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Alt 17.02.2006, 10:28
Manu32 Manu32 ist offline
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Standard das Vermissen tut so weh

Hallo!

Bisher war ich immer nur stiller Mitleser, früher als meine Mutti noch lebte und auch nachdem sie vor 3 Wochen und 6 Tagen starb.
Ich habe jetzt meinen ganzen Mut zusammen genommen und möchte mir meine Trauer, Verzweiflung, Ängste und Wut von der Seele schreiben.
Meine Mutti ist im September 2003 an Brustkrebs erkrankt. Sie hatte einen sehr schnellwachsenden Krebs der leider waren schon Lymphknoten und Leber befallen als er erkannt wurde. Ihr wurde sofort die befallene Brust abgenommen und schon da war sie so unglaublich tapfer. Sie zeigte nicht ein einziges Mal Angst und Verzweiflung.
Dann begann die Zeit der Dauerchemo und Bestrahlung. Der behandelnde Onkologe sprach von Anfang an davon, dass der Krebs unheilbar war. ABER er sagte auch, dass meine Mutti trotzdem bei positiven Krankheitsverlauf mit dem Krebs "alt" werden kann. Jetzt im nachhinein wissen wir, dass wir von den Ärzten von Anfang an immer belogen wurden.
Das Augenmerk des Onkologen richtete sich auf die Lebermetastase (es war nur eine die nur 1 cm gross war). Meine Mutti bekam fast 2 Jahre und 3 Monate am Stück Chemos. Zwei der unzählig vielen Chemos schlugen sogar an und die Metastasen bildeten sich zurück. Wir waren in dieser Zeit so voller Hoffnung, dass sie auch mal längere "Ruhezeiten" haben könnte. Leider war es nicht der Fall. Sobald eine Chemopause eingelegt wurde bildeten sich sofort neue Metastasen. Seit ca. 1,5 Jahren ging es dann nur noch bergab. Bei jeder Ultraschalluntersuchung wurde gesagt, dass die Metastasen entweder mehr oder grösser geworden sind.
Meine Mutti hatte etliche Nebenwirkungen während dieser Zeit und war dennoch immer tapfer und klagte nie. Sie sagte immer "Hauptsache die Metastasen bilden sich zurück".

Seit Oktober 2005 wurde es dann immer schlimmer. Sie bekam plötzlich hohes Fieber mit starken Schüttelfrost und Übelkeit was sie seitdem nicht mehr loswurde. Erst dachten wir sie hatte eine Grippe und später nahmen wir an, dass es eine Chemonebenwirkung sein könnte. Die Ärzte liessen uns in dem Glauben, obwohl sie wussten, dass es von den Tumoren kam. Die Metastasen wuchsen mit rasanter Geschwindigkeit. Meine Mutti kam mehrmals ins Krankenhaus wo sie auf den Kopf gestellt wurde. Sie wurde dort noch so gequält obwohl die Ärzte wussten, dass man ihr nicht mehr helfen konnte. Es drängt sich mir schon der Gedanke auf, dass das dort nur noch Geldschneiderei war. Mitte Dezember holte ich meine Mutti zu mir nach Hause um sie besser betreuen zu können. Aber nach nur wenigen Tagen ging es ihr so extrem schlecht, dass sie teilweise ohnmächtig wurde und dabei Atemaussetzer hatte. Wir brachten sie wieder ins Krankenhaus weil wir zu Hause zu grosse Angst hatten. Und genau an diesem Tag (es war der 22.12.05) sagten die Ärzte mir dann das 1. Mal die Wahrheit. Einer der beiden Ärzte sagte mir mit grausamer kaltherzigkeit als ginge es um einen Gegenstand, dass meine Mutti als austherapiert gilt und es sein kann, dass sie schon in der kommenden Nacht stirbt. Als ich das hörte brach ich mit einem Weinkrampf zusammen. Bis zu dem Zeitpunkt sprachen die Ärzte immer von kleinen überschaubaren Metastasen und nun hiess es sie wird bald sterben weil die grösste Metastase schon 9cm gross war.
Ich wusste nicht mehr was ich denken oder fühlen sollte. Mir rannten nur die Tränen über das Gesicht und in mir war es vollkommen leer. Die Ärzte überliessen es mir meiner Mutti die Wahrheit zu sagen. Ich versuchte so schonend wie möglich meiner Mutti zu erzählen wie es um sie stand. Natürlich konnte ich dabei meine Tränen nicht zurückhalten. Ich wollte dennoch, dass sie ein Fünkchen Hoffnung bewahrt.
Das erstaunliche war, dass meine Mutti viel tapferer reagierte als ich es tat. Sie zeigte gar keine Angst und weinte nicht.
Meine Mutti zeigte nie Angst und versuchte auch nie zu weinen. Heute weiss ich, dass sie furchtbare Angst gehabt haben muss denn sie wollte unbedingt leben und kämpfte auch bis zum letzten Atemzug. Meine Mutti wollte mich nur immer schonen weil sie wusste wie sehr ich an ihr hing.
Nach Weihnachten durfte ich meine Mutti zu mir nach Hause holen zum Sterben. Es war eine sehr sehr schlimme Zeit. Meine Mutti baute von Tag zu Tag mehr ab und wurde immer schwächer. Ihr Leib wurde immer dicker und wir wussten, dass das was wir sahen der Krebs war. Es war so schlimm sie so leiden zu sehen und ich hatte furchtbare Angst. Meine Mutti hatte so grosse Schmerzen und die Medikamente halfen nicht.
Am 10.01.2006 hatte meine Mutti den Wunsch in ein Hospiz zu gehen. Mir behagte der Gedanke gar nicht weil ich sie doch bei mir behalten wollte und so gut es nur ging für sie da sein wollte. Sie liess sich aber von dem Gedanken nicht abbringen. Auch da weiss ich jetzt im Nachhinein, dass sie nur nicht wollte, dass ich sie sterben und leiden sehe. Es ging ihr so furchtbar schlecht und sie wollte trotzdem immer nur mich schützen.
Am Freitag den 13. (es war immer ihr Glückstag) brachten wir sie schweren Herzens in das Hospiz. Es war kaum zu glauben, aber plötzlich schien meine Mutti dort richtig aufzublühen. Als wir sie am nächsten Tag besuchten wollte sie, dass wir sie anziehen und mit ihr im Rollstuhl an die frische Luft fahren. Sie hat diesen Spaziergang so genossen. Auch an den kommenden Tagen ging es ihr so gut, dass wir mit ihr rausfahren konnten. Wir genossen jeden Augenblick zusammen und es stieg wieder Hoffnung in uns auf, dass wir vielleicht doch noch etwas Zeit miteinander haben dürfen. Am Donnerstag den 19.01. war dann der schönste und letzte Tag den wir gemeinsam erleben durften. Meiner Mutti ging es richtig gut und hätten wir es nicht besser gewusst hätte man meinen können, dass sie einfach nur eine Frau ist die im Rollstuhl sitzen muss.

Leider kam es dann in der folgenden Nacht ganz anders. In Windeseile baute sie ab. Als ich sie am Freitag besuchte war sie schon sehr sehr schwach und konnte nichts mehr essen. Sie quälte sich mit schlimmen Schmerzen und die Morphiumdosis schlug nicht mehr an. Am Samstag als ich sie dann wieder sah dachte ich ich traue meinen Augen nicht. Ich wusste mit diesem Augenblick, dass sie bald von mir gehen wird.
Das was ich an diesem Samstag erlebte werde ich nie wieder vergessen können. Es war so schrecklich sie so dort liegen zu sehen. Sie kämpfte mit dem Tod und ist um Jahre gealtert. Ihre Beine und Arme waren schon kalt und blau und sie konnte sich kaum noch bewegen. Sie wimmerte vor Schmerz und ich konnte ihr einfach nicht helfen. Ich war so traurig und hilflos. Das einzige was ich tun konnte war einfach nur da sein. In diesem Moment wusste ich es wird Zeit loszulassen. Dieses Loslassen gelang mir vorher nicht und das wusste meine Mutti auch. Ich glaube sie konnte nicht "einschlafen" bevor sie wusste, dass ich sie loslasse.

Meine Mutti und ich hatten schon immer eine sehr sehr enge Bindung zueinander. Sie war für mich immer Mutti, Freundin, Bezugsperson und einfach mein Lebensmittelpunkt. Jetzt wo sie nicht mehr bei mir ist fühlt es sich so an als wäre ich selbst ein Stück gestorben. Der wichtigste Mensch in meinem Leben ist einfach fort und ich musste zurückbleiben. Wem vertraue ich nun die wichtigen und unwichtigen Dinge an? Wer fängt mich auf wenn ich traurig bin? Und wer rückt mir mal den Kopf zurecht wenn ich über die Stränge schlage? Ich habe so oft das Gefühl, dass ich sie anrufen muss um ihr Dinge zu erzählen und dann merke ich, dass das doch gar nicht mehr möglich ist. Ich rede mit ihr jeden Tag in Gedanken oder auch laut in der Hoffnung sie kann mich hören. Es gibt so viel schlimmes und trauriges was nach ihrem Tod passiert ist, dass ich manchmal hoffe, hoffentlich hat sie das jetzt nicht mitbekommen. Die Gesellschaft, das Umfeld und sogar ein Teil Familie ist so unglaublich kaltherzig, dass es kaum zu ertragen ist. Selbst die Mutter meiner Mutti hat sich geweigert zur Beisetzung zu kommen weil sie Angst hatte fremde Menschen könnten sie im Rollstuhl sitzen sehen. Es war meiner Oma wichtiger was andere Menschen denken könnten als Abschied von ihrem Kind zu nehmen. Es zerreisst mir das Herz wenn ich darüber nachdenke.
Nicht mal frühere Nachbarn und Bekannte meiner Mutti hatten ein paar nette Worte übrig. Jeder meidet uns als hätten wir die Pest.

Das alles hat meine Mutti nicht verdient. Sie war immer so ein lebenslustiger, lieber Mensch und immer nur für andere da. Warum nur hat jetzt niemand etwas für sie übrig? Denkt denn niemand an sie? Es macht mich so unsagbar traurig und wütend.
Der Schmerz den ich empfinde wird täglich grösser. Ich habe an nichts mehr Freude und ich denke pausenlos an meine Mutti und unsere gemeinsamen Erlebnisse. Ich weiss nicht wie mein Leben ohne sie einmal weitergehen soll und wie ich mit der Trauer umgehen soll. Es fühlt sich an als würde mir jemand das Herz rausreissen und ich kann nichts dagegen tun. Ich habe sehr schlimme Träume und dadurch oft Angst überhaupt noch etwas zu schlafen. Warum fühle ich mich so einsam und allein? Wird dieses schlimme Gefühl irgendwann einmal etwas besser? Wie geht ihr alle mit Eurer Trauer um?

Ich danke Euch schon einmal für's Zuhören.

LG Manu
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