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Alt 02.03.2010, 12:10
HeikeD. HeikeD. ist offline
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Standard Geschenkte Zeit

Gestern war mein 4. Geburtstag.

Ich möchte dies zum Anlass nehmen, mich hier mal wieder zu Wort zu melden.Das letzte halbe Jahr war nicht leicht, so dass ich nur sporadisch gelesen habe, wie es euch allen ergangen ist.

Am 1. März 2006 zerbrach mit der Diagnosestellung meine Welt. Kurze Zeit später, nach der 1. OP, erfuhr ich auf mein ständiges Drängen hin von einer jungen Ärztin, dass die Statistik mir eine ungefähre Restlebenszeit von ca. 9 Monaten bescheinigt.

Heute, 4 Jahre später, sitze ich hier und schreibe.

Ich will hier nicht meine Geschichte erzählen, denn eine jede von euch hat sie mehr oder minder in ähnlicher Weise selbst erlebt.

Es waren 4 Jahre mit vielen Höhen und Tiefen, wobei die Tiefen leider den weitaus größten Teil beanspruchten. Große OPs, kleine OPs (wenn man Thermoablationen auch OP nennen darf), Dauerchemo seit mehr als 2 Jahren mit immer anderen Wirkstoffen, die auch dementsprechend immer neue fiese Nebenwirkungen brachten und deren Vielfältigkeit euch ja bestens bekannt sind und die überflüssigen anderen Highlights, die eigentlich nur sekundär mit der eigentlichen Krankheit zu tun hatten (anaphylaktischer Schock,Thrombose, Ileus, Subileus, Kompartmentsyndrom, Wirbelkörperfraktur, Schulterfraktur, Zahnverlust (mein ZA freut sich - er durfte mir seitdem schon 4 ausgefallene Zähne ersetzen) waren nur ein Teil der kleinen Alltagsfreuden.

Dennoch: Es gab immer wieder schöne Abschnitte, mal kürzer, mal auch für einige Wochen. Leider ließ meine Psyche oft nicht zu, dass ich es richtig genießen konnte. Zu groß war die Angst vor dem nächsten 1/4-jährlichen MRT. Mir fehlte die richtige psychologische Betreuung, so dass ich meiner Ängste einfach nicht Herr wurde. Kurze euphorische "Anfälle" , aber auch Angstattacken gehörten zum Alltag. Ich habe ja auch mal hier im Forum darüber geschrieben und von euch immer ein ermutigendes Feedback erhalten.

Dann gab es auch die Zeit, wo ich aufgeben wollte. Meine Onkologin, die freundlicherweise immer sehr ehrlich meine Fragen beantwortet, hatte mir gesagt, dass es "sehr eng würde". Die einzelnen Wirkstoffe waren abgegrast, ich hatte alles schon in irgendeiner Form bekommen. Die letzte Chemo war es, die mich dann endgültig an den Rand meiner Kräfte brachte. Ich hatte an 2/3 meiner Haut böseste Entzündungen, so dass ich weder liegen, noch sitzen, noch stehen noch sonst irgendetwas konnte. Die Schmerzen ( auch während des Abheilungsprozesses) waren so, dass ich letzten Endes beschloss, dass dies meine letzte Chemo sein sollte und ich die Waffen strecken wollte. Komischerweise war ich, als ich diesen Entschluss gefasst hatte, ganz ruhig.

Und wieder kam alles ganz anders. Genau diese Chemo, dieses gehasste und geliebte Caelyx, hat einen Teil der Metasten verkleinert und 2 sogar ganz verschwinden lassen. Als ich das erfuhr, habe ich paradoxerweise erst einmal geweint, weil ich nicht sterben durfte. Ich weiß selbst wie absurd sich das anhört, aber es war halt so. Ich glaube, ich war einfach damit überfordert, mich immer wieder mit neuen Situationen, die die vierteljährlichen Befunde mit sich brachten, auseinanderzusetzen und zu arrangieren. Während dieser Zeit wurde ich sehr gut von meiner Onko-Psychologin, die ich endlich, endlich gefunden hatte, betreut. Onkologisch gesehen ließ man mich einige Wochen in Ruhe. In dieser Zeit heilte meine Haut endgültig und auch die seelischen Wunden ( klingt furchtbar, ich weiß) heilten wieder.

Und wieder wuchs die Sehnsucht nach Leben: Der Wille zum Überleben, der Wille zum Weiterleben! Es dauerte eine Weile, bis ich mich entschied, wieder eine neue Chemo anzufangen. Ich bekomme in 10 Tagen bereits den 4. Zyklus mit dem Wirkstoff, mit dem wir 2006 begonnen hatten. Ich weiß nicht, was mir das MRT im Mai bringen wird, aber ich lasse zur Zeit auch nicht zu, darüber nachzudenken! Und genau das ist der Grund, heute hier im Forum zu schreiben!

Ich weiß, dass meine Krankheit nicht heilbar ist. Ich weiß, dass meine Zeit begrenzt ist. Aber ich weiß auch, dass mir immer wieder ein bisschen Zeit geschenkt wurde und hoffentlich auch zukünftig noch möglichst oft geschenkt werden wird. Die jüngste Vergangenheit hat mir gezeigt, dass es doch immer noch die kleinen guten Nachrichten geben kann. Und zwar auch für uns, deren Krankheit schon sehr weit fortgeschritten ist!
Momentan bin ich endlich in der Lage, mich an diesem kleinen Fortschritt so zu erfreuen, dass ich die Wochen bis zum nächsten MRT genießen kann. Ich bin so ruhig und entspannt, dass ich voller Freude und Dankbarkeit den schmelzenden Schnee und die ersten Schneeglöckchen und Winterlinge erlebe, obwohl die Nebenwirkungen der jetzigen Chemo wieder heftig sind.

Ich denke so oft an diejenigen unter uns, denen es zur Zeit nicht gut geht. Sei es, dass es euch deshalb schlecht geht, weil der "körperliche" Zustand euch schüttelt, oder sei es, weil die Angst euch beutelt. Ich schicke ganz besonders an euch meine Grüße und hoffe, dass auch ihr hin und wieder eine kleine gute Zeit habt! Ich wünsche euch (und auch mir), dass die Kraft uns nicht verlässt, die uns ermöglicht, Freude empfinden zu können.

Die Zeit, die vor uns liegt, wird nicht leichter werden. Das gilt für mich und leider auch für viele andere aus unseren Reihen. Aber niemand weiß, wie lang diese Zeit sein wird ( 9 Monate ? 4 Jahre? 5 oder 6 oder 10 Jahre?).
Niemand weiß, wie es jedem einzelnen von uns ergehen wird, und das ist auch gut so! Aber das, was wir wissen, darf nicht vorherrschend und unser Leben bestimmend werden! Ich wage heute, nach 4 Jahren, zu behaupten, dass ich mit weniger Angst und mehr Freude eine weniger schwere Zeit gehabt hätte. Aber wie schwer ist es, diese Gefühle zu beeinflussen!

Ich wünsche euch und mir die Kraft, auf unsere Gedanken und Gefühle einwirken zu können! Auch wenn wir es nicht schaffen, diese Krankheit zu bremsen und der gesundheitliche Zustand mehr oder weniger in den Händen der Medizin liegt, so ist es doch zum großen Teil uns selbst überlassen, uns psychisch so gut wie nur irgendwie möglich zu fühlen. Eine Onko-Psychologin kann dabei ( wie bei mir geschehen) sehr gut helfen.

Ihr Lieben! Ich habe hier jetzt so viel geschrieben. Ich weiß nicht, ob ich mit meiner "Botschaft" überhaupt jemanden erreicht habe oder ob es wie "wirres Geschwafel" rüberkommt. Letztendlich ist es wohl eine kleine "Hymne an das Leben" geworden. Vielleicht sollte es das auch sein. In erster Linie jedoch ist es ein "Dankeschön" - an wen auch immer - , ein "Dankeschön für die geschenkte Zeit".

Für heute sende ich euch allen herzliche Grüße
HeikeD.

Geändert von HeikeD. (05.03.2010 um 07:58 Uhr)
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