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Alt 31.07.2002, 11:53
Gast
 
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Standard Hilflose Helferin

Liebe Brigitte,
mich würde interessieren, welche schlimmen Erfahrungen Du im Rahmen Deiner Erkrankung in Kliniken gemacht hast, wo Du von Pflegern "umwimmelt wurdest, die keine Anhnung davon hatten, wie sie mit Dir als unheilbar Kranke umgehen sollten". Ich selbst bin Krankenschwester und Ehefrau eines Krebspatienten. Ich habe lange Jahre auch mit Krebspatienten gearbeitet. Mir ist durchaus bekannt, daß es überall Mißstände und schwarze Schafe gibt, leider. Aber Deine absoluten Verallgemeinerungen kann und möchte ich so nicht stehen lassen.
Kado arbeitet in einer Wohngemeinschaft für Behinderte und steht diesen Menschen, die oft keine Angehörigen haben, bei, ein Leben in relativer Selbständigkeit zu führen. Ich ziehe meinen Hut vor Menschen, die diesen Beruf ausüben und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten versuchen, diesen Menschen ein schönes und lebenswertes Leben zu vermitteln, jedem einzelnen auf seine Bedürfnisse abgestimmt!! Diese Einrichtung hat in erster Linie nichts mit Pflege von totkranken Menschen zu tun. Danach ist die Ausbildung dieses Berufsstandes nicht ausgerichtet. Wie Kado bereits geschrieben hat, werden die Bewohner dieser Einrichtung, die deren Zuhause ist, wie alle anderen Menschen auch von Hausärzten betreut und gegebenenfalls, wenn erfoderlich, in Krankenhäuser eingewiesen. Kados Situation ist also nichts anderes, als die eines normalen Angehörigen, mit dem sie noch nicht einmal verwandt ist!!! Und ich finde es toll, daß sie sich bemüht, ihrer Bewohnerin solange wie möglich ein Leben in ihrer Familie ( nämlich der Behinderteneinrichtung ) möglich zu machen!
Zum Umgang mit Sterbenden oder unheilbar Kranken in Kliniken kann ich Dir sagen, daß Du mit Sicherheit nicht von unfähigen Menschen "umwimmelt" bist. Die meisten in der Pflege arbeitenden Krankenschwestern und -pfleger haben eine mindestens 3jährige Ausbildung hinter sich, häufig auch noch eine daran anschließende mindestens 2jährige Fachausbildung! Sie wissen sehr wohl, wie man mit unheilbar kranken Menschen oder gar mit Sterbenden umgehen muß, denn sie haben die Pflege auch solcher Patienten gelernt! Leider ist die Situation in unseren Krankenhäusern und Kliniken nicht so, wie ein Laie es sich manchmal vorstellt. Der Aufgabenbereich einer Pflegekraft umfasst nicht nur die Pflege unheilbar Kranker oder Sterbender und geht auch über die in der Öffentlich sehr verbreitete Meinung der Kaffee-trinkenden, Tabletten-verteilenden und Töpfchen-schwenkenden Schwester/ Pfleger hinaus! Es stehen umfassende, teilweise schwere Aufgaben in der Pflege an und natürlich auch die psychische Betreuung und Pflege ( und das zusätzlich an mindestens 2 Wochenenden im Monat und vielen Feiertagen, an denen die meisten Menschen zu Hause ihre Füße hochlegen, von den ständig anfallenden Überstunden und Zusatzdiensten mölchte ich hier gar nicht erst reden! ). Die Situation ist leider heute nur so, daß auf einer Station meistenteils "gemischtes Patientengut" vorhanden ist: der sterbende Patient, der chronisch und unheilbare Patient, der Akutpatient , der "Vollpflegefall" und der "Normalpatient". Die Personalsituation ist meistens reichlich bescheiden, denn es gibt immer weniger Menschen, die diesen unter den oben geschilderten Bedingungen ( die finanzielle Seite lasse ich jetzt mal ganz beiseite )sehr "attraktiven" Beruf ausüben möchten! Jeder der oben aufgeführten Patienten hat das Recht auf bestmögliche Betreuung und Pflege, und das Ganze möglichst individuell. Jeder Patient sieht sich natürlich nur allein, hat keine Ahnung vom Pflegeaufwand seiner Mitpatienten und ist natürlich aus seiner Sicht häufig derjenige, der zur Zeit die größten Probleme hat und die meiste Pflege benötigt. Leider ist eine Pflegekraft aber nur mit 2 Beinen, 2 Händen und einem Gehirn ausgestattet ( muß wohl eine Fehlkonstruktion sein ) und das Aufteilen der einzelnen Körperteile auf alle Patienten funktioniert leider auch nicht so, wie gewünscht. Da kommt leider die psychische Unterstützung der einzelnen Patienten machmal etwas zu kurz. Das heißt aber nicht, daß die Pflegenden unwissend sind!
Tod und Sterben im Pflegeberuf verdrängt??? Wer außer Ärzten und Pflegekräften wird so oft mit dieser Situation konfrontiert? Es hat keine Pflegekraft gelernt, mit Tod und Sterben umzugehen? Das ich nicht lache! Entschuldige bitte, aber diese Äußerung halte ich für absolut unqualifiziert! Schwester oder Pfleger zu sein, heißt, sich mit dem Sterbenden UND seinen Angehörigen auseinanderzusetzen, neben all der anderen Arbeit, die auf der Staion anfällt, auch einfühlsam und bestimmt nicht unwissend mit beiden Gruppen ( Patient und Angehöriger ) umzugehen! Außerdem möchte ich hier einmal die Frage stellen, ob eigentlich alle Welt der Meinung ist, daß Pflegekräfte irgendwelche "Übermenschen" sind? Es geht hier, liebe Brigitte, offensichtlich nur um Deine Situation, wie Du Dich fühlst, wie Du Dich schlecht und unwissend von Kliniken und deren Personal behandelt fühlst etc. Hast Du schon einmal darüber nachgedacht, welche Kraft es benötigt, als Schwester oder Pfleger KONTINUIERLICH mit Sterbenden oder unheilbar Kranken zu arbeiten? Was es heißt, immer wieder vor der Endlichkeit aller menschenmöglichen Therapien zu stehen, immer wieder mit dem Tod konfontiert zu werden und hinter dem Tod eines Menschen das persönliche Schicksal des Patienten zu sehen, das Leid, die Trauer, die Probleme auch eines Angehörigen zu sehen?
Eine Klinik ist nicht für das Sterben ausgerichtet? Das bezweifele ich doch sehr. Gerade in den letzten Jahren hat man hier vieles getan. Man ermöglicht zum Beispiel seit langer Zeit Angehörigen über Tag und Nacht an der Seite des sterbenden Patienten zu sein. Für die Schwester/ den Pfleger, der ja ach so unwissend ist, sind mit Angehörigen weitere "Patienten" auf der Staion zu betreuen. Denn auch der Angehörige hat das Recht auf "Pflege" in der Klinik und bekommen sie in der Regel auch, wenn die Zeit es zulässt! Wo bleibt die ganze palliative Medizin, wenn Kliniken und Ärzte nicht auf Sterben ausgerichtet sind?`Wo bleibt, das mit Medikamenten ermöglichte "humane" Sterben, wenn Kliniken und Ärzte daruf nicht eingerichtet sind? Dann dürfte jeder Patient zu Hause sterben. Wieviele Menschen haben das Glück, zu Hause sterben zu dürfen und wieviele sterben in der Klinik ( die ja dafür nicht eingerichtet ist )? Es wäre schön, wenn Du einmal die Möglichkeit hättest, mit "unwissenden" Pflegekräften nur eine Woche lang mitzulaufen und damit die Nöte und Sorgen von vielen Patienten und Pflegekräften kennzulernen. Vielleicht würdest Du Dein Urteil dann revidieren!
Man schiebt Krebspatienten ab? In Tumorzentren? Sei doch froh, daß es Spezialkliniken gibt! Oder bringst Du Dein zu reparierendes Auto zum auschließlichen Autohändler, der keine Werkstatt nebenher hat?
Man baut Hospize, weil wir nicht in der Lage sind, mit Sterbenden oder Tod umzugehen und dort Personal ist, die darauf spezialisiert sind? Auf was spezialisiert? Arbeiten dort Menschen, die speziell auf das Umgehen mit Tod und Sterben gedrillt worden sind? Wie lernt man, mit Tod und Sterben umzugehen, wo doch beides individuell bei den zu betreuenden Patienten unterschieldich ist? Hospize haben einen Vorteil gegenüber Kliniken: da gibt es NUR noch die psychische Betreuung und später, im Finalstadium, noch die körperliche Pflege eines Sterbenden, keine weitere, zeitaufreibende Behandlungspflege und Diagnostik. Da gibt es Zeit für das Individuum sterbender Patient. Das nennst Du Abschieben?? Das könnte ich nur so verstehen, daß Du meinst, Angehörige würden die Patienten dort hin abschieben, weil sie mit Tod und Sterben nicht umhgehen können. Und diese Unterstellung so verallgemeinert würde ich als eine absolute Frechheit ansehen! Wie viele Patienten hast Du schon sterben gesehen? Weist Du, wie groß die Belastung eines Angehörigen ist, der beim Sterben seines Liebsten untätig zusehen muß, absolut hilflos ist, so etwas vielleicht noch nie erlebt hat, Angst hat etwas fasch zu machen, völlig überfordert ist mit seiner psychischen Situaion und der psychischen Situation des Sterbenden etc.? Ganz abgesehen von der notwendigen körperlichen Vollpflege eines sterbenden Patienten. Der häusliche Pflegedienst kommt in der Regel dreimal am Tag nach Hause zu dem Patienten, um ihn zu versorgen. Meinst Du, damit ist es dann getan? Pflege heißt: 24 Stunden am Tag und keiner weiß, wie lange diese Pflege notwendig ist. Ich kann jeden Angehörigen verstehen, der dieser Situation nicht gewachsen ist und deshalb den Patienten in professionelle Hände übergibt! Das ist in den meisten Fällen mit Sicherheit kein Abschieben!! Deshalb gilt meine Bewunderung auch allen Angehörigen, die versuchen, diese Situation ganz weit herauszuzögern oder die die Kraft aufbringen, den Patienten zu Hause sterben zu lassen!!! Diese Menschen vollbringen für meine Begriffe teilweise übermenschliches und geben ihre gesamte Kraft dafür her. Auch Karo versucht, dies zu leisten. Und ich sage es noch einmal: Hut ab, vor allen, die das machen oder machen wollen und sich hierfür wie zum Beispiel hier Hilfe und Rat holen wollen. So jemanden attackiert man nicht!
Zum Abschluß möchte ich noch einmal auf die Situation, die Du so geschildert hast, daß man als Krebspatient auch in Kliniken von nichtsahnenden, unausgebildeten Pflegern umwimmelt ist, die keine Ahnung davon haben, wie man mit Krebspatienten oder Sterbenden umgehen muß. Ich habe Dir unter anderem das Zeitproblem in einer Klinik und das Personalproblem geschildert. Das kann man ganz einfach umgehen: Kliniken, Krankenhäuser, Altenheime etc. meiden! Unsachlich???? Ja, mit Sicherheit. Aber mit Sicherheit genauso unachlich wie Deine o.a.Äußerung! "Umwimmeln" von Pflegern gibt es heute mit Sicherheit leider nicht mehr, sondern eher umgekehrt: auf weiter Flur findet sich eine Krankenpflegekraft, die nicht gerade Schüler oder Zivildienstleistender ist! Die Gründe hierfür habe ich im Ansatz oben aufgeführt. Personalmangel an jeder Ecke. Und dann gibt es noch die Patienten, die krebskrank sind, momentan aber nicht in den Prioritätsbereich der zeitmäßig eingeengten Pflegekraft gehören, weil sie zwar schwer krank sind, es aber zur Zeit im stationären Bereich Patienten in schlechterem Allgemeinzustand gibt. Für diese ist dann sehr zum Unwillen der ersten Patientengruppe mehr Zeit erforderlich. Das Gesichtsfeld eines jeden einzelnen Patienten ist nämlich leider nur sehr eingeschränkt. Nur auf sich und seine Situation bezogen! Das wird dann verallgemeinert indem man auf die allgemeine Unfähigkeit der Pflegekräfte schimpft. Oder möchte man da nur provozieren oder besonders "krass" sein??? Das finde ich dann nicht gerade gut, wenn jemand wie z. B. Karo hier um Hilfe bittet.
So, den Frust mußte ich jetzt hier mal raus lassen. Vielleicht konnte ich auch etwas zum nachdenken anregen, angreifen wollte ich niemanden.
Liebe Karo, wenn ich Dir als Krankenschwester helfen kann bei Deiner schweren Aufgabe, so lass es mich wissen. Ich werde mein Möglichstes tun.
Alles Liebe an alle Kämpfenden, egal ob Patienten oder Angehörige,
Ulrike

N.B.: Hier ist der krebskranke Ehemann von Sr. Ulrike. Auch ich habe viel Zeit zum Lesen und Schreiben, habe aber noch nicht versucht, mich hier in diesem Forum zu profilieren. Krass von mir?
Die Lösung aller obigen Probleme ist doch ganz einfach: Kliniken, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen schaffen, best-ausgebildetes Personal einstellen, noch weiter ausbilden, um alle obigen Wünsche zu erfüllen. Hotelbedingungen von 7-Sterne-Hotels schaffen (3 Pflegekräfte auf jeden Patienten etc.) und jedem die Wahl lassen, wo er sterben will.
1. Schritt: Jeden Monat die Krankenkassenbeiträge verdoppeln, bis das oben genannte bezahlbar wird. (bei 50 - fach kann man vielleicht aufhören mit verdoppeln).
Als einziges kleines Beispiel möchte ich aus Patientensicht folgendes anmerken: Weiß jemand, wieviel Zeit das Pflegepersonal mit Pflegedokumentation "verplempern muß - gesetzlich"? Damit rede ich nicht gegen die Dokumentation. Aber auch das geht noch zusätzlich von der Zeit ab, die man sich als Patient von "seiner" Schwester unter der Rubrik "Zuwendung an mich" wünscht. Personal einstellen, daß dokumentiert und Pfleger pflegen lassen. Es bezahlen. (Bezahlen müssen die, die die Musik bestellen. Wir als Patienten und Mitglieder von Solidargemeinschaften wie Krankenkasssen und Versicherungen). Denn als die Pflegedokumentation in der jetzigen Form "erfunden" wurde, hat man einfach dem Pflegepersonal das "aufs Auge gedrückt" - ohne zu sagen, wann sie bitte schön das denn auch noch machen soll. Personal wird verringert, Einkommen gekürzt, Aufgaben werden erweitert. Gut, daß wir Zeit haben, von "umwimmelnden" Pflegern zu schreiben, die keine Ahnung von Tod und Sterben, vom Umgang mit krebskranken Patienten etc. haben.
Ich geh' jetzt wieder TV-Kliniken gucken - da bekommt man das vielleicht alles zu sehen.
Schon mal in eine psychosamtische Klinik geschaut? Wieso ist wohl der Anteil der dortigen Patienten gerade auch aus den Pflegeberufen (neben den Lehrern)so überdimensional hoch?
Klar, weil die krass gesagt ................. siehe oben
keine Ahnung haben. Von Tod. Vom Sterben. Vom Umgang mit Krebspatienten, mit chronisch Kranken etc.

Gruß, Jürgen
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