Thema: Du fehlst...
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Alt 30.09.2014, 22:46
Tomislav2 Tomislav2 ist offline
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Standard AW: Du fehlst...

Dann versuche ich mal, weiter zu machen in meinem Tagebuch:

Teil 2 -> Die Diagnose und die erste Zeit danach...

Annika wurde in eine andere Klinik überwiesen. Die Tage bis dahin waren voller Ungewissheit. Sie war wie immer pessimistisch und rechnete mit dem Schlimmsten und ich wie immer als Optimist "Nun mach Dich nicht so heiß, wird schon was gutartiges sein...". Dann ging es ins Krankenhaus. Ich fuhr sie hin und begleitete sie den Tag über zu allen Vorgesprächen und Voruntersuchungen... Im Arztgespräch wurde uns der Eingriff erläutert. Kernaussage war "Wir wissen nicht genau, was es ist, aber es muss raus". Es wurde darauf hingewiesen, dass evtl. die Niere entfernt werden muss oder der Darmausgang nach Außen verlegt werden muss... Nachmittags war dann alles erledigt. Wir ließen die Kinder nochmal vorbeikommen (mit Schwiegereltern) und verbrechten einen schönen nachmittag mit Eis essen usw. Als die Kinder weg waren, saßen wir noch bis nach sieben Uhr auf einer Bank und genossen die Sonne (es war der 7.8.2013). Irgendwann musste sie ja aber wieder aufs Zimmer (sie hatte sogar ein Einzelzimmer, weil gerade nicht viel los war...).

Am nächsten Tag war dann die OP. Hier kann ich mich gar nicht mehr genau erinnern, ob sie auf Intensiv lag. Ich glaube, wenn, dann habe ich sie dort nicht besucht. Ich sah sie das erste Mal auf ihrem Zimmer. Sie hatte ganz schöne Schmerzen und bekam schnell eine Schmerzpumpe. Diese hatte aber die Nebenwirkung, dass sie nachts schlimme Alpträume hatte. Sie erzählte davon, dass einer an ihrem Bett stand und sie umbringen wollte. Das war total real... Naja, die Ärztin erklärte uns die OP. Die Masse ließ sich sehr gut abschaben. Sie war glibbrig, schleimig. Niere und Darm konnten erhalten werden. Optisch waren keine Tumoranteile mehr zu sehen. Die Masse würde anschließend untersucht, was ein paar Tage dauert. Wir waren erstmal froh, dass sie keinen künstlichen Darmausgang bekam und dass das so gut lief.

Danach ging das Warten auf den Befund los. Jeden Tag nachfragen, jeden Tag hieß es, nein nix neues. Bis auf ein paar kleinere Weh-Wehchen ging es mit Annika aufwärts. Nach 9 Tagen kam dann endlich der Befund. Leider nicht so gut. Bösartiger Tumor, Myxoides Liposarkom, R1 resiziert. Bei OP war nichts mehr zu sehen, aber es müssen noch einige Zellen da sein, deshalb wird wohl Chemo o.ä. folgen. Der Fall wird auf der Tumorkonferenz besprochen und anschließend sollen wir uns bei der Onkologie melden. Am nächsten Tag wurde sie entlassen. Ich las den Entlassungsbrief (Annika wollte davon nix wissen / Im Nachhinein weiß ich auch nicht, ob sie mir immer alles sagte, was ihr die Ärzte sagten), darin hämmerte sich ein Satz in mein Hirn: "..Aufgrund der hohen Mitoserate ist von einer ungünstigen Prognose auszugehen..." Mir wurde heiß und kalt. Annika sagte ich davon nichts.

Gesundheitlich ging es wieder gut. Sie war rasch wieder die alte. Allerdings mussten wir zu ihrem neuen Chef. Schließlich rechnet er damit, dass Annika dort am 1.9. zu arbeiten anfängt. Wir hatten ein gutes Gespräch und sagten auch, dass wir es verstehen würden, wenn der Arzt sich eine andere Arzthelferin suche würde. Aber nein. Er sagte, er stellt sie trotzdem ein. Wir im Team glauben an Sie, Annika. Wir warten auf sie. Das hatten wir nicht erwartet. Eine Sorge weniger...

Dann ging es am 28.08. zu den Onkologen. Der Arzt war mir nicht so recht sympathisch. Und damals wagte ich noch nicht, irgendwelche kritischen Fragen zu stellen. Was er sagte, war Gesetz... Es soll eine Chemotherapie gemacht werden, 6 Zyklen Adriamycin/Ifosfamid alle drei Wochen, je eine Woche Krankenhaus, zwei Wochen zu Hause usw. Es geht ja nur darum, auf Nummer sicher zu gehen, da nur R1 resiziert wurde. Danach müsste alles weg sein. Unter vielen Tränen erfuhr Annika auch, dass sie ihre Haare verlieren wird. Ich versuchte, ihr Mut zu machen. Sagte ihr, dass sie Weihnachten damit durch ist und zum nächsten Sommer wachsen die Haare wieder. Und zur Einschulung in einem Jahr werden wir den Tanz eröffnen und sie wird wundervoll aussehen...

Wir fuhren ziemlich zeitnah die Perücke aussuchen. Da sie so einen kleinen Kopf hatte, war die Auswahl sehr begrenzt. Wir fanden aber ein schönes Modell. Ihre Stimmung ging aber total in den Keller, sie wurde fast schon depressiv. Ich pflasterte unsere Wohnung mit aufmunternden Sprüchen voll. Jedes Mal, wenn sie irgendeine Tür öffnete, war da ein Aufkleber mit einem Spruch. So richtig half es aber noch nix. Am 31.08. ging ich dann allein zu einer Geburtstagsfeier. Am Ende der Feier unter Einfluß von etwas Alkohol hatte ich dann meinen ersten kleinen Zusammenbruch. Ich heulte wie ein Schloßhund. Zum Glück waren nicht mehr soviele da...

Am 03.09. ging es dann ins Krankenhaus zur Chemo. Am ersten Tag wieder Voruntersuchen, Port einsetzen usw. Ich war immer mit dabei. Am 04.09. startete dann der erste "Cocktail". Meist lief das drei Tage durch. Zum Anfang ging es noch, dann kamen Übelkeit usw. Wir gingen dann nachmittags oft raus, spazieren im Park oder Kaffee trinken. Kinder waren auf der Station nicht erlaubt, was ihr unglaublich wehtat. Wir haben dann immer versucht, die Kinder dazuzuholen, wenn wir draußen spazieren waren. Die Blutwerte spielten so ein bisschen Roulette. mal war Kalium zuwenig, mal passten die Leukos nicht, immer was anderes. Zu ihrem Geburtstag wurde sie entlassen. Mit Auge zudrücken, da wieder ein Wert nicht ganz passte. Wir tranken zu Hause Kaffee mit meinen Eltern und Schwiegereltern und natürlich den Kindern. Einen Tag später sollten wir nochmal zur Blutkontrolle. Beim Abschied von den Kindern versprach Annika der Großen: "Nachmittag ist Mama wieder da, versprochen..." So kam es nicht. Ich weiß nicht mehr genau, welcher Wert nicht passte. Meistens war es zum Anfang Kalium. Jedenfalls musste sie dableiben. Die große war sehr enttäuscht... Fast eine Woche blieb sie drin. Da die Leukos total abrauschten, musste sie auch einen Mundschutz tragen. Das war für sie total erniedrigend, wenn wir draußen waren... Am Wochenende machten wir dann auch noch was verbotenes. Anstatt nur Spazieren zu gehen gingen wir zum Auto und ab nach Hause. Wir verbrachten den Nachmittag im Garten und abends ging es wieder zurück.

Eine Woche war sie zu Hause, dann ging es wieder los. Am 25.9. startete der zweite Zyklus. Die Zimmer waren überigens nicht sehr einladend - Vierbettzimmer, kleine Toilette. In der Zeit fielen ihr die Haare büschelweise aus und waren auch an manchen Stellen wie verklebt. Sie entschied sich, dass sie ab sollten. Wir ließen den Friseur mit der Perücke kommen. Er machte auch die Rasur. Bis auf die "normalen" Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen ging es diesmal besser. Eine Woche späte konnte sie entlassen werden. Sie war auch einigermaßen gut drauf. Beim Spazierengehen wurde sie oft angesprochen, dass ihr die neue Frisur sehr gut steht. Keiner bemerkte, dass es eine Perücke war... Und sie hatte sich mittlerweile mit der Situation arrangiert. Sie war nicht mehr so down. Wir waren eigentlich guter Hoffnung, dass es gut ausgehen wird....

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Meine geliebte Annika *11.09.1977 22.08.2014
(Myxoides Liposarkom ED 08/2013)
Meine Mama * 19.03.1961 06.09.2015
(Brustkrebs seit 2006)
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