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Alt 31.07.2012, 10:17
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Anyanka77 Anyanka77 ist offline
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Standard AW: Neuroendokrines Karzinom in der Leber

Ich danke euch für eure Anteilnahme.

Hab so das Gefühl, dass es jetzt erst richtig angekommen ist bei mir. Er fehlt in jeder Situation. Alles was jetzt kommt, passiert ohne ihn. Aber ich möchte glauben, dass er trotzdem bei mir ist und stolz wäre, wie er es immer war.

Liebe endet nie.

Es ging alles so schnell. Ich habe mir gerade die letzten Beiträge von mir nochmal durchgelesen. Ich möchte gerne die ganze Geschichte hier zu Ende bringen. Hab euch ja nie erzählt was danach passierte und wieso Papa dann doch so plötzlich starb. Ich muss das für mich hier zu Ende bringen. Ein weiterer Teil zur Verarbeitung.

Im April schrieb ich noch, dass es bergauf geht. Aber in den darauffolgenden Wochen war er zwar vom Kopf her klar, aber er konnte immer schlechter gehen mit der Zeit. Ende Mai war ich zu Hause im Urlaub für eine Woche. An dem Wochenende wurde Papa nach einem Tag Aufenthalt im Krankenhaus wieder nach Hause geschickt, da sie die Chemo nicht geben konnten, weil seine Blutwerte, vor allem die Leukos so extrem schlecht waren. Da traf es mich wie ein Schlag, als ich ihn sah. Er hatte so abgebaut. Vor allem das Laufen, wie ich bereits schrieb ging nur noch mit Omas Krücke. Ich hatte ihn zu dem Zeitpunkt zwei Wochen lang nicht sehen können, weil ich mit Arbeit so zugetackert war und nicht nach Hause konnte. Umso mehr froh war ich, dass ich die über eine Woche bei ihm bleiben konnte. Für Mama war es auch eine Entlastung, da sie ja nebenbei auch noch arbeiten musste.
Die ganze Woche verbrachte Papa größtenteils im Bett. Er war sehr schwach, konnte nur wenig essen, da sein Mund auch so kaputt war. Und das Bewegen fiel immer schwerer. Wir machten uns große Sorgen, wollten ihn eigentlich ein paar Tage später ins Krankenhaus schicken, er bestand jedoch darauf zu Hause zu bleiben. Im Nachhinein bin ich froh, dass Papa so stur war und seinen Willen durchsetzte. Ich hab mich mit ihm vom Bett aus beschäftigt, haben zusammen gelesen, TV geguckt, erzählt, er sagte mir wie stolz er auf mich ist. Ich kochte ihm Essen, möglichst weiches, weil er ja so schlecht schlucken konnte. Ich zog ihn um, ich brachte ihn zur Toilette, falls er doch mal aufstehen wollte/ konnte. Er war zum Pflegefall geworden, innerhalb kürzester Zeit. Auch schlief er bereits viel. Was ich aber dachte wäre normal bei den ganzen Tabletten, die er nehmen musste. Dass ich mit sowas keine Erfahrung habe eigentlich, brauch ich wohl nicht erwähnen. Aber ich tat es gern, ich hätte alles auf dieser Welt mögliche getan für ihn. Es war die letzte Woche, die er zu Hause verbrachte.

Am Samstag noch ( 2.Juni), wollte er unbedingt nochmal raus zu uns an den See. Also zog ich Papa an, und wir warteten dass Mama von der Arbeit kommt und rausfahren zu können. Wir saßen vor Ort noch bei Freunden. Guckten auf unserem Grundstück noch nach dem Rechten. An dem Tag war es mit dem Laufen bei Papa schon fast nicht mehr möglich. Ich hielt ihm am Arm, die andere Seite die Krücke und wir gingen in unserem Garten lang. Er guckte in jede Ecke, ob auch alles gut ist und ja kein Zipfelchen Unkraut irgendwo ist. Dann gingen wir zurück. Es sollte das letzte Mal gewesen sein, dass er das alles sah. Das, wo er am liebsten war, sein eigentliches zu Hause wo er immer nur sein wollte, bei uns am See, wo er mich groß gezogen hat. Und er hat es gewusst, dass er das alles das letzte Mal sehen würde.

Noch am selben Abend wollte er freiwillig mehr Schmerztabletten nehmen, als er sowieso schon nehmen musste, weil er sich abends im Bett fast gar nicht mehr bewegen konnte. Ich weiß noch, dass wir relativ spät ins Bett sind. Papa schlief zunächst kurzzeitig. Dann kam Mama nachts um 3 rein zu mir, ich war ja eh noch wach, weil ich nicht schlafen konnte. Sie sagte nur: Ich muss den Notarzt holen. Ich bin dann zu Papa. Ich werde nie vergessen wie er da lag, schreiend vor Schmerzen und immer wieder die Frage: " Womit hab ich das verdient?" Die Schreie werd ich nie vergessen. So verzweifelt habe ich ihn noch nie erlebt. Ich hab mich zu ihm gelegt und wir warteten auf den Notarzt. Sie haben ihn mit Morphium vollpumpen müssen, weil er sich keinen Millimeter mehr bewegen konnte ohne vor Schmerzen zu schreien. Nach einer halben Stunde endlich haben die 4 Sanitäter ihn dann endlich auf die Trage bekommen. Wir sind dann ins Krankenhaus hinterher, die ganze Zeit bei ihm. Die Ärzte vermuteten in den ersten Tagen, dass er eine Fraktur hat, dass er irgendwann irgendwo irgendwie gefallen sein musste. Ich bezweifelte das sehr stark, denn all das und auch seine Blutwerte deuteten eher auf Knochenmetastasen hin, die diese Fraktur ausgelöst hatten am Becken. Leider, sollte ich recht behalten.

Ein paar Tage später wurde er in die Klinik verlegt, in der er auch immer seine Chemo bekam. Sein Zustand war aber durch die Schmerzmittel wieder stabiler, weshalb man sich dort kurzfristig doch noch entschloss die eigentlich auch geplante Chemo zu geben. Am Donnerstag ( 7.Juni), war ich natürlich sofort bei ihm in der Klinik, da diese nicht soo weit weg war von meiner Stadt, wo ich wohne. Ich war immer dort, wenn er sich da befand. So auch an dem Tag. Es schien ihm eigentlich gut zu gehen, bisschen geschafft durch die ganzen Strapazen der letzten Woche, aber doch relativ ermutigt, weil die Chemo auch nun endlich weitergeht. Sein Lebenswille war ungebrochen. Er war zwar noch schläfriger als sonst, aber ich dachte auch, jetzt wird ihm endlich weiter geholfen. Leider, änderte sich am Freitag, einen Tag später alles.

Ich rief vormittags die Ärztin an, weil ich wusste, dass wir heute Ergebnisse bekommen würden. Es war niederschmetternd. Sie sagte mir, dass sie die Chemo abgebrochen haben, sofort, dass es nichts mehr zu machen gibt, dass Papa nicht mehr gerettet werden kann. Die Chemo hatte auch nicht angeschlagen. Es wächst zu schnell, zu unkontrolliert und auch mein Verdacht mit den Knochenmetastasen bestätigte sich. Sein Körper war voller Metastasen. Die Ärztin sagte mir auch, dass sie versucht hatte, mit Papa zu sprechen, ihm das zu sagen, dass sie aber auch noch eine Strahlentherapie fürs Becken versuchen könnten. Dass sie aber mehr nicht mehr tun können. Es ist viel zu weit fortgeschritten. Wir sprachen auch über Pflegestufen, dass wir ihn nach Hause holen wollen, dass wir ihn pflegen wollen. Sie sagte mir auch deutlich, dass es Monate, aber auch nur noch Wochen dauern kann. Dass das keiner weiß. Die Ärtzin meinte, dass sie nicht das Gefühl hatte, dass es bei Papa angekommen war, diese niederschmetternde Diagnose. Sie hatte ihm nur gesagt, dass die Chemo nicht angeschlagen hat. Nichts weiter, doch das reichte Papa schon. Denn als ich nachmittags hin fuhr, war er bereits wie weggetreten. Er schien ab dem Tag nur noch in einer anderen Welt zu sein. Ich blieb bis spät abends. Er versuchte sich noch seine Unterhose selbst zu wechseln, das konnte er aber überhaupt nicht mehr, geschweige denn richtig bewegen. Er schlief dabei auch immer wieder ein.
ALs ich versuchte Papa auf das Gespräch mit der Ärztin anzusprechen, schien er komplett verwirrt. Mal sagte er, mit ihm hat keiner gesprochen, dann doch wieder. Aber ich kam überhaupt nicht an ihn ran. Er hatte sich an dem Tag, aufgegeben. Es war, als hätte sich ein Vorhang über ihn gelegt in dem Moment, als er erfuhr, dass die Chemo nicht angeschlagen hatte. Und Papa war auch jemand, der niemals jemandem in irgendeiner Weise zur Last fallen wollte. Das war für ihn schon die ganze Zeit schrecklich genug, dass er nicht mehr so konnte, wie er wollte, weil er immer sehr eigenständig war.

Zwei Tage später veranlassten meine Mama und ich, dass NICHTS mehr unternommen wird, dass er nach Hause kommen soll. Zunächst in ein palliatives Einzelzimmer bei uns zu Hause um die Ecke im Krankenhaus, damit er wieder etwas aufgepäppelt werden kann. Er wollte nur noch nach Hause, das konnte er an dem Wochenende noch sagen, das taten wir also auch. Es ging alles so schnell, wir veranlassten noch eine Pflegestufe, Pflegebett, Toilettenstuhl, usw. Nur das in 24 Stunden zu organisieren war einfach nicht drin. Wir waren auf die Hilfe der lieben Schwester der Station angewiesen und so froh, dass wir dieses Zimmer bekamen. Papa, bekam von all dem kaum was mit. Er schlief ab dem Wochenende fast nur noch und reagierte mit Augen öffnen und Flüstern nur ab und zu, wenn man ihn direkt und laut ansprach. Es ging alles so unglaublich schnell. Ab dem Dienstag, dem 12.Juni befand er sich also in diesem Einzelzimmer. Mama und ich waren jeden und den ganzen Tag da, sowie auch meine Schwester und mein Schwager. Da war es nur noch eine Woche. Wir wollten ihn an den See holen, aber er war dazu gar nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen, richtig zu essen, zu sprechen. Fast nichts mehr. Sein Katheter war die letzten zwei Tage nur noch voller Blut. Es war zu spät, und er wollte auch nicht mehr. Aber war dennoch froh, dass wir alle bei ihm waren die ganze Zeit, das war ihm das Wichtigste. Er flüsterte zu Mama und mir noch: "Meine beiden besten"... und wenn ich sagte "Papa ich hab dich sooo sehr lieb" sagte er: "Ich dich auch!" Zwei Tage bevor er starb, konnte ich ihn noch mit einer ganzen Kugel Vanilleeis füttern, das hat er so sehr geliebt. Da machte er die Augen plötzlich auf, als ich ihn fragte, ob er Eis möchte und schleckte so mit der Zunge. Ich fütterte ihn dann per Löffel. und fragte Papa, ob es ihm schmeckt. Er nickte daraufhin leicht und freute sich offenbar sehr. Zu Mama flüsterte er abends: "Pass auf dich auf!"
Wir saßen quasi einen Woche lang jeden Tag bei ihm, erzählten mit ihm, auch wenn er meistens nur noch schlief. Hielten seine Hand. Er drückte ab uns zu zu, weil er verstand, was wir sagten. Er bekam alles genau mit, auch wenn es nicht danach aussah für Außenstehende.

Es war an dem Sonntag der letzte Tag an dem er was sagte, danach schlief er komplett nur noch, aß nichts mehr. Trank fast gar nichts mehr. Öffnete seine Augen nicht. Die letzten Nacht blieben wir bei Papa. Geschlafen haben wir natürlich nicht, man achtete zu sehr auf die Atemgeräusche, die zwischenzeitlich immer mal wieder aussetzten.

Nach der Nacht war ich nachmittags zu Hause, duschen und kurz hinlegen, nachdem ich vom Arzt kam, weil ich selber schon krank war, wollte mich wie Mama am Vormittag etwas zu Hause ausruhen, ich war nicht mal mehr in der Lage Auto zu fahren, so fertig war ich. Ich rief Mama an, dass ich mich nur kurz hinlege, sie bat mich auch darum, weil man es mir auch ansah, dass ich kurz vorm Zusammenbrechen war. Ich wollte abends halt wiederkommen. Doch dazu kam ich halt nicht mehr.

An diesem Nachmittag, den 19.06.2012 um 16.15 Uhr schlief er dann friedlich ein. Er öffnete noch einmal ein Auge, und dann sah man am Hals wie es aufhörte zu pulsieren. Er schlief währenddessen ich nicht da war ein und ich bin der festen Überzeugung, dass Papa nicht wollte, dass ich das mit ansehe. Er hatte solange gewartet bis nur meine Mama und meine Schwester bei ihm waren, weil ich halt sein kleines Mädchen bin, was er bis zum Schluss beschützen wollte. Und das tat er auch. Ich bin ihm sogar dankbar dafür. Ich hätte dieses Bild, meines nicht mehr atmenden Papas nie vergessen. Und das wusste er, er war in solchen Sachen genauso sensibel wie ich. Und wollte immer nur das Beste. Und konnte nur gehen, wenn ich nicht dabei bin.
Ich hatte vormittags nach der langen Nacht noch ganze 5 Stunden allein mit meinem Papa bevor ich dann gegen eins nach Hause fuhr um halt zum Arzt zu gehen. In dieser Zeit allein mit ihm, konnte ich Papa vieles persönliches Sagen, ihm danken. Ihm sagen, dass er der beste war, dass ich ihn so sehr liebe, aber dass wir uns loslassen müssen. Dass es okay ist, wenn er gehen muss, dass ich es nie vergessen werde, ihn immer lieben werde. All das. Jedes Mal wenn ich fertig war mit einem Satz, zuckte er mit den Augenbrauen, er hat mich verstanden. Er hat mich genau gehört. Ich saß bei ihm, seine Hand nicht loslassend, weinend an seinem Bett. Aber leise Tränen. Ich hätte ihm niemals Tschüss sagen können. Niemals. Als ich mittags gab ich ihm einen Kuss auf die Wange, sagte, dass ich ihn lieb habe und " Bis nachher, Papa, ich komme nachher wieder." Das waren meine letzten Worte. Er wusste das. Es sollte alles so kommen. Papa hat jetzt seinen Frieden und bleibt ewig bei mir, in meinem Herzen.

So kam und geschah das alles. Das ist jetzt auch glaub ich erstmal genug. Es tat aber gut, sich das mal von der Seele zu schreiben.

Es ging alles so schnell, dass man kaum Zeit hatte um Luft zu holen. Es war noch eine Woche, die er zu Hause mit uns hatte. Noch eine Woche, die wir Tag und Nacht zusammen hatten. Gott sei Dank, hatten wir diese Zeit. Auch wenn es einem damals kaum bewusst war.

Papa ich liebe dich
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Mein Papi ♥ ist nun ein Engel ( geb.12.09.1941, ✝ 19.06.2012)

--> Neuroendokrines Karzinom, unbekannter Primärtumor, Diagnose Mai 2011.
...Ein Jahr, nur ein Jahr blieb uns noch.


...Du fehlst mir so sehr ♥

"Du bist nicht mehr da, wo du warst. Aber du bist überall, wo ich bin. In jedem Augenblick, in ewiger Liebe.."
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"Die wahrhaftigsten Wahrheiten sind es, die uns zusammen führen. Und zum Verzweifeln, schmerzhaft voneinander trennen!..."

Geändert von Anyanka77 (31.07.2012 um 11:11 Uhr)
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