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Alt 11.12.2016, 02:10
lotol lotol ist offline
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Standard AW: Mit der Angst leben

Hallo liebe Nina,

es tut mir sehr leid für Dich/Euch, daß ihr in so einer bedrückenden Ungewißheit seid, die jeden von Euch enorm belastet.

Wie alt ist Dein Vater?
Und wie ist er körperlich beieinander?
Damit meine ich, inwieweit er an sich der erneuten Therapie "gewachsen" sein kann.

Du sprachst von Nebenwirkungen dieser Therapie, die ihn so "schlauchten", daß Pausen eingelegt werden mußten.
Weißt Du, welche Nebenwirkungen das konkret sind oder spricht Dein Vater (auch) darüber nicht weiter mit Dir/Euch?

Zitat:
Mir fällt es sehr schwer damit umzugehen, dass mein Vater sterben wird. Die Vorstellung, die nächsten Jahre daneben zu stehen und nichts tun als meinem Vater dabei zusehen zu können, wie er langsam immer schwächer wird, nimmt mir beinahe die Luft zum Atmen. Ich habe große Angst, dieser Belastung nicht gewachsen zu sein. Ich will nicht sehen, wie mein Vater krank ist und stirbt. Um irgendeine Form der Kontrolle in dieses Gefühl der Haltlosigkeit, das an manchen Tagen so übermächtig zu werden scheint, zu kriegen, sage ich mir: was ist realistisch? Vielleicht 4 Jahre? Und versuche mich damit zu trösten, dass ich das 4 Jahre schon mitmachen kann, dass ich 4 Jahre schon durchhalten kann. Dann wäre ich 28.
Um eine Kontrolle über das Gefühl der Haltlosigkeit erreichen zu können, ist es am besten, die Realität zu akzeptieren.
Denn nur die ist realistisch, während ein hypothetisch angenommener Zeitraum, z.B. von 4 Jahren, das nicht ist.

Die Prognose bzgl. möglicher Lebensdauer Deines Vaters nanntest Du mit ca. 6 Monaten bis 10 Jahren.
Mehr als 6 Monate sind bereits verstrichen, ohne daß Dein Vater starb.
Er könnte aber auch lt. Ärzten noch 10 Jahre weiterleben.
Wird sicher auch davon abhängen, inwieweit seine derzeitige Therapie erfolgreich ist.

Denke, es ist Deinerseits völlig falsch, da z.B. die 4 Jahre anzunehmen.
Nimm besser einen wesentlich kürzeren Zeitraum, z.B. ein Jahr, an!
Warum, darauf komme ich w.u. zurück.

Zitat:
Was mich am meisten beschäftigt, ist wie man mit dem "konstanten Schrecken" umgehen kann... Gewöhnt man sich mit der Zeit daran?
Natürlich wirst Du lernen müssen, Dich an den konstanten Schrecken zu gewöhnen.
Denn kein Mensch vermag etwas daran zu verändern, daß das jederzeit mögliche Sterben Deines Vaters wie ein Damokles-Schwert über Dir hängt.
(Was übrigens auch ohne seinen "erneuten" Krebs der Fall ist/wäre.
Nur denkt man halt darüber i.d.R. gar nicht nach.)
Und, je schneller Du Dich daran gewöhnst, umso besser dürfte das für Dich sein!

Ich sehe das exakt genau so, wie Leni56:
Zitat:
Zitat von Leni56
Wichtig ist das Du erstmal einen Weg für Dich findest ,,klarzukommen"...Du kannst nicht alles allein tragen...nur wenn Du Kraft genug hast bist Du auch anderen eine Hilfe.
Ich hoffe sehr das Du weiterhin hier schreibst wenn es Dir hilft. Hier ist immer jemand der zuhört/liest...und falls möglich auch eine Antwort für Dich hat. Pass gut auf Dich auf....
Denn es geht bis zu einem gewissen Grad auch um Deinen "Selbst-Schutz".
Dein Leben wird weitergehen.
Also versuch bitte, es so weit als möglich, ganz normal zu leben.
Mit allem, das Dir Freude macht.

Zitat:
Oder bleibt einfach jede Nachricht, die man bekommt immer gleich schlimm?
Schlimme Nachrichten sind arg relativ.
Denn es kommt dabei darauf an, was man erwartet.
Erwartest Du das Schlimmste, z.B. das Sterben Deines Vaters innerhalb von 1 Jahr, kann jede Nachricht nach 1 Jahr an sich nur besser sein.
Immerhin könnte Dein Vater lt. seinen Ärzten auch noch 10 Jahre weiterleben.

Versuch bitte, in Dir so eine Art "gedankliche Schleife" zu erstellen, die Deinem Selbst-Schutz dienen kann.
Sicher sind solche Schleifen (wie in "meinem" Lymphdrüsenkrebs-Thema beschrieben) bis zu einem gewissen Grad paradox.
Aber sie helfen todsicher.

Zitat:
Was mir am meisten Angst macht ist glaube ich der Gedanke, dass jeder allein ist und man keinem anderen Menschen wirklich helfen kann.
Richtig ist nur, daß "jeder für sich allein stirbt".
Wie könnte es auch anders sein??
Falsch ist, daß man keinem anderen Menschen (auch beim Sterben) helfen könnte.
Er muß das nur wollen und auch zulassen.

Zitat:
Mein Vater stirbt jetzt einfach, sein Leben ist vorbei, das war es jetzt, daran kann keiner mehr was ändern. Ich kann ihm nicht helfen.
Du gefällst mir ja schon.
Wer sagt denn, daß Dein Vater jetzt einfach stirbt??

Eingangs hast Du berichtet, daß er sich entschlossen hat, eine lebensverlängernde Therapie "durchzuziehen".
Klingt ja nicht gerade nach "mir nichts dir nichts" Wegsterben.

Du meinst, Du könntest ihm nicht helfen??
Wenn überhaupt jemand, hast Du in Deiner Familie die beste Chance, zu ihm (als Mensch) "durchdringen" und ihm helfen zu können!

Versuch das bitte mit allen Mitteln, die Dir dabei zur Verfügung stehen!!
Denn nichts ist nach dem Sterben Familienangehöriger schlimmer, als sich zu spät zu fragen, ob man selbst vielleicht etwas versäumt hat, zu tun, um eine hilfreiche menschliche Nähe erreichen zu können.
Kannst Du mir schon glauben.

Also fang bitte sofort damit an!
Schreib Deinem Vater einen Brief aus dem Ausland. Vielleicht zu Weihnachten.
Und offenbar Dich ("ungeschminkt") Deinem Vater mit all Deinen Sorgen, Nöten und Wünschen bzgl. seines Lebens.
Er liebt Dich, und wer sollte Dich denn besser verstehen können als Dein eigener Vater??
Versuch es bitte wenigstens, zu ihm (als Mensch) durchdringen zu können!

Er wird das auch in seiner eigenen beschissenen Situation verstehen können.
Sollte mich sehr wundern, wenn er dann menschliche Nähe immer noch nicht zulassen würde.
Viel Glück dabei.


Liebe Grüße
lotol
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Krieger haben Narben.
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1. Therapie (2016): 6 Zyklen R-CHOP (Standard) => CR
Nach ca. 3 Jahren Rezidiv

2. Therapie (2019/2020): 6 Zyklen Obinutuzumab + Bendamustin => CR
Nach ca. 1 Jahr Rezidiv, räumlich begrenzt in der rechten Achsel

3. Therapie (2021): Bestrahlung
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