine eigene Technik des Schluckens. So kaue ich die Nahrung selbstverständlich sehr sorgfälltig, schlucke dann und merke, wenn die Stenose - also der Übergang zwischen Speiseröhrenstumpf und Schlauchmagen verstopft wird. Dann drücke ich mit der linken Hand sehr kräftig und rythmisch von Aussen auf diese Engstelle, wobei ich die Speise sehr deutlich mit den Fingern ertasten kann, und versuche sodann diesen Bissen direkt in den Magen zu drücken. Gelingt das nicht, so erbreche ich umgehend.
Erbrach ich Speisen am Anfang unkontrolliert so entwickelte sich mit der Zeit auch über diesen Reflex eine Kontrolle, so das dieses plötzliche Erbrechen aufhörte und ich zumindest die Möglichkeit habe eine Toilette aufzusuchen.
Zum Appetit:
Hier habe ich die Erfahrung gemacht, alle Speisen einfach einmal in ganz kleinen Mengen - auch wenn man gar nicht möchte - auszuprobieren.
Die Appetitlosigkeit hat einen Grund. Essen wird plötzlich zur Qual, hatte der Prozeß "Essen" vor der Operation auch eine gewisse genussvolle Variante, beschränkte sich also nicht nur auf die reine Nahrungsaufnahme, so fällt diese Komponente völlig weg. Selbst heute geht es mir noch oft so, das ich am liebsten diesen Vorgang gänzlich einstellen möchte, weil er mir lästig ist und ich vergesse dann einfach das Essen.
Hinzu kam bei mir auch, das ich kaum Geschmack hatte. Jede Speise schmeckte gleich fade, weder Gewürze, Salz oder Zucker konnte ich unterscheiden und verlor so auch noch zusätzlich die Lust am Essen.
Ich meine daher, das man sich doch zwingen sollte zu essen, auch auf die Gefahr hin alles wieder zu erbrechen und nichts zu schmecken. Es entwickelt sich dann wieder ein Geschmacksgefühl, zwar nicht so prägnant wie vor der Operation, jedoch so, daß man wieder Freude am Essen empfindet.
Ausprobieren und das sehr langsam hat mir sehr geholfen.
Auch merkte ich so, welche Speisen ich vertrage und welche ich besser meide, weil sie Schmerzen bei der Verdauung verursachen.
So esse ich keine Milchprodukte ( Ausnahme Schmelzkäse)Obst, sehr selten Fleisch, keine fettigen Sossen oder Öle ( Ausnahme hier, Produkte, die in reinem Olivenöl eingelegt sind ) Kartoffeln. Auch vermeide ich es, weiches Brot zu essen, weil es die Engstelle verklebt und esse so nur Knäckebrot oder Schwarzbrot, das ich an der Luft noch austrocknen lasse.
Was ich sehr gut vertrage ist gedünstetes Gemüse, Fisch, Pilze, Reis und Nudeln, Vitaminsäfte. Hier achte ich darauf nur frische Produkte zu kaufen und sie in klarer Hühnerbrühe zu düsten.
Anfangs habe ich dabei so unendlich kräftig gewürzt, das meine Familie protestierte. Konnte ich etwas schmecken, war es für andere viel zu salzig oder zu scharf, doch das gab sich mit der Zeit ( Obwohl meine Kinder doch immer recht seltsam schauen wenn ich für die Familie koche und ich warnende Kommentare erhalte)

Bei Speisen die ich nicht vertrage bekomme ich sehr starke Schmerzen, ich spüre quasi, wie dieser Bissen durch den Darm in Intervallen wandert und das verursacht so starke Schmerzen, das ich mich dann hinlegen muss und mich zusammenkrümme. Nach etwa einer halben Stunde ist das dann vorbei und ich weiß was ich zukünftig vermeide zu essen.
Schwierig ist die richtige Portion zu wählen. Ein einziger Bissen kann schon zuviel sein und da man im Grunde immer ein Hungergefühl hat, passiert das sehr schnell.
Dann erbreche ich die Speisen zwar, doch ich werde auch sehr müde, so müde das ich dann kaum noch laufen kann und mich hinsetzten, besser noch hinlegen muß. ( Ein Beispiel: Im Sommer war ich mit meiner Familie in Venedig und aß ein Stück Pizza von einem Pizzastand auf der Hand. Diese Pizza wurde so problematisch, das ich mich an einen Kanal setzte und für etwa eine halbe Stunde einschlief. Mein Sohn half mir zu gehen, denn ich war nicht nmehr in der Lage wenige Schritte zu tun.)

Das empfinde ich auch als sehr wichtig, die Hilfe von Aussen. Zwar habe ich persönlich den Ergeiz mit der gesamten Situation alleine klar zu kommen, doch Unterstützung in der Familie zu finden ist sehr hilfreich. Mein ältester Sohn oder meine Partnerin sehen schon immer wenn es mir nicht so gut geht und es hat sich fast so etwas wie "verschwöreriche" Blicke entwickelt. Mein Sohn nimmt mich dann wortlos bei der Hand oder hackt sich bei mir unter, hilft mir mich hinzulegen usw und schottet mich in Gesellschaft vor anderen sehr diskret ab.Selbst meine kleinen Kinder ( 10. und 5.) haben dafür ein Gefühl entwickelt und helfen mir.
Ich brauche halt meine Zeit um wieder fit zu sein.

Wenn ich erwähnte, daß ich ständig ein Hungergefühl habe, so ist das manchmal sehr lässtig. Ich behelfe mir damit, das ich immer etwas Süsses in der Tasche habe, einen Schokoriegel, Müsliriegel (vom Aldi sind die ganz toll) Kinderschokolade usw. und ich "mummele" auch immer an etwas Süssem herum. Das kann ich schmecken und ich habe das Gefühl satt zu sein. Nebeneffekt ist, das meine kleineren Kinder immer sehr erwartungsvoll auf meine Taschen schielen....dann teile ich auch gerne.

In der REHA und auch noch im Krankenhaus hat man mir keinerlei Information über diese postoperative Situation gegeben, das muß man sich alles selber und individuell erarbeiten. Der Rat 12 - 15 kleine Mahlzeiten am Tag zu essen mag ja wohl sinnvoll sein und stimmen, ist jedoch nach meiner Erfahrung nicht im Alltag realisierbar.
Diese Technik hilft jedoch am Anfang der Situation seinen eigenen Weg zu finden. So habe ich mir für das Frückstück 4 Tupawareboxen zugelegt, die ich mit einem Aufkleber mit Uhrzeit versehen habe. Jede Stunde esse ich so den Inhalt einer Box ( 1 Scheibe Knäckebrot) Ebenso halte ich es mit dem Mittagessen. Die Speise wird vorgekocht und dann auf die Boxen verteilt. Auch hier halte ich mich möglichst an die Uhrzeit und esse dann mein Mittagessen. Am Abend lasse ich das weg, weil man da eh eine bessere Kontrolle hat.
Diese Technik ist jedoch im täglichen Leben sehr schwierig, so nutze ich sie überwiegend dann, wenn ich ausser Haus bin. Dann jedoch habe ich meine Boxen immer dabei und um das Mittagessen warm zu machen frage ich auch irgendwo nach ( sei es im Kaufhaus oder ein Lokal am Wege) ob man die Box mal kurz in die Microwelle stellen könne. Das klappt eigentlich immer. Ein steckbares Besteck habe ich auch immer bei mir und dann geht das schon ( es sei denn, man isst in Venedig auf der Straße eine Pizza ...das geht schief.)
Fazit ist, Geduld und immer wieder probieren was funktioniert. Mit der Zeit findet man seinen eigenen Weg.
Ich bin nun bereits im 4 Jahr nach meiner Operation und komme so zurecht. Klar ist, das sich dieser Zustand nicht mehr ändern lässt und somit ein chronisches Krankheitsbild ist. Dies der Umwelt zu vermitteln ist unmöglich, doch wenn man sich selber klar macht, das der Verlust der Speiseröhre mit der Amputation eines Armes oder eines Beines gleichzusetzten ist, dann lernt man recht schnell damit zu leben. Der Einarmige spielt auch nicht unbedingt Basketball.

Hinzu kommt jedoch die Auseinandersetzung mit der Frage KREBS - TOD und ZEIT dieses Feld ist sehr schwer und ist für mich die größte Herausforderung meines Lebens. Selbst nach vier Jahren ist dieser Prozeß nicht abgeschlossen.

Deinem Vater wünsche ich alles Gute. Die Angst verliert man nicht, sie bleibt und ist ständiger Begleiter, ebenso die Tatsache, das man die Endlichkeit des eigenen Seins sehr deutlich erkennt, doch darin liegt auch sehr viel Kraft.
Mein Leben hat sich durch den Krebs völlig verändert, Dinge die mir früher wichtig waren sind absolut nebensächlich geworden und andere, die ich früher garnicht registriert habe sind nun sehr sehr wichtig.
Diese Erkrankung mag schlimm sein, doch sie hat einfach auch positive Aspekte und das Leben macht so richtig Spaß.
Ihnen wünsche ich, das Sie sich nicht aufgeben mögen, es ist eh zu spät, das Ding ist futsch. Das Leben anzunehmen so wie es jetzt ist, das ist einfach toll und die Frage zu stellen " Warum ich" ....ach Gott die wird eh niemals beantwortet. Besser ist es nach meiner Erfahrung zu fragen, WOHER kommt meine Krankheit, was habe ich so lange in mich reingefressen und runtergeschluckt, daß es mich Krank machte. Diese Frage ist eine Reise, spannend und schwierig doch sehr abenteuerlich.
Viel Glück, Gute Besserung und ganz sarkastisch, willkommen im Club, denn das Lachen haben wir nicht verloren, das ist ja noch da.:-))

mit freundlichem Gruß

Roland
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